OGH 6Nc16/18g

OGH6Nc16/18g20.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler sowie Univ.‑Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen R* P*, geboren am * 2016, wohnhaft *, AZ 32 Pu 175/16g des Bezirksgerichts Dornbirn, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 2 JN, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122663

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Übertragung der Zuständigkeit für die aufgrund des Unterhaltserhöhungsantrags der Minderjährigen vom 18. 7. 2017 anhängige Unterhaltssache vom Bezirksgericht Dornbirn an das Bezirksgericht Graz-Ost wird nicht genehmigt.

 

Begründung:

Die Minderjährige lebte mit ihrer Mutter A* P* in H*, weshalb das Pflegschaftsverfahren beim Bezirksgericht Dornbirn zu AZ 32 Pu 175/16g anhängig war. Im August 2017 verzogen die Minderjährige und ihre Mutter in den Sprengel des Bezirksgerichts Graz‑Ost.

Bereits am 18. 7. 2017 hatte die Minderjährige beim Bezirksgericht Dornbirn den Antrag gestellt, ihren Vater P* S* zu einem erhöhten Unterhaltsbeitrag von monatlich 360 EUR ab 1. 1. 2017 zu verpflichten. Der Vater trat diesem Begehren unter Hinweis auf seine eingeschränkte Arbeits- und Vermittlungsfähigkeit entgegen und wurde vom Bezirksgericht Dornbirn am 22. 8. 2017 einvernommen; darüber hinaus liegen Aussagen des Vaters vor dem Bezirksgericht Innsbruck vom 26. 9. und vom 5. 12. 2017 vor. Im Akt erliegen ein orthopädisches und ein berufskundliches Sachverständigengutachten betreffend Arbeits- und Vermittlungsfähigkeit des Vaters.

Am 25. 6. 2018 tätigte das Bezirksgericht Dornbirn eine Anfrage an das Zentrale Melderegister und stellte dabei fest, dass die Minderjährige und ihre Mutter bereits seit 25. 8. 2017 an einer Grazer Adresse im Sprengel des Bezirksgerichts Graz-Ost gemeldet sind. Daraufhin übertrug es mit Beschluss vom 26. 6. 2018 gemäß § 111 JN seine Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Graz-Ost; das Kind halte sich ständig in dessen Sprengel auf, weshalb es zweckmäßiger sei, wenn dieses Gericht als Wohnsitzgericht die Pflegschaftssache führe. Dieser Beschluss wurde dem Kinder- und Jugendhilfeträger (konkret: der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn Kinder- und Jugendhilfe) als Vertreter der Minderjährigen in Unterhaltssachen und dem Vater zugestellt und ist in Rechtskraft erwachsen.

Das Bezirksgericht Graz-Ost lehnte am 2. 7. 2018 die Übernahme der „Unterhaltssache“ mit der Begründung ab, das Bezirksgericht habe bereits ein Beweisverfahren durchgeführt, und legte den Akt, nachdem ihm das Bezirksgericht Dornbirn am 20. 7. 2018 diesen neuerlich übermittelt hatte, dem Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN als dem beiden Gerichten übergeordneten Gericht vor. Es verwies dabei auf den offenen Unterhaltserhöhungsantrag und die durchgeführten Beweisaufnahmen, weshalb Entscheidungsreife gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung der Zuständigkeit ist nicht gerechtfertigt.

1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass „offene Anträge“ nicht grundsätzlich einer Zuständigkeitsübertragung entgegen stehen (RIS‑Justiz RS0047032); vielmehr hängt es von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob die Entscheidung über solche Anträge durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (RIS‑Justiz RS0046929 [T10]). Zu berücksichtigen sind offene Anträge (unabhängig davon, um welche Art des Antrags es sich konkret handelt [P. Mayr in Rechberger, ZPO4 {2014} § 111 JN Rz 4]) dann, wenn zu deren Erledigung das bisher zuständige Gericht effizienter geeignet ist (Fucik in Fasching/Konecny I3 [2013] § 111 JN Rz 5; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I [2013] § 111 JN Rz 16; P. Mayr in Rechberger, ZPO4 § 111 JN Rz 4), also etwa dann, wenn das übertragende Gericht bereits unmittelbar (LGZ Wien EFSlg 82.134 [1996]; Gitschthaler aaO; P. Mayr aaO Rz 4) Beweise aufgenommen (7 Nd 506/95; 7 Nd 512/97; LGZ Wien EFSlg 69.770 [1992]), vielleicht gar schon die Ermittlungen abgeschlossen hat (5 Nd 512/92; 2 Nd 501/93; 1 Ob 182/09k; OLG Wien EFSlg 79.117 [1995]), nicht aber, wenn ein Beweisverfahren noch gar nicht begonnen hat (5 Nc 6/15z) oder sich die Ermittlungen in einem sehr frühen Stadium befinden (3 Nc 32/03s [„zahlreiche Fragen noch ungeklärt“]).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Übertragung der Unterhaltssache an das Bezirksgericht Graz-Ost nicht zu genehmigen, hat doch das Bezirksgericht Dornbirn bereits ein umfangreiches Beweisverfahren einschließlich der Beiziehung von Sachverständigen durchgeführt, womit es zweckmäßiger erscheint, dass das Bezirksgericht Dornbirn auch über den Unterhaltserhöhungsantrag entscheidet. Der Oberste Gerichtshof hat zwar in der Entscheidung 2 Nc 23/11x darauf hingewiesen, dass es bei einer Unterhaltsfestsetzung in erster Linie auf rechnerische Aspekte und weniger auf den persönlichen Eindruck von den Parteien ankommt; tatsächlich hatte dort das übertragende Gericht aber noch kein umfangreiches Verfahren durchgeführt.

2. Lediglich der Vollständigkeit halber ist in formeller Hinsicht darauf hinzuweisen, dass das Bezirksgericht Dornbirn mit – von den Parteien unangefochtenem – Beschluss die (gesamte) Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Graz-Ost übertragen und dieses (lediglich) die Übernahme der „gegenständlichen Unterhaltssache“ abgelehnt hat. Da zum einen § 111 JN auch eine Teilübertragung der Pflegschaftssache vorsieht (dazu ausführlich Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I [2013] § 111 JN Rz 22 ff) und zum anderen seit Einführung des Außerstreitgesetzes der (gesamte) Pflegschaftsakt in mehrere Teilakte (Unterhalt, Vermögensverwaltung, sonstige Angelegenheiten) unterteilt ist (vgl dazu den Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz vom 13. 12. 2004, abgedruckt bei Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] Anh 5), ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die grundsätzliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Graz‑Ost für die die Minderjährige betreffende Pflegschaftssache gegeben ist, das Bezirksgericht Dornbirn jedoch noch über die anhängige Unterhaltssache zu entscheiden hat. Auf die in der Literatur gegen Teilübertragungen erhobenen Bedenken (vgl Gitschthaler aaO Rz 23) braucht hier nicht eingegangen werden, sind doch neben dem Unterhaltsverfahren keine weiteren Verfahren anhängig.

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