OGH 6Ob257/07y

OGH6Ob257/07y24.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch Walch & Zehetbauer Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Ingrid R*****, vertreten durch Dr. Roland Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien, und deren Nebenintervenientin D***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Georg Kampas, Rechtsanwalt in Wien, wegen 37.000 EUR sA (Revisionsinteresse 36.992,50 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Juni 2007, GZ 5 R 12/07a-49, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 24. Oktober 2006, GZ 11 Cg 120/04s-39, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten und der Nebenintervenientin die mit jeweils 1.757,52 EUR (darin 292,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

M***** S.A. in Paris war Eigentümerin zweier Diamantringe. Im Juli 2003 übermittelte sie diese Ringe an das Juwelierunternehmen A. E. K***** in W*****, eine Versicherungsnehmerin der Klägerin als Transportversicherer. Die Versicherungsnehmerin hatte nämlich Kaufinteressenten dafür. M***** S.A. verlangte für die beiden Ringe mindestens 37.000 EUR; sollte ein höherer Kaufpreis erzielt werden, hätte die Versicherungsnehmerin den Mehrerlös behalten können. Da diese jedoch letztlich keinen Käufer für die Ringe fand, sollten sie wieder nach Frankreich zurückgesendet werden.

Am 23. 9. 2003 übergab Florian K*****, ein Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin, dem Mitarbeiter der Beklagten Dusan L***** ein Kuvert, das zu M***** S.A. nach Paris transportiert werden sollte. Er hatte von Wolfgang K*****, ebenfalls Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin, an diesem Tag die beiden Ringe mit der Bitte erhalten, sie wie üblich zu verpacken und an M***** S.A. zurückzusenden. Er hatte auch die ausdrückliche Anweisung gegeben, die Versendung über die Beklagte durchzuführen.

Die Versicherungsnehmerin führt derartige Versendungen, auch von ähnlich wertvollen Sendungen, wiederholte Male pro Jahr durch. Diese Vorgangsweise ist auch mit der Versicherung, also der Klägerin, akkordiert, nämlich insbesondere dahin, dass die Warenversendung mittels Botendienstes ohne Wertangabe erfolgt. Erst bei höheren Werten ist es üblich, Spezialunternehmen zu engagieren, weil in einem solchen Fall Transportkosten von etwa 300 bis 400 EUR anfallen. Im konkreten Fall betrug das Entgelt demgegenüber lediglich 35 EUR.

Der geschäftliche Kontakt zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten war durch erstere angebahnt worden; allerdings war es die Beklagte, die der Versicherungsnehmerin im Laufe der Geschäftsbeziehung auch internationale Übersendungen angeboten hatte. Der Beklagten war dabei bekannt gewesen, dass die Versicherungsnehmerin ein Juwelierunternehmen ist. Den Wert der jeweiligen Sendungen hatte die Versicherungsnehmerin nicht mitgeteilt; hätte der Botendienst Fragen dazu gestellt, wären diese mit der Begründung, dass ihn das nichts angehe, nicht beantwortet worden. Die Beklagte hatte der Versicherungsnehmerin Transportschecks für die einzelnen Sendungen übersandt. In diesen war unter anderem auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwiesen worden, weshalb der Versicherungsnehmerin auch bekannt gewesen war, dass nur Werte bis 7.000 EUR versichert waren. Die Versicherungsnehmerin hatte im Rahmen der Geschäftsbeziehung mit der Beklagten Gegenstände im Inland und auch ins Ausland versendet und dabei nicht nur Schmuckgegenstände zur Versendung übergeben, sondern auch andere Sachen wie etwa Unterlagen. Die Empfänger im Ausland waren fast ausschließlich Juweliere, im Inland Subunternehmer wie Steinschleifer oder Fasser gewesen. Die Versicherungsnehmerin hatte die Beklagte ein- bis dreimal monatlich für Versendungen ins Ausland beauftragt und etwa vier- bis zehnmal pro Monat für Warentransporte im Inland.

Florian K***** legte nun am 23. 9. 2003 die Ringe in eine Schachtel und steckte diese in ein Kuvert mit Noppenpapier. Er sicherte das Kuvert mit Heftklammern, verschloss es und klebte ein hellbraunes Klebeband darüber. Während er das Päckchen machte, rief er jemanden von der Beklagten an. Bis der zuständige Fahrer erschien, bewahrte er das Kuvert im Saferaum auf. Dort ist ein ungehinderter Zutritt von hausfremden Personen ausgeschlossen; es sitzt ein Mitarbeiter in direkter Umgebung des Safes. Als dann ein Fahrer der Beklagten, nämlich Dusan L*****, erschien, übergab Florian K***** ihm das Päckchen mit den beiden darin befindlichen Ringen. Darüber wurde ein Transportscheck ausgestellt. Der Inhalt des Kuverts wurde dem Fahrer, der das Kuvert übernahm, nicht mitgeteilt; es steht auch nicht fest, dass dieser bei Übergabe des Päckchens auf dessen besonderen Wert hingewiesen worden wäre. Wäre der Beklagten allerdings bekannt gegeben worden, dass die Ringe wertvoll waren, hätte sie den Transportauftrag entweder nicht übernommen oder hätte auf den Abschluss einer entsprechenden Versicherung bestanden; in diesem Fall hätte sich allerdings das Transportentgelt beträchtlich erhöht.

Der Fahrer der Beklagten brachte das Kuvert, weil es sich um einen Auslandsauftrag handelte, zu einer Subunternehmerin der Beklagten, nämlich der H***** GmbH, die unter der Bezeichnung „Der K*****" auftritt. Die Beklagte arbeitete mit diesem Unternehmen bereits seit 1994 oder 1995 zusammen; Probleme hatte es bis dahin nie gegeben.

Auch die von der Beklagten befassten Subunternehmer hätten, wäre ihnen bekannt gegeben worden, dass die Ringe wertvoll waren, den Transportauftrag entweder nicht übernommen oder hätten auf den Abschluss einer entsprechenden Versicherung bestanden. So muss sich etwa der Fahrer des „K*****" bei wertvollen Sendungen persönlich bestätigen lassen, dass er die Sendung in unbeschädigtem Zustand und vollständig übergeben hat, damit die Personenkette der einzelnen betrauten Personen nachvollziehbar ist. Überdies wäre überlegt worden, das Packstück, dessen Gewicht 0,8 kg betrug, per Flugpost zu verschicken.

„Der K*****" gab - wie auch sonst üblich - die ihm von der Beklagten übergebene Sendung in eine Plastiktasche mit einem Sicherheitsverschluss, worauf diese zur Nebenintervenientin gebracht wurde. Diese beschloss nach Übergabe des Kuverts, mit der Versendung nach Paris U***** zu beauftragen. Letztere transportiert gemäß ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen keine Schmuckstücke; allerdings war ja auch der Nebenintervenientin der Inhalt des Päckchens nicht bekannt. Bei der Nebenintervenientin einlangende Sendungen werden in einem Sammeltransport zum Flughafen gebracht; dort wird durch einen Subfrächter die Verfrachtung durchgeführt.

Von U***** werden - so auch im gegenständlichen Fall - die entsprechenden Frachtdaten eingelesen; auch die erwähnten anderen Subunternehmer füllen entsprechende Schriftstücke, etwa Frachtbriefe, aus, die den Absender und Empfänger, das Gewicht des übergebenen Guts und teilweise auch Uhrzeiten enthalten. Im gegenständlichen Fall wurden auf der Sendungsinformation von U***** keine Auffälligkeiten vermerkt; das Kuvert wurde in einem U*****-Envelope übernommen und schließlich nach Paris transportiert.

Am 24. 9. 2003 nahm Davide L*****, ein Mitarbeiter von M***** S.A. in Paris den U*****-Envelope entgegen. Er öffnete diesen und anschließend das zum Transport übergebene Kuvert. Darin befand sich zwar die Schachtel, jedoch darin keine Ringe mehr.

Wann genau im Verlaufe des Transportwegs die Diamantringe abhanden gekommen sind, steht nicht fest. Allerdings steht fest, dass das Kuvert, das Florian K***** verwendet hatte, manipuliert worden war. Es waren die Klammern, die das Kuvert verschlossen hatten, entfernt worden, ohne dass das Papier beschädigt worden wäre. Außerdem befanden sich auf dem Kuvert zwei Arten von Klebebändern, die verschiedene Brauntöne aufwiesen.

Die Beklagte erfuhr vom Verlust der Ringe erst durch ein Schreiben eines deutschen Versicherungsbüros vom Dezember 2003. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin einigte sich nach Gesprächen mit dieser über einen auszuzahlenden Vergleichsbetrag von 29.000 EUR. Auch mit M***** S.A. kam es zu einer Einigung; diese war letztlich mit der Bezahlung eines Betrags von 32.800 EUR einverstanden. Sowohl die Versicherungsnehmerin als auch M***** S.A. traten ihre Ansprüche resultierend aus dem Transport der Ringe an die Klägerin ab.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten 37.000 EUR. Die Ringe seien während der Gewahrsame bzw im Verantwortungsbereich der Beklagten in Verlust geraten. Diese könne nicht darlegen, wie und warum es zum Verlust gekommen sei und welche Maßnahmen sie ergriffen habe, um das höchst diebstahlsgefährdete Gut vor Verlust zu bewahren; dies führe zur Annahme eines qualifizierten Verschuldens gemäß Art 29 CMR. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Versicherungsnehmerin regelmäßig Schmuck versende; es wäre daher an der Beklagten gelegen, entsprechende Sicherheitsvorkehrungen für den Transport derart wertvoller Sendungen zu treffen. Selbst wenn der hohe Wert im gegenständlichen Fall deklariert worden wäre, hätte die Beklagte grob fahrlässig außer einer Versicherungseindeckung keine weiteren Vorkehrungen getroffen. Versendungen mit Post oder Paketdiensten seien branchenüblich, die Beiziehung von Spezialunternehmen aufgrund der geringen Gewinnspannen in der Schmuckbranche nicht zumutbar.

Die Beklagte wandte demgegenüber ein, sie sei von der Versicherungsnehmerin der Klägerin nicht über den tatsächlichen Wert der Sendung informiert worden; andernfalls hätte sie den Transport entweder überhaupt nicht oder nur gegen Abschluss einer Versicherung übernommen. Die Versicherungsnehmerin habe bewusst das Risiko der Durchführung des Transports durch einfachen Botendienst und ohne Wertangabe gewählt; es wäre nun sittenwidrig, das dadurch geschaffene Risiko auf die Beklagte zu überwälzen.

Sowohl die Beklagte als auch die Nebenintervenientin beriefen sich darauf, aufgrund ihrer bestehenden Organisationen sei sichergestellt, dass der Weg der Sendung lückenlos zurückverfolgt werden könne. Die Mitarbeiter seien angewiesen, besonderes Augenmerk auf die ihnen übergebenen Sendungen zu richten und Unregelmäßigkeiten sofort zu melden. Jede Übernahme einer Sendung müsse bestätigt werden und jeder Empfänger müsse eine Zustellbestätigung ausstellen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es davon ausging, dass der Verlust der Ringe während des Transports nicht feststehe.

Das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagte nach Beweiswiederholung zur Zahlung von 7,50 EUR und wies das Mehrbegehren ab; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Fall fehle, in dem einem Kleinunternehmen der Wert des transportierten Guts nicht mitgeteilt worden war. In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, die Ringe seien während des Transports in Verlust geraten, die näheren Umstände seien jedoch unbekannt. Die Entlastungspflicht für mangelndes Verschulden treffe dabei zwar den Frachtführer, für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit sei jedoch der Geschädigte beweispflichtig. Die Sorgfalt müsse in letzterem Fall in ungewöhnlich hohem Maß verletzt worden sein, es müsse also unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen; allerdings werde nur dann, wenn der Organisationsmangel des Frachtführers jedem Leiter eines Transportunternehmens offenbar gewesen wäre, der Geschäftsverkehr im besonderen Maß gestört und der Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Im Transportwesen seien dabei zwar Schnittstellen gefahrenträchtig, im modernen Massenverkehr und bei Massenabfertigung könne der Verlust einzelner Stücke jedoch nie gänzlich ausgeschlossen werden. Die Beklagte sei ein Fahrradbotendienst, der auch den Transport von Gegenständen per Kraftfahrzeug übernommen habe, jedoch kein Großunternehmen; von ihr könnten somit besondere Maßnahmen beim Transport von Gegenständen oder eine Schnittstellenkoordination nicht verlangt werden, weil dies eine Überspannung ihrer Organisationspflicht bedeuten würde. Sie habe - ausgehend von der Art der Sendung, die sie übernommen zu haben glaubte - Maßnahmen bei deren Transport und ihre diesbezügliche Organisation dargelegt; diese seien als ausreichend anzusehen, die Unterlassung von Sicherheitsmaßnahmen, die jedem im konkreten Fall hätten einleuchten müssen, stehe nicht fest. Dass tatsächlich eine Sendung besonderen Werts Gegenstand des Transportauftrags gewesen sei, belaste die Beklagte nicht, weil sie darüber nicht informiert worden war. Mangels groben Verschuldens hafte die Beklagte lediglich nach Art 17, 23 Abs 3 CMR; die Sendung habe 0,8 kg gewogen, eine Rechnungseinheit habe am Tag der zweitinstanzlichen Urteilsfällung 1,12591 EUR betragen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die Klägerin stützt auch in der Revision ihre Schadenersatzansprüche auf den Vorwurf gegenüber der Beklagten, es habe in deren Bereich an ausreichenden Schnittstellenkontrollen sowie einer Organisation gefehlt, die es ermöglicht hätte, die zum Transport übernommenen Güter auf ihrem Weg vom Absender zu verfolgen. Zudem macht die Klägerin geltend, die Beklagte sei ihrer Darlegungspflicht nicht nachgekommen.

2. Im österreichischen Straßengüterbeförderungsrecht gilt das „Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr" (CMR; BGBl 1961/138 idF BGBl 1981/192) sowohl für grenzüberschreitende als auch gemäß § 439a UGB für rein innerstaatliche Transporte. Soweit die CMR keine leges speciales enthält, kommen die §§ 425 bis 453 UGB zur Anwendung. Daneben besteht eine Reihe von AGB, die von den zuständigen Fachverbänden der WKÖ herausgegeben werden (wie etwa die AÖSp).

Nach Art 17 Abs 1 CMR haftet der Frachtführer für „den gänzlichen oder teilweisen Verlust und für Beschädigung des Gutes, sofern der Verlust oder die Beschädigung zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt [...]". Hiebei handelt es sich um eine vertragliche Obhutshaftung. Die Beweislast trifft im Bereich des leichten Verschuldens den Frachtführer.

Seit Inkrafttreten des Protokolls zum Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr, BGBl 1981/192, ist die Ersatzpflicht des Frachtführers für leichtes Verschulden nach Art 17 CMR mit 8,33 Rechnungseinheiten für jedes fehlende Kilogramm des Rohgewichts beschränkt. Gemäß Art 23 Abs 7 CMR ist unter dieser Rechnungseinheit das Sonderziehungsrecht (SZR) des Internationalen Währungsfonds zu verstehen. Auf dieser Regelung beruht die - im Revisionsverfahren nicht mehr strittige - Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von 7,50 EUR.

3. Will der Anspruchsteller den Frachtführer für den eingetretenen Schaden jedoch unbeschränkt haftbar machen, so hat er ihm gemäß Art 29 CMR qualifiziertes Verschulden nachzuweisen. Den Anspruchsteller trifft in diesem Fall die volle Beweislast hinsichtlich der Umstände, aus denen sich die qualifiziert schuldhafte Schadensverursachung durch den Frachtführer ergibt (6 Ob 349/97k = HS XXIX/6). Hiebei wird es als ausreichend angesehen, wenn der Anspruchsteller das konkrete Verhalten des Schädigers und alle objektiven Tatsachen des Geschehens beweist. Aus diesen objektiven Tatsachen könne regelmäßig auf die innere Einstellung des Täters geschlossen werden (Gass in Ebenroth/Boujong/Joost, Handelsgesetzbuch [2001] Art 29 CMRG Rz 16 ff).

Da sich die näheren Umstände des Transports regelmäßig in der Sphäre des Frachtführers abspielen, trifft diesen jedoch im Falle des Vorwurfs des qualifizierten Verschuldens iSd Art 29 CMR eine besondere Darlegungslast. Dieser normiert die unbeschränkte Haftung des Frachtführers, der „den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichtes dem Vorsatz gleichsteht" (in der Bezugnahme auf die lex fori wird ein bewusster Verzicht auf Rechtsvereinheitlichung erblickt [Jesser, Art 29 CMR - Welches Verhalten steht dem Vorsatz gleich?, TranspR 1997, 169]). Jedenfalls vom Verschuldensmaßstab erfasst ist der Vorsatz. Bezüglich des „dem Vorsatz gleichgestellten Verschuldens" bestehen in den Vertragsstaaten unterschiedliche Konzepte (vgl die Länderberichte in Thume, Kommentar zur CMR² [2007] 921 ff; Fremuth, Haftungsbegrenzungen und deren Durchbrechung im allgemeinen deutschen Frachtrecht und nach der CMR, TranspR 2004, 99).

Nach der österreichischen Rechtslage entspricht der Begriff des „dem Vorsatz gleichgestellten Verschuldens" der groben Fahrlässigkeit (vgl etwa 1 Ob 66/98g = ZfRV 1998/48; 7 Ob 184/01m = ZfRV 2002/21 unter Hinweis auf die EB zur RV 166 BlgNR IX. GP); grob fahrlässiges Organisationsverschulden verlangt einen objektiven und subjektiven schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (darunter ist die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu verstehen [Krejci, Handelsrecht³ [2005] 396]). Diese Sorgfalt muss in einem ungewöhnlich hohen Maß verletzt sein. Dasjenige muss unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall eigentlich jedem hätte einleuchten müssen. Voraussetzung ist dabei typischerweise das Bewusstsein der Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens (6 Ob 349/97k). Der Frachtführer hat demnach unbeschränkt für den Schaden am Transportgut bzw dessen Verlust einzustehen, wenn ihm eine ungewöhnliche, auffallende Vernachlässigung bei durchaus vorhersehbarem Schaden vorzuwerfen ist. Wesentlich kommt es dabei auf die Umstände des Einzelfalls an (7 Ob 184/01m).

4. Die Hauptleistungspflicht des Frachtführers besteht in der Beförderung von Gütern gegen ein bestimmtes Entgelt. Ebenfalls zur Hauptleistungspflicht gehört die Obhutspflicht. Demgemäß hat der Frachtführer alle handelsüblichen und nach den Umständen des Falls zumutbaren Maßnahmen zum Schutz des Guts etwa vor Witterungseinflüssen, Verderb, Diebstahl usw zu treffen (7 Ob 687/90 = HS 22.366; 9 Ob 133/04f = EvBl 2005/164). Die Anforderungen, die an die Organisation des Transports von Gütern gestellt werden, sind dabei naturgemäß stark auf den Einzelfall bezogen zu beurteilen. Maßgeblich für die Bestimmung der Sorgfaltspflichten ist jedenfalls die Schadensgeneigtheit des Transportguts. Diese lässt sich wiederum etwa durch deren Wert bzw den Ort des Transports bestimmen. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist jedoch nicht jeder Organisationsfehler als grob fahrlässig zu qualifizieren; etwa bei Massenabfertigungen könne der Verlust einzelner Stücke nie ganz verhindert werden (6 Ob 349/97k; 7 Ob 160/00f = ZfRV 2001/27; 6 Ob 232/04t = ecolex 2005/320).

Die deutsche Rechtsprechung (BGH I ZR 245/93; I ZR 45/94; I ZR 158/99; I ZR 163/99; I ZR 284/99; I ZR 128/00; I ZR 205/01; I ZR 55/01), auf die die Klägerin in ihrer Revision eindringlich verweist, verlangt vor allem die Durchführung von Schnittstellenkontrollen, also Eingangs- und Ausgangskontrollen bei der Umverteilung von Transportgut, mit der Folge, dass der Eintritt eines allfälligen Verlusts in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht eingrenzbar ist. Damit ist jedoch für die Klägerin nichts gewonnen:

Entscheidungswesentlich ist nämlich im vorliegenden Fall, dass das Transportgut, nämlich das Kuvert samt Schachtel, gerade nicht in Verlust geraten ist, sondern lediglich, infolge Manipulationen am Kuvert, dessen Inhalt. Deshalb hätte auch durch die (äußerliche) Kontrolle im Rahmen von Schnittstellenkontrollen der Schadenseintritt nicht früher bzw genauer festgestellt werden können. Die Zuordnung des Verlusts zu einer bestimmten Teilstrecke hätte vielmehr das Öffnen des Kuverts bei der jeweiligen Übergabe an die Erfüllungsgehilfen der Beklagten erfordert, was jedoch von dieser - weil auch nicht vereinbart - schon allein mit Blick auf das Briefgeheimnis nicht erwartet werden konnte. Selbst der deutsche Bundesgerichtshof geht im Übrigen davon aus, dass Schnittstellenkontrollen nur äußerliche Beschädigungen der Sendungen erfassen könnten und zur Vermeidung von Sachschäden nicht wesentlich beitragen würden, wenn das Packstück äußerlich unbeschädigt geblieben sei (I ZR 275/00).

5. Sowohl die österreichische als auch die deutsche Rechtsprechung gehen von einer Darlegungspflicht des Frachtführers bei Behauptung qualifizierten Verschuldens durch den Geschädigten aus. Diese erstreckt sich auf die Organisation im Unternehmen zur Sicherung des übernommenen Frachtguts sowie auf die im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen, wenn dem Frachtführer die Aufklärung möglich und zumutbar ist, was immer dann der Fall sein wird, wenn diese Umstände aus seiner Sphäre stammen. Der Frachtführer hat dabei dem gegen ihn erhobenen Vorwurf groben Verschuldens substanziiert entgegenzutreten. Aus diesem Grund hat der Frachtführer zum eigenen Geschäftsbetrieb und zum innerbetrieblichen Organisationsverlauf konkret vorzutragen (Gass in Ebenroth/Boujong/Joost, Handelsgesetzbuch [2001] Art 29 CMRG Rz 19). Er hat Informationen über den tatsächlichen Ablauf des Schadensfalls zu geben, damit eine Rekonstruktion möglich ist. In welchem Umfang der nicht beweisbelasteten Partei Aufklärungspflichten zuzumuten sind, ist eine Frage, die nur nach den Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann (Piper, Darlegungs- und Beweisfragen im CMR-Prozess, in GedS Helm [2001] 289).

5.1. Für das deutsche Recht ergibt sich die Darlegungslast des Frachtführers aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 424 BGB; Giefers, Beweislast und Beweisführung bei der Haftung des Frachtführers nach der CMR [1997] 206). Deren Verletzung führt zu dem Schluss, dass ein qualifiziertes Verschulden des Frachtführers vorliegt, was als Akt der Beweiswürdigung qualifiziert wird. Für Fälle, in denen die Aufklärung der Schadensursache misslingt, bedeutet dies, dass das Risiko der Nichtaufklärung des Schadenshergangs regelmäßig zu Lasten des Frachtführers geht. Bei ungeklärten Transportverlusten ist die unbegrenzte Haftung des Spediteurs in der Rechtsprechungspraxis des Bundesgerichtshofs damit der Regelfall (Ettrich, Das Mitverschulden des Versenders bei unterlassener Wertdeklaration, TranspR 2003, 443). Diese Rechtsprechung läuft allerdings im Ergebnis auf eine Beweislastumkehr auch im Bereich des schweren Verschuldens hinaus und stößt daher auch in der deutschen Lehre auf Kritik (Neumann, Prozessuale Besonderheiten im Transportrecht, TranspR 2006, 429; Thume, Grobes Verschulden und Mitverschulden - Quo vadis BGH?, TranspR 2006, 369).

5.2. Der Oberste Gerichtshof leitet in seiner jüngeren Rechtsprechung (9 Ob 12/05p = EvBl 2005/175) die Darlegungslast des Frachtführers aus der allgemeinen Aufklärungspflicht des § 184 ZPO ab. Eine Verletzung dieser Aufklärungspflicht könne damit jedenfalls insoweit nicht vorliegen, als der Prozessgegner Fragen, die die Aufklärungspflicht regelmäßig erst auslösen, nicht gestellt und auch nicht auf andere Weise erkennbar Aufklärung verlangt habe; jedoch könne die Verletzung der Darlegungslast Anlass für den Tatrichter sein, bestimmte Prozessbehauptungen des für grobes Verschulden und Vorsatz beweispflichtigen Geschädigten für wahr zu halten; denn eine Verletzung der prozessualen Aufklärungspflicht könne sich nur im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung auswirken.

In der Entscheidung 6 Ob 232/04t (= TranspR 2005, 400 unter Berufung auf stRsp, etwa 6 Ob 349/97k; 7 Ob 160/00f), der ein dem vorliegenden Fall durchaus ähnlicher Sachverhalt zugrunde lag, führte der Oberste Gerichtshof aus, es sei jene Ansicht abzulehnen, wonach der Ersatzberechtigte seiner Beweispflicht für ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln des Frachtführers schon Genüge getan habe, wenn dieser die Schadensursache nicht erklären könne; dies würde im Ergebnis ja zu einer Umkehr der Beweislast auch im Bereich des schweren Verschuldens führen; lasse sich die Schadensursache daher letztlich nicht aufklären, treffe das „non liquet" den Anspruchsteller; aus der bloßen Feststellung, dass nicht geklärt werden könne, wann, an welchem Ort und auf welche Weise die Ladung verloren gegangen sei, könne demnach nicht „automatisch" auf grob fahrlässiges Handeln des Frachtführers geschlossen werden; daran ändere auch die Pflicht des Frachtführers nichts, in zumutbarem Rahmen zur Aufklärung der Ursachen des in seinem Bereich eingetretenen Schadens beizutragen.

5.3. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Beklagte in Anbetracht des von ihr angenommenen Wertes der Sendung (vgl dazu 6.) die von ihr gesetzten Maßnahmen und ihre diesbezügliche Organisation ausreichend dargelegt habe; so sei bei Übergabe des Kuverts an den Mitarbeiter der Beklagten ein Transportscheck ausgefüllt worden, das Kuvert sei dann nach Übergabe an den „K*****" abredegemäß in eine gesonderte Tasche mit Sicherheitsverschluss gesteckt und über die Nebenintervenientin zu U***** gebracht worden, wo das Transportgut in einen Umschlag gegeben worden sei; über diese Transportvorgänge seien entsprechende Schriftstücke, etwa ein Frachtbrief oder eine „Sendungsinformation" ausgestellt und darin neben Absender und Empfänger auch Gewicht und Wert sowie (jedenfalls zum Teil) die genauen Zeitdaten festgehalten worden. Da es auch die Klägerin in ihrer Revision unterlässt darzulegen, welche konkreten Maßnahmen die Beklagte sonst noch hätte ergreifen und im Verfahren darlegen müssen - ihr einziges Argument ist die fehlende Schnittstellenkontrolle, auf die es hier aber nicht ankommt (vgl dazu 4.) -, bestehen gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei ihrer Darlegungspflicht ausreichend nachgekommen, keine Bedenken.

6. Zuletzt meint die Klägerin in ihrer Revision noch, die Beklagte habe trotz des Umstands, dass ihr der tatsächliche Wert des Transportguts nicht mitgeteilt worden sei, ein höherer Maßstab als der vom Berufungsgericht angenommene getroffen. Dem ist jedoch nicht zu folgen:

6.1. Gemäß § 429 Abs 1 UGB, der subsidiär zur CMR anwendbar ist, haftet der Frachtführer „für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Annahme bis zur Ablieferung oder durch Versäumung der Lieferzeit entsteht, es sei denn, dass der Verlust, die Beschädigung oder die Verspätung auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht abgewendet werden konnten". Abs 2 schränkt die Haftung für den Verlust oder die Beschädigung von Kostbarkeiten, Kunstgegenständen, Geld und Wertpapieren insofern ein, als der Frachtführer nur dann haftet, „wenn ihm diese Beschaffenheit oder der Wert des Gutes bei der Übergabe zur Beförderung angegeben worden ist".

Diese Einschränkung des § 429 Abs 2 UGB dient dazu, den Frachtführer vor ruinösen Schadenersatzpflichten zu bewahren. Es soll ihm die Möglichkeit gegeben werden, den Transport besonders schadensanfälliger Güter abzulehnen bzw entsprechende Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Dazu muss das Risiko jedoch für den Frachtführer erkennbar sein (Schütz in Straube, HGB³ [2003] § 429 Rz 19). Nicht auf § 429 Abs 2 UGB berufen kann sich lediglich der, dem auch ohne entsprechende Angaben der Wert des Frachtguts bekannt ist (Holzhammer, Allgemeines Handelsrecht und Wertpapierrecht8 [1998] 267).

6.2. Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Wertgegenständen, die sich in übernommenen Kleidungsstücken befinden und mit denen nach aller Erfahrung nicht gerechnet werden muss (etwa das wertvolle Schmuckstück im oder am abgelegten Mantel). Diese „nicht sichtbaren" bzw nicht als besonders wertvoll erkennbaren (8 Ob 126/70) Wertgegenstände sind nicht von der Obhutspflicht des Verwahrers umfasst; es kommt diesbezüglich kein Vertrag zustande, weil sich der Verwahrer des Wertes der verpflichtend übernommenen Sache bewusst werden können muss (vgl auch Binder in Schwimann, ABGB³ [2006] § 958 Rz 17). Damit wird aber im Ergebnis der besondere Wert des Objekts nicht erst auf Ebene des Mitverschuldens beachtet, sondern bereits bei Bestimmung des Umfangs der Verwahrerpflichten (Schubert in Rummel, ABGB³ [2000] § 964 Rz 4).

6.3. Auch der deutsche Bundesgerichtshof, auf den sich die Klägerin in der Revision auch in diesem Zusammenhang beruft, hat im Übrigen in einer erst jüngst ergangenen Entscheidung (I ZR 121/04 vom 6. 6. 2007) betreffend die Frachtführerhaftung für den Verlust des Transportguts bei Unkenntnis von dessen Art und Wert ausgesprochen, schweres Verschulden des Frachtführers gemäß Art 29 CMR liege nicht vor, weil es für den Transporteur keinen Anlass gegeben habe, im Hinblick auf das Transportgut eine besondere Gefahrenlage anzunehmen, die ihn dazu veranlassen hätte müssen, besondere Sicherheitsvorkehrungen zu ergreifen.

6.4. Soweit die Klägerin schließlich auf die langjährige Geschäftsbeziehung zwischen ihrer Versicherungsnehmerin und der Beklagten hinweist, wobei letzterer ja auch bekannt gewesen sei, dass es sich bei der Versicherungsnehmerin um ein Juwelierunternehmen handelt, ist ihr zwar beizupflichten, dass sich ein Wissen über Art und Wert des Transportguts etwa auch aus einer laufenden Geschäftsbeziehung oder aus sonstigen Umständen (etwa der Branche des Absenders) ergeben kann (Kerzendorfer/Geist in Jabornegg, HGB [1999] § 429 Rz 16; Krejci, Handelsrecht³ [2005] 403). Allerdings hat das Berufungsgericht unter anderem die Feststellung getroffen, die Versicherungsnehmerin habe im Rahmen der Geschäftsbeziehung mit der Beklagten Gegenstände im In- und auch ins Ausland versendet und dabei nicht nur Schmuckgegenstände zur Versendung übergeben, sondern auch andere Sachen wie etwa Unterlagen. Es kann somit nicht gesagt werden, dass ein Juwelierunternehmen ausschließlich wertvolle Schmuckstücke versendet, weshalb der beigezogene (Fahrrad)Botendienst zwingend immer von einem derartigen Transportgut hätte ausgehen müssen. Dabei kann der Beklagten auch nicht der Vorwurf gemacht werden, im Einzelfall nicht konkret nach dem Inhalt der Sendung gefragt zu haben, weil sie auf eine derartige Frage nach den Feststellungen keine Antwort bekommen hätte.

7. Da somit die Beklagte in Anbetracht ihres auch der Versicherungsnehmerin der Klägerin bekannten Unternehmensgegenstands als (Fahrrad)Botendienst und mangels eines Hinweises auf den besonderen Wert des ihr übergebenen Transportguts hinreichende Sicherungsmaßnahmen gegen dessen Verlust ergriffen und diese im Verfahren auch ausreichend dargelegt hat, haben die Vorinstanzen zutreffend einen auf Art 29 CMR gestützten Schadenersatzanspruch der Klägerin bzw ihrer Versicherungsnehmerin verneint. Es erschiene im Übrigen unbillig, das Risiko des konkreten kriminellen Angriffs auf das Transportgut von der Versicherungsnehmerin, die sich Transportkosten und Versicherungsprämien sparen wollte, auf die Beklagte, die in Anbetracht des angenommenen geringen Wertes des Transportguts nur ein geringes Transporthonorar von 35 EUR verrechnete, zu überwälzen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte