Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Kläger erwarben am 20. 2. 2006 3 AVW-Genussscheine. Die Beklagte war Abschluss- und Konzernprüferin für die Jahresabschlüsse 2000 bis 2008 der AVW-Invest AG, deren IAS-Konzernabschlüsse betreffend die Jahre 2004 bis 2008 und der Jahres- und Konzernabschlüsse 2001 bis 2008 der AVW-Gruppe AG (vormals AVW Management Beteiligungs AG).
Bei den AVW-Genussscheinen handelt es sich um ein sogenanntes Schneeballsystem (Pyramidenspiel). Bis zum Oktober 2008 kauften die AVW Gesellschaften die Genussscheine zum jeweiligen Kurswert zurück. Ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Im Mai 2010 wurden über die AVW AG und AVW-Gruppe AG Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Kläger begehren Schadenersatz von der Beklagten als Abschlussprüferin und Prospektkontrollorin, die zahlreiche näher ausgeführte Unrichtigkeiten trotz positiver Kenntnis im eigenwirtschaftlichen Interesse seit Beginn ihrer Tätigkeit nicht aufgedeckt, sondern uneingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt habe.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren wegen Verjährung ab.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Leitentscheidung 3 Ob 230/12p sowie zahlreichen Folgeentscheidungen (2 Ob 241/12y; 10 Ob 58/12w; 4 Ob 234/12h; 7 Ob 33/13y; 7 Ob 225/12g ua) über einen völlig gleichgelagerten Sachverhalt entschieden, wobei dort ebenfalls die beiden hier tätigen Rechtsanwälte als Parteienvertreter einschritten, die im Wesentlichen identes Vorbringen erstattet hatten. In diesen Entscheidungen hob der Oberste Gerichtshof jeweils die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung und Verfahrensergänzung zurück. Er befasste sich mit der auch hier relevierten Frage der Verjährung der Klagsansprüche und gelangte nach Auseinandersetzung mit dem einschlägigen Schrifttum und der bisherigen Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass „für im Rahmen der Tätigkeit als Abschlussprüfer begründete Schadenersatzansprüche die verjährungsrechtliche Spezialnorm des § 275 Abs 5 UGB anzuwenden ist, die nicht nur gegenüber der geprüften Gesellschaft, sondern auch gegenüber Dritten gilt und je nach dem, ob den Schadenersatzansprüchen fahrlässiges oder vorsätzliches Fehlverhalten zugrunde liegt, als objektive oder subjektive 5-jährige Frist ausgestaltet ist“.
Die wesentlichen Aussagen des Obersten Gerichtshofs lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen:
1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Vertrag zwischen Abschlussprüfer und der geprüften Gesellschaft ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, nämlich aller potenziellen Gläubiger der Gesellschaft, die durch die Veröffentlichung des Bestätigungsvermerks angesprochen werden sollen (RIS-Justiz RS0116706, RS0116077). Daran ist trotz im Einzelnen dargelegter Kritik in der Lehre festzuhalten.
2. Nach herrschender Ansicht ist die eine 5-jährige Verjährungsfrist normierende Bestimmung des § 275 Abs 5 UGB lex specialis zur allgemeinen Verjährungsvorschrift des § 1489 ABGB, die als objektive, von der Kenntnis des Schadens und des Schädigers unabhängige Frist nicht nur die kurze, sondern auch die lange Frist des § 1489 Satz 2 erste Variante ABGB verdrängt (1 Ob 35/12x mwN). Sie gilt auch für die Dritthaftung des Abschlussprüfers (so mit ausführlicher Begründung 1 Ob 35/12x; RIS-Justiz RS0128186).
2.1 Den zur Verjährung der Haftung des Abschlussprüfers bisher ergangenen Entscheidungen lag allerdings jeweils (nur) der Vorwurf (grob) fahrlässigen Fehlverhaltens des Abschlussprüfers zugrunde. Für diese Fälle hat es bei der bisherigen Auslegung des § 275 Abs 5 UGB zu bleiben. Dessen Beurteilung als lex specialis entspricht dem Zweck der Regelung (primär dass das hohe Haftungsrisiko versicherbar sein soll) und berücksichtigt das Bedürfnis nach Sicherheit und Rechtsfrieden sachgerecht. Der Dritte soll verjährungsrechtlich nicht anders behandelt werden als die geprüfte Gesellschaft selbst.
2.2 Bei vorsätzlicher Schadenszufügung hat hingegen anderes zu gelten:
Der Zweck der Regelung des § 275 UGB, nur den fahrlässig schädigenden Abschlussprüfer bei der Haftung dafür aus sachlichen Gründen zu privilegieren, verlangt eine Auslegung, die sich für den Beginn der einheitlich in § 275 Abs 5 UGB festgesetzten Verjährungsfrist von 5 Jahren im Falle einer vorsätzlichen Pflichtverletzung durch einen Abschlussprüfer an der allgemeinen Regel für Schadenersatzansprüche nach § 1489 ABGB orientiert. Diese macht den Lauf der Verjährung (auch) bei „einfachem“ Vorsatz (der also den Anforderungen des § 1489 Satz 2 zweite Variante ABGB nicht entspricht) von der Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger abhängig. Bei vorsätzlicher Pflichtverletzung des Abschlussprüfers ist der Beginn der 5-jährigen Verjährungsfrist daher nicht mit Entstehung des Schadens, sondern erst mit Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger anzusehen.
Auf diese Weise wird eine unsachliche Privilegierung eines vorsätzlich handelnden Abschlussprüfers vermieden und zum Verjährungsbeginn eine Harmonisierung mit allgemeinen Grundsätzen erreicht. Die - gegenüber der allgemeinen kurzen subjektiven Verjährungsfrist verlängerte - 5-jährige Frist ist Konsequenz der ausdrücklichen und unmissverständlichen gesetzlichen Regelung des § 275 Abs 5 UGB.
Da ein Dritter verjährungsrechtlich nicht anders zu behandeln ist als die geprüfte Gesellschaft, hat dies auch im Fall der Dritthaftung eines vorsätzlich handelnden Abschlussprüfers zu gelten (RIS-Justiz RS0128616).
Der erkennende Senat schließt sich - wie schon in der Vorentscheidung 6 Ob 242/12z - dieser Rechtsansicht an. Im vorliegenden Fall haben die Kläger bereits in erster Instanz ein Tatsachenvorbringen erstattet, dem sich der Vorwurf vorsätzlichen Fehlverhaltens der Beklagten entnehmen lässt.
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:
Nach der Aktenlage kann eine Kenntnis der Kläger von der Wertlosigkeit der Genussscheine schon im Zeitpunkt ihres Erwerbs und damit vom primär geltend gemachten Schaden frühestens mit der Erteilung von nur eingeschränkten Bestätigungsvermerken bei den Jahresabschlüssen für 2008, die naturgemäß erst 2009 erteilt und beim Firmenbuch eingereicht wurden, angenommen werden. Die 5-jährige Frist des § 275 UGB war deshalb bei Einbringung der Klage am 12. 10. 2011 noch nicht abgelaufen. Ob die lange Frist des § 1489 Satz 2 erste Variante ABGB zum Tragen kommt, wenn dem Geschädigten der Schaden oder der Schädiger nicht bekannt geworden ist, ist auch hier nicht zu prüfen. Ebenso erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Problematik, ob die 5-jährige Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB auch zur Anwendung kommen soll, wenn die Voraussetzungen für die 30-jährige Frist nach der zweiten Variante des § 1489 Satz 2 ABGB vorliegen sollten.
Da sich jedoch die Annahme der Vorinstanzen, dass die Verjährung des auf vorsätzliche Pflichtverletzung gestützten Schadenersatzanspruchs des Klägers nach § 275 UGB gegen die Beklagte als Abschlussprüfer bereits eingetreten sei, nach der zitierten Judikatur als unzutreffend erweist, bedarf es der Prüfung der Berechtigung der erhobenen Vorwürfe. Eine Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung sind daher unumgänglich.
Im fortgesetzten Verfahren wird auch Folgendes zu beachten sein:
Dass der Kläger in seinem Hauptbegehren eine Geldleistung fordert, ist nicht zu beanstanden, weil zwischen den Parteien nicht strittig ist, dass die Genussscheine wertlos sind. Es ist in einem solchen Fall von der endgültigen Wertlosigkeit der Anlage auszugehen, sodass ein Verkauf des Produkts zur Ermittlung des Differenzschadens weder möglich noch erforderlich ist (3 Ob 230/12p).
Auf die anderen geltend gemachten Anspruchsgrundlagen (wie etwa die Prospekthaftung) kommt es aus den zu 3 Ob 230/12p dargelegten Gründen nicht mehr an, weshalb im fortgesetzten Verfahren dazu keine Ergänzungen erforderlich sind.
Der Primärschaden ist im vorliegenden Fall bereits mit Kauf der Genussscheine am 20. 2. 2006 eingetreten. Der zweite Rechtsgang hat sich daher auf die Prüfung der von den Klägern behaupteten vorsätzlichen Pflichtverletzungen vor diesem Zeitpunkt zu beschränken. Die später erteilten Bestätigungsvermerke können für ihren Kaufentschluss nicht ursächlich gewesen sein.
Schließlich wird die Höhe des Anspruchs zu prüfen sein.
Das Erstgericht wird die dargestellte Rechtslage mit den Parteien zu erörtern und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben haben. Im Anschluss werden die entsprechenden Beweise aufzunehmen und Feststellungen im aufgezeigten Rahmen zu treffen sein.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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