OGH 6Ob59/17w

OGH6Ob59/17w29.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** Limited, *****, Kanalinsel Jersey, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 59.824 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2017, GZ 1 R 90/16m‑51, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00059.17W.0529.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Die Klägerin erwarb am 24. 2. 2006, am 25. 10. 2006 und am 30. 1. 2007 MEL‑Zertifikate der Beklagten, die sie am 9. 12. 2008 mit einem Gesamtverlust in Höhe des Klagsbetrags wieder veräußerte. Ihr Geschäftsführer verließ sich sowohl beim Ankauf als auch beim Verkauf ausschließlich auf seinen Berater, den Geschäftsführer einer Wertpapierfirma. Die Beklagte hatte in einer Ad‑hoc‑Meldung am 22. 3. 2005 berichtet, dass die bisher größte Kapitalerhöhung in ihrer Unternehmensgeschichte erfolgreich abgeschlossen und zwischen 3. und 18. 3. 2005 42 Mio junge Aktien im Gesamtwert von 560 Mio EUR bei privaten und institutionellen Kunden platziert worden seien; das Emissionsvolumen von 560 Mio EUR werde für die Expansion in langfristig vermietete Immobilienprojekte eingesetzt werden. Tatsächlich hatten laut Boardprotokoll der Beklagten vom 19. 4. 2005 von dieser Kapitalerhöhung nur 50 % platziert werden können; der Rest der Platzierung war hingegen bis September 2005 erwartet worden. Eine Richtigstellung der Ad‑hoc‑Meldung war nicht durchgeführt worden; es steht nicht fest, wer die nicht am Kapitalmarkt platzierten Zertifikate gezeichnet hatte.

Die Vorinstanzen entschieden klagsstattgebend. Dem Berater wären Ad‑hoc‑Meldungen über nicht platzierte Kapitalerhöhungen im Jahr 2005 zur Kenntnis gelangt. Hätte er gewusst, dass eine Kapitalerhöhung nicht (zur Gänze) bei Dritten am Kapitalmarkt platziert wurde – hätte er sohin die Unrichtigkeit der Ad‑hoc‑Mitteilung vom 22. 3. 2005 gekannt –, hätte er den Erwerb der Zertifikate durch die Klägerin verhindert; die Klägerin hätte diese nicht erworben. Bei Kenntnis des Beraters von der Unrichtigkeit der Ad‑hoc‑Meldung der Beklagten vom 22. 3. 2005 wäre jeglicher Erwerb der Zertifikate durch die Klägerin, also zu allen drei Erwerbszeitpunkten, unterblieben.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 4 Ob 239/14x (EvBl 2015/132 [Brenn/Baumgartner]; ErwGr 2.) festgehalten, dass eine (andere) Ad‑hoc‑Meldung der Beklagten vom 9. 2. 2007, wonach die „bisher größte Kapitalerhöhung in der Unternehmensgeschichte erfolgreich abgeschlossen und vollständig platziert“ worden sei, aufgrund des dort verschwiegenen Umstands, dass 42 % des Volumens der Kapitalerhöhung von der Beklagten mittelbar selbst erworben worden waren, jedenfalls irreführend iSd § 48a Abs 1 Z 2 lit c BörseG und damit haftungsbegründend war. Dies gilt auch für die (annähernd) inhaltsgleiche Ad‑hoc‑Mitteilung vom 22. 3. 2005.

2. Nach der Entscheidung 9 Ob 26/14k (VbR 2015/91 [Schuhmacher] = ÖBA 2015, 755/2152 [Sindelar]; ErwGr 1.7.) stellt sich im Zusammenhang mit einer unterlassenen – dies gilt auch für eine unrichtige – Ad‑hoc‑Meldung die Kausalitätsprüfung so dar, dass zu fragen ist, ob der Kläger 1. bei Einhaltung der gebotenen Ad‑hoc‑Meldepflicht vom Inhalt der Mitteilung erfahren hätte (was hier von den Vorinstanzen auf Tatsachenebene bejaht wurde) und 2. dann eine andere (oder keine) Veranlagungsentscheidung getroffen hätte. Für die zweite Frage, also den Willensentschluss zur Veranlagungsentscheidung selbst, sei zwar zu bedenken, dass bei der Prüfung, ob der Kläger nachvollziehbare Gründe dafür darlegen kann, dass er in Kenntnis des Inhalts einer Ad‑hoc‑Meldung eine andere Veranlagungsentscheidung getroffen hätte, in der Regel insbesondere der konkrete Inhalt der gebotenen Meldung und die zeitliche Nähe des Erwerbs eine Rolle spielen, weil es sich um eine für die Anlegerentscheidung in unterschiedlichem Ausmaß ausschlaggebende Tatsache handeln kann, auch andere Faktoren für die Erwerbsentscheidung bestimmend sein können und sich der Wert einer Ad-hoc-Meldung aufgrund ihres Charakters als Momentaufnahme im Zeitverlauf auch verlieren kann. Die – nach dem Regelbeweismaß zutreffende – Feststellung der entsprechenden Willensentscheidung des Anlegers bleibe aber in jedem Fall eine Frage der einer revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogenen Beweiswürdigung. Die Vorinstanzen haben im vorliegenden Fall auch die zweite Frage auf Tatsachenebene bejaht.

Dass, wie die Beklagte in ihrer außerordentlichen Revision meint, fehlende oder unrichtige Ad‑hoc‑Meldungen ganz grundsätzlich nur für Anlegerentscheidungen kausal sein könnten, die binnen sechs Monaten getroffen werden, lässt sich weder dieser Entscheidung entnehmen noch bestehen für eine solche Überlegung gesetzliche Grundlagen. Und auch das in der Revision angeführte Beispiel einer unterlassenen Ad-hoc-Meldung, die ohnehin nach sechs Monaten wieder von der Website des Emittenten hätte entfernt werden können, weshalb sie auf einen Aktienerwerb acht Monate nach Nichtmeldung keinen Einfluss haben hätte können, geht jedenfalls hier fehl: Tatsächlich verließ sich der Geschäftsführer der Klägerin auf seinen Berater, der nach den Feststellungen der Vorinstanzen den Erwerb der Zertifikate grundsätzlich verhindert hätte, hätte er gewusst, dass Kapitalerhöhungen nicht zur Gänze am Kapitalmarkt platziert werden konnten. Die Frage, wie lange eine Ad‑hoc‑Meldung auf der Website des Emittenten abrufbar sein muss, sagt somit noch nichts darüber aus, wie lange sie für die Investitionsentscheidung des Anlegers relevant sein kann.

3. Darauf, dass, wie die Beklagte in ihrer außerordentlichen Revision weiters meint, der Oberste Gerichtshof erstmals in der Entscheidung 8 Ob 98/15t (JBl 2016, 788 [Kronthaler]; ErwGr 3.1.) ausgesprochen habe, dass bei einer Schadenszufügung durch Unterlassung der Geschädigte in Bezug auf die Kausalität ganz allgemein nur dafür beweispflichtig ist, dass überwiegende Gründe dafür vorliegen, der Schaden sei durch das Unterlassen des pflichtgemäßen Handelns des Beklagten herbeigeführt worden, somit prima facie davon auszugehen ist, dass im Fall einer pflichtgemäßen (in Wahrheit aber unterlassenen) Ad‑hoc‑Mitteilung ein Verkauf der Wertpapiere durch den Anleger noch vor dem Eintritt des Kursverfalls hätte bewerkstelligt werden können, welche Annahme der Schädiger entkräften kann, und dass diese Entscheidung der Beklagten erst nach Schluss der Verhandlung im vorliegenden Verfahren zugestellt worden sei, weshalb die Beklagte die Annahme nicht mehr habe entkräften können, kommt es nicht maßgeblich an. Das Berufungsgericht hat die Entscheidung damit begründet, dass die Klägerin die Zertifikate von Anfang an nicht erworben hätte, hätte die Beklagte am 22. 3. 2005 eine korrekte Ad‑hoc‑Meldung veröffentlicht.

4. Mit der Verjährungsfrage setzt sich die außerordentliche Revision nur für den Fall auseinander, dass der Oberste Gerichtshof eine Haftung für die Ad‑hoc‑Meldung vom 22. 3. 2005 ablehnen sollte; eines weiteren Eingehens darauf bedarf es somit nicht. Dies gilt auch für die angebliche Nichtigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens infolge Verwertung der Beilage ./CCC, welche ebenfalls (nur) die Verjährungsfrage betrifft; hinsichtlich des maßgeblichen Boardprotokolls vom 19. 4. 2005 steht jedoch fest, dass nicht festgestellt werden kann, das dieses dem Kläger oder seiner rechtsfreundlichen Vertretung vor dem 1. 1. 2014 bekannt gewesen war.

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