OGH 6Ob113/19i

OGH6Ob113/19i19.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Becker Günther Polster Regner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei I*****verband *****, vertreten durch Dr. Maria Brandstätter, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei R***** N.V., *****, vertreten durch Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen (Streitwert 35.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. März 2019, GZ 1 R 184/18p‑34, mit dem über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Oktober 2018, GZ 41 Cg 44/17d‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00113.19I.1219.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist aufgrund einer Verschmelzung Gesamtrechtsnachfolgerin der ursprünglich beklagten R***** AG (künftig: die Gesellschaft) mit Sitz in Wien. In den Jahren 2013, 2014, 2016 und 2017 fanden Wahlen in den Aufsichtsrat der Gesellschaft statt. Auf keinem der vom Nominierungsausschuss des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu diesen Wahlen erstatteten Wahlvorschlägen befand sich eine Frau. Es wurden stets ausschließlich Männer in den Aufsichtsrat gewählt. Der Geschäftsführer der Klägerin beanstandete dies jeweils vor Durchführung der Wahl in den Hauptversammlungen am 3. 5. 2013 und am 4. 5. 2016, die Klägerin focht die gefassten Beschlüsse jedoch nicht an. In der Hauptversammlung der Gesellschaft am 5. 5. 2017 wurden – in dieser Reihenfolge – Dr. H*****, DI Dr. H*****, H***** und Dr. A*****, die dem Aufsichtsrat der Gesellschaft jeweils bereits angehört hatten, erneut in den Aufsichtsrat gewählt. Der Geschäftsführer der Klägerin erklärte gegen die Wahlbeschlüsse Widerspruch zu Protokoll.

Die R***** AG wurde als übertragende Gesellschaft gemäß der Verschmelzungsurkunde vom 25. 10. 2017 mit der im Handelsregister der niederländischen Handelskammer eingetragenen nunmehrigen (im Kopf der Entscheidung angeführten) Beklagten als übernehmender Gesellschaft gemäß EU‑VerschG verschmolzen. Die Verschmelzung und die Löschung der R***** AG wurden am 17. 11. 2017 im Firmenbuch eingetragen.

Mit am 2. 6. 2017 eingebrachter, gegen die Gesellschaft erhobener Klage ficht die Klägerin als Aktionärin der Gesellschaft die in deren Hauptversammlung am 5. 5. 2017 gefassten Beschlüsse, mit denen Dr. H*****, DI Dr. H*****, H***** und Dr. A***** in den Aufsichtsrat gewählt wurden, gemäß § 195 AktG an.

Sie begehrt, die Beschlüsse über die Wahl aller vier genannter Aufsichtsratsmitglieder, hilfsweise, nur den der Reihenfolge der Beschlussfassung nach zuletzt gefassten Beschluss, mit dem Dr. A***** in den Aufsichtsrat gewählt wurde, für nichtig zu erklären. Hilfsweise dazu begehrt sie die Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse über die Wahl von Dr. H*****, DI Dr. H*****, H***** und Dr. A***** in den Aufsichtsrat, sowie als weiteres Eventualbegehren die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl von Dr. A***** in den Aufsichtsrat der Gesellschaft.

Sie bringt vor, durch die (erneute) Wahl von vier Männern werde § 87 Abs 2a AktG, nach dem bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern Aspekte der Diversität des Aufsichtsrats im Hinblick auf die Vertretung beider Geschlechter angemessen zu berücksichtigen seien, eklatant verletzt.

Die Beklagte wandte die unwirksame Zustellung der Klage ein. Die Aktiengesellschaft werde im Fall einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage eines Aktionärs durch den Vorstand und den Aufsichtsrat vertreten, weshalb die Zustellung der Klage an zumindest ein Vorstandsmitglied und an sämtliche Aufsichtsratsmitglieder an deren Privatadresse erfolgen müsse, was nicht geschehen sei. Darüber hinaus habe die Klägerin die Frist des § 197 Abs 2 AktG nicht eingehalten, weil sie nicht rechtzeitig eine Klage erhoben habe, die die zustellfähigen Anschriften sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder enthalten habe. Schließlich sei die Klage auch deshalb nicht berechtigt, weil die bekämpften Beschlüsse aus im Einzelnen ausgeführten Erwägungen weder mit einem Anfechtungs- noch mit einem Nichtigkeitsgrund behaftet seien.

Der Klage komme wegen der Verschmelzung der ursprünglich beklagten Gesellschaft auf die aufnehmende Gesellschaft auch nur noch theoretische Bedeutung zu. Die ursprünglich beklagte Gesellschaft sei durch die Verschmelzung mit der aufnehmenden Gesellschaft untergegangen. Dadurch sei auch ihr Aufsichtsrat erloschen. Der Aufsichtsrat der übernehmenden Gesellschaft sei personell anders zusammengesetzt. Die angefochtenen Beschlüsse entfalteten keine Rechtswirkungen in der übernehmenden Gesellschaft und seien für niemanden mehr rechtlich bedeutsam. Darüber hinaus seien die zwischen der Hauptversammlung am 5. 5. 2017 und dem Erlöschen der übertragenden Gesellschaft gefassten Aufsichtsratsbeschlüsse einstimmig gefasst worden, sodass auch eine Klagestattgebung nach der Geschäftsordnung und der Satzung der Gesellschaft keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Aufsichtsratsbeschlüsse entfalte. Es mangle der Klägerin daher am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

Die Klägerin hält dem entgegen, der Gesetzgeber lasse bei einer von einem Aktionär erhobenen Anfechtungsklage bereits ein abstraktes rechtliches Interesse genügen; am Rechtsschutzbedürfnis mangle es nur, wenn die Nachprüfung des Hauptversammlungsbeschlusses für niemanden mehr rechtlich bedeutsam sein könne. Dies sei deshalb nicht der Fall, weil weder zum Zeitpunkt der Hauptversammlung noch zum Zeitpunkt der Klagseinbringung gewiss gewesen sei, ob die Verschmelzung von der Hauptversammlung beschlossen und durchgeführt würde. Die Klägerin sei aufgrund der Verschmelzung Aktionärin der aufnehmenden Gesellschaft, sodass ihr weiterhin Aktionärsstellung zukomme. Die konkrete Relevanz der angefochtenen Wahlbeschlüsse liege darin, dass Beschlüsse und sonstige Rechtshandlungen des Aufsichtsrats einschließlich jener, die im Zuge der Verschmelzung vorgenommen worden seien, unter Mitwirkung der am 5. 5. 2017 in den Aufsichtsrat gewählten Personen vorgenommen worden seien. Diese Beschlüsse und Rechtshandlungen könnten – abhängig vom jeweils maßgebenden Fehlerkalkül – weiterhin unwirksam, anfechtbar oder nichtig sein. Es komme auch nicht allein auf die Mehrheitsverhältnisse bei der Beschlussfassung im Aufsichtsrat an, sondern auch auf die Mitwirkung des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds, die von Einfluss auf die Willensbildung sein könne. Das Rechtsschutzinteresse ergebe sich darüber hinaus daraus, dass die Beklagte für die Bestellungsdauer der Aufsichtsratsmitglieder mit deren Vergütungsansprüchen konfrontiert sei.

Die Nebenintervenientin bringt zusammengefasst vor, die angefochtenen Wahlbeschlüsse verletzten § 87 Abs 2a AktG.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es bejahte die wirksame Zustellung der Klage mit der Begründung, dass ein allfälliger Zustellmangel durch die Streiteinlassung der ordnungsgemäß durch den Vorstand und den Aufsichtsrat vertretenen ursprünglich beklagten Gesellschaft geheilt sei. In der Sache kam es zum Ergebnis, dass ein Verstoß gegen das Gebot der Geschlechterdiversität des § 87 Abs 2a AktG sanktionslos bleibe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es ließ die Revision mit der Begründung zu, dass keine Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung wegen einer Verletzung des § 87 Abs 2a AktG vorliege.

Rechtlich führte es aus, selbst wenn es einer Verbesserung der Klage durch Angabe der Namen und Adressen sämtlicher Organmitglieder, denen die Klage zuzustellen gewesen wäre, bedurft hätte, wäre für die Wahrung der Frist des § 197 Abs 2 AktG der Zeitpunkt des Einlangens der ursprünglichen Klage bei Gericht entscheidend, sofern diese in der Folge ordnungsgemäß verbessert worden wäre. Im vorliegenden Fall habe die Durchführung eines Verbesserungsverfahrens aber unterbleiben können, weil die Beklagte eine rechtzeitige Klagebeantwortung eingebracht habe, in der sich die Beklagtenvertreterin gemäß § 30 Abs 2 ZPO auf die erteilte Vollmacht berufen habe. Da in der Klagebeantwortung das Erfordernis der Vertretung durch Vorstand und Aufsichtsrat angesprochen sei, könne davon ausgegangen werden, dass die Vollmacht durch die Gesamtheit der dazu berufenen Organe erteilt worden sei. Ein allfälliger Zustellmangel sei dadurch geheilt.

Das rechtliche Interesse der Klägerin an der Beschlussanfechtung und der Feststellung der Nichtigkeit sei durch die Verschmelzung der Gesellschaft als übertragender Gesellschaft mit der nunmehrigen Beklagten nicht weggefallen. Es stehe nämlich nicht fest, dass die Stimmen jener Aufsichtsratsmitglieder, deren Bestellung hier angefochten werde, bei keinem einzigen Aufsichtsratsbeschluss ausschlaggebend gewesen wären.

Daher sei eine Verletzung des § 87 Abs 2a AktG zu prüfen. Hingegen sei § 86 Abs 7 bis 9 AktG nur auf Wahlen und Entsendungen in den Aufsichtsrat, die nach dem 31. 12. 2017 erfolgten, anzuwenden, sohin nicht auf die hier zu beurteilende Aufsichtsratswahl.

Die Frage, ob es sich bei § 87 Abs 2a AktG um eine bloße Ordnungsvorschrift handle, die nicht zur Anfechtung nach §§ 195 ff AktG berechtigt, könne dahinstehen, weil die zu beurteilenden Wahlbeschlüsse von dem der Hauptversammlung eingeräumten Ermessensspielraum gedeckt seien. Die wegen der bevorstehenden Verschmelzung zu erwartende kurze Bestelldauer des Aufsichtsrats und die Komplexität der bevorstehenden grenzüberschreitenden Verschmelzung rechtfertige die (neuerliche) Bestellung der bereits bisher tätigen, männlichen Aufsichtsratsmitglieder.

Mit ihrer Revision strebt die Klägerin die Klagestattgebung im Sinn des Haupt-, hilfsweise im Sinn der Eventualbegehren an.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin erhebt mit dem Haupt- und dem ersten Eventualbegehren eine Beschlussanfechtungsklage gemäß §§ 195 ff AktG, mit ihrem zweiten und dritten Eventualbegehren begehrt sie die Feststellung der Nichtigkeit der beanstandeten Beschlüsse gemäß §§ 199 ff AktG.

2. Gemäß § 196 Abs 1 Z 1 AktG ist zur Anfechtung jeder Aktionär befugt, der an der Hauptversammlung teilgenommen hat und gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat.

3.1. Zur Erhebung der Anfechtungs‑ oder Nichtigkeitsklage bedarf es grundsätzlich keines individuellen Rechtsschutzbedürfnisses; die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ist – wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausführte – davon unabhängig, ob der Kläger durch den geltend gemachten Anfechtungsgrund in seiner Rechtssphäre betroffen ist. Der Gesetzgeber gesteht den Aktionären vielmehr bereits aufgrund ihrer Mitgliedschaft ein besonderes Recht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Willensbildung in der Gesellschaft zu ( Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG² Vor § 195 Rz 3, § 197 Rz 8; Eckert/Schopper in Artmann/Karollus , AktG 6 § 197 Rz 6; vgl zur insofern vergleichbaren deutschen Rechtslage Hüffer/Schäfer in MüKo AktG 4 § 246 Rz 17; Dürr in Spindler/Stilz , Aktiengesetz 4 § 246 Rz 4).

3.2. Am Anfechtungsinteresse fehlt es jedoch ausnahmsweise dann, wenn die Nachprüfung des Hauptversammlungsbeschlusses für niemanden mehr rechtlich bedeutsam sein kann ( Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG² § 197 Rz 9; einschränkend Eckert/Schopper in Artmann/Karollus , AktG 6 § 197 Rz 6 iVm § 196 Rz 12). Als Beispiel eines nachträglichen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses werden in der Literatur die Fälle genannt, dass die Anfechtung eines Wahlbeschlusses fortgeführt wird, obwohl das fehlerhaft gewählte Mitglied die Annahme des Amts abgelehnt hat, oder der angefochtene Beschluss von der Hauptversammlung widerrufen oder rechtswirksam bestätigt wurde ( Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG² § 197 Rz 9; vgl Strasser in Jabornegg/Strasser , AktG 5 § 195 Rz 3, § 197 Rz 2; Hüffer/Schäfer in MüKo AktG 4 § 246 Rz 17).

3.3. Erlischt die Gesellschaft während des Anfechtungsprozesses, weil sie auf eine andere Gesellschaft verschmolzen wird, ist aufgrund der eingetretenen Gesamtrechtsnachfolge auf Beklagtenseite die Parteienbezeichnung zu berichtigen (vgl RS0039592). Diesfalls versteht sich das Rechtsschutzinteresse des Anfechtungsklägers aber nicht mehr von selbst, denn die gerügte Gesetz- oder Satzungswidrigkeit bezieht sich auf die Verhältnisse einer Gesellschaft, die es nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in ihrer bei der Beschlussfassung vorhandenen Gestalt gibt ( Hüffer/Schäfer in MüKo AktG 4 § 246 Rz 53). Daraus wird abgeleitet, dass das Rechtsschutzinteresse des Anfechtungsklägers entfällt, sofern der angefochtene Beschluss nicht in der übernehmenden Gesellschaft fortwirkt, was im Einzelfall zu prüfen ist ( Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG² § 197 Rz 42; Schwab in Schmidt/Lutter , Aktiengesetz³ § 246 Rz 23; Hüffer/Schäfer in MüKo AktG 4 § 246 Rz 53).

3.4. Ausgehend von diesen Grundsätzen wird ein Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses etwa für eine Klage gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der übertragenden Gesellschaft angenommen, da die Organe der übertragenden Gesellschaft nicht mehr existierten und es keinen Sinn ergebe, ihre Geschäftsführung für die Vergangenheit zu billigen oder ihnen das Vertrauen für die Zukunft auszusprechen ( Schwab in Schmidt/Lutter , Aktiengesetz³ § 246 Rz 23 mwN). Um die Klageabweisung zu vermeiden, müsse der Kläger „die Hauptsache für erledigt erklären“ ( Hüffer/Schäfer in MüKo AktG 4 § 246 Rz 53), das Klagebegehren also auf Kosten einschränken.

4. Die dargestellten Grundsätze entsprechen im Kern den Erwägungen, die auch im Fall der Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß § 201 AktG für die Beurteilung des rechtlichen Interesses des Klägers an der begehrten Feststellung zum Tragen kommen.

4.1. Nach einhelliger Lehre soll die von den in § 201 AktG genannten Personen – sohin etwa von den Aktionären – erhobene, auf die in § 199 AktG genannten Gründe gestützte Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses als materiell-rechtliche Feststellungsklage nicht den Nachweis eines Feststellungsinteresses iSd § 228 ZPO erfordern ( Eckert/Schopper in Artmann/Karollus , AktG 6 § 201 Rz 3, 15; Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG² § 201 Rz 1, 6; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer , Gesellschaftsrecht² Rz 3/801). Auch die Rechtsprechung folgert aus der Qualifikation der Nichtigkeitsklage gemäß § 201 AktG als materiell-rechtliche Feststellungsklage, dass kein konkreter Nachweis eines rechtlichen Interesses iSd § 228 ZPO erforderlich ist (6 Ob 168/18a; vgl RS0038877). Dies kann dahin verstanden werden, dass das materielle Recht auf Tatsachen abstellt, aus denen sich gleichzeitig das Feststellungsinteresse gemäß § 228 ZPO ergibt ( Frauenberger-Pfeiler in Fasching/Konecny ³ § 228 ZPO Rz 33; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 228 Rz 12). Auch bei der Nichtigkeitsklage kann aber das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, so etwa, wenn die Nichtigkeit zwischenzeitig durch neuerliche Beschlussfassung der Hauptversammlung folgenlos beseitigt wurde ( Strasser in Jabornegg/Strasser , AktG 5 § 201 Rz 4; aM Eckert/Schopper in Artmann/Karollus , AktG 6 § 201 Rz 15).

4.2. Der Oberste Gerichtshof sprach jüngst zu der an § 201 AktG orientierten Anfechtung von Vereinsbeschlüssen gemäß § 7 VerG aus, dass für die Klage auf Feststellung der Beschlussnichtigkeit nicht schlechthin vom Erfordernis eines Feststellungsinteresses gemäß § 228 ZPO abzusehen sei, der gesonderte Nachweis der das Feststellungsinteresse begründenden Umstände aber in typisch ausgestalteten Fallkonstellationen entbehrlich sei, in denen sich das Feststellungsinteresse bereits aus der Stellung des jeweiligen Klägers im Verband und aus den die Beschlussnichtigkeit begründenden Umständen ergebe (6 Ob 168/18a).

4.3. Auch bei Nichtigkeitsklagen gegen Organbeschlüsse ist zu beachten, dass das Feststellungsinteresse bei einem beendeten Rechtsverhältnis in der Regel nicht mehr offenkundig, sondern nur dann anzuerkennen ist, wenn das begehrte Urteil auch noch für die gegenwärtige Rechtslage der Parteien von Bedeutung ist (6 Ob 168/18a; RS0038969).

So wurde zu 6 Ob 168/18a die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses, mit dem das Leitungsorgan des beklagten Vereins ein Organmitglied abberufen hatte, abgewiesen, weil die Funktionsperiode des Präsidiums bereits abgelaufen war und der dortige Kläger nicht dargetan hatte, dass die zwischen der Beschlussfassung und der Neuwahl des Vereinsorgans gefassten Beschlüsse weiterhin fortwirkten.

5. Im vorliegenden Fall wurde die ursprünglich beklagte Gesellschaft als übertragende Gesellschaft nach dem EU-VerschG auf die aufnehmende ausländische Gesellschaft – die nunmehrige Beklagte – verschmolzen und im Firmenbuch gelöscht.

5.1. Mit Eintragung der Verschmelzung in das Firmenbuch erlischt die übertragende Gesellschaft ( Eckert in Kalss , Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² [2010] § 3 EU-VerschG Rz 34), die übernehmende Gesellschaft tritt in sämtliche Rechte und Pflichten ein; es kommt zu einer Gesamtrechtsnachfolge (RS0049475; Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG² § 197 Rz 34; Eckert in Kalss , Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² [2010] § 3 EU‑VerschG § 3 Rz 34; vgl Rz 28 zur kollisionsrechtlichen Beurteilung der Gesamtrechtsnachfolge nach dem Personalstatut der übertragenden Gesellschaft). Mit dem Erlöschen der übertragenden Gesellschaft gehen auch deren Organe unter (vgl Schwab in Schmidt/Lutter , AktG³ § 246 Rz 24).

5.2. Das Erlöschen der übertragenden Gesellschaft indiziert, dass die Beschlüsse über die Wahl in den Aufsichtsrat dieser untergegangenen Gesellschaft im Beurteilungszeitpunkt für niemanden mehr rechtliche Bedeutung entfalten. In einem derartigen Fall bedarf es daher ausnahmsweise der konkreten Prüfung des Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses für die Beschlussanfechtung bzw des Vorliegens eines rechtlichen Interesses an der Feststellung der Nichtigkeit dieser Wahlbeschlüsse.

5.3. Zur Dartuung eines solchen Rechtsschutzbedürfnisses bzw rechtlichen Interesses reicht es nicht aus, dass die Klägerin nach ihrem unbestrittenen Vorbringen von ihrem Austrittsrecht gemäß § 10 Abs 1 EU‑VerschG nicht Gebrauch gemacht hat, sodass sie mit dem Wirksamwerden der Verschmelzung Gesellschafterin der übernehmenden Gesellschaft wurde (vgl dazu Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer , Gesellschaftsrecht² Rz 3/1175; Eckert in Kalss , Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 3 EU-VerschG § 3 Rz 40).

Die Gesellschafterstellung in der übernehmenden Gesellschaft legt nämlich noch nicht nahe, dass die angefochtenen Beschlüsse über die Wahl in den Aufsichtsrat der nicht mehr existenten übertragenden Gesellschaft weiterhin von rechtlicher Bedeutung für die Rechtsbeziehungen der Parteien wären.

6. Die Klägerin hat das Fortbestehen ihres Rechtsschutzbedürnisses nach Wirksamwerden der Verschmelzung im Verfahren erster Instanz damit begründet, dass jene Aufsichtsratsbeschlüsse, die unter Mitwirkung der am 5. 5. 2017 gewählten Aufsichtsratsmitglieder gefasst wurden, unwirksam, anfechtbar oder nichtig sein könnten.

6.1. Schon nach ihrem eigenen Vorbringen leitet sie ihr Rechtsschutzbedürfnis sohin nicht daraus ab, dass künftige Beschlussfassungen des Aufsichtsrats anfechtbar oder nichtig sein könnten (vgl 5 Ob 554/94 zum Feststellungsinteresse bei möglichen zukünftigen nichtigen Beschlüssen des Aufsichtsrats einer GmbH), sondern daraus, dass die zwischen der Aufsichtsratswahl am 5. 5. 2017 und dem Wirksamwerden der am 17. 11. 2017 in das Firmenbuch eingetragenen Verschmelzung gefassten Beschlüsse in ihrem rechtlichen Bestand ungewiss seien.

6.2. Ein konkretes Vorbringen, welche dieser in der Vergangenheit liegenden Beschlussfassungen des Aufsichtsrats der übertragenden Gesellschaft in die Zukunft fortwirkten, hat die Klägerin aber nicht erstattet. Die bloße Möglichkeit, dass dies der Fall sein könnte, reicht zur Dartuung eines konkreten Rechtsschutzbedürfnisses aber nicht aus.

6.3. Auf die Frage, welche Rechtsfolgen Beschlüsse eines fehlerhaft besetzten Aufsichtsrats nach sich ziehen (zur allfälligen Beurteilung als nichtig vgl Feltl , Beschlussmängel im Aktienrecht [2014] 264 ff mwN; zur Ablehnung der Anfechtung von Aufsichtsratsbeschlüssen vgl 1 Ob 514/85; Strasser in Jabornegg/Strasser , AktG 5 § 195 Rz 6), muss daher nicht eingegangen werden.

7. Die Klägerin leitet die rechtliche Fortwirkung der Wahlbeschlüsse in den Aufsichtsrat der übertragenden Gesellschaft auch aus dem Vergütungsanspruch der gewählten Aufsichtsratsmitglieder ab.

7.1. Gemäß § 98 AktG kann den Aufsichtsratsmitgliedern für ihre Tätigkeit eine mit ihren Aufgaben und mit der Lage der Gesellschaft in Einklang stehende Vergütung gewährt werden.

Die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder kann entweder durch die Satzung oder durch die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit festgelegt werden ( Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG² § 98 Rz 20). Von der Gesellschaft können aber auch schuldrechtliche Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern abgeschlossen werden, sodass nicht nur der Beschluss der Hauptversammlung als Zusage besteht. In derartige Verträge kann von der Gesellschaft nicht mehr einseitig eingegriffen werden ( Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG² § 98 Rz 24).

7.2. Dem Rechtsstandpunkt der Klägerin, wonach ein Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung bzw Feststellung der Nichtigkeit der Wahlbeschlüsse aus dem Bestehen eines Vergütungsanspruchs der Aufsichtsratsmitglieder abzuleiten sei, liegt die Prämisse zugrunde, dass derartige Vergütungsansprüche im Fall des Obsiegens der Klägerin im vorliegenden Verfahren jedenfalls untergehen würden.

7.3. Dies kann aus dem erstatteten Vorbringen aber nicht abgeleitet werden. Es kommt nämlich auf die konkrete Rechtsgrundlage derartiger Ansprüche an, wozu die Klägerin kein Vorbringen erstattete. Darüber hinaus erbrachten die am 5. 5. 2017 gewählten Aufsichtsratsmitglieder unstrittig Leistungen; auch die Klägerin geht ja davon aus, dass sie an Beschlussfassungen des Aufsichtsrats mitwirkten. Die Klägerin hat auch nicht vorgebracht, dass die den gewählten Mitgliedern dafür allenfalls zustehenden Kondiktionsansprüche niedriger wären als die sich aus der Satzung oder einem Hauptversammlungsbeschluss ergebenden Vergütungsansprüche.

8. Im Ergebnis folgt daraus, dass aufgrund des Erlöschens der übertragenden Gesellschaft das Rechtsschutzbedürfnis an der Anfechtung bzw Feststellung der Nichtigkeit der hier bekämpften Beschlüsse über die Wahl in den Aufsichtsrat der untergegangenen Gesellschaft nicht mehr – wie von §§ 195 ff und 201 AktG typischerweise vorausgesetzt – vorhanden ist. Ein konkretes Weiterbestehen des Rechtsschutzinteresses der Klägerin trotz Untergangs der übertragenden Gesellschaft und ihrer Organe ergibt sich aus dem Klagevorbringen nicht.

9. Aufgrund des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin an der begehrten Beschlussanfechtung mangelt es an einer materiellen Anspruchsvoraussetzung der erhobenen Rechtsgestaltungsklage. Dies zieht die Klageabweisung nach sich. Das selbe gilt für das fehlende rechtliche Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit der bekämpften Wahlbeschlüsse (vgl RS0039201).

10. Die Vorinstanzen haben das Haupt- und die Eventualbegehren daher im Ergebnis zu Recht abgewiesen, sodass auf die Einhaltung der Frist des § 197 Abs 2 AktG und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung des Gebots der Geschlechterdiversität des § 87 Abs 2a AktG nicht einzugehen war. Der Revision der Klägerin war nicht Folge zu geben.

11. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Ein Anspruch auf Streitgenossenzuschlag gemäß § 15 RATG besteht nicht, weil der Beklagten im Revisionsverfahren nur eine Partei gegenüber stand.

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