Spruch:
Die Übertragung der Zuständigkeit vom Bezirksgericht Salzburg an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wird genehmigt.
Text
Begründung
Die minderjährige Nadja Johanna Sybille Messinger ist die eheliche Tochter des in Wien wohnhaften Dr.Rudolf Hermann Messinger und der in Salzburg lebenden Hildegard Michaela Messinger. Seit Mitte Juni 1990 leben die Eltern der Minderjährigen voneinander getrennt; das Ehescheidungsverfahren ist beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien anhängig. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 20.6.1991, 4 P 58/91-14, wurde unter anderem der ehelichen Mutter der Minderjährigen gemäß § 176 ABGB die einstweilige Obsorge für die Minderjährige übertragen, und zwar bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die widerstreitenden Anträge der beiden Elternteile auf Obsorgeübertragung (ON 1 dA vom 22.4.1991 und ON 3 dA vom 24.5.1991). Die Minderjährige hatte sich nach Aufhebung der Wohngemeinschaft ihrer Eltern vorerst bei der Mutter aufgehalten. Im Juni 1991 brachte der Vater die Minderjährige nach einem Besuchstag nicht mehr zur Mutter zurück. Seither befindet sich die Minderjährige bei ihrem Vater. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg 4 P 58/91-14 wurde unter anderem auch der Antrag des Vaters vom 17.6.1991, den gegenständlichen Pflegschaftsakt an das "nunmehr zuständige" Pflegschaftsgericht Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu überweisen, abgewiesen. Verschiedene Versuche des Bezirksgerichtes Salzburg, die Übergabe der Minderjährigen an die Mutter durchzusetzen, blieben erfolglos.
Am 13.Juni 1991 stellte der Vater auch beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien den Antrag, ihm die Obsorge über die Minderjährige zu übertragen. Nachdem das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Zuständigkeit zur Führung dieser Pflegschaftssache in Anspruch genommen hatte (6 P 79/91-17), änderte das Landesgericht für ZRS Wien infolge Rekurses der Mutter der Minderjährigen den Beschluß ON 17 dahin ab, daß es die Unzuständigkeit des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien zur Führung dieser Pflegschaftssache aussprach und die Pflegschaftssache dem nicht offenbar unzuständigen Bezirksgericht Salzburg überwies. Gleichzeitig hob es die vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien zwischenzeitig vorgenommene Bestellung eines Sachverständigen samt den diesem erteilten Aufträge ersatzlos auf (Beschluß vom 12.September 1991, 6 P 79/91-33 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien). Der vom ehelichen Vater gegen diesen rekursgerichtlichen Beschluß gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs wurde mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (2 Ob 1542/91 = 6 P 79/91-51 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien. Der vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien dem Bezirksgericht Salzburg im Sinne der Entscheidung des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes (ON 33 der Akten des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien) übermittelte Akt wurde vom Bezirksgericht Salzburg als ON 129 zu den Akten 4 P 58/91 genommen. In der Zwischenzeit hatte der eheliche Vater die zur Führung der Pflegschaftssache nach der Geschäftsverteilung des Bezirksgerichtes Salzburg zuständige Richterin abgelehnt (23.1.1992). Diesem Ablehnungsantrag wurde vom Vorsteher des Bezirksgerichtes Salzburg mit Beschluß vom 5.3.1992 Folge gegeben, die Pflegschaftssache dem Stellvertreter der abgelehnten Richterin Dr.Dagmar Bramböck zugewiesen und das Pflegschaftsverfahren (ab) einschließlich des Beschlusses vom 16.10.1991, ON 58 dA, als nichtig aufgehoben. Das Gericht zweiter Instanz wies den von der Mutter der Minderjährigen gegen den Ausspruch über die Nichtigerklärung des Verfahrens erhobenen Rekurs zurück. Der von der Mutter der Minderjährigen dagegen erhobene Revisionsrekurs wurde mit Beschluß vom 17.6.1992, 2 Ob 551/92 (4 P 58/91 des Bezirksgerichtes Salzburg-139) zurückgewiesen.
Mit Beschluß vom 28.8.1992 (ON 135 dA) übertrug das Bezirksgericht Salzburg seine Zuständigkeit zur Besorgung der gegenständlichen Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, weil die Minderjährige seit 8.6.1991 unter der Anschrift Wien 3., Hansalgasse 4/9 bei ihrem Vater aufhältig sei und aufgrund des verstrichenen Zeitraumes davon auszugehen sei, daß die Minderjährige unter der angeführten Anschrift ihren Lebensmittelpunkt habe; zur wirksamen Handhabung des der Minderjährigen zugedachten pflegschaftsgerichtlichen Schutzes sei - gerade im vorliegenden Fall - das Naheverhältnis zwischen der Pflegebefohlenen und dem Pflegschaftsgericht von wesentlicher Bedeutung. In diesem Verfahren hätten bislang von diesem Gericht angeordnete Maßnahmen nicht vollzogen werden können; es sei daher zweckmäßig, wenn jenes Gericht die Pflegschaft weiterführe, in dessen Sprengel sich die Minderjährige seit Juni 1991 ständig aufhalte. Das von der ehelichen Mutter als Rekursgericht gegen den Überweisungsbeschluß angerufene Landesgericht Salzburg trug dem Erstgericht auf, eine Entscheidung des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien im Sinne des § 111 Abs 2 JN herbeizuführen (ON 140 dA).
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien lehnte jedoch die Übernahme der übertragenen Geschäfte unter Hinweis auf die offenen Anträge (insbesondere Obsorgeverfahren) und die Befassung des Bezirksgerichtes Salzburg seit 1991 ab.
Das Landesgericht Salzburg legte sodann dem Obersten Gerichtshof die Akten zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Zuständigkeitsübertragung ist zu genehmigen.
Aus den Pflegschaftsakten, insbesondere jenem des vorerst vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien geführten, ergibt sich, daß die Minderjährige seit Juni 1991 mit ihrem Vater im Haushalt der väterlichen Großmutter in Wien 3., Hansalgasse 4, lebt und in dieser Wohnung noch die Schwester ihres Vaters, deren Ehemann sowie deren gemeinsamer vorschulpflichtiger Sohn wohnen (vgl auch den Bericht des Magistrates der Stadt Wien, MA 11, Amt für Jugend und Familie
3. Bezirk vom 23.10.1991, Beilage zu ON 72 dA). Anhaltspunkte dafür, daß in diesen Lebensverhältnissen der Minderjährigen eine Änderung eingetreten wäre, sind dem Akt nicht zu entnehmen. Bei Beurteilung der Berechtigung der vom Bezirksgericht Salzburg verfügten Übertragung seiner Zuständigkeit zur Besorgung der vorliegenden Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien ist somit davon auszugehen, daß die Minderjährige seit mehr als 1 1/2 Jahren den Mittelpunkt ihres Lebens im Sprengel des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien hat. Demnach ist dieses Bezirksgericht wohl am besten geeignet, die im Interesse des Kindeswohles erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen (vgl EFSlg 60.723, 63.950 uva; jüngst etwa 1 Nd 501/92 und 5 Nd 512/92). Offene Anträge sprechen im allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung (EFSlg 54.969, 60.731, 63.956 uva), es sei denn, das Wohl des Kindes könnte aus besonderen Umständen vom bisher befaßten Gericht wirksamer beachtet werden, etwa dann, wenn alle für die Entscheidung erforderlichen Ermittlungen abgeschlossen sind oder wegen der Schwierigkeit des Falles die erforderliche Einarbeitung des Gerichtes eine Verzögerung besorgen ließe (EFSlg 60.738). Davon kann aber bezüglich der hier offenen Anträge über die endgültige Zuteilung der Obsorge, wofür vor allem die gegenwärtige Situation besonders maßgebend ist, keine Rede sein, zumal jene Richterin des Bezirksgerichtes Salzburg, die die Pflegschaftsakten bisher intensiv bearbeitet hat, mit Erfolg wegen Befangenheit abgelehnt und ein Großteil des bisherigen Verfahrens für nichtig erklärt wurde.
Da somit durch die Übertragung der Zuständigkeit vom Bezirksgericht Salzburg an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die wirksame Handhabung des der Minderjährigen zugedachten pflegschaftsbehördlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird (§ 111 Abs 1 JN), war die Zuständigkeitsübertragung gemäß § 111 Abs 2 JN zu genehmigen.
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