European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00243.17D.0228.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Die Klägerin strebt, gestützt auf § 1330 ABGB, Unterlassung und Widerruf der Behauptung an, sie habe im Rahmen einer außerordentlichen Generalversammlung des *****verbands die Abstimmung zweier Bewerber (gemeint: über zwei Bewerber als Vorstand des Verbands) durch eine fast kriminelle Handlung verhindert, indem sie den Verband gekauft habe. Ihr sei damit eine gerichtlich strafbare Handlung unterstellt worden, werde doch der Vorwurf erhoben, sie habe durch ein Einstandsgeschenk von 180.000 EUR den Verband gekauft.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Vorinstanzen wiesen das Begehren ab; die Äußerung sei in keinem Zusammenhang mit der Klägerin gestanden (Ersturteil Seite 12), sondern habe sich auf die bisherige Verbandsführung bezogen (Berufungsurteil Seite 15).
2. Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass der Beklagte zum Ausdruck bringen wollte, die bisherige Verbandsführung sei bei Verhinderung der Abstimmung unter dem Einfluss der Klägerin gestanden, wäre zu berücksichtigen, dass zwar Werturteile, die konkludente Tatsachenbehauptungen sind, nicht schrankenlos geäußert werden dürfen, jedoch angesichts der heutigen Reizüberflutung selbst überspitzte Formulierungen unter Umständen hinzunehmen sind, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (RIS-Justiz RS0031883 [T33]). Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (RIS-Justiz RS0054817). Der Grundsatz, wonach bei Kritik an Politikern ein großzügigerer Maßstab anzulegen ist (vgl RIS-Justiz RS0054817 [T5]), ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs– wenngleich abgeschwächt – auch bei Kritik an Vereinsorganen anzuwenden (1 Ob 117/99h = RIS‑Justiz RS0082182 [T5]).
Auch Kritik, die durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung weithin privilegiert ist, findet zwar ihre Grenze in einem (durch entsprechendes Tatsachensubstrat nicht gedeckten) Vorwurf einer vorsätzlichen strafbaren Handlung (RIS-Justiz RS0082182 [T16]). Bei Rechtsfolgenbehauptungen (hier: fast kriminelle Handlung) wird jedoch danach differenziert, ob diese einfach aus dem Gesetz abzulesen sind oder auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruhen: Je eingehender die Grundlagen dieses Erkenntnisprozesses dargestellt werden und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten wird, umso eher liegt ein reines Werturteil vor (RIS-Justiz RS0112211). So handelt es sich beispielsweise bei Äußerungen, ein bestimmtes Verhalten sei wettbewerbswidrig (vgl RIS-Justiz RS0112211 [T5]), jemanden treffe ein Mitverschulden (RIS-Justiz RS0112211 [T6]) oder eine Klausel in einem Vertragswerk sei „standeswidrig“ (RIS‑Justiz RS0112211 [T8]) um Werturteile.
Dass die Klägerin dem Verband ein Einstandsgeschenk in Höhe von dreimal 60.000 EUR gemacht hatte, hat sie im gesamten Verfahren nicht bestritten. Dass es sich bei der (allfälligen) Schlussfolgerung des Beklagten, die Klägerin habe dadurch den Verband gekauft, um ein (nicht exzessives) Werturteil handelte, stellt damit aber keine zu berichtigende Auffassung des Berufungsgerichts dar; der Vorwurf einer „fast“ kriminellen Handlung wiederum ist– entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung – mit dem Vorwurf, ein „enthirnter Psychopath“ zu sein (6 Ob 244/16z), nicht vergleichbar und damit kein beleidigendes Werturteil ohne jegliches Tatsachensubstrat.
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