OGH 5Ob86/23t

OGH5Ob86/23t29.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*, vertreten durch Poduschka & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. A* GmbH, *, 2. V* AG, *, beide verteten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 32.985,60 EUR sA über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschuss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Februar 2023, GZ 1 R 94/22h‑51, mit dem das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 22. März 2022, GZ 6 Cg 67/18i‑45, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00086.23T.0829.001

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 2.244,28 EUR (darin 374,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 24. 8. 2013 bei der erstbeklagten Kfz‑Händlerin einen Pkw VW Tiguan um 42.950 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Zweitbeklagten entwickelten 2,0 Liter Dieselmotor vom Typ EA 189 ausgestattet. In diesen Dieselmotoren wird eine Software „Umschaltlogik“ verwendet, die den Austausch von Stickoxiden im Prüfstandbetrieb beeinflussen kann. Um dieses Problem zu beseitigen, wurde am Fahrzeug am 11. 7. 2016 ein „Software“‑Update durchgeführt.

[2] Das Erstgericht wies die Begehren des Klägers auf Aufhebung des mit der Erstbeklagten geschlossenen Kaufvertrags und auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich eines Benutzungsentgelts von 9.964,40 EUR sowie Eventualbegehren auf Preisminderung/Schadenersatz in Höhe des Minderwerts von 12.855 EUR und auf Feststellung der Haftung beider Beklagten für jeden Schaden aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung ab.

[3] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf. Die „Umschaltlogik“ sei eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 iVm Art 5 Abs 2 Satz 1 VO (EG) 15/2007 , woran die aufrechte EG‑Typengenehmigung nichts ändere. Dies habe der EuGH mit Urteil vom 14. 7. 2022 zu C‑145/20 , Porsche Interauto/Volkswagen, bestätigt, ein solches Fahrzeug sei mangelhaft. Der Mangel sei durch das „Software“‑Update nicht beseitigt worden. Das Vorbringen des Klägers zum Vorliegen und zur Funktionsweise des „Thermofensters“ infolge des durchgeführten „Software“‑Updates sei von den Beklagten (weitgehend) schlüssig zugestanden worden. Nach der Entscheidung des EuGH C‑145/20 sei auch eine Abschalteinrichtung (in Form des Thermofensters) eine unzulässige Einrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 , wenn dadurch die Emissionsgrenzwerte (vor allem NOx) überschritten würden. Feststellungen fehlten allerdings zur Frage, ob es sich beim Thermofenster nicht um eine ausnahmsweise nach Art 5 Abs 2 lit a dieserVerordnung zulässige Maßnahme handle. Dies sei mit den Beklagten zu erörtern und dazu Feststellungen zu treffen. Die Auffassung des Erstgerichts, durch das „Software“‑Update sei der Mangel jedenfalls behoben worden, sei aber die Grundlage entzogen. Zur behaupteten Verjährung der Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten könne dahinstehen, ob die unzulässige Abschalteinrichtung Sach‑ oder Rechtsmangel sei. Ein Verbraucher dürfe erwarten, dass die einschlägigen Normen bei dem von ihm erworbenen Fahrzeug eingehalten werden, sodass es sich dabei um eine stillschweigend zugesicherte Sacheigenschaft handeln werde. Abzustellen sei auf den Zeitpunkt, in dem der Kläger wusste oder ohne nennenswerte Mühe hätte in Erfahrung bringen können, dass die „Umschaltlogik“ eine mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG‑Typengenehmigung bewirke. Wenn auch eine Mangelkenntnis des Klägers im Oktober 2015 naheliege, fehle es doch an ausreichenden Feststellungen zur sicheren rechtlichen Beurteilung der Verjährung, sozur Kenntnis des Klägers vom Mangel, der (stillschweigenden) Zusicherung von Sacheigenschaften und zur Beurteilung der Frage, ob im Verbesserungsversuch ein Anerkenntnis des Mangels liege. Die Aufhebung des Ersturteils zur Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage sei daher unumgänglich.

[4] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgerichtzu den über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfragen der Qualifikation der Mängel als Sach‑ und/oder Rechtsmangel, des von ihm angenommenen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft und der Zurechnungsproblematik Händler/Hersteller zu.

[5] In seinem dagegen gerichteten – von den Beklagten beantworteten – Rekurs strebt der Kläger (erkennbar) die Abänderung im Sinn einer Klagestattgebung durch den Obersten Gerichtshof an und beantragt hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

[6] Der Rekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) – nicht zulässig, er zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Auch die Zurückweisung solcher Rekurse kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO; RIS‑Justiz RS0043691).

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Der Kläger wendet sich in seinem Rekurs nicht gegen die vom Berufungsgericht unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH C‑145/20 vertretene Rechtsauffassung (diese entspricht über weite Strecken seiner eigenen). Zu den vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen Rechtsfragen nimmt er nicht Stellung. Im Wesentlichen lassen sich seine aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung vorgetragenen Argumente dahin zusammenfassen, das Verfahren sei aufgrund vom Berufungsgericht nicht berücksichtigter Zugeständnisse der Beklagten im Sinn der Klagsstattgebung spruchreif. Das Berufungsgericht hätte in der Sache selbst entscheiden müssen. Es sei zu Unrecht davon ausgegangen, die von ihm geäußerte Rechtsansicht sei überraschend und die erstgerichtlichen Festellungen seien nicht ausreichend. Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt er damit nicht auf.

[8] 2. Grundsätzlich kann auch jene Partei gegen einen Aufhebungsbeschluss im Berufungsverfahren Rekurs erheben, die – wie hier – selbst die Aufhebung erwirkt hat (RS0007094 [T5]), dies allerdings nur insoweit, als die rechtliche Beurteilung, von der das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss ausgegangen ist, auch bekämpft wird (RS0043817). Ob die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung des Verfahrens und der Feststellungen auf der Grundlage seiner gar nicht bekämpften Rechtsauffassung notwendig ist, hat der Oberste Gerichtshof hingegen nicht zu prüfen (RS0042179). Zweck des Rekurses ist nämlich die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz durch den Obersten Gerichtshof; ist diese richtig (oder wird sie nicht bekämpft), kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (RS0042179). Das Berufungsgericht darf nur nicht eine Verfahrensergänzung auftragen, die durch das Prozessvorbringen der klagenden Partei nicht gedeckt ist (RS0042430). Unzulässig wäre es, ein erstrichterliches Urteil nur zu dem Zweck aufzuheben, Erörterungen über Tatsachen zu veranlassen, die im bisherigen Verfahren nicht behauptet worden sind (RS0042444).

[9] 3. Wenn der Kläger meint, die Beklagten hätten kein Vorbringen erstattet, warum die Ausnahme von der Regel im Sinn der VO (EG) 715/2007 für das Thermofenster vorliegen sollte (und daraus ein vom Berufungsgericht nicht berücksichtigtes Geständnis ableiten will), ist ihmdas Vorbringen im Schriftsatz vom 7. 12. 2020 zur Bedeutung des Thermofensters, zu seiner technischen Notwendigkeit und zum damit bezweckten Schutz bestimmter Bauteile von Motor und Abgasanlage entgegenzuhalten. Dass das Berufungsgericht im Hinblick darauf – auch unter Berücksichtigung der erst während des laufenden Berufungsverfahrens ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs C‑145/20 – Erörterungsbedarf sah (und nicht etwa von einem schlüssigen Zugeständnis der Beklagten ausging), ist nicht zu beanstanden. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.

[10] 4. Von einer unrichtigen Lösung einer Frage des Verfahrensrechts, die für die Rechtssicherheit von erheblicher Bedeutung wäre, wäre im Fall der Zurückweisung der Sache durch das Berufungsgericht an das Erstgericht ohne Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen nur dann zu sprechen, wenn eine Selbstergänzungspflicht nach der ratio des § 496 Abs 3 ZPO geradezu auf der Hand liegt, also eine gravierende Verkennung der Rechtslage vorliegt (RS0108072 [T2]). Davon kann hier nicht die Rede sein. Den Sachverhalt im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH C‑145/20 zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung als erörterungsbedürftig anzusehen, ist keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.Auch eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens steht im Raum.

[11] 5. Die im Rekurs zitierte Entscheidung 10 Ob 65/17g ist nicht einschlägig, weil es hier nicht um Vertrauensschutz in das Fortbestehen der bisherigen Rechtsprechung geht und die dort maßgebliche Entscheidung zum Zeitpunkt der Erhebung der Berufung – anders als hier – bereits im Rechtsinformationssystem veröffentlicht war.

[12] 6. Die Frage, ob die vom Erstgericht getroffenen (Negativ-)Feststellungen – die sich auf fünf Sätze beschränken – für die rechtliche Beurteilung ausgereicht hätten, ist nach der zitieren Rechtsprechung (RS0042179) der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen.

[13] 7. Damit war der Rekurs zurückzuweisen.

[14] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die (mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit des Rekurses gegen den Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO, gibt es keinen Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO (RS0123222 [T4]). Die Beklagten haben in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

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