Spruch:
Hat das Berufungsgericht Streitanhängigkeit von Amts wegen geprüft und - wenn auch nur in den Entscheidungsgründen - verneint, ist der Oberste Gerichtshof daran gebunden
OGH 16. Dezember 1981, 6 Ob 599/81 (OLG Innsbruck 2 R 4/81; LG Innsbruck 6 Cg 243/79)
Text
Mit der beim Erstgericht am 3. Mai 1979 eingelangten Klage begehrte die Klägerin die Scheidung ihrer Ehe mit dem Beklagten wegen dessen Verschulden aus dem Gründe des § 49 EheG sowie die Verpflichtung des Beklagten, ihr ab dem der Rechtskraft des Scheidungsurteiles folgenden Monatsersten im vorhinein einen monatlichen Unterhalt in der Höhe von 4000 S zu bezahlen.
Der Beklagte bestritt das Vorbringen der Klägerin, beantragte, die überwiegende Mitschuld der Klägerin auszusprechen, und warf ihr schwere Eheverfehlungen vor.
Das Erstgericht sprach die Scheidung der Ehe der Streitteile aus beiderseitigem Verschulden aus und wies das Unterhaltsbegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das erstgerichtliche Urteil, das im übrigen unbekämpft geblieben war, in seinem Ausspruch einer Mitschuld der Klägerin und der Abweisung des Unterhaltsbegehrens unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Es prüfte von Amts wegen, ob das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit im Hinblick darauf, daß zwischen den Parteien bereits folgende Ehescheidungsverfahren anhängig waren bzw. sind, vorliegt:
Der Beklagte hatte am 16. Feber 1966 zu 5 Cg 97/66 des Erstgerichtes gegen die Klägerin eine Ehescheidungsklage wegen Verschuldens eingebracht und diese am 28. Feber 1966 unter Verzicht auf den Anspruch zurückgezogen.
Am 29. Juli 1966 brachte er zu 24 Cg 391/66 des Erstgerichtes eine Ehescheidungsklage wegen Verschuldens seiner Frau ein, worauf diese am 23. August 1966 zu 24 Cg 433/66 eine Widerklage erhob, in welcher sie die Scheidung der Ehe wegen Verschuldens des Mannes begehrte. In dem zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren über Klage und Widerklage zeigten die Streitteile mit gemeinsamem Schriftsatz am 14. November 1966 dem Erstgericht an, daß sie wegen erfolgter Versöhnung das Ruhen des Verfahrens vereinbart hätten. Dieses Verfahren wurde nicht mehr fortgesetzt.
Am 2. Juni 1978 brachte die Klägerin zu 6 Cg 258/78 des Erstgerichtes eine Klage ein, mit welcher sie die Scheidung der Ehe wegen Verschuldens des Mannes begehrte und beantragte, ihn ab Rechtskraft des Ehescheidungsurteils zu einer Unterhaltsleistung von 5000 S monatlich zu verpflichten. In diesem Verfahren trat am 2. August 1978 Ruhen des Verfahrens ein; auch hier erfolgte keine Fortsetzung des Verfahrens.
Das Berufungsgericht begrundete die Verneinung der Streitanhängigkeit im wesentlichen folgendermaßen: Die Klage 5 Cg 97/66 des Erstgerichtes sei infolge Zurücknahme nicht mehr anhängig. Bei den Klagen 24 Cg 391/66 und der nunmehrigen Klage liege keine Identität der Streitsache vor. Auch das Verfahren 24 Cg 433/66 (Widerklage der nunmehrigen Klägerin) mit dem Begehren auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens des Mannes und die Klage 6 Cg 258/78 des Erstgerichtes mit dem gleichen Begehren und dem weiteren Antrag auf Verurteilung zur Leistung eines monatlichen Unterhaltes von 5000 S ab Rechtskraft des Scheidungsurteiles begrunde für das nunmehrige Verfahren nicht das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit. Das Scheidungsbegehren der Klägerin zu 6 Cg 243/79 stütze sich zumindest zum Teil auf Eheverfehlungen des Mannes, die zeitlich nach dem 2. August 1978 (Eintritt des Ruhens im Vorprozeß 6 Cg 258/78) stattgefunden haben sollen. Insoweit stehe ihm das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit nicht entgegen. Allerdings könnten Eheverfehlungen des Mannes, die zeitlich vorher stattgefunden haben sollen, zur Lösung der noch strittigen Frage, ob und inwieweit die Klägerin eine Mitschuld an der Scheidung der Ehe treffe, also zur vergleichsweisen Gegenüberstellung der beiderseitigen Verfehlungen, nur unterstützungsweise analog § 59 Abs. 2 EheG herangezogen werden, nicht jedoch könne das neuerliche Scheidungsbegehren der Klägerin im nunmehrigen Rechtsstreit auf solche Eheverfehlungen des Mannes gegrundet werden, weil dem das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit entgegenstunde. Dies gelte unabhängig davon, ob vermöge des letzten Geschlechtsverkehrs der Streitteile im Jahre 1978 eine gegenseitig erfolgte Verzeihung der bis dorthin stattgefundenen beiderseitigen Eheverfehlungen anzunehmen sei. Andererseits könnten aber vom Beklagten zur Begründung seines Mitschuldantrages auch Verfehlungen der Frau, die er seinerseits zur Begründung seiner ruhenden Scheidungsklage (24 Cg 391/66 des Erstgerichtes) vorgebracht habe, soweit diese nicht verziehen oder verfristet seien, geltend gemacht werden, weil hier das Hindernis der Streitanhängigkeit nicht bestehe.
Auch dem nunmehrigen Unterhaltsbegehren stehe das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit nicht entgegen, weil zur Begründung des neuen Begehrens auch das behauptete Verhalten des Beklagten nach Eintritt des Ruhens des Verfahrens im Vorprozeß geltend gemacht werde. Streitanhängigkeit liege aber dann nicht vor, wenn im Verhältnis zum Vorbringen im Vorprozeß noch zusätzlich die Behauptung weiterer rechtserzeugender Tatsachen hinzutrete und deren Identität daher nur eine teilweise sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Prozeßhindernisse können in höherer Instanz nicht mehr wahrgenommen werden, wenn eine noch bindende Entscheidung entgegensteht. Die in § 42 Abs. 3 JN für einzelne Prozeßhindernisse normierten Rechtsfolgen gelten nach Lehre und Rechtsprechung (vgl. Fasching I, 271; SZ 28/265 u. a.) für alle Prozeßhindernisse. Es ist hier daher zu prüfen, ob eine solche bindende Entscheidung vorliegt. Das Erstgericht hat sich zur Frage der Streitanhängigkeit nicht geäußert. Das Berufungsgericht befaßte sich - wie oben dargestellt - mit dem Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit in den Gründen seines Aufhebungsbeschlusses und fügte diesem einen Rechtskraftvorbehalt bei. Es stellt sich daher die Frage, ob eine lediglich in den Gründen enthaltende Entscheidung bindend im Sinne des § 42 Abs. 3 JN sein kann und ob eine Bindung nicht jedenfalls wegen des vom Berufungsgericht beigefügten Rechtskraftvorbehaltes zu verneinen ist.
Was den Rechtskraftvorbehalt betrifft, muß beachtet werden, daß nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung die Anfechtung aller Beschlüsse des Berufungsgerichtes ausgeschlossen ist, mit welchen die wegen Nichtigkeit erhobene Berufung als unbegrundet zurück- oder abgewiesen wurde (Fasching IV 409; Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, 683; SZ 24/115 u. v. a.). Das Berufungsgericht kann in einem solchen Fall nicht durch Beifügung eines Rechtskraftvorbehaltes eine Anfechtungsmöglichkeit eröffnen. Ein trotzdem gesetzter Rechtskraftvorbehalt ist wirkungslos (vgl. Fasching a.a.O., 408 f.; Novak in JBl. 1953, 60; Sperl a.a.O.). Dies gilt auch dann, wenn infolge einer auch aus anderen Gründen erhobenen Berufung das erstgerichtliche Urteil wegen Verfahrens- oder Feststellungsmängeln aufgehoben und dem Aufhebungsbeschluß ein Rechtskraftvorbehalt beigefügt wird. Die die Nichtigkeitsberufung verwerfende Entscheidung ist jedenfalls unanfechtbar und damit bindend im Sinne des § 42 Abs. 3 JN. Sie steht daher auch der amtswegigen Wahrnehmung der Nichtigkeit bzw. des Prozeßhindernisses entgegen (SZ 28/265).
Da im gegenständlichen Fall keine Entscheidung über eine Nichtigkeitsberufung vorliegt und das Prozeßhindernis nicht im Spruch, sondern in den Gründen verneint wurde, bleibt zu prüfen, ob eine bindende Entscheidung nur vorliegt, wenn im Spruch der berufungsgerichtlichen Entscheidung über die Nichtigkeitsberufung entschieden wurde, oder ob es genügt, daß die Entscheidung eindeutig aus den Gründen entnommen werden kann, und weiter, ob eine solche bindende Entscheidung auch dann vorliegt, wenn das Berufungsgericht die Frage des Vorliegens einer Nichtigkeit (eines Prozeßhindernisses) von Amts wegen aufgegriffen und seine diese Frage verneinende Auffassung in den Gründen seiner Entscheidung deutlich zum Ausdruck gebracht hat.
Die Auffassungen darüber, ob eine Entscheidung im Spruch enthalten sein muß oder entsprechende Ausführungen in den Gründen genügen, gehen auseinander. Eine Bindung der Rechtsmittelgerichte auch im Falle des sich aus den Entscheidungsgründen ergebenden Entscheidungswillens bejahten die Entscheidung SZ 31/74; SZ 41/184; SZ 43/121; JBl. 1967, 524; JBl. 1980, 541 und zahlreiche nicht veröffentlichte Entscheidungen z. B. 7 Ob 287/65; 7 Ob 42/70; 6 Ob 72, 73/75; 6 Ob 607/77; 585/80. Die gegenteilige Auffassung wurde u.
a. in JBl. 1962, 315; ÖBl. 1968, 61; Arb. 8761 und 8901 vertreten. Diese Entscheidungen können sich insbesondere auf Fasching I, 273, und Novak in JBl. 1962, 317 stützen. Bezüglich der Entscheidung über die Nichtigkeitsberufung vertritt allerdings auch Fasching (IV, 409) die Meinung, daß eine neue Aufrollung der Nichtigkeitsfrage mit Revision oder mit selbständigem Rekurs ausgeschlossen sei, wenn die Entscheidung auch nur aus den Gründen entnommen werden könne. Es ist aber kein triftiger Grund zu sehen, warum dies nicht auch dann gelten sollte, wenn die Frage des Vorliegens einer Nichtigkeit oder eines Prozeßhindernisses vom Berufungsgericht von Amts wegen aufgegriffen und verneinend beantwortet wurde. Es ist Pflicht des Berufungsgerichtes, Nichtigkeitsgrunde (Prozeßhindernisse) von Amts wegen wahrzunehmen (Fasching IV, 108). Tut es dies und kommt es zu einer Verneinung, dann muß dies hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeit dieselbe Wirkung haben, wie wenn das Berufungsgericht über eine geltend gemachte Nichtigkeit befunden hätte. Die gegenteilige Auffassung würde zu dem Ergebnis führen, daß eine Partei, die von der in der Berufung oder in der Berufungsbeantwortung eröffneten Möglichkeit der Geltendmachung keinen Gebrauch macht, für ihre Untätigkeit durch eine weitere Anfechtungsmöglichkeit belohnt wird. Es muß daher auch in diesen Fällen der von der Rechtsprechung vertretene Grundsatz gelten, daß eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden kann (RZ 1968, 108; SZ 44/76; RZ 1976/110; 5 Ob 677/77 u. a.). Die Rechtsprechung hat wiederholt ausgesprochen, daß dies selbst dann gilt, wenn die Verneinung der Nichtigkeit nur in den Entscheidungsgründen erfolgte, was mangels Geltendmachung durch eine Partei gar nicht anders möglich sei (RZ 1976/110; 5 Ob 677/77; 6 Ob 607/77; ähnlich auch 3 Ob 527/79). Diese Erwägungen führen zu dem Ergebnis, daß in den Fällen, in welchen das Berufungsgericht eine Nichtigkeitsberufung verwirft oder infolge Geltendmachung einer Nichtigkeit durch den Berufungsgegner oder ohne jede Geltendmachung von Amts wegen das Vorliegen einer Nichtigkeit verneint, diese Frage in dritter Instanz unabhängig davon nicht mehr aufgerollt werden kann, ob sich das Erstgericht überhaupt (im Spruch oder in den Gründen) mit dieser Frage beschäftigt hat und ob die Verneinung der Nichtigkeit durch das Berufungsgericht im Spruch oder in den Entscheidungsgründen erfolgt ist. Das Vorliegen der bindenden Entscheidung ergibt sich in diesen Fällen aus § 519 ZPO, nach welcher Bestimmung es nicht darauf ankommt, daß bereits zwei Instanzen übereinstimmend das Vorliegen eines Prozeßhindernisses oder einer Nichtigkeit verneint haben.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß die Frage der Streitanhängigkeit der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof entzogen und daher auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rekurs nicht einzugehen ist.
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