OGH 6Ob2393/96x

OGH6Ob2393/96x27.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U*****, vertreten durch Dr.Thomas Prader, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr.Jörg H*****, vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung des Widerrufs, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 22.Oktober 1996, GZ 4 R 226/96a-30, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 2.Juli 1996, GZ 17 Cg 174/94h-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Unterlassungsbegehren bestätigt werden, werden hinsichtlich des Widerrufsbegehrens und des Begehrens auf Veröffentlichung des Widerrufs dahin abgeändert, daß das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, ihre anläßlich einer Diskussion am Runden Tisch des ORF 2 am 15.9.1994 aufgestellte Behauptung, die klagende Partei habe dazu aufgefordert, Dr.Jörg H*****, dem Bundesparteiobmann der ***** Partei Österreichs und deren Funktionären Briefbomben zu schicken und daß die klagende Partei wegen dieser Behauptung verurteilt worden wäre, gegenüber den Seherinnen und Sehern des ORF zu widerrufen sowie das weitere Begehren, diesen Widerruf im ORF im Anschluß an eine abendliche Nachrichtensendung zu veröffentlichen, abgewiesen wird.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei den mit 9.305,15 S (darin 2.184 S Barauslagen und 1.186,86 S Umsatzsteuer) bestimmten Anteil an den Verfahrenskosten erster Instanz zu ersetzen.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei den mit 4.095,24 S (darin 682,54 S Umsatzsteuer) bestimmten Anteil der Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei den mit 2.968 S bestimmten Anteil an der Pauschalgebühr des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei den mit 4.914,90 S (darin 819,15 S Umsatzsteuer) bestimmten Anteil der Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei den mit 3.710 S bestimmten Anteil der Pauschalgebühr des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist Obmann einer im österreichischen Nationalrat vertretenen politischen Partei. Der klagende Verein ist Medieninhaber der periodischen Druckschrift "T*****". In dieser Druckschrift wurde in den Jahren 1992 und 1993 über politisch motivierte gewalttätige Aktionen berichtet und zu solchen auch aufgefordert.

Am 15.9.1994 kam es im österreichischen Fernsehen zu einer Diskussion zwischen der Obfrau einer im österreichischen Nationalrat vertretenen Partei und dem Beklagten. Dieser gab dabei folgende Erklärung ab.

"Dann frage ich Sie, warum Sie einerseits ständig gegen die österreichische Bevölkerung in der Ausländerpolitik vorgehen, und warum Sie zweitens in Ihrem Umfeld Bewegungen unterstützen, die sich eindeutig zur Gewalt bekennen - etwa die Organisation "T*****", die von Ihnen im Publizistik-Beirat unterstützt wird als nahes Blatt der *****-Alternativen, die eindeutig in den letzten Monaten zu Gewalttaten gegen F***** aufgefordert haben, die aufgefordert haben, uns Briefbomben zu schicken, Versammlungslokale und Vereinslokale zu vernichten - ich habe das also da mit, das kann ich Ihnen geben - die sind auch verurteilt worden in der Zwischenzeit - Ihre eigenen Leute sagen, das ist die von Ihnen unterstützte, Ihnen nahestehende Organisation".

Mit seiner am 20.9.1994 bei Gericht eingelangten Klage begehrte der klagende Verein die Unterlassung der Behauptungen des Inhalts, der Kläger habe dazu aufgefordert, Briefbomben an Dr.Jörg H*****, Bundesparteiobmann der ***** Partei Österreichs und deren Funktionären zu schicken und Versammlungs- und Vereinslokale der ***** Partei Österreichs zu vernichten sowie der Behauptung, der Kläger sei wegen der angeführten Behauptungen verurteilt worden. Der Kläger begehrte ferner den Widerruf der zu unterlassenden Behauptungen und die Veröffentlichung des Widerrufs gegenüber den Sehern des ORF. Mit Schriftsatz vom 6.März 1995 schränkte der Kläger das Klagebegehren (sowohl hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs als auch hinsichtlich des öffentlichen Widerrufsanspruchs um die Behauptung ein, der Beklagte habe behauptet, der Kläger habe dazu aufgefordert, Versammlungs- und Vereinslokale der Freiheitlichen Partei Österreichs zu vernichten (ON 15). Die Äußerung des Beklagten sei ehrenrührig im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB und unrichtig. Sie sei geeignet, den Kläger in seinem Kredit, Erwerb und beruflichen Fortkommen zu schädigen. Der Beklagte habe gewußt, daß der Kläger niemals Aufforderungen zur Versendung von Briefbomben an ihre Leser gerichtet habe. Er habe wissentlich und vorsätzlich unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger verfolge mit seiner Druckschrift "T*****" unverhohlen eine gewaltverherrlichende Blattlinie. Es werde laufend von Gewaltaktionen berichtet. Mit journalistischen Tricks seien die Berichte in Form eines Leserbriefes mit anschließender "Distanzierung" gekleidet. In der Zeitschrift fände sich eine Fülle von Aufforderungen zu strafbaren Handlungen, insbesondere zu Schmieraktionen und Sachbeschädigungen an Parteilokalen der *****. In einem vom Beklagten gegen den Kläger angestrengten Prozeß sei dieser verurteilt worden, Behauptungen des Inhalts, der Beklagte betreibe rassistische Hetze sowie sinngleiche Äußerungen zu unterlassen. Der Kläger sei auch zur Unterlassung verpflichtet worden, den Namen, die Adresse und die Telefonnummer des Beklagten mit der Aufforderung zu veröffentlichen, "Schicken wir ihnen eine kleine Aufmerksamkeit als Antwort auf ihre rassistische Hetze". Der Beklagte sei ernstgemeinten Morddrohungen ausgesetzt gewesen. Die von der Aufforderung des Klägers betroffenen *****-Funktionäre seien von den Plakataktionen des Klägers betroffen. In den angesprochenen Kreisen sei die Äußerung des Klägers jedenfalls dahin aufgefaßt worden, daß darin auch die Aufforderung enthalten sei, Bombenbriefe zu verschicken. Die Äußerung des Beklagten sei in ihrem Kern richtig. Seine Äußerung sei als zulässige Kritik gemäß Art 10 MRK aufzufassen. Für den begehrten Widerruf fehle es am erforderlichen Verschulden des Beklagten. Diesem müsse der gute Glaube an die Richtigkeit der verbreiteten Äußerung zugebilligt werden.

Das Erstgericht gab dem (eingeschränkten) Klagebegehren zur Gänze statt. Es stellte neben der schon eingangs wiedergegebenen Erklärung des Beklagten im wesentlichen noch folgendes fest:

"In der T*****-Ausgabe vom 20.1.1993 wurde über beschmierte Lokalitäten bzw Volksbegehrensplakate der ***** berichtet. Danach zitierte man aus einem Schreiben, demzufolge das *****-Parteilokal im

14. Bezirk "besucht" und mit "Rassismus stinkt"-Parolen besprüht worden sei. Angefügt wurde, daß man die Scheiben eingeschlagen und Buttersäure hinterhergeworfen habe. Im Anschluß daran wiederholte die T*****-Redaktion ihr "Rezept" für Buttersäure, bestehend aus zwei Teilen Butter und je einem Teil Salzsäure und Natronlauge, wobei detaillierte Anleitungen gegeben und zwischendurch "viel Spaß" gewünscht wurde (T***** vom 20.1.1993).

Im T***** vom 3.2.1993 wurde über das Lichtermeer am Heldenplatz berichtet. Dazu wurde angemerkt, daß es "vielleicht schöner gewesen wäre, wenn die Leute großteils vermummt - den Stein in der Hand, die Faust geballt, gegen Rassismus mit aller Gewalt - zum Westbahnhof, zur Demo der Plattform gegen Fremdenhaß gekommen wären, nachdem sie vorher noch rasch das Innenministerium plattgemacht hätten".

Im Zusammenhang mit einem versuchten Sprengstoffanschlag auf einen Strommast in Ebergassing wird im T***** vom 26.4.1995 unter dem Artikel "Keine Spekulationen" dazu aufgefordert, die Fahndung der Polizei nicht zu unterstützen und keine Aussagen gegenüber Polizei, Justiz und Journalisten zu machen.

Die Ausgabe des T***** vom 24.7.1992 enthält einen "Auszug aus einer Erklärung der Roten Armee-Fraktion zum Gegengipfel". In der selben

Ausgabe findet sich auch eine Anschlagserklärung unter dem Titel:

"Gemeinsam gegen den Weltwirtschaftsgipfel 1992!" In der Erklärung wird vom Verkleben des Türschlosses und vom Besprayen der Fassade von

American Express berichtet. Unter der Parole: "Feuer und Flamme für den Weg! Gemeinsam gegen die neue Weltordnung! Für ein herrschaftsfreies Leben ohne Angst!" zeichnet diese Erklärung die "Autonomen militanten Zellen". Auf Seite 6 dieser Ausgabe findet sich die sogenannte "Anschlagserklärung Nr 2", in der sich "die militanten Feuerspucker" zu dem Brandanschlag auf die Mercedes-Niederlassung in Wien 10 verantwortlich machen. Auf Seite 11 dieser Ausgabe findet sich eine weitere Anschlagserklärung der "Aktion Denken und Handeln, Gruppe Wien, Abteilung Antifaschismus". In der Erklärung bekennt sich die Gruppe in Form einer "Entschuldigung" für das in den frühen Morgenstunden des 26.2.1992 im Kursalon Hübner ausgebrochene Feuer, welches mittels Zeitzünder und Benzin gelegt wurde.

Im T***** vom 9.12.1992 wird ein "Brief aus Salzburg" veröffentlicht. Darin berichtet das "Kommando Helmut K*****": "Wir haben in der Nacht vom 29. auf den 30.November unsere erste Aktion gegen H***** Volksbegehren durchgeführt und der Salzburger *****-Zentrale die eine oder andere Scheibe eingeschlagen. Das war erst der Anfang, wir werden keine Ruhe geben, bis ER endlich Ruhe gibt...".

Daß die Klägerin dazu aufgefordert hat, dem Beklagten bzw Funktionären der ***** Briefbomben zu schicken bzw dafür verurteilt worden wäre, kann nicht festgestellt werden.

In dem vom Beklagten gegen die nunmehr klagende Partei angestrengten Prozeß GZ 39 Cg 32/93m des Handelsgerichtes Wien wurde diese schuldig erkannt, Behauptungen des Inhalts, Dr.H***** betreibe rassistische Hetze sowie sinngleiche Äußerungen zu unterlassen, und es weiters zu unterlassen, unter gleichzeitiger Veröffentlichung des Namens, der Adresse und der Telefonnummer des Dr.H***** dazu aufzufordern, "schicken wir Ihnen eine kleine Aufmerksamkeit als Antwort auf Ihre rassistische Hetze", oder sinngleiche Aufforderungen zu veröffentlichen."

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht die Äußerung des Beklagten als ehrenbeleidigende und rufschädigende Tatsachenbehauptung, deren Wahrheit nicht nachgewiesen worden sei. Die Äußerung sei auch in ihrem Kern jedenfalls unrichtig. Da der Beklagte bei seiner unrichtigen Tatsachenbehauptung die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen habe, sei auch dem Widerrufsbegehren stattzugeben gewesen. Der Widerruf müsse in der gleich wirksamen Form wie die Verbreitung der falschen Tatsachenbehauptung erfolgen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es beurteilte den festgestellten Sachverhalt rechtlich dahin, daß die vorliegenden Tatsachenbehauptungen nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck zu beurteilen seien. Es lägen keine bloßen Werturteile, sondern überprüfbare Tatsachenbehauptungen vor. Die Herabsetzung des Gegners durch unwahre Tatsachenbehauptungen könne weder mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung noch im Wege einer umfassenden Interessenabwägung gerechtfertigt werden. Der Widerruf sei eine Art der Naturalherstellung, mit der die Wirkungen der unwahren Äußerungen beseitigt werden sollten. Er diene der Beseitigung der schon eingetretenen Folgen der Rufschädigung. Während der Unterlassungsanspruch verschuldensunabhängig sei, setze der Widerrufsanspruch den Nachweis eines Verschuldens voraus. An einer objektiven Sorgfaltsverletzung des Beklagten könne kein Zweifel bestehen. Für die subjektive Vorwerfbarkeit genüge leichte Fahrlässigkeit. Eine Haftung komme nur dann nicht in Betracht, wenn der Mitteilende Anhaltspunkte für die Richtigkeit der von ihm verbreiteten Tatsachen gehabt habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Mit seiner außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung dahin, daß die Klage abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und teilweise auch berechtigt.

Zur relevierten Rechtsfrage, ob § 114 Abs 2 StGB auch auf nach dem Zivilrecht zu beurteilende Ehrenbeleidigungen anwendbar ist, liegt eine veröffentlichte oberstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht vor.

Die Aktivlegitimation des klagenden Vereins ist zu bejahen. Der erkennende Senat hält an der bisherigen und einhelligen Rechtsprechung fest, daß auch juristische Personen ein Recht auf Ehre nach § 1330 Abs 1 ABGB haben (MGA ABGB34 § 1330/3e, insbesondere MR 1992, 203). Die in MR 1996, 239 (mit Anm. Korn) nur obiter geäußerte Ansicht, daß sich eine Ehrenbeleidigung nur gegen eine natürliche Person richten könne, wird nicht aufrecht erhalten. In dieser Entscheidung war nicht das Vorliegen einer Ehrenbeleidigung der juristischen Person, sondern die Verletzung des wirtschaftlichen Rufs (§ 1330 Abs 2 ABGB) eines Unternehmens wegen Beschimpfung seines geschäftsführenden Organs entscheidungswesentlich.

Der Revisionswerber steht auf dem Standpunkt, daß seine Behauptung, der Kläger habe dazu aufgefordert, dem Beklagten Briefbomben zu schicken, zumindest im wesentlichen Tatsachenkern nachgewiesen worden sei und beruft sich unter Hinweis auf die "gewaltverherrlichende" Blattlinie der Druckschrift des Klägers auf den guten Glauben an die Richtigkeit der Äußerung. Der im Strafrecht normierte "Rechtfertigungsgrund eigener Art" des § 114 Abs 2 StGB sei auch auf zivilrechtlich zu beurteilende Ehrenbeleidigungen anwendbar.

Zu beurteilen sind rufschädigende Tatsachenbehauptungen, die gleichzeitig auch ehrenbeleidigend sind (§ 1330 Abs 1 ABGB). Der Verletzte hat nur die Tatsachenverbreitung, der Beklagte als Täter aber die Wahrheit seiner Äußerung sowie die fehlende Vorwerfbarkeit, also den Mangel der Rechtswidrigkeit, zu beweisen (MR 1995, 16 mwN). Es trifft zu, daß es schon genügt, wenn der Täter nur die Richtigkeit des wesentlichen Tatsachenkerns seiner Behauptung nachweist. Den Vorinstanzen ist jedoch beizupflichten, daß dem Beklagten auch dieser erleichterte Beweis nicht gelungen ist. Nach der getroffenen Negativfeststellung (S 7 in ON 25) wurde nicht nachgewiesen, daß der Kläger dazu aufgefordert hätte, dem Beklagten oder Funktionären seiner Partei Briefbomben zu schicken und daß der Kläger deswegen gerichtlich verurteilt worden wäre.

Dem in seiner Ehre Verletzten steht nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch zu, weil es sich beim Rechtsgut der Ehre um ein absolut geschütztes Recht handelt (SZ 56/124 uva; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 23 zu § 1330 mwN; Korn/Neumayer, Persönlichkeitsschutz 73). Von diesem Grundsatz abzugehen, besteht kein Anlaß. § 114 StGB ist nach seiner Überschrift eine Bestimmung über die Straflosigkeit des Täters wegen Ausübung eines Rechts oder Nötigung durch besondere Umstände. Eine Ehrenbeleidigung kann gerechtfertigt sein, wenn durch die Handlung eine Rechtspflicht erfüllt oder ein Recht ausgeübt wird (§ 114 Abs 1 StGB). § 114 Abs 2 StGB sieht für das Delikt der üblen Nachrede (§ 111 StGB) die Straflosigkeit des Täters vor, wenn er durch besondere Umstände genötigt war, seine Behauptung in der Form und auf die Weise vorzubringen, wie es geschah, es sei denn, daß die Behauptung unrichtig war und der Täter sich dessen bei Aufwendung der notwendigen Sorgfalt hätte bewußt sein können. § 114 Abs 2 StGB normiert einen Entschuldigungsgrund (MTA StGB Anm zu § 114; Hager-Walenta, Persönlichkeitsschutz3, 11). Der erkennende Senat hat schon einmal zur Anwendbarkeit des § 114 Abs 2 StGB auf den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch kurz (und nur obiter) dahin Stellung genommen, daß die zitierte Norm des Strafgesetzbuches nur dem im Strafrecht allgemein verankerten Grundsatz Rechnung trage, wonach die Strafbarkeit Verschulden voraussetze (§ 4 StGB). Dieser Grundsatz sei auf das Zivilrecht, das mehrfach Haftungen ohne jedes Verschulden normiere (Erfolgshaftungen), nicht übertragbar. An der Verschuldensunabhängigkeit des Unterlassungsanspruchs des in seiner Ehre Verletzten wurde ausdrücklich festgehalten (6 Ob 2281/96a). Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, von diesem Rechtssatz abzuweichen. Der Unterlassungsanspruch wird aus dem materiellen Recht abgeleitet. Die Ehre ist ein absolut geschütztes Persönlichkeitsrecht. Wenn dessen Verletzung feststeht (hier deswegen, weil mangels Erbringung des Wahrheitsbeweises von der Unwahrheit der ehrenbeleidigenden Tatsachenbehauptung auszugehen ist), soll der Verletzte bei zu bejahender Wiederholungsgefahr gegen künftige Verletzungen geschützt werden. Einer uferlosen Ausweitung von Unterlassungsansprüchen wirkt der Umstand entgegen, daß auch beim Unterlassungsanspruch stets die objektive Vorwerfbarkeit zu prüfen ist, also das Vorhandensein von Rechtfertigungsgründen, die die Rechtswidrigkeit der Ehrverletzung beseitigen können. Ein Bedürfnis nach der Anwendbarkeit des im Strafrecht vorgesehenen Verschuldensgrundsatzes auf den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch besteht nicht. Auch für den Widerrufsansspruch bedarf es keines Rückgriffs auf die zitierte Norm des Strafrechtes. Der Widerrufsanspruch setzt nach herrschender Auffassung Verschulden voraus (SZ 50/86; Reischauer aaO Rz 22). Er ist seinem Wesen nach ein schadenersatzrechtlicher Anspruch, gerichtet auf die Schadensgutmachung durch Naturalherstellung (SZ 18/45; EvBl 1957/188; 6 Ob 8/96). Der Täter hat die durch seine Äußerung entstandene abträgliche Meinung über den Verletzten durch Widerruf der unwahren Behauptung zu beseitigen. Wegen der im Schadenersatzrecht begründeten Verschuldensabhängigkeit ist die angestrebte Anwendbarkeit des § 114 Abs 2 StGB überflüssig.

Für den Widerrufsanspruch genügt leichte Fahrlässigkeit. Schuldhaft handelt, wer ein Verhalten setzt, das er hätte vermeiden sollen und auch vermeiden hätte können. Fahrlässigkeit ist die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt. Diese richtet sich nach den subjektiven Fähigkeiten. Durchschnittliche Fähigkeiten werden vermutet (§ 1297 ABGB). Es ist auf einen maßgerechten Durchschnittsmenschen in der konkreten Lage des Täters abzustellen (Reischauer aaO Rz 2 zu § 1297 mwN). Bei der Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Fall sind die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen um den unstrittigen Sachverhalt zu ergänzen, daß die Aufforderung im T***** vom 9.12.1992, den namentlich und mit Adressen angeführten Funktionären der Partei, der der Beklagte als Obmann angehört, "kleine Aufmerksamkeiten" zu schicken, mit der weiteren Aufforderung verbunden war, Briefe und Pakete zu schicken (Beil C). Bei der Prüfung, ob im Vorwurf des Beklagten, der Kläger habe aufgefordert, Briefbomben zu schicken, eine relevante Fahrlässigkeit zu erblicken ist, darf - entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung - die Blattlinie der Druckschrift nicht außer Acht gelassen werden. Wenn der Kläger einerseits mehrfach keineswegs gewaltfreie politische Aktionen guthieß (Sachbeschädigungen an Vereinslokalen; "Innenministerium plattmachen"; Brandanschlag gegen eine Mercedes-Niederlassung) und sodann aufforderte, dem politischen Gegner Pakete zu schicken, so liegt darin zwar noch keine direkte Aufforderung, Bombenpakete zu verschicken (was nach § 282 StGB strafbar gewesen wäre und eine sofortige Strafverfolgung ausgelöst hätte), die Textierung legte aber die Möglichkeit nahe, daß zu Gewalt bereite Leser des "T*****" die Aufforderung genau im Sinne der Auslegung des Beklagten mißverstehen, dem Artikel also die versteckte Aufforderung entnehmen könnten, "brisante" Briefe und Pakete zu verschicken, letztlich also auch Briefbomben. Wenn auch keine derartige direkte Aufforderung verbreitet wurde, so konnte der Beklagte doch die festgestellte Aufforderung im Zusammenhalt mit den übrigen Publikationen des Klägers als indirekte Aufforderung im angeführten Sinn verstehen. Dabei ist zu beachten, daß seit der Veröffentlichung der Aufforderung im Jahr 1992 die öffentliche Meinung infolge der nachfolgenden Ereignisse aufgrund der im Dezember 1993 einsetzenden "Briefbombenserie" äußerst sensibilisiert worden war, sodaß der Bedeutungsinhalt der Aufforderung des Klägers, Briefe und Pakete als "kleine Aufmerksamkeiten" dem politischen Gegner zu schicken, von einem geänderten Empfängerhorizont her zu beurteilen ist. Dies muß auch beim Beklagten und der Beurteilung seines allenfalls vorliegenden Verschuldens an einer Mißinterpretation berücksichtigt werden. Aufgrund der dargelegten Erwägungen ist hier ein relevantes Verschulden des Beklagten zu verneinen. Die Revision ist daher teilweise berechtigt.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO. Kostenbemessungsgrundlage ist bei nicht auf einen Geldbetrag lautenden Klagebegehren nach § 1330 ABGB bei Behauptungen in einem Medium der Betrag von 240.000 S (§ 10 RATG). Der Kläger hat seinen Unterlassungsanspruch mit 500.000 S und den Widerrufsanspruch und den Veröffentlichungsanspruch mit je 100.000 S bewertet. Es ist also für die Beurteilung des Obsiegens von einer Bewertung des Unterlassungsanspruchs mit fünf Siebentel des Gesamtwertes und für den Widerruf und dessen Veröffentlichung von je einem Siebentel des Gesamtwertes auszugehen. Der Kläger hat bei seiner Einschränkung des Klagebegehrens um eine der beiden Behauptungen seine Bewertung von 700.000 S beibehalten. Auf der angeführten Bemessungsgrundlage von 240.000 S ergibt sich damit für das Obsiegen vor der Einschränkung ein Obsiegen des Klägers mit 2,5 Siebentel, sodaß er keinen Anspruch auf Ersatz der Vertretungskosten, jedoch einen Anspruch auf Ersatz von 35 % der Pauschalgebühr des Verfahrens erster Instanz hat (§ 43 Abs 1 letzter Satz ZPO). Diese beträgt 6.240 S, 35 % davon sind 2.184 S. Weiters hat der Kläger Anspruch auf Ersatz der vollen Kosten für seinen Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils, das infolge verspäteter Klagebeantwortung erlassen worden war (§ 397a Abs 4 ZPO). Hingegen hat der Beklagte die Kosten seines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil unabhängig vom Verfahrensausgang selbst zu tragen.

Die Kosten für die Tagsatzung vom 16.4.1996 betrifft infolge bereits wirksamer Klageeinschränkung den zweiten Verfahrensabschnitt. In diesem (zu dem auch das Berufungsverfahren und das Revisionsverfahren gehören) ist der Kläger mit fünf Siebentel des gesamten Anspruchs durchgedrungen. Er hat also einen Anspruch auf Kostenersatz seiner Vertretungskosten im Ausmaß von drei Siebentel, also 43 %. Nach dem Ausmaß des Obsiegens ergibt sich andererseits ein Kostenersatzanspruch des Beklagten hinsichtlich der Pauschalgebühren im Berufungsverfahren und im Revisionsverfahren im Ausmaß von 28 %.

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