OGH 6Ob4/08v

OGH6Ob4/08v7.7.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Firmenbuchsache der gelöschten „r*****" ***** GmbH mit dem Sitz in W*****, FN *****, über den Revisionsrekurs der Gesellschaft, vertreten durch Dr. Christian Frießnegger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 9. November 2007, GZ 28 R 173/07b-6, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 10. Juli 2007, GZ 73 Fr 6761/07m-1, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

In dem beim Handelsgericht Wien geführten Firmenbuch war seit 12. 3. 2002 zu FN ***** die „r*****" ***** GmbH eingetragen. Einziger Gesellschafter und Geschäftsführer war Mag. Gerald U*****. Seine übernommene, zur Hälfte einbezahlte Stammeinlage betrug 35.000 EUR.

Mit Beschluss vom 5. 2. 2007 forderte das Erstgericht den Geschäftsführer auf, binnen vier Wochen die Jahresabschlüsse zum 31. 12. 2004 und zum 31. 12. 2005 gemäß den gesetzlichen Bestimmungen vorzulegen oder binnen dieser Frist entgegenstehende Hindernisse bekannt zu geben. Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Anordnung verwies es auf die Möglichkeit der Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit.

Dieser Beschluss wurde an der im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsanschrift der Gesellschaft zugestellt. Innerhalb der gesetzten Frist langten weder die abgeforderten Jahresabschlüsse noch eine Stellungnahme ein.

Mit Beschluss vom 24. 4. 2007 gab das Erstgericht seine Absicht zur amtswegigen Löschung der Gesellschaft für den Fall bekannt, dass nicht binnen vier Wochen Einwendungen erhoben werden und der konkrete Nachweis erbracht wird, dass die Gesellschaft über Vermögen verfügt.

Dieser Beschluss wurde am 27. 4. 2007 der Gesellschaft und am 25. 5. 2007 dem Geschäftsführer durch Hinterlegung zugestellt. Eine Reaktion erfolgte nicht.

Das zuständige Finanzamt und die Wirtschaftskammer Wien gaben zur beabsichtigten Löschung keine Stellungnahmen ab.

Mit Beschluss vom 9. 7. 2007 bewilligte das Erstgericht die Löschung der Gesellschaft gemäß § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Gesellschaft nicht Folge. Die im Rekurs zum vorhandenen Gesellschaftsvermögen aufgestellten Behauptungen seien unzulässige und daher unbeachtliche Neuerungen, habe doch die Gesellschaft im Verfahren erster Instanz Gelegenheit gehabt, dazu Vorbringen zu erstatten. Nach den Intentionen des Gesetzgebers solle die Vermutung der Vermögenslosigkeit der Gesellschaft (§ 40 Abs 1 letzter Satz FBG) als Sanktion zur Bereinigung des Firmenbuchs in erster Linie den Fällen vorbehalten bleiben, in denen ein Zwangsstrafenverfahren (§ 283 UGB) wegen Fehlens des organschaftlichen Vertreters nicht eingeleitet werden könne oder erfolglos geblieben sei. Im Regelfall habe das Firmenbuchgericht die Offenlegungspflicht mittels Zwangsstrafen durchzusetzen, weil es schon bei nicht rechtzeitiger Vorlage auch nur eines Jahresabschlusses zur Einleitung des Zwangsstrafenverfahrens verpflichtet sei. Im Gegensatz dazu stehe die Löschung der Gesellschaft gemäß § 40 Abs 1 FBG wegen Vermögenslosigkeit im Ermessen des Firmenbuchgerichts. Erst bei qualifizierter Vermutung der Vermögenslosigkeit im Sinn des § 40 Abs 1 Satz 3 FBG könne grundsätzlich auch ohne vorangegangenes Zwangsstrafenverfahren das Amtslöschungsverfahren eingeleitet werden. Es wäre ein Wertungswiderspruch, für die gravierende Folge der amtswegigen Löschung der Gesellschaft schon eine einmalige, sofort mit dem Auftrag gemäß § 18 FBG verbundene Aufforderung zur Erfüllung der Offenlegungspflichten für zwei oder mehr Jahre genügen zu lassen, während die weniger einschneidende Maßnahme einer Zwangsstrafe ein stufenweises Vorgehen mit wiederholten Aufforderungen vorsehe. Die in § 40 Abs 1 dritter Satz FBG normierte „Aufforderung" müsse zumindest einmal wiederholt werden, bevor die Gesellschaft von Amts wegen gelöscht werden dürfe. Sei ein Zwangsstrafenverfahren nicht durchgeführt worden, dann habe das Firmenbuchgericht im Amtslöschungsverfahren selbst stufenweise vorzugehen. Die Gesellschaft sei zunächst zur Vorlage der fehlenden Jahresabschlüsse aufzufordern. Erst bei Nichtentsprechen habe eine weitere qualifizierte Aufforderung gemäß § 18 iVm § 40 Abs 1 FBG zu erfolgen. Im Anlassfall habe das Firmenbuchgericht diese Vorgaben erfüllt.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage fehle, welche Anforderungen an die in § 40 Abs 1 dritter Satz FBG normierte „Aufforderung" zu stellen seien. Ebenso fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die Androhung und Einleitung des Zwangsstrafenverfahrens nach § 283 UGB Voraussetzung für eine Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit nach § 40 Abs 1 letzter Satz FBG sei.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Gesellschaft gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin vertritt zusammengefasst den Standpunkt, im Hinblick auf die mit der Löschung verbundenen Rechtsfolgen und das für die Erzwingung der Offenlegungspflichten normierte stufenweise Vorgehen setze die amtswegige Löschung einer Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit die vorangehende Androhung einer Zwangsstrafe und die Einleitung des Zwangsstrafenverfahrens gemäß § 283 UGB voraus. Die „Aufforderung" gemäß § 40 Abs 1 dritter Satz FBG habe daher die Androhung und in einem weiteren Schritt die Verhängung einer Zwangsstrafe zu umfassen.

Hiezu hat der Senat erwogen:

Eine Kapitalgesellschaft, die kein Vermögen besitzt, kann von Amts wegen gelöscht werden (§ 40 Abs 1 erster Halbsatz FBG). Sofern das Vorhandensein von Vermögen nicht offenkundig ist, gilt eine Kapitalgesellschaft bis zum Beweis des Gegenteils auch dann als vermögenslos, wenn sie trotz Aufforderung durch das Gericht die Jahresabschlüsse und gegebenenfalls die Lageberichte (§§ 277 ff UGB) von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht vollständig vorlegt (§ 40 Abs 1 letzter Satz FBG).

Hiezu heißt es in den ErläutRV 1588 BlgNR 20. GP 6:

„Im Lauf des Jahres 1998 ist die mit dem EU-GesRÄG, BGBl. Nr. 304/1996 normierte Einbeziehung mittlerer und kleiner Gesellschaften mit beschränkter Haftung in die Verpflichtung zur Offenlegung der Jahresabschlüsse praktisch wirksam geworden. Abgesehen von dem ohnedies mit der Überwachung der Einhaltung dieser Verpflichtung verbundenen Aufwand, werden insbesondere die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die de facto nicht (mehr) existieren, dabei Probleme bereiten. Es bietet sich daher an, die ohnedies erforderliche Kontaktnahme zwischen Firmenbuch und Gesellschaft zum Anlass einer Bereinigung des Firmenbuchs zu nehmen.

Die wiederholte Nichtvorlage der Jahresabschlüsse und gegebenenfalls ..... Lageberichte trotz gerichtlicher Aufforderung (und des in den § 283 HGB [nunmehr: UGB], § 24 FBG vorgesehenen Zwangsstrafenverfahrens) ist zum einen wohl als gewichtiges Indiz dafür anzusehen, dass die Gesellschaft keine Tätigkeit mehr entfaltet und kein Vermögen mehr besitzt, zum anderen stellt die Vermutung der Vermögenslosigkeit und die damit verbundene Einleitung des Verfahrens nach § 40 Abs 1 FBG auch eine notwendige Sanktion für die Nichteinhaltung der Offenlegungsbestimmungen insbesondere dann dar, wenn Aufforderungen zur Offenlegung und die vorgesehenen Zwangsstrafen ins Leere gehen, weil ein vertretungsbefugtes Organ, dem zugestellt werden könnte, nicht mehr vorhanden ist. Stellt sich nachträglich heraus, dass Gesellschaften, die im Sinn der Vermutung des § 40 Abs 1 letzter Satz FBG als vermögenslos anzusehen waren, doch Vermögen haben, das der Verteilung unterliegt, so findet Abs 4 für die Abwicklung Anwendung.

Die Vermutung des Abs 1 letzter Satz kann durch den Nachweis widerlegt werden, dass die Gesellschaft (doch) über Vermögen verfügt.

Naturgemäß soll die gesetzliche Vermutung der Vermögenslosigkeit dann nicht zum Tragen kommen, wenn das Vorliegen von Vermögen offenkundig ist, die Nichtvorlage der Jahresabschlüsse also offenbar auf ganz anderen Gründe beruht .... . In diesem Fall kann es natürlich nicht zur Auflösung der Gesellschaft kommen, sondern es muss mit dem Zwangsstrafenverfahren nach den § 282 HGB [nunmehr: UGB], § 24 FBG sein Bewenden haben.

.....

Hinsichtlich der „Aufforderung" zur Vorlage der Jahresabschlüsse kommt es nicht darauf an, dass diese der Gesellschaft „zugestellt" wurde. „Aufgefordert" hat das Gericht schon dann, wenn es das entsprechende Schreiben abgefertigt hat und die übliche Zeit für den Postlauf verstrichen ist.

Schließlich ist noch auf § 18 FBG hinzuweisen, wonach das Gericht die von der Löschung bedrohte Gesellschaft auf die mögliche Löschungsfolge aufmerksam zu machen hat. ....."

Aus den wiedergegebenen Gesetzesmaterialien erhellt, dass auch nach der Absicht des Gesetzgebers unter der in § 40 Abs 1 letzter Satz FBG genannten „Aufforderung" weder die Androhung noch die Verhängung von Zwangsstrafen gemäß § 283 UGB zu verstehen ist, wird doch die erfolglose gerichtliche Aufforderung wiederholt neben dem in § 283 UGB vorgesehenen Zwangsstrafenverfahren als die Vermögenslosigkeit indizierender Umstand genannt. Insoweit den Gesetzesmaterialien die Auffassung zu entnehmen ist, die in § 40 Abs 1 letzter Satz FBG normierte Vermutung der Vermögenslosigkeit einer Kapitalgesellschaft setze die Androhung und/oder die Verhängung von Zwangsstrafen gemäß § 283 UGB voraus, so hat dies im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden. Vom Zweck der Bestimmung her, die amtswegige Löschung einer Kapitalgesellschaft wegen Vermögenslosigkeit durch Schaffung einer widerleglichen Vermutung zu erleichtern, ist eine Auslegung in dieser Richtung auch nicht geboten. Der Gesetzgeber nimmt bewusst in Kauf, dass bei der erleichterten amtswegigen Löschung von Kapitalgesellschaften unter Umständen auch vermögende Gesellschaften gelöscht werden könnten, sieht doch § 40 Abs 4 FBG ein für solche Fälle anzuwendendes Verfahren vor. Zur Widerlegung der Vermutung hat die Gesellschaft überdies ohnehin Gelegenheit, ist sie doch im Löschungsverfahren gemäß § 18 FBG aufzufordern, sich zur beabsichtigten Löschung zu äußern (6 Ob 73/03f). Die Gesetzesmaterialien sind weder das Gesetz selbst noch interpretieren sie dieses authentisch. Ein Rechtssatz, der nur in den Gesetzesmaterialien steht, und im Gesetz keinen Niederschlag gefunden hat, kann daher auch nicht im Weg der Auslegung Geltung erlangen (10 ObS 114/05w; Posch in Schwimann, ABGB3 § 6 Rz 17 mwN). Daher sind mangels Normierung weder die Androhung noch die Verhängung von Zwangsstrafen gemäß § 283 UGB Voraussetzung für die Vermutung der Vermögenslosigkeit gemäß § 40 Abs 1 letzter Satz FBG (vgl G. Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer § 40 FBG Rz 22; OLG Wien 28 R 127/02f = NZ 2003/81). Letztlich kam auch das Rekursgericht zu diesem Ergebnis.

Ob die in § 40 Abs 1 letzter Satz FBG normierte „Aufforderung" mit dem Beschluss gemäß § 18 FBG über die beabsichtigte Löschung wegen Vermögenslosigkeit verbunden werden darf (vgl zustimmend G. Nowotny aaO § 40 Rz 21 mwN), muss nicht erörtert werden, weil im Anlassfall das Erstgericht in dieser Art nicht vorgegangen ist.

Zutreffend (vgl 6 Ob 23/03f) stellt die Rechtsmittelwerberin nicht in Frage, dass der Umstand, dass die Gesellschaft dem Firmenbuchstand zufolge eine Forderung gegen den Alleingesellschafter auf Volleinzahlung der Stammeinlage hat, kein „offenkundiges Vermögen" im Sinn des § 40 Abs 1 letzter Satz FBG darstellt.

Der Auffassung der Rechtsmittelwerberin, im Sinn des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei es geboten, der Gesellschaft in der Aufforderung gemäß § 40 Abs 1 letzter Satz FBG darüber Mitteilung zu machen, ob und wie sich die Finanzbehörde und die zuständige Interessenvertretung zur beabsichtigten Amtslöschung geäußert haben, ist zu erwidern, dass dieser angebliche erstinstanzliche Verfahrensmangel im Rekurs nicht gerügt wurde. Er kann daher nur dann einen Mangel des Rekursverfahrens bilden, wenn das Rekursgericht diesen Mangel von Amts wegen hätte aufgreifen müssen (1 Ob 190/07h mwN). Dies ist allerdings hier nicht der Fall, zumal kein nach § 55 Abs 3 AußStrG von Amts wegen wahrzunehmender Mangel vorläge. Ein im Rekurs nicht gerügter Verfahrensmangel erster Instanz kann nicht als Revisionsrekursgrund geltend gemacht werden (vgl 1 Ob 190/07h; vgl RIS-Justiz RS0030748).

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