OGH 6Ob349/97k

OGH6Ob349/97k10.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kellner, Dr. Schiemer, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z***** Versicherungen AG, ***** vertreten durch Dr. Walter Strigl und Dr. Gerhard Horak, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei G***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen 231.835,-- S, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11. September 1997, GZ 3 R 130/97b-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 25. März 1997, GZ 26 Cg 56/96z-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben; die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte steht mit der Firma 3***** GmbH (in der Folge Auftraggeberin) in langjähriger ständiger Geschäftsverbindung, die nach wie vor uneingeschränkt aufrecht ist. Deren Gegenstand ist die Beförderung von Warensendungen durch die Beklagte vom Lager der Auftraggeberin in Perchtoldsdorf an ihre Kunden in ganz Österreich. Diese Beförderung erfolgt aufgrund eines Offertes zu Beginn der Geschäftsbeziehung nur zu fixen Kosten, wobei die Auftraggeberin der Beklagten den Abschluß einer Speditionsversicherung auf ihre Kosten von Anfang an verboten hat. Der Auftraggeberin ist bekannt, daß die Beklagte nur unter Zugrundelegung der AÖSp arbeitet. Im Sommer 1995 übergab die Auftraggeberin der Beklagten täglich etwa 100 Sendungen zur Beförderung als Sammelladung. Am 31.8.1995 befand sich unter dem der Beklagten übergebenen Transportgut auch eine aus drei Colli mit insgesamt 66 kg bestehende Sendung, deren Empfänger eine Kundin der Auftraggeberin in Villach war. Nach Übergabe an die Beklagte geriet ein Teil dieser Sendung in Verlust. Die Klägerin als Transportversicherer der Auftraggeberin bezahlte dieser den Wert der verloren gegangenen Sendung (abzüglich eines Selbstbehaltes von 2.000 S) gegen Abtretung aller der Auftraggeberin gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche und nimmt nunmehr die Beklagte auf Ersatz des bezahlten Betrages mit dem Vorbringen in Anspruch, mangels Aufklärung der zum Verlust führenden Umstände hafte die Beklagte nach Frachtrecht infolge Fixkostenspedition bzw Versendung im Sammelladeverkehr für das Abhandenkommen der Sendung wie bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten.

Die Beklagte wandte ein, nur nach Speditionsrecht zu haften, wobei die Haftung der Höhe nach durch die zugrundeliegenden AÖSp beschränkt sei. Der Verlust sei im Zuge eines Bahntransportes durch Dritte, die nicht als Erfüllungsgehilfen der Beklagten zu betrachten seien, erfolgt, weshalb die Beklagte überhaupt nicht hafte. Die von ihr eingerichteten organisatorischen Maßnahmen stellten eine ordnungsgemäße Versendung der übernommenen Güter sicher, weshalb jedes Verschulden der Beklagten, für das die Klägerin beweispflichtig sei, bestritten werde. Die Beklagte sei sogar mit einem Qualitätszertifikat für ihre gesamte Tätigkeit ausgezeichnet worden. Da die Auftraggeberin weiterhin mit der Beklagten in Geschäftsbeziehung stehe, könne sie sich nicht auf deren grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten stützen.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte im wesentlichen fest, daß die Beklagte die Versendung von Transportgut der Auftraggeberin zu fixen Kosten und in Sammelladung durchführt. Die von der Beklagten in Perchtoldsdorf abgeholten Waren werden zum Lager der Beklagten in Wien-Matzleinsdorf gebracht und dort nach den einzelnen Bestimmungsorten händisch (mit Kurzzeichen) gekennzeichnet und sortiert. Die Sendungen der Auftraggeberin mit einem Gewicht zwischen 30 und 500 kg werden sodann mit Sendungen anderer Kunden der Beklagten mit gleichem Bestimmungsort auf Sammelpaletten zusammengefaßt und in Eisenbahnwaggons verladen, die plombiert werden. Anhand der von ihren Kunden übermittelten Listen des zum Transport übergebenen Gutes erstellt die Beklagte EDV-unterstützt sogenannte Beladelisten, die die Transportgüter aufgesplittert nach den verschiedenen Bestimmungsorten ausweisen. Eine Kontrolle anhand dieser Listen, ob sich die einzelnen Stücke tatsächlich auf den richtigen Sammelpaletten und damit später im richtigen Waggon befinden, wird von der Beklagten nicht durchgeführt. Die Beladelisten werden nur den Empfangspartnern der Beklagten an den Bestimmungsorten übermittelt und dienen dort zur Übernahmekontrolle. Anhand einer derartigen Beladeliste stellte die als Empfangsspediteur in Maria Saal tätige Spedition R***** am 1.9.1995 fest, daß drei Colli der Auftraggeberin fehlten. Später wurden zwei Colli auf dem Betriebsgelände der Spedition R***** in Maria Saal aufgefunden. Weder eine Magazininventur im Lager Matzleinsdorf der Beklagten noch eine österreichweit an ihre Partner versendete Suchmeldung führte zum Auffinden des dritten verlorenen Collo der Auftraggeberin. Er langte auch nie beim Empfänger ein. Es kann nicht festgestellt werden, wann, wo und wie die Sendung in Verlust geraten ist.

Rechtlich prüfte das Erstgericht diesen Sachverhalt aufgrund der Beförderung zu einem festen Satz und im Sammelladungsverkehr nach Frachtrecht und hielt damit die Haftungsbeschränkungen der AÖSp für nicht anwendbar. Darin, daß der Inhalt der vom Lager der Beklagten abgehenden Waggons nicht konkret festgehalten und kontrolliert werde, erblickte das Erstgericht eine ständige Gefahrenquelle an einer schadensanfälligen Stelle im Transportablauf. Dieses Vorgehen der Beklagten sei als grob fahrlässig zu qualifizieren und führe zur uneingeschränkten Haftung. Die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung der Auftraggeberin zur Beklagten auch nach dem Schadensfall mache die Geltendmachung eines in der Vergangenheit entstandenen Schadens nicht treuwidrig oder rechtsmißbräuchlich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Es verneinte das Vorliegen von Feststellungsmängeln und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. § 37 lit d AÖSp stehe einer Bejahung der aktiven Klagelegitimation nicht entgegen. Die Klägerin habe aufgrund ihres Versicherungsvertragsverhältnisses zur Auftraggeberin deren Vermögensschaden bezahlt, wodurch nach § 67 Abs 1 VersVG der Schadenersatzanspruch der Auftraggeberin gegen die Beklagte auf die Klägerin übergegangen sei. Ein vertraglicher Ausschluß dieser Legalzession sei nicht wirksam.

Auch der Verweis auf § 52 lit c AÖSp, aus dessen Vereinbarung die Beklagte eine betragliche Beschränkung ihrer Haftung nach Maßgabe der §§ 34 ff AÖSp ableiten wolle, sei nicht zielführend. Die Spedition zu fixen Kosten und im Wege der Sammelladung führe gemäß § 413 Abs 1 und Abs 2 HGB zur ausschließlichen Anwendung von Frachtrecht. Diese Bestimmung sei aber unabdingbar, wenn im konkreten Fall auf zwingendes Recht verwiesen werde. Der Verweis der Beklagten auf die Darlegungs- und Beweislast zwischen einem Spediteur und seinem Kunden könne deshalb auf sich beruhen, weil das Beweisverfahren im vorliegenden Fall einen groben Organisationsmangel im Lager Matzleinsdorf der Beklagten ergeben habe. Im Falle groben Verschuldens komme aber eine Haftungsbegrenzung der Beklagten nicht in Betracht, weil ihr Organisationsverschulden durch Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht und Vernachlässigung der Aufsichtspflicht zur Last falle. Ein betriebliches Organisationsverschulden sei dann anzunehmen, wenn ein Unternehmer bei der Organisation seines Betriebes die genannten Pflichten nicht erfülle und dadurch ein Dritter geschädigt werde. Organisationsfehler seien keine gelegentlichen Fehler, die jedem einmal unterlaufen könnten, sondern strukturelle Schwächen des Betriebes. Als grob fahrlässig sei ein Organisationsverschulden dann einzustufen, wenn ein objektiv und auch subjektiv schwerer Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorliege, sie also in einem ungewöhnlich hohem Maße verletzt werde. So besehen falle der Beklagten in ihrem Umschlaglager Matzleinsdorf eine mangelhafte Ausgangskontrolle zur Last. Die Beklagte wisse und kontrolliere zwar, welche Sendungen in ihrem Lager Matzleinsdorf einlangten, sie kontrolliere aber nicht, ob die empfangenen Güter in der Folge innerhalb des Lagers auf der richtigen Sammelpalette abgelegt würden und damit in den richtigen Eisenbahnwaggon gelangten. Eine solche Kontrolle wäre ohne unzumutbaren Mehraufwand auch durchführbar, bestünden doch für jeden Empfängerort elektronisch erstellte Beladelisten, anhand derer die einzelnen Sendungen bei Ablage auf der entsprechenden Palette bzw bei Verladung in den entsprechenden Waggon erfaßt werden könnten. Würden hingegen die eingehenden Güter auf die verschiedenen Empfangsorte neu sortiert und anschließend ohne Kontrolle weiterbefördert, könne die Beklagte keinen ausreichenden Überblick über den Inhalt der von der Umschlagstation abgehenden Waggons haben, dies mit der Folge, daß nach Verluststücken nicht gezielt gesucht werden könne. Damit bestehe an einer besonders schadenanfälligen Schnittstelle im Transportablauf eine ständige Gefahrenquelle für den Verlust der umzuschlagenden Sendungen, die als grobes Organisationsverschulden zu beurteilen sei. Durch die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zur Beklagten habe die Auftraggeberin, auch wenn sie diese Geschäftsbeziehung in der Folge nicht nur nicht abgebrochen, sondern sogar intensiviert habe, ihre Ansprüche nicht verwirkt. Anspruchsverlust durch stillschweigenden Verzicht im Sinne des § 863 ABGB komme angesichts des dabei anzulegenden strengen Maßstabes bei der Beurteilung konkludenter Handlungen nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es sich bei seiner Entscheidung im Rahmen der Grundsätze der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bewegt habe. Ob grobes Verschulden oder ein stillschweigender Verzicht anzunehmen sei, hänge hingegen von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab. Eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO liege somit nicht vor.

Die Revision der Beklagten ist zur Wahrung der Rechtssicherheit und, weil zur Frage eines Organisationsverschuldens eine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes noch nicht vorliegt, zur Rechtsentwicklung zulässig; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Eingangs ist darauf zu verweisen, daß die aktive Klagelegitimation bejaht werden muß. Es entspricht der Rechtsprechung, daß in Fällen des Anwendungsbereiches des § 413 HGB ausschließlich Frachtrecht zur Anwendung kommt. Wird im konkreten Fall auf zwingendes Recht verwiesen, sind die darauf Bezug habenden Bestimmungen unabdingbar und führen zur Unwirksamkeit einer allfälligen Vereinbarung über die Geltung der AÖSp. Hat der erteilte Transportauftrag von vornherein die Beförderung mit verschiedenen Beförderungsmitteln zum Gegenstand (LKW, Eisenbahn, Schiff), richtet sich die Ersatzpflicht des mit der Beförderung über die gesamte Strecke beauftragten Frachtführers nach der für das jeweilige Beförderungsmittel geltenden Haftungsordnung "network-system" (SZ 67/4 ua). Im vorliegenden Fall ist nun in keiner Weise geklärt, auf welcher Teilstrecke des Transportes der Verlust eingetreten ist. Auf Art 37d der AÖSp, nach dem bei Selbstversicherung durch den Auftraggeber jeder Schadenersatzanspruch aus den durch diese Versicherung gedeckten Gefahren gegen den Spediteur ausgeschlossen ist und nicht auf den Versicherer übergeht, kann sich die Beklagte aber jedenfalls nicht berufen. Denn die AÖSp regeln nur die Rechtsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber und dem Spediteur (der hier als Frachtführer zu behandeln ist), nicht aber die Rechtsbeziehungen zwischen dem Absender und seinem Transportversicherer. Ein Verzicht des Absenders auf das dem Versicherer nach § 67 VersVG zustehende Regreßrecht ohne dessen Einbindung in den (Fracht-)Vertrag ist nicht möglich. Bei § 37d AÖSp handelt es sich nämlich um einen den Versicherer nicht bindenden Vertrag zwischen seinem Versicherungsnehmer und dem Frachtführer zu seinen Lasten. Privatautonome Rechtsgestaltung setzt die Zustimmung des Betreffenden voraus. Verträge zu Lasten eines Dritten sind, soweit dieser nicht Vertragspartei wurde, zumindest diesem gegenüber unwirksam, soweit nicht gesetzliche Ausnahmeregelungen vorgesehen sind (7 Ob 44/98s). In der Transportversicherung wird nicht das Versicherungsinteresse des Frächters, sondern nur das des jeweiligen Eigentümers an der beförderten Ware versichert. Daß der Versicherer auf sein Regreßrecht nach § 67 Abs 1 VersVG verzichtet hätte (was grundsätzlich möglich wäre) wurde im vorliegenden Verfahren weder behauptet noch bewiesen.

Sind Ort und Zeitpunkt des Verlustes, wie hier, nicht feststellbar, muß sich der Frachtführer/Spediteur das für den Anspruchsteller günstigste Haftungsrecht entgegenhalten lassen, weil Haftungsausschlüsse und -beschränkungen, sei es in AGB, sei es in einzelnen gesetzlichen Bestimmungen immer die Ausnahme bilden. Auf solche Ausnahmevorschriften soll sich der Frachtführer nur berufen können, wenn er nachweist, daß jene konkreten Gründe, die zur Anwendung dieser Ausnahmebestimmungen führen, tatsächlich vorliegen (Koller, Transportrecht 877; Fremuth in Thume, Komm zur CMR 897 mwN).

Alle hier in Betracht kommenden Sonderfrachtrechte: CMR nach dem Binnen-Güter-Beförderungs-Gesetz BGBl 1990/459, EBG oder auch die AÖSp normieren in gleicher Weise einen Ausschluß der Haftungsbeschränkungen des Frachtführers bei grober Fahrlässigkeit. Entgegen der Meinung der Vorinstanzen ist der erkennende Senat jedoch der Ansicht, daß der Beklagten grobe Fahrlässigkeit im Sinne grober Organisationsmängel nicht anzulasten ist. Die Entlastungspflicht für mangelndes Verschulden trifft nach § 429 Abs 1 HGB den Frachtführer. Diese Regelung der Umkehr der Beweislast erfaßt jedoch nur das leichte Verschulden. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit müssen auch hier grundsätzlich vom Geschädigten behauptet und bewiesen werden. Die besondere frachtrechtliche Situation kann aber dazu führen, daß der Geschädigte mit dem Beweis von Umständen belastet wird, die in der Sphäre des Frachtführers liegen und die er ohne ausreichende Aufklärung nicht kennen kann. Den Frachtführer trifft in diesen Fällen nach Treu und Glauben eine Darlegungspflicht über die Organisation in seinem Unternehmen zur Sicherung des übernommenen Gutes und über die im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen (SZ 66/89; SZ 69/134 ua). Kommt der Frachtführer, wie hier, seiner Darlegungspflicht nach, hat er seiner Mitwirkungspflicht Genüge getan, die Beweislast, daß er durch die schwer mangelhafte Organisation grob fahrlässig gehandelt hat, verbleibt jedoch beim Geschädigten. Dies bedeutet, daß der mangelnde Nachweis einer prima facie fehlenden oder zumindest wahrscheinlichen Kausalität noch immer zu Lasten des Geschädigten geht (vgl Thume, Die Haftung des Spediteurs für Kardinalfehler und grobe Organisationsmängel, Transportrecht 1991, 209 f, der ausführt, "das ganze Haftungssystem der ADSp würde vielfach leerlaufen, wenn der Spediteur beim non liquet das Fehlen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit selbst beweisen müßte, wenn er also den Nachweis für das Nichtvorliegen von Kardinalfehlern oder grobem Organisatonsverschulden selbst erbringen müßte"). Grob fahrlässiges Organisationsverschulden erfordert einen objektiv und auch subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Diese Sorgfalt muß also in einem ungewöhnlich hohen Maß verletzt werden. Dasjenige muß unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall eigentlich jedem hätte einleuchten müssen. Voraussetzung dafür ist in der Regel das Bewußtsein der Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens. Es geht daher nicht an, jeden Organisationsfehler als typischerweise grob fahrlässig zu qualifizieren, denn dies hieße, an die einfachen Sorgfaltsstandards irreale Maßstäbe anlegen. Vielmehr darf dem Spediteur nicht verwehrt sein, sich bei einfachen Organisationsfehlern von unvorhersehbaren Schäden freizuzeichnen. Nur wenn der Organisationsmangel jedem Leiter eines solchen Unternehmens offenbar ist, wird dadurch in besonderem Maß der Geschäftsverkehr gestört und der Vertragspartner entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (Thume aaO mwN). Solche gravierenden, jedem Leiter eines solchen Unternehmens offenbare Mängel weist das Organisationssystem der Beklagten, eines der größten und renommiertesten Speditionsunternehmens Österreichs, keineswegs auf. Es ist einleuchtend, daß gerade Schnittstellen im Transport gefahrenträchtig sind. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß im modernen Massenverkehr und bei Massenabfertigung - nach dem Vertrag war ja Sammelladung und nicht etwa wertvolle Stückgutversendung vereinbart - der Verlust einzelner Stücke nie gänzlich ausgeschlossen werden kann. Den einzigen Fehler, den die Vorinstanzen der Klägerin folgend der Beklagten bei der Sortierung und Umladung der Ware auf Sammelpaletten auf die Eisenbahn vorwerfen, ist, daß die Beklagte nach der nach dem Verfahrensablauf einfachsten und keine besonderen Kenntnisse erfordernden händischen Sortierung und Kennzeichnung der einzelnen Güter und deren sofortige Verladung auf Sammelpaletten nicht noch eine zusätzliche Kontrolle eingebaut hat. Diese vom Berufungsgericht geforderte zusätzliche Kontrolle anhand der elektronisch erstellten Ladelisten, ob sich die einzelnen Stücke tatsächlich auf den richtigen Sammelpaletten und damit später im richtigen Waggon befinden, hätte zur Folge, daß die Paletten neuerlich entladen, die einzelnen Stücke neuerlich kontrolliert und wieder aufgeladen werden müßten, ein bei der raschen Massenabfertigung wohl nicht zumutbarer und kostenaufwendiger Vorgang, der wohl nicht der Disposition in der für diese Waren allgemein üblichen Weise entspräche (vgl 1 Ob 2374/96s). Bedenkt man noch, daß bei der langjährigen Geschäftsverbindung mit der Versendung von rund 100 Colli pro Tag nur ein einziger Collo (endgültig) verlorenging, kann von einer habituellen, besonders schadensanfälligen Schwachstelle, deren Nichtbehebung für jeden leicht erkennbar ein dem Vorsatz nahekommendes, grobes Verschulden begründete, nicht gesprochen werden. Der Klägerin ist nicht einmal der Nachweis gelungen, daß diese "Schnittstelle" im Transportgeschehen die Kausalität des Verlustes auch nur wahrscheinlich erscheinen läßt. Die Tatsache, daß nach gezielter Suche, die nach dem Organisationssystem der Beklagten (Ladelisten und Anschreiben der Zielbahnhöfe und Empfänger nach ihren Unterlagen) ohne Schwierigkeiten möglich war, zwei der drei zunächst fehlenden Colli auf dem Betriebsgelände des Empfangsspediteurs in Maria Saal, also erst nach dem Entladen der Eisenbahnwaggons, aufgefunden wurden, läßt vielmehr das Abhandenkommen des dritten Frachtstückes erst auf einem späteren Teilstück des Transportweges während der Ingerenz eines anderen selbständigen Frachtführers als wahrscheinlicher erscheinen. Der Klägerin, die nur ein typisch versichertes Risiko abgedeckt hat, ist daher der Nachweis groben Verschuldens nicht gelungen.

Die Beklagte hat allerdings den sie treffenden Entlastungsbeweis auch für das Fehlen leichter Fahrlässigkeit nicht erbracht, sodaß sie die Haftung im Rahmen der Haftungsbeschränkungen der in Frage kommenden Haftungsordnung trifft. Wie eingangs dargelegt, kommt im Anwendungsbereich des § 413 HGB ausschließlich Frachtrecht zur Anwendung. Bei Verweisung auf zwingendes Recht führt dies zur Unwirksamkeit einer allfälligen Vereinbarung über die Geltung der AÖSp. Solches zwingendes Recht stellen sowohl die CMR-Bestimmungen, die seit dem Binnengüterbeförderungsgesetz BGBl 1990/459 auch für Gütertransporte im Inland gelten, als auch jene des EBG dar. Da nicht geklärt werden konnte, auf welchem Teil der Transportstrecke der Verlust eingetreten ist, muß sich, wie ausgeführt, die Beklagte das für den Anspruchsteller günstigere Haftungsrecht entgegenhalten lassen. Da es jedoch zur Ermittlung der Höhe der Forderung wegen der von den Vorinstanzen angenommenen unbeschränkten Haftung der Beklagten noch an Feststellungen fehlt (insbesondere steht das Gewicht des einzigen verloren gegangenen Collo sowie dessen Marktwert nicht fest), war wie im Spruch zu entscheiden.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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