OGH 6Ob25/99s

OGH6Ob25/99s22.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Franz M*****, vertreten durch Dr. Ewald Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Dr. Erwin P*****, vertreten durch Mag. Werner Suppan, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung ehrverletzender Behauptungen, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 26. November 1998, GZ 14 R 193/98z-11, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 19. August 1998, GZ 4 Cg 193/98b-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Provisorialverfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger ist Funktionär einer im Landtag vertretenen politischen Partei und Landtagsabgeordneter. Der Beklagte ist Obmann einer anderen im Landtag vertretenen politischen Partei und Landeshauptmann.

Am 27. 5. 1998 erschien in einer Tageszeitung ein Bericht, in dem verschiedene Aussagen des Beklagten aus einem Interview teils wörtlich, teils sinngemäß wiedergegeben wurden. Der Text des Artikels mit dem Titel: "Pröll: Auf Dauer ist auch ein Blauer in der Landesregierung zuviel" lautete auszugsweise:

"Landeshauptmann Erwin Pröll verschärft seine Kritik an der niederösterreichischen FPÖ. "Bisher war mein Motto: "Ein Blauer in der Landesregierung reicht. Jetzt sage ich: Auf Dauer ist auch einer zuviel".

Wien (a. u.). "Rosenstingls kann es überall geben, in jeder Partei und jedem Unternehmen", räumt Landeshauptmann Erwin Pröll (VP) im Gespräch mit der "Presse" ein. "Das Erschreckende" ist aber das Geflecht, in das Rosenstingl verwoben ist. Bei solchen Machenschaften können nicht nur ein oder zwei Menschen davon wissen. Da sind Klub, Partei und Wohnbaugenossenschaft miteinbezogen worden". Seriöse Parteien hätten, attackiert Pröll, zum Unterschied von der FPÖ mehr Kontrollmechanismen.

Niederösterreichs VP-Chef sieht auch die Paktfähigkeit der FPÖ als "äußerst fragwürdig" an. "Am ehesten war noch Gratzer paktfähig. Ihm hätte ich das alles noch am wenigsten zugetraut". Für viele in der FPÖ müsse sich nun die Frage stellen, ob sie sich in diesem Dunstkreis nicht mitschuldig machten. "Ich nehme an, Schimanek und Marchat haben vor der Wahl noch alles vertuscht".

Wäre Schimanek ein "Mann mit Charakter", hätte er angesichts des schlechten Wahlergebnisses im Landtag - nur 12 von 56 Stimmen wollten ihn als Landesrat - seine Wahl abgelehnt. In der niederösterreichischen Politik hätten die Freiheitlichen in all den Jahren der Regierungsbeteiligung nie das gemeinsame Ganze im Auge gehabt, sondern "nur Egoistisches und Populistisches".

Bundesweit sei "die Glaubwürdigkeit des Jörg Haider ein deutliches Stück ärmer geworden". Der von Haider verlangte Vertrag jedes FP-Politikers mit seiner eigenen Partei sei ein Versuch, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. "Denn er schließt den wichtigsten Vertrag aus, nämlich den mit dem eigenen Gewissen".

Seine Aussage, daß ein Blauer zuviel wäre, will Pröll aber nicht in Zusammenhang mit den Überlegungen über eine Änderung der Landesverfassung sehen. "Die Frage der eventuellen Abschaffung des Proporzes in der Landesregierung werden wir vollkommen unabhängig von der F diskutieren. Eine Verfassungsdiskussion soll keine tagespolitischen Ursachen haben...".

Der Kläger begehrt mit seiner am 14. 7. 1998 beim Erstgericht eingelangten Klage und dem damit verbundenen gleichlautenden Sicherungsantrag (hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs) das Gebot, die Verbreitung der Behauptung, der Kläger habe in der Affäre Rosenstingl alles vertuscht, oder sinngleiche Behauptungen zu unterlassen. Die falsche Behauptung, der Kläger habe vor Wahlen mögliche Betrugs- und Untreuehandlungen des Peter Rosenstingl vertuscht, sei rufschädigend und ehrenbeleidigend. Dem Kläger werde vorgeworfen, an Malversationen des flüchtigen Parteikollegen involviert gewesen zu sein und im Wissen um schwere Straftaten das Auffliegen des Skandals verhindert zu haben. Die Verdächtigungen seien schlicht unwahr. Der Beklagte könne sich nicht auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen, weil er keinen Sachverhalt nenne, auf den sich seine Vermutung einer Vertuschung stützen könnte. Durch die unwahre Behauptung des Beklagten werde der wirtschaftliche Ruf des Klägers als politischer Mandatar beeinträchtigt.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und des Sicherungsbegehrens und äußerte sich zu diesem im wesentlichen dahin, daß der im Artikel der Tageszeitung den Lesern bekanntgegebene wahre Sachverhalt die bekämpfte Äußerung zulässig mache. Der Beklagte habe nur auf die Fehlleistungen in der Partei des Klägers hinweisen wollen und sich mit der politischen Paktfähigkeit dieser Partei auseinandergesetzt. Aus dem Sachverhalt sei der zwanglos nachvollziehbare Schluß gezogen worden, daß der Beklagte annehme, der Kläger habe vor der Wahl noch alles vertuscht. Angesichts der Dimension der Vorfälle sei der Vorwurf des Beklagten als harmlos zu bezeichnen, insbesondere weil sich Politiker nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung und der Rechtsprechung des EGMR schärfere Kritik gefallen lassen müßten. Die Spitze der Partei des Klägers und insbesondere dieser selbst hätten von den Machenschaften des Peter Rosenstingl konkret Bescheid gewußt. In einer Landesparteivorstandssitzung am 13. 11. 1997 sei in Anwesenheit des Klägers darüber gesprochen worden. Am 15. 12. 1997 habe ein Gespräch des Klägers mit einem Parteikollegen stattgefunden. Dabei habe dieser, der Bankangestellter gewesen sei, den Kläger über den Verdacht strafbarer Handlungen des damaligen Abgeordneten zum Nationalrat Peter Rosenstingl informiert. Nach der Lebenserfahrung sei davon auszugehen, daß der Kläger als führender Funktionär der Partei über den wahren Sachverhalt Bescheid gewußt habe.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es stellte nur den Inhalt des schon wiedergegebenen Zeitungsartikels fest und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß die bekämpfte Äußerung nicht gegen § 1330 ABGB verstoße. Der Beklagte habe nur seine persönliche Meinung wiedergegeben. Nach dem "Artikelkontext" ergebe sich eine Argumentationskette mit einer eigenen Schlußfolgerung des Beklagten. Für den Durchschnittsleser der Zeitung sei eindeutig zu verstehen gewesen, daß der Beklagte nur seine persönliche Meinung kundgetan habe. Unter Politikern dürfe eine Kritik auch provozieren und schockieren. Auf den Wahrheitsgehalt der Behauptung sei nicht näher einzugehen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die bekämpfte Behauptung ein in der politischen Auseinandersetzung aufgrund des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK zulässiges Werturteil darstelle und daß kein Wertungsexzeß vorliege. Wohl könnten auch in Vermutungsform geäußerte unrichtige Behauptungen das Tatbild des § 1330 ABGB erfüllen. Bei der Beurteilung politischer Äußerungen seien aber besondere Maßstäbe anzuwenden. Art 10 MRK eröffne einen weiten Freiraum. An einer unbehinderten Rede- und Argumentationsfreiheit bestehe in einem demokratischen Staat ein besonderes Interesse. Der Beklagte habe seinen Vorwurf der Vertuschung unter anderem mit der Überlegung begründet, daß Schulden in einem derartigen Umfang nicht nur von ein oder zwei Personen allein gemacht werden könnten, weshalb auch Spitzenfunktionäre der Partei des Klägers Kenntnis gehabt haben müßten. Bei den Überlegungen des Beklagten handle es sich um keinen Wertungsexzeß. Es liege eine noch zulässige Kundgabe der eigenen Auffassung vor.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteige und daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Kläger die Abänderung dahin, daß dem Sicherungsantrag stattgegeben werde.

In der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Beklagte (erkennbar), den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung auch berechtigt.

In den Äußerungen des Beklagten zur Rolle des Klägers in der allgemein bekannten causa Rosenstingl, eines derzeit im Ausland inhaftierten, strafbarer Handlungen in Österreich verdächtigten Parteikollegen des Klägers, wird der Vorwurf der Vertuschung erhoben. Daß der Vorwurf in Vermutungsform geäußert wurde, vermag an der grundsätzlichen Haftung des Täters nichts zu ändern (Korn/Neumeyer, Persönlichkeitsschutz 58; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 14 zu § 1330 ABGB; MR 1991, 235; SZ 69/113; 6 Ob 218/98x; zuletzt 6 Ob 7/99v). Diese ist zu bejahen, weil der Ehrenschutz nicht durch geschickte Formulierungen verhindert werden darf.

Der Vorwurf der Vertuschung enthält hier nach dem maßgeblichen Zusammenhang der Äußerung den Tatsachenkern, der Kläger habe von Malversationen Rosenstingls Kenntnis gehabt und Handlungen gesetzt, daß der Sachverhalt in der Öffentlichkeit nicht bekannt wird. Die Vorinstanzen haben ausgehend von ihrer vom erkennenden Senat nicht geteilten Ansicht zur Meinungsfreiheit in der politischen Auseinandersetzung die Richtigkeit des Vorwurfs nicht geprüft und sind von einem zulässigen Werturteil ausgegangen. Dies widerspricht der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung, daß auf der Basis unrichtiger (bzw nicht bewiesener) Tatsachenbehauptungen die in die Ehre eines anderen eingreifenden Werturteile nicht mit dem Recht auf Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden können (6 Ob 254/98s mwN; zuletzt 6 Ob 7/99v). Bei Äußerungen von Politikern über den Gegner können unter Umständen auch massiv in die Ehre des Gegners eingreifende Werturteile noch zulässig sein. Diese bedürfen aber eines rechtfertigenden wahren Sachverhalts als Basis der pointiert zum Ausdruck gebrachten Kritik.

Der Vorwurf der Vertuschung strafrechtlich relevanter Verfehlungen eines Parteikollegen ist nicht nur rufschädigend, sondern auch beleidigend im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB. Der Wahrheitsbeweis obliegt daher dem Beklagten (MR 1995, 16 mwN; zuletzt wiederum 6 Ob 7/99v). Im zweiten Rechtsgang wird daher das Bescheinigungsverfahren über den vom Beklagten behaupteten Sachverhalt (insbesondere zum Wissensstand des Klägers) durchzuführen sein.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO iVm §§ 78, 402 EO.

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