OGH 3Ob154/09g

OGH3Ob154/09g22.10.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin „H*****" ***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Surena Ettefagh und Dr. Eva Müller, Rechtsanwältinnen in Frastanz, gegen die Antragsgegner 1. Silvia V*****, 2. Andreas V*****, beide vertreten durch Blum Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, wegen Einräumung eines Notwegs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 26. Mai 2009, GZ 1 R 164/09i-20, womit über Rekurs der Antragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 20. Februar 2009, GZ 8 Nc 3/08y-15, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Entscheidung über den Antrag auf Einräumung eines Notwegs aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Der Antrag der Antragstellerin auf Zuspruch von Kosten des Revisionsrekurses wird abgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten der von den Antragsgegnern erstatteten Revisionsrekursbeantwortung wird der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Begründung

Die Antragstellerin - eine Bauträgerin - ist Eigentümerin des 1.060 m² großen Grundstücks 3725 in einer in Vorarlberg gelegenen Gemeinde. Die Antragsgegner sind Hälfteeigentümer des benachbarten Grundstücks 3726. Der Bruder der Erstantragsgegnerin ist Eigentümer des ebenfalls benachbarten Grundstücks 3727.

Von der öffentlichen „S*****straße" werden ua die Grundstücke 3727 und 3725 über einen Privatweg (Grundstück 3763; in der Folge immer: Privatstraße) erschlossen. Miteigentümer dieser Privatstraße sind ua die Antragstellerin zu insgesamt 80/200tel-Anteilen und der Bruder der Erstantragsgegnerin zu 68/200tel-Anteilen. Die Antragsgegner sind nicht Miteigentümer der Privatstraße.

Die Antragstellerin begehrt die Einräumung eines Notwegs zu Gunsten ihres Grundstücks in Form der Dienstbarkeit des uneingeschränkten Geh- und Fahrwegs über den in dem dem Antrag beiliegenden Lageplan bezeichneten Teil des Grundstücks 3726. Bei ihrem Grundstück handle es sich um eine als Baufläche gewidmete Liegenschaft. Dieses Grundstück sei ebenso wie das Grundstück der Antragsgegner Gegenstand eines Umlegungsverfahrens gewesen. Die Privatstraße verlaufe entlang des Grundstücks 3726 in einer Rechtskurve in einer Breite von lediglich 3 m. In der Natur sei die Zufahrt allerdings wesentlich breiter angelegt. Im Bereich der Rechtskurve sei die asphaltierte Straße zwischen 4,5 und 5 m breit. Ein Teil dieser asphaltierten Fahrbahn liege auf dem Grundstück 3726. Die Antragstellerin habe bei der Gemeinde um die baupolizeiliche Bewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage mit sechs Wohneinheiten auf ihrem Grundstück angesucht. Im Zuge dieses Bauverfahrens sei von den Anrainern eingewendet worden, dass die Eigentümer des Grundstücks 3725 nicht berechtigt seien, den Zufahrtsweg in seiner gesamten asphaltierten Breite mitzubenützen. Im Zuge eines Fahrversuchs habe sich ergeben, dass es notwendig sei, die asphaltierte Teilfläche des Grundstücks 3726 zu benützen, um mit einem LKW das Grundstück der Antragstellerin zu erreichen. Die Antragsgegner gestatteten lediglich dem Bruder der Erstantragsgegnerin die Benützung des auf Grundstück 3726 liegenden Fahrbahnteils.

Die Privatstraße mit der in der Umlegung festgesetzten Breite von 3 m stelle keine ausreichende Verbindung des Grundstücks 3725 mit dem öffentlichen Wegenetz dar. Die Antragsgegner hätten die privatrechtliche Einräumung einer Dienstbarkeit abgelehnt bzw davon abhängig gemacht, dass auf dem Grundstück 3725 keine Wohnanlage errichtet werde. Die Antragstellerin sei daher auf einen Notweg angewiesen. Der Vorteil dieses Notwegs überwiege die Nachteile, die der zu belastenden Liegenschaft erwachsen könnten. Der mit dem Notwegerecht zu belastende Teil des Grundstücks sei bereits asphaltiert und von der Restliegenschaft (Grünfläche) baulich abgetrennt. Dass eine ausreichende Zufahrt fehle, sei nicht auf eine auffallende Sorglosigkeit der Antragstellerin bzw ihres Rechtsvorgängers zurückzuführen. Sie habe das Grundstück 3725 von Franz M***** erworben. Dieser habe die Liegenschaft im Jahr 2002 von seiner Mutter geerbt. Zum Zeitpunkt des Umlegungsverfahrens sei die Liegenschaft im Alleineigentum der Mutter des Verkäufers gestanden. Der Umlegungsbescheid sei der Mutter des Rechtsvorgängers der Antragstellerin zu einem Zeitpunkt zugestellt worden, zu welchem sie nicht prozessfähig gewesen sei. Die Nichtbekämpfung des Umlegungsbescheids stelle kein Verschulden eines Rechtsvorgängers der Antragstellerin dar. Die Beteiligten des Umlegungsverfahrens hätten sich darauf verlassen können, dass die Umlegungsbehörden entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen darauf achten würden, dass die neu gebildeten Grundstücke über die erforderliche Zufahrtsmöglichkeit verfügten. Die Zufahrtsproblematik wäre im Übrigen auch bei einem Einfamilienhaus gegeben, weil wegen des Verlaufs der Rechtskurve eine Zufahrt mit einem LKW ohne Mitbenützung der Liegenschaft der Antragsgegner nicht möglich sei.

Die Antragsgegner wenden ein, dass eine unzureichende Wegeverbindung nicht vorliege. Die auf der dem Antrag beigelegten Planskizze ersichtliche Teilfläche des Grundstücks 3726 weise ein erheblich größeres Ausmaß als die tatsächlich asphaltierte Teilfläche auf. Für das Befahren der Privatstraße mit einem Feuerwehrfahrzeug sei auch eine Teilfläche des östlich des Einbiegebereichs der Privatstraße befindlichen Grundstücks 3753 und/oder eine Teilfläche des südlich des Einmündungsbereichs befindlichen Grundstücks 3727 erforderlich. Selbst wenn die Liegenschaft der Antragstellerin über keine ausreichende Wegeverbindung verfügen sollte, wäre der behauptete Mangel dieser Verbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen. Der Erwerber eines Grundstücks habe für dessen hinreichende Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz grundsätzlich selbst Vorsorge zu treffen. Bereits der Ankauf eines Grundstücks ohne ausreichende Wegeverbindung begründe auffallende Sorglosigkeit. Die Antragstellerin als gewerbliche Bauträgerin hätte sich vor Abschluss des Kaufvertrags mit ihrem Rechtsvorgänger um eine ausreichende Wegeverbindung bemühen müssen.

Der Antrag sei auch deshalb nicht berechtigt, weil es die jeweiligen Eigentümer des Grundstücks 3725 versäumt hätten, im Rahmen des Umlegungsverfahrens oder im Zusammenwirken mit der bzw durch die Gemeinde eine entsprechende Vorsorge zu treffen. Alternative und zumutbare Möglichkeiten zur Herstellung einer Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz seien grob schuldhaft nicht geprüft oder verlangt worden.

Aufgrund der bloß beschränkten Nutzbarkeit der Privatstraße wegen deren extremer Steigung sei ein Vorteil im Sinne des § 2 NWG für die Liegenschaft der Antragstellerin zu verneinen. Vielmehr würden die Nachteile für das Grundstück der Antragsgegner überwiegen, zumal aufgrund der von der Wohnhausanlage ausgehenden Verkehrsfrequenzen nicht einmal mehr ein Begegnungsverkehr zwischen PKW und Fußgänger möglich wäre bzw dafür private Vorplätze mitbenützt werden müssten.

Das Erstgericht wies den Antrag ab.

Es traf ua folgende weitere Feststellungen:

Die Privatstraße verläuft von der öffentlichen Straße in Richtung Süden, beschreibt sodann eine Rechtskurve und verläuft anschließend ansteigend in Richtung Westen zur Liegenschaft der Antragstellerin. Das Grundstück der Antragsgegner liegt nördlich bzw westlich der Straßenanlage. Südlich an die Wegparzelle schließt sich die im Eigentum des Bruders der Erstantragsgegnerin stehende Liegenschaft an. Östlich der Privatstraße liegt das Grundstück des Ehepaars M*****. Zwischen der Liegenschaft dieses Ehepaars und des im Eigentum des Bruders der Erstantragsgegnerin stehenden Grundstücks ist eine im Eigentum von Johann S***** stehende Liegenschaft gelegen.

Über Antrag der Grundeigentümer von 50,6 % der Fläche und mit Zustimmung der Gemeinde leitete die Vorarlberger Landesregierung mit jeweils kundgemachten Verordnungen vom 12. August 1995 und vom 30. September 1995 für den Bereich „H*****" ein Umlegungsverfahren nach den Bestimmungen der §§ 36 ff des Raumplanungsgesetzes LGBl 1973/15 ein.

Mit Schreiben vom 24. März 1997 legten die Gemeinde und die antragstellenden Grundeigentümer den Umlegungsplan mit dem Antrag auf Genehmigung sowie auf neue Abgrenzung des Umlegungsgebiets dem Amt der Vorarlberger Landesregierung vor. Von der Vorarlberger Landesregierung wurden hierauf mit kundgemachter Verordnung vom 19. April 1997 weitere Grundstücke in das Umlegungsverfahren einbezogen sowie einige Grundstücke, die durch den Umlegungsplan keine Änderung erfahren sollten, aus dem Umlegungsgebiet ausgeschieden.

Der Umlegungsplan Nr 95/209 wurde in der Zeit vom 28. April 1997 bis 28. Juni 1997 im Gemeindeamt aufgelegt.

Das Umlegungsgebiet umfasste 52 Grundstücke, die zum geringsten Teil bebaut waren. Wegparzellen bestanden mit Ausnahme des Grundstücks 3369/4 im Umlegungsgebiet nicht. Die Grundstücke waren zum Teil ungünstig formiert und wiesen keine geeignete Zufahrtsmöglichkeit auf. Nach der Umlegung sollten 67 erschlossene Grundstücke vorhanden sein.

Mit Bescheid vom 14. November 1997 genehmigte das Land Vorarlberg den Umlegungsplan. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Die am 8. April 1911 geborene Katharina M*****, die Mutter des Franz M*****, war bereits vor dem Umlegungsverfahren Eigentümerin des Grundstücks 3725. Die Privatstraße mit einer Breite vom 3 m wurde im Umlegungsverfahren geschaffen. Die Liegenschaften der Antragstellerin, der Antragsgegner, der Eheleute M***** und des Bruders der Erstantragsgegnerin waren vom Umlegungsverfahren umfasst. Das im Eigentum von Johann S***** stehende Grundstück 2239/1 war vom Umlegungsverfahren ausgenommen. Katharina M***** nahm bis zu ihrem Unfall im Jahre 1996 selbst an den Sitzungen im Umlegungsverfahren teil.

Der Bescheid des Amtes der Vorarlberger Landesregierung vom 14. November 1997 wurde für Katharina M***** am 26. November 1997 von ihrer Schwiegertochter als Mitbewohnerin in der Abgabestelle übernommen.

Katharina M***** hat zuvor im Umlegungsverfahren keine Einwände oder Rechtsmittel erhoben.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 16. November 1998, AZ 12 P 100/98w, wurde für Katharina M***** ihre Schwiegertochter zur Sachwalterin unter anderem für die Vertretung vor Gerichten, Behörden, Banken und Sozialversicherungsträgern bestellt.

Nach dem Tod von Katharina M***** wurde ihr Sohn aufgrund der Einantwortungsurkunde vom 4. Dezember 2002 Alleineigentümer der Liegenschaft EZ 878, bestehend aus Grundstück 3725 und aufgrund der Urkunde vom 4. Mai 2004 zu 1/5tel-Anteil Miteigentümer der Liegenschaft EZ 2428, bestehend aus Grundstück 3763.

Der Bruder der Erstantragsgegnerin, ein gelernter Vermessungstechniker, war gewähltes Mitglied des Umlegungsausschusses. Er äußerte aufgrund der Breite und des Verlaufs der im Umlegungsplan ausgewiesenen Privatstraße Bedenken, dass es bei der Zufahrt über diese Parzelle Probleme geben könne. Die weiteren Mitglieder des Umlegungsausschusses entgegneten, dass der Verlauf und die Breite von einem Bautechniker geplant worden sei. Der Bruder der Erstantragsgegnerin urgierte diesbezüglich nicht mehr und erhob im Umlegungsverfahren weder weitere Einwände noch ein Rechtsmittel, da für ihn klar war, dass seine Schwester das gegenüberliegende Grundstück erhalten würde und er sich mit ihr über eine ausreichende Zufahrt zu seiner Liegenschaft einigen wird. Er errichtete auf seinem Grundstück 3727 im Jahr 1999 ein Wohnhaus mit zwei Stellplätzen. Der Rohzustand der Privatstraße wurde so erstellt, dass die Fahrbahn auch über sein Grundstück, die Liegenschaft der Antragsgegner und der Eheleute M***** führte. Die Grenzmarkierungen der Wegparzelle wurden aufgrund der Arbeiten herausgerissen, in weiterer Folge jedoch zumindest zum Teil wieder eingesetzt.

Als es vor dem Jahr 2005 um die Asphaltierung der Privatstraße ging, äußerten Anrainer, die den ersten Teil der Straßenanlage als Zufahrt benützten, Bedenken gegen die Querneigung der Fahrbahn in Richtung Osten, die vorgesehen war, um aufgrund der Höhenlage der Straßenparzelle eine Ausgleichung zu den Nachbargrundstücken vornehmen zu können.

Es fand ein Gespräch an Ort und Stelle statt, an welchem der Bürgermeister, ein bei der Gemeinde beschäftigter Bautechniker, der Bruder der Erstantragsgegnerin, die Antragsgegner, Johann S*****, Elsa S***** und die Eheleute M***** sowie Franz M***** teilnahmen. Dabei wurde die Angleichung des Niveaus des Straßenstücks erörtert und ausgeführt, dass die Randsteine im unteren Bereich bei der Rechtskurve zu hoch sind und daher tiefer gesetzt werden sollten.

Auf der erstellten Rohfahrbahn wurde der tatsächliche Grenzverlauf der Wegparzelle abgesteckt.

Es kann nicht festgestellt werden, ob die Antragsgegner erklärten, dass sie jenen Teil ihrer Liegenschaft, über den die Straße im Rohzustand geführt hat, zugunsten der Wegparzelle Grundstück 3763 abtreten und Franz M***** angeboten hat, hiefür etwas zu bezahlen.

Die auf dem Grundstück des Bruders der Erstantragsgegnerin befindlichen zwei Stellplätze sind aufgrund der örtlichen Gegebenheiten um die Höhe eines Stockwerks versetzt. Um zum oberen Stellplatz zu gelangen, muss der Bruder der Erstantragsgegnerin zwingend über jenen Teil der Straße fahren, die über die Liegenschaft der Antragsgegner führt. Hiezu erhielt er eine mündliche Erlaubnis.

Die 2005 asphaltierte Fläche der Straßenanlage geht über den tatsächlichen Grenzverlauf des Grundstücks 3763 hinaus und verläuft zum Teil auf den Grundstücken der Eheleute M*****, des Bruders der Erstantragsgegnerin und der Antragsgegner. Die Randsteine nach der Rechtskurve in Richtung Westen wurden vom Bruder der Erstantragsgegnerin und den Antragsgegnern auf eigene Kosten erstellt.

Die Kosten der Errichtung der Straße im Rohzustand, der Abänderung in Bezug auf die Querneigung und der Asphaltierung wurden von der Umlegungsgemeinschaft bezahlt.

Mit der Gemeinde wurde besprochen, dass der untere Teil der Zufahrtsstraße in das öffentliche Gut übernommen wird, da dieser Bereich auch von Anrainern als Zufahrt benutzt werden muss, die nicht Miteigentümer der Straßenanlage sind. Ein Vermessungsbüro, bei dem der Bruder der Erstantragsgegnerin zum damaligen Zeitpunkt beschäftigt war, erhielt von der Gemeinde den Auftrag, die Vermessung für die Übernahme des unteren Bereichs des Straßenstücks in das öffentliche Gut vorzunehmen. Der Bruder der Erstantragsgegnerin führte die Vermessungsarbeiten durch und dokumentierte einerseits den tatsächlichen Verlauf und andererseits den Grenzverlauf der Zufahrtsstraße.

Es kann nicht festgestellt werden, ob die Vermessung und Einzeichnung auch zu dem Zweck erfolgte, eine Abtretung eines Anteils der Liegenschaft der Antragsgegner zugunsten der Straßenparzelle zu ermöglichen.

Franz M***** war bekannt, dass die asphaltierte Fahrbahnbreite größer ist als die Breite der Grundparzelle 3763 und dass die asphaltierte Fahrbahn auch über die Liegenschaft der Antragsgegner führt. Hingegen war ihm nicht bekannt, dass die asphaltierte Fläche zum Teil auch auf den Grundstücken der Eheleute M***** und des Bruders der Erstantragsgegnerin liegt.

Der Geschäftsführer der Antragstellerin erfuhr, dass Franz M***** das Grundstück 3725 verkaufen will. Er erstattete ein Angebot. Die Verkaufsverhandlungen begannen etwa im Juli 2005.

Der Bruder der Erstantragsgegnerin übermittelte dem Geschäftsführer der Antragstellerin einen Lageplan samt Höhenschichten des Grundstücks 3725 samt Lageplan der Privatstraße, aus welchem die Breite laut Grundbuchstand und die tatsächliche Breite der Wegparzelle ersichtlich war. Zu diesem Zeitpunkt waren die Randsteine der Wegparzelle bereits wie im heutigen Zustand gesetzt. Dem Geschäftsführer der Antragstellerin war klar, dass die tatsächliche Fahrbahnbreite nicht mit dem Grundstück übereinstimmt, sondern größer ist und zum Teil über das Grundstück der Antragsgegner verläuft.

Franz M***** teilte dem Geschäftsführer der Antragstellerin mit, dass bezüglich der tatsächlichen Fahrbahnbreite mündliche Vereinbarungen mit den Miteigentümern bestünden.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der Bruder der Erstantragsgegnerin dem Geschäftsführer der Antragstellerin erklärte, dass er den tatsächlichen Verlauf der Zufahrtsstraße vermessen habe und dies kurz vor der Verbücherung stehe.

Weiters lässt sich nicht feststellen, ob ihm der Bruder der Erstantragsgegnerin oder die Antragsgegner mitteilten, dass es Vereinbarungen hinsichtlich der Benützung des über ihre Liegenschaften führenden Teils des Straßenstücks gibt.

Nach einer mündlichen Einigung über den Erwerb der Liegenschaft und von Miteigentumsanteilen an der Privatstraße erklärte der Geschäftsführer der Antragstellerin am 2. November 2005 den Antragsgegnern, dass es bezüglich der Benützung der Zufahrt über die gesamte Breite eine Vereinbarung mit dem Verkäufer gebe und daher die Antragstellerin berechtigt sei, diese Zufahrt auch so zu benützen. Die Antragsgegner verwiesen darauf, dass keine derartige Vereinbarung geschlossen wurde und über ihre Liegenschaften nicht gefahren werden dürfe.

Am 3. November 2005 schloss die Antragstellerin den von ihrem Rechtsvertreter erstellten schriftlichen Kaufvertrag, dessen Punkt 4 wie folgt lautet:

„Die Zufahrt zum GSt-Nr 3725 erfolgt über den Privatweg GSt-Nr 3763. Der Zufahrtsweg ist bereits im Rohzustand errichtet, wobei festgehalten wird, dass die Zufahrt im derzeitigen Zustand nicht nur über das GSt-Nr 3763, sondern auch zu einem geringen Teil über die angrenzenden Grundstücke verläuft. Diesbezüglich erklärt der Verkäufer Franz M*****, dass über die Verbreiterung der Zufahrt die erforderlichen Vereinbarungen mit den Eigentümern der Nachbargrundstücke bestehen und dass die in Natura ersichtliche Zufahrt diesen Vereinbarungen entspricht.

..."

Anlässlich der Vertragsunterzeichnung sprach der Geschäftsführer der Antragstellerin den Verkäufer darauf an, dass die Antragsgegner und der Bruder der Erstantragsgegnerin ein Befahren ihrer Liegenschaften ablehnen. Der Verkäufer verwies nochmals darauf, dass es eine entsprechende, im Beisein der Gemeinde getroffene Vereinbarung gebe.

Der Geschäftsführer der Antragstellerin erkundigte sich weder bei der Gemeinde noch beim Bruder der Erstantragsgegnerin noch bei den Antragsgegnern nach Art und Inhalt dieser behaupteten Vereinbarung.

Die Antragstellerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung einer Wohnanlage auf der Liegenschaft. Dieser Antrag wurde zur Verbesserung zurückgestellt, da für die Baurechtsverwaltung eine gesicherte Zufahrt zum Grundstück nicht ausreichend nachgewiesen war.

Die Antragstellerin führte in der Folge unter Beiziehung der Ortsfeuerwehr einen Ortsaugenschein durch, an welchem auch ein von der Baurechtsverwaltung abgestellter Bautechniker teilnahm. Die Grenzpunkte der Straßenanlage wurden mit Steinen markiert, um dem Lkw-Fahrer die Grenze kenntlich zu machen und um festzustellen, ob fremdes Eigentum befahren wird, sobald der LKW über einen Stein fährt. Beim Fahrversuch wurde festgestellt, dass ein 2-achsiges Fahrzeug nicht um die Rechtskurve zur Liegenschaft der Antragstellerin zufahren kann, ohne die Grenzen der Wegparzelle zu überfahren.

Aufgrund des Ergebnisses des Ortsaugenscheins wurde die bereits anberaumte Bauverhandlung wieder abberaumt. Die Antragstellerin zog schließlich den Bauantrag zurück.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht seine Feststellungen dahin, dass der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit der Antragstellerin zurückzuführen sei: Breite und Verlauf der Privatstraße seien im Umlegungsverfahren rechtskräftig festgelegt worden. Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin habe dagegen keine Einwände erhoben. Die Zustellung des Bescheids sei am 26. November 1997 erfolgt. Erst danach sei für sie eine Sachwalterin bestellt worden. Der Antragstellerin sei darin beizupflichten, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass in einem Umlegungsverfahren ausreichende Zufahrten zu den betroffenen Grundstücken geschaffen würden. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass Katharina M***** durch das Unterlassen von Einwendungen eine auffallende Sorglosigkeit zu verantworten habe. Eine auffallende Sorglosigkeit liege allerdings im Verhalten des Geschäftsführers der Antragstellerin, der sich nach den behaupteten mündlichen Vereinbarungen mit den Miteigentümern nicht erkundigt habe. Am Tag vor Vertragsunterzeichnung sei er darauf hingewiesen worden, dass er über die im Eigentum der Antragsgegner stehenden Liegenschaftsanteile nicht fahren dürfe. Dennoch habe er sich offensichtlich auf die neuerliche Zusage des Verkäufers verlassen, dass es eine entsprechende Vereinbarung gebe.

Das Rekursgericht - das dem Rekurs der Antragstellerin gegen jenen Teil des erstgerichtlichen Beschlusses, mit welchem der Beitritt des Landes Vorarlberg als Nebenintervenientin auf Seiten der Antragsgegner für zulässig erklärt wurde, Folge gab und die Nebenintervention des Landes Vorarlberg rechtskräftig zurückwies - gab dem Rekurs im Übrigen, somit in Ansehung der Abweisung des Sachantrags auf Einräumung eines Notwegs, nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Rechtlich billigte das Rekursgericht die Rechtsauffassung des Erstgerichts, wonach die von der Antragstellerin behauptete mangelnde Wegverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des für sie einschreitenden Geschäftsführers zurückzuführen sei.

Gegen die Abweisung des Antrags auf Einräumung eines Notwegs wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin mit einem Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist.

Es wurde daher den Antragsgegnern die Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung freigestellt. Von dieser Möglichkeit machten die Antragsgegner Gebrauch, verwiesen auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses und beantragen im Übrigen, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu gegeben.

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Nach der neueren und nunmehr als gefestigt zu betrachtenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 183/03p = SZ 2003/113 = JBl 2004, 320 [zust Egglmeier/Schmolke]; 8 Ob 15/08a = bbl 2008/175; siehe auch 3 Ob 76/08k) liegt auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers einer Liegenschaft im Sinne des § 2 Abs 1 NWG nicht schon in der Kenntnis des Erwerbs einer Liegenschaft ohne ausreichende Anbindung an das öffentliche Wegenetz. Die Unterlassung des Versuchs der Herstellung einer Wegeverbindung vor dem Erwerb der Liegenschaft („Sicherung einer Kommunikation") bzw die Einholung von Erkundigungen über allfällige Wegeverbindungen vor dem Liegenschaftserwerb bilden keinen Selbstzweck. Auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers liegt vielmehr nur dann vor, wenn der Erwerber bei vorherigem Bemühen um die Erlangung einer Wegeverbindung oder durch Erkundigungen eine an die Stelle der Begründung eines Notwegs tretende zumutbare Alternative zur Herstellung der die ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung seiner Liegenschaft erst ermöglichenden Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz hätte in Erfahrung bringen können, wenn es ihm also vor dem Erwerb der Liegenschaft tatsächlich möglich gewesen wäre, den Wegmangel zu verhindern. Ein Anspruch auf Einräumung eines Notwegs für eine bestimmte Liegenschaft kann daher an sich nicht schon durch Erwerbsvorgänge allein untergehen (3 Ob 183/03p; Eggelmeier, Notweg und Rechtsprechung, bbl 1998, 62 [67]; Höfle, Notwegerecht [2009] 88 ff).

Auch wenn den Vorinstanzen darin beizupflichten ist, dass der Erwerb der Liegenschaft durch die Antragstellerin, ohne sich zu vergewissern, ob die vom Verkäufer zugesagten mündlichen Vereinbarungen über die Benützung der Liegenschaftsteile der Antragsgegner wirklich bestehen, als auffallend sorglos einzustufen ist, lässt dieses Verhalten nach den dargelegten Grundsätzen einen Anspruch auf Einräumung eines Notwegs, hätte ihn der Rechtsvorgänger der Antragstellerin gehabt, nicht untergehen: Der Antragstellerin wäre nur dann auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 2 Abs 1 NWG anzulasten, wenn es ihr gelungen wäre, vor dem Erwerb der Liegenschaft eine zumutbare Alternative zu dem nun angestrebten Notweg zu erlangen, etwa durch Abschluss einer privatrechtlichen Vereinbarung mit den Antragsgegnern über die Benützung der erforderlichen Liegenschaftsteile, die über den Grenzverlauf der Privatstraße hinausgehen. Nur dann nämlich, wenn solche Verhandlungen tatsächlich zu einer Wegeanbindung geführt hätten, kann deren Unterlassung als relevante Sorgfaltswidrigkeit beurteilt werden. Sollte sich in diesem Punkt das Vorbringen der Antragstellerin als zutreffend erweisen, wonach die Antragsgegner den Abschluss einer Servitutsvereinbarung von der Bedingung abhängig machten, dass die Antragstellerin keine Wohnhausanlage errichtet, wird im Zweifel anzunehmen sein, dass auch eine Verhandlung mit den Antragsgegnern vor Abschluss des Kaufvertrags zu keinem Erfolg im Sinne einer Wegeanbindung geführt hätte. Haben sich nämlich die entsprechenden Rahmenbedingungen seit Erwerb der Liegenschaft nicht geändert, wird davon auszugehen sein, dass auch vor Erwerb der Liegenschaft geführte Verhandlungen zu keinem anderen Ergebnis als die „Nachverhandlungen" geführt hätten (vgl Egglmeier/Schmolke in Anm zu 3 Ob 183/03p in JBl 2004, 320).

Aber auch der in der Revisionsrekursbeantwortung vertretenen Auffassung, bereits das Verhalten des Rechtsvorgängers der Antragstellerin sei auffallend sorglos gewesen, ist nicht beizupflichten: Wie bereits das Erstgericht zutreffend ausführte, konnten sich die Parteien des Umlegungsverfahrens, das nach den Bestimmungen des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes LGBl 15/1973 (neu kundgemacht durch die Verordnung LGBl 39/1996) geführt wurde, darauf verlassen, dass in Entsprechung des Ziels des Umlegungsverfahrens die erforderlichen Flächen für gemeinsame Anlagen vorgesehen wurden, die für eine zweckmäßige Benützung der Baugrundstücke notwendig sind (zB Straßen, vgl § 41 Abs 1 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes [RPG] 1973 bzw § 46 Abs 1 des neu kundgemachten RPG). Dabei ist das Wissen des Verkäufers, dass die asphaltierte Fahrbahnbreite größer ist als die Breite der Grundparzelle 3763 schon deshalb unmaßgeblich, weil er selbst nicht Partei des Umlegungsverfahrens war, sondern seine Mutter. Dass auch seine Mutter zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids davon Kenntnis hatte, dass die „umgelegte" Privatstraße nur eine Fahrbahnbreite von 3 m aufweist, steht nicht fest. Damit stehen aber die Ergebnisse des Umlegungsverfahrens der Beurteilung nicht entgegen, dass auch die Rechtsvorgänger der Antragstellerin - sollten die übrigen Voraussetzungen zutreffen, die bisher im Verfahren nicht geprüft wurden - einen Anspruch auf Einräumung eines Notwegs gehabt hätten, der aus den bereits dargelegten Gründen durch den Erwerbsvorgang allein nicht unterging.

Da somit eine auffallende Sorglosigkeit der Erwerberin (Antragstellerin) im Sinne des § 2 Abs 1 NWG nur dann zu bejahen wäre, wenn von ihr vor dem Erwerbsvorgang unternommene Versuche, eine Wegeverbindung herzustellen, erfolgreich gewesen wären, wird in dem vom Erstgericht fortzusetzenden Verfahren zunächst diese Frage zu prüfen sein.

Sollte sich demnach ergeben, dass auffallende Sorglosigkeit der Erwerberin zu verneinen ist, wird sich das Erstgericht inhaltlich mit dem Vorbringen der Parteien (Notwegebedürftigkeit; Verlauf des Notwegs; Interessenabwägung zwischen den Vorteilen des Notwegs und den für die Liegenschaft der Antragsgegnerin verbundenen Nachteilen) auseinander zu setzen haben. Ob im konkreten Fall trotz der Fahrbahnbreite der Privatstraße von 3 m eine Wegebedürftigkeit wegen des Verlaufs der Privatstraße zu bejahen ist, wird, sollte in diesem Umfang kein übereinstimmendes Parteivorbringen im fortgesetzten Verfahren erstattet werden, ein im Sinne des § 12 Abs 1 NWG beizuziehender Sachverständiger zu prüfen haben.

Gemäß § 25 Abs 1 NWG idF des AußStrG-BegleitG kommt ausnahmslos nur mehr eine Kostenersatzpflicht des Eigentümers des notleidenden Grundstücks, hier also der Antragstellerin, in Betracht (3 Ob 76/08k). Da ein Kostenersatz an den Gegner des Eigentümers des notleidenden Grundstücks (Antragsgegner) generell ausscheidet, ist bereits jetzt der Antrag der Antragstellerin auf Zuspruch der Kosten für den Revisionsrekurs abzuweisen.

Im Übrigen wird jedoch erst bei der Endentscheidung feststehen, ob die Kosten der Antragsgegner zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich waren. Es hat daher in Ansehung der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung ein Kostenvorbehalt zu erfolgen.

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