OGH 6Ob316/97g

OGH6Ob316/97g17.12.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz W*****, vertreten durch Zamponi-Weixelbaum & Partner, Rechtsanwälte OEG in Linz, wider die beklagte Partei Adolf M*****, vertreten durch Dr.Wilfried Raffaseder und Mag.Michael Raffaseder, Rechtsanwälte in Freistadt, wegen Unterlassung und Widerrufs (Streitwert 100.000,-- S), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 6.August 1997, GZ 12 R 137/97v-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Urfahr-Umgebung vom 2.April 1997, GZ 5 C 208/95g-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich der Stattgebung des Unterlassungsbegehrens bestätigt, im übrigen aber dahin abgeändert, daß das auf Widerruf rufschädigender, wahrheitswidriger Tatsachenbehauptungen gerichtete Klagebegehren abgewiesen wird.

Die Verfahrenskosten aller Instanzen werden hinsichtlich der Vertretungskosten gegeneinander aufgehoben.

Hinsichtlich der übrigen Verfahrenskosten hat die beklagte Partei der klagenden Partei den mit 1.910,-- S bestimmten Anteil und die klagende Partei der beklagten Partei den mit 4.163,-- S bestimmten Anteil jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei den mit 2.650,-- S bestimmten Anteil an den Verfahrenskosten zweiter Instanz und den mit 3.310,-- S bestimmten Anteil an den Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Sohn des Beklagten war im Herbst 1994 Schüler der ersten Klasse einer Hauptschule, an welcher der Kläger als Lehrer beschäftigt war.

Der Kläger begehrt, gestützt auf § 1330 ABGB, die Unterlassung und den Widerruf der unwahren Tatsachenbehauptungen, er habe im November 1994 den Sohn des Beklagten in der Hauptschule zu einer unrichtigen Aussage gezwungen, ihn am Hals gewürgt und ihm einen Faustschlag versetzt. Der Sohn des Beklagten habe am 14.11.1994 Mitschüler sexuell belästigt und einer Mitschülerin wiederholt an das Gesäß gegriffen. Dies habe der Schüler auch gegenüber der Turnlehrerin und gegenüber seinem Vater in einem vom Kläger veranlaßten Telefongespräch zugegeben. Am 16.11.1994 habe die Mutter den Kläger wahrheitswidrig beschuldigt, den Sohn gewürgt und ihm einen Faustschlag versetzt zu haben. Diese Vorwürfe und den weiteren Vorwurf, der Kläger habe den Schüler zu einem unrichtigen Geständnis (der sexuellen Belästigung von Mitschülern) gezwungen, hätten die Eltern gegenüber dem Direktor der Hauptschule, mehreren Lehrern und anderen Personen mehrfach erhoben.

Das Widerrufsbegehren des Klägers ist ausdrücklich nur auf den Widerruf gegenüber dem Kläger selbst gerichtet.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Er berief sich im wesentlichen auf die Information seines Sohnes. Er habe die Vorwürfe auch nicht weiterverbreitet.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Von dem auf den S 3 bis 9 in ON 26 festgestellten Sachverhalt ist folgendes hervorzuheben:

Der Sohn des Beklagten habe am 14.11.1994 einige Mitschüler in sexueller Hinsicht belästigt und einer Mitschülerin auf das Gesäß gegriffen. Von seiner Lehrerin und dem Kläger zur Rede gestellt habe der Schüler erklärt "Ich habe der Desiree in den Arsch gegriffen". Dies habe er bei einem anschließenden, vom Kläger veranlaßten Telefonat mit seinem Vater wiederholt. Der Kläger habe den Schüler mit der Hand auf dessen Arm bzw Schulterblatt in das Konferenzzimmer geführt gehabt. Nach der Erklärung des Schülers gegenüber seinem Vater habe der Kläger dem Beklagten die Vorkommnisse geschildert. Am 16.11.1994 habe die Ehegattin des Beklagten mit dem Kläger telefoniert und dabei behauptet, daß beim Telefonat vom 14.11.1994 nicht die Wahrheit gesagt worden sei und daß der Kläger vielmehr ihrem Sohn einen Faustschlag versetzt und ihn gewürgt haben solle. Diese Vorwürfe hätten der Beklagte und seine Gattin gegenüber dem Direktor der Hauptschule, einigen Kolleginnen und Kollegen des Klägers sowie gegenüber dem Bezirksschulinspektor, dem Landesschulratspräsidenten, einem Amtsarzt und einer Gemeindeärztin sowie gegenüber einem weiteren Arzt und auch gegenüber Gendarmeriebeamten wiederholt. Der Sohn des Beklagten habe diesem erzählt, daß er vom Kläger zu einer unrichtigen Aussage gezwungen worden sei. Auch diesen Vorwurf habe der Beklagte gegenüber den angeführten Personen erhoben. Er habe seinem Sohn trotz der Zurückweisung der Vorwürfe durch den Kläger geglaubt. Es könne nicht festgestellt werden, wie die Öffentlichkeit und die Eltern der Schüler der ersten Klasse von den Behauptungen des Beklagten Kenntnis erlangt hätten. Es könne nicht festgestellt werden, daß dem Beklagten die Wahrheitswidrigkeit der Behauptungen seines Sohnes und seiner eigenen Behauptungen bekannt gewesen sei. Ein Schulpsychologe habe festgestellt, daß der Sohn des Beklagten an Tobsuchtsanfällen leide. Der Beklagte habe davon Kenntnis genommen und trotzdem seine Vorwürfe weiterverbreitet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und beurteilte den Sachverhalt rechtlich im wesentlichen dahin, daß keine Haftung für nichtöffentlich vorgebrachte Mitteilungen, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kenne, bestehe, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse habe. Der Kläger habe die Unwahrheit der Behauptungen und die Fahrlässigkeit der Unkenntnis des Beklagten von der Unrichtigkeit seiner Mitteilung bewiesen. Es sei zu prüfen, ob der Beklagte ausreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Tatsachenmitteilungen gehabt habe. Der Beklagte habe jedoch mehrere Anhaltspunkte gehabt, am Wahrheitsgehalt der Aussage seines Sohnes zu zweifeln. Es sei kein Grund ersichtlich gewesen, weshalb der Kläger den Sohn des Beklagten zu einer wahrheitswidrigen Aussage hätte zwingen sollen. Der Beklagte hätte Bedenken gegen die Darstellung seines Sohnes haben müssen. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, daß es hinsichtlich des Betragens seines Sohnes in der Schule immer wieder Probleme gegeben habe. Allein das Aufstellen der objektiv unrichtigen Behauptungen über den Vorfall sei kausal dafür gewesen, daß die Vorwürfe weiterverbreitet worden und einem größeren Kreis von außenstehenden Menschen bekannt geworden seien. Es könne nicht von einer nichtöffentlich vorgebrachten Meinung ausgegangen werden. Daß die Empfänger der Mitteilung an dieser ein berechtigtes Interesse gehabt hätten, sei nicht behauptet worden. Den Wegfall der Wiederholungsgefahr habe der Beklagte nicht nachgewiesen. Auch das Widerrufsbegehren sei berechtigt. Der Beklagte habe nicht behauptet, daß der Kläger ein "untauglicher Widerrufsempfänger" sei. Die Einschränkung des Widerrufsbegehrens auf nur eine Person sei zulässig (SZ 60/138).

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Mit seiner außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung dahin, daß die Klage abgewiesen werde; hilfsweise wird beantragt, zumindest das Widerrufsbegehren abzuweisen; hilfsweise wird ferner ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig. Das Berufungsgericht ist in der Frage, ob der Widerruf rufschädigender Tatsachenbehauptungen auch bloß gegenüber dem verletzten Kläger begehrt werden könne, von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen. Die Revision ist auch teilweise berechtigt.

In den Rechtsfragen der von den Vorinstanzen bejahten Weiterverbreitung der unwahren Tatsachenbehauptungen durch den Beklagten, der verneinten Vertraulichkeit der Mitteilungen und der bejahten Fahrlässigkeit bei der Weiterverbreitung ist das Berufungsgericht nicht von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen. Dazu kann auf die Entscheidungsbegründung des Gerichtes zweiter Instanz verwiesen werden. Für die Verbreitung genügt schon, daß die Äußerung gegenüber nur einer Person erfolgte (SZ 50/86; 6 Ob 37/95 mwN). Vertraulich ist eine Mitteilung nur dann, wenn mit einer Weiterverbreitung nicht zu rechnen ist (Korn/Neumayer, Persönlichkeitsschutz 67; 6 Ob 27/97g uva). Darauf durfte der Beklagte bei seiner Mitteilung an Berufskollegen des Klägers nicht rechnen. Die Rechtsansicht, daß der Beklagte nicht ohneweiteres den Mitteilungen seines minderjährigen Sohnes, der sein ursprüngliches Geständnis widerrief, habe vertrauen dürfen und daß die Identifikation des Beklagten mit den Vorwürfen seines Sohnes sowie die Weiterverbreitung der Vorwürfe schuldhaft seien, ist zu billigen. Dagegen führt der Revisionswerber auch keine tauglichen Argumente ins Treffen.

Berechtigt ist die Revision allerdings betreffend den Anspruch auf Widerruf der unwahren Tatsachenbehauptungen. Die in der Revisionsbeantwortung des Klägers vertretene Ansicht, der Oberste Gerichtshof habe nur im Wettbewerbsrecht zu § 7 UWG die Auffassung vertreten, daß ein Widerruf bloß gegenüber dem verletzten Kläger nicht begehrt werden könne (so schon Rsp 221 = JBl 1932, 428), ist nicht richtig. Einem auf § 1330 ABGB gestützten Begehren auf Widerruf gegenüber dem Kläger hat der Oberste Gerichtshof mit der Begründung die Berechtigung abgesprochen, daß der Widerruf die Zurücknahme einer Behauptung als unwahr bedeute, der Kläger aber kein schutzwürdiges Interesse an der Zurücknahme nur ihm gegenüber, sondern nur am Widerruf gegenüber dem Personenkreis habe, demgegenüber die schädigende Erklärung abgegeben worden sei. Ein Widerruf bloß dem Verletzten gegenüber könnte diesem nur eine persönliche Genugtuung geben. Darauf bestehe aber kein Anspruch (ÖBl 1971, 79). Dieser Rechtssatz wurde in der Folge fortgeschrieben (ÖBl 1973, 39). Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Judikatur abzuweichen. § 1330 Abs 2 ABGB gewährt bei rufschädigenden unwahren Tatsachenmitteilungen einen Anspruch auf Widerruf und Veröffentlichung desselben. Auch bei der Herabsetzung eines Unternehmens steht dieser Anspruch zu (§ 7 Abs 1 UWG). In welcher Form und in welchem Umfang der Widerruf zu erfolgen hat, wird in beiden Gesetzesstellen nicht näher erläutert. Die Auslegung nach dem Wortlaut des Begriffs "Widerruf" ergibt nur, daß der Täter eine Erklärung abzugeben hat, womit er seine als wahr in die Welt gesetzte Behauptung zurücknimmt (widerruft). Nach ständiger Rechtsprechung muß der Widerruf in der gleich wirksamen Form wie die Tatsachenbehauptung erfolgen (SZ 50/111; MR 1993, 55 uva). Der Widerrufsanspruch ist für den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes zufolge des § 15 UWG ein vom Unterlassungsanspruch umfaßter Beseitigungsanspruch, dort also nicht verschuldensabhängig (SZ 63/110). Bei den nach dem ABGB zu beurteilenden rufschädigenden Tatsachenbehauptungen sind der Widerruf und dessen Veröffentlichung als Schadensgutmachung anzusehen (SZ 18/45), der Widerrufsanspruch also seinem Wesen nach ein Schadenersatzanspruch (EvBl 1957/188), mit dem die schon eingetretenen Wirkungen der falschen Behauptungen beseitigt werden sollen. Der Widerruf ist Schadensgutmachung durch restitutio in integrum (6 Ob 8/96; 6 Ob 2334/96w). Sein Ziel ist die Beseitigung der entstandenen abträglichen Meinung über den Verletzten. Dieses Ziel kann mit einem Widerruf bloß gegenüber dem Verletzten nicht erreicht werden. Weil der Widerrufsanspruch ein Schadenersatzanspruch ist, ist an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, daß der Verletzte keinen Anspruch auf Abgabe einer Ehrenerklärung nur ihm gegenüber hat. Die Revision ist daher in diesem Punkt berechtigt.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 43 und 50 ZPO. Der Kläger hat den Unterlassungsanspruch und den Widerrufsanspruch gleich hoch bewertet. Hinsichtlich der Vertretungskosten ist daher mit einer Kostenaufhebung vorzugehen. Hinsichtlich der übrigen Verfahrenskosten (Zeugen- und Sachverständigengebühren; Pauschalgebühren) haben die Parteien jeweils Anspruch auf Ersatz von 50 % (§ 43 Abs 1 dritter Satz ZPO).

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