OGH 6Ob36/16m

OGH6Ob36/16m30.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragsteller 1. H***** M*****, 2. M***** M*****, beide *****, vertreten durch Dr. Thomas Bründl, Rechtsanwalt in Straßwalchen, gegen die Antragsgegner 1. E***** F*****, 2. S***** F*****, beide *****, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Einräumung eines Notwegs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 17. Dezember 2015, GZ 22 R 300/15v‑50, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Das Rekursgericht wies den Antrag auf Einräumung eines Notwegs (konkret: die Verbreiterung eines bestehenden Servitutswegs zum Zwecke dessen Befahrens im Interesse einer zeitgemäßen Daseinsvorsorge etwa mit Fahrzeugen der Müllabfuhr, der Feuerwehr oder von Holzlieferanten) über die Liegenschaft der Antragsgegner gemäß § 2 NWG ab. Nach den Feststellungen hatten die Antragsteller als Ortseinwohner die örtlichen Gegebenheiten gekannt, zumal sie sich für das Objekt schon seit längerem interessiert und es immer wieder ‑ auch ein bis zwei Jahre vor dem Kauf ‑ besichtigt hatten. Sie waren vor Erwerb ihrer Liegenschaft auch mehrfach den in der Natur bestehenden und durch die Einfriedungen deutlich erkennbaren Weg gegangen, wobei sie vor Vertragsabschluss auch immer wieder mit den Antragsgegnern lose in Kontakt gekommen und sich mit diesen über den geplanten Kauf unterhalten hatten. Anlässlich eines solchen Gesprächs hatte die Erstantragsgegnerin den Antragstellern auch den Servitutsvertrag samt Plandarstellung gezeigt und sich dahin geäußert, sie könne sich nicht vorstellen, einer Erweiterung der Wegefläche in welcher Form auch immer zuzustimmen. Detailliertere Verhandlungen waren zwar darüber nicht geführt worden, es war jedoch ohnehin ortsbekannt gewesen, dass die Antragsgegner eine Verbreiterung des Servitutswegs mit aller Vehemenz bekämpften und dagegen waren. Dessen ungeachtet hatten die Antragsteller die Liegenschaft um 114.000 EUR erworben, wobei ihnen auch bekannt gewesen war, dass in einem Gutachten zunächst ein Verkehrswert von 272.000 EUR und sodann ein solcher von 155.680 EUR ermittelt worden war; dazu hatte der Sachverständige ausgeführt, ein Abschlag von 30 % sei wegen eingeschränkter Verwertbarkeit vorzunehmen, welche sich dadurch ergebe, dass die vorhandene Zufahrt nur 2 m breit und gebogen ausgeführt sei, sodass weder ein Auto noch ein Lastwagen diesen Weg befahren können. Tatsächlich werden derzeit im gegebenen Bereich für Grundstücke, auf denen Objekte mit Seeblick stehen, bei einer Grundfläche von rund 1.300 m2 um die 700.000 EUR verlangt.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 2 Abs 1 NWG ist das Begehren um Einräumung eines Notwegs unter anderem unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Die Frage, ob der Mangel auf eine auffallende Sorglosigkeit zurückgeht, ist dabei stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0118155 [T1]) und kann daher eine erhebliche Rechtsfrage regelmäßig nicht darstellen (RIS‑Justiz RS0071136 [T2]), soferne den Vorinstanzen nicht eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Eine solche vermag der außerordentliche Revisionsrekurs jedoch letztlich nicht darzustellen.

2. Es entspricht zwar nunmehr tatsächlich gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 154/09g unter Hinweis auf 3 Ob 183/03p SZ 2003/113 = JBl 2004, 320 [zust Egglmeier‑Schmolke]; 8 Ob 15/08a; 3 Ob 76/08k), dass auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers einer Liegenschaft im Sinne des § 2 Abs 1 NWG nicht schon in der Kenntnis des Erwerbs einer Liegenschaft ohne ausreichende Anbindung an das öffentliche Wegenetz liegt und dass die Unterlassung des Versuchs der Herstellung einer Wegeverbindung vor dem Erwerb der Liegenschaft („Sicherung einer Kommunikation“) beziehungsweise die Einholung von Erkundigungen über allfällige Wegeverbindungen vor dem Liegenschaftserwerb keinen Selbstzweck bilden. Auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers liegt vielmehr nur dann vor, wenn der Erwerber bei vorherigem Bemühen um die Erlangung einer Wegeverbindung oder durch Erkundigungen eine an die Stelle der Begründung eines Notwegs tretende zumutbare Alternative zur Herstellung der die ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung seiner Liegenschaft erst ermöglichenden Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz hätte in Erfahrung bringen können, wenn es ihm also vor dem Erwerb der Liegenschaft tatsächlich möglich gewesen wäre, den Wegmangel zu verhindern. Ein Anspruch auf Einräumung eines Notwegs für eine bestimmte Liegenschaft kann daher an sich nicht schon durch Erwerbsvorgänge allein untergehen.

3. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof in einem Fall, in dem der Antragsteller eine Liegenschaft um einen stark verminderten Kaufpreis in dem Wissen erworben hatte, dass diese nicht durch ein uneingeschränktes Fahrrecht mit dem öffentlichen Wegenetz verbunden war, ausgesprochen, dass es geradezu Rechtsmissbrauch wäre, wenn jemand in Kenntnis der Nichtberechtigung eines Anspruchs auf Einräumung eines Notwegs wegen auffallender Sorglosigkeit seines Rechtsvorgängers die entsprechende Liegenschaft in Ausnützung dieser Kenntnis um einen besonders billigen Preis erwerben würde, um dann seinerseits die Einräumung eines Notwegs und damit eine wesentliche Aufwertung der Liegenschaft anzustreben; jene Judikatur und Lehre, die die Nichthaftung des Liegenschaftserwerbers für die auffallende Sorglosigkeit des Rechtsvorgängers aussprach, habe den schuldlosen und damit schutzwürdigen Erwerber einer Liegenschaft im Auge gehabt, nicht aber jenen Erwerber, der die gegen seinen Rechtsvorgänger sprechenden Umstände kenne und diese Umstände zu seinem Vorteil ausnützen wolle (7 Ob 540/87 SZ 60/43). In der Entscheidung 3 Ob 278/06p übertrug der Oberste Gerichtshof diese „allgemeine Erwägung“ auf die Frage, ob der Antragsteller die Liegenschaft im guten Glauben erworben hatte, dass die Einräumung eines Notwegs auch von seinem Rechtsvorgänger durchgesetzt werden hätte können; hätte er einen diesen treffenden Ausschlussgrund nach § 2 Abs 1 NWG gekannt oder kennen müssen, würde es einen Rechtsmissbrauch darstellen, wenn er diesen Umstand für den billigen Erwerb einer Liegenschaft ausgenützt hätte, um dann unter Berufung auf das Fehlen eigener auffallender Sorglosigkeit die Einräumung eines Notwegs und damit eine wesentliche Werterhöhung der Liegenschaft zu erreichen.

Auf diese „allgemeine Erwägung“ ist auch hier Bedacht zu nehmen. Hier haben die Rechtsvorgänger der Antragsteller eine klare ‑ den Antragstellern auch bekannte ‑ Regelung zum Umfang der Servitut getroffen, in der auch deren „eigenmächtige Ausweitung“ ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Zu einer insoweit durchaus vergleichbaren Konstellation hat aber der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 265/02f klargestellt, dass das Begehren auf Einräumung eines Notwegs abzuweisen ist, wenn auf die Einräumung eines Notwegs in ganz bestimmter Form ausdrücklich verzichtet wurde und sich in der Folge gerade diese Notwegvariante als die bei Abwägung der Interessen günstigste erweist; in einem solchen Fall sei der Mangel der (Not‑)Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Notwegewerbers zurückzuführen.

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