Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozeßkosten erster Instanz.
Text
Begründung
Am späten Vormittag des 2. Februar 1991 wollte die Klägerin ihren Arzt in dessen im Haus Bregenz, B*****straße 18, gelegenen Praxis aufsuchen. Um zu den Patientenparkplätzen der Ordination zu gelangen, bog sie mit ihrem PKW von der verkehrsmäßig stark frequentierten B*****straße nach rechts in eine Zufahrtsstraße ab, die zu der etwa 50 m weit entfernt gelegenen Jugendherberge ***** (deren Leiterin die Beklagte ist) führt. Bei dieser Zufahrtsstraße handelt es sich um Privatgrund *****, der aber an der Einmündung der Straße als solcher nicht durch ein entsprechendes Hinweisschild gekennzeichnet ist. Diese Zufahrt erscheint daher für jeden Straßenbenützer als öffentlich zugänglich. Etwa 10 m vor der Jugendherberge befinden sich links der Zufahrtsstraße zwei mit einem in Bodenhöhe angebrachten Parkverbotszeichen mit der Aufschrift "Ausgenommen Patienten" gekennzeichnete Parkplätze der Arztordination. Da diese Parkplätze belegt waren, fuhr die Klägerin - wie schon des öfteren - im Wissen um eine weitere Parkmöglichkeit mit ihrem PKW weiter in Richtung Jugendherberge *****. Vor der Jugendherberge verbreitert sich die Straße auf einen etwa 5 m breiten asphaltierten Streifen, an den links eine Wiese angrenzt. Am Ende der Jugendherberge mündet die Zufahrtsstraße in Form dieses Asphaltstreifens in einen Parkplatz und bietet damit keine Möglichkeit zur Weiter- bzw. Durchfahrt; es handelt sich daher um eine eher ruhige Grundstücksfläche mit relativ wenig Verkehr. Obwohl am Beginn des Gebäudes der Jugendherberge auf der rechten Straßenseite ein Vorschriftszeichen "Halten und Parken verboten" angebracht war, stellte die Klägerin ihr Fahrzeug am Ende des Gebäudes ab und ging zu Fuß in Richtung B*****straße zur Praxis ihres Arztes. Zur selben Zeit war die Beklagte in Gegenwart ihrer Mutter damit beschäftigt, in ihren am Anfang des Gebäudes geparkten PKW eine Kiste einzuladen, um einkaufen zu fahren. Die Beklagte ist Halterin eines damals 9-monatigen, etwa 30 kg schweren Neufundländerhundes, der zur Unfallszeit trotz seines an sich phlegmatischen Naturells und trotz eines mit der Beklagten absolvierten Kurses in der Hundeschule in Bregenz noch sehr verspielt war. Die Beklagte hatte - wie üblich - die Absicht, ihren Hund, der während des Beladens ihres PKWs auf dem Areal der Jugendherberge umherlief, zur Einkaufsfahrt mitzunehmen. Als der Hund die mit einem Pelzmantel bekleidete Klägerin bemerkte, bewegte er sich interessiert und neugierig auf sie zu. Als die Klägerin etwa 10 m von ihrem PKW entfernt war, traf sie mit dem Hund zusammen, der sich - in der Absicht zu spielen - mit den Vorderpfoten an der Klägerin aufrichtete, und sie etwa in Brusthöhe berührte. Ob der Hund die Klägerin aus dem Laufen heraus angesprungen ist oder zunächst vor der Klägerin Halt machte, an ihr schnüffelte und sich dann erst an ihr aufgerichtet hat, konnte nicht festgestellt werden. Die Klägerin wurde jedenfalls durch das Aufrichten des Hundes und den damit verbundenen Druck gegen ihren Körper, worauf sie nicht gefaßt war, in Gleichgewichtsschwierigkeiten und insbesondere so stark in Schrecken versetzt, daß sie sofort zu Sturz kam. Auf eine entsprechende zugerufene Anordnung der Beklagten entfernte sich der Hund augenblicklich von der am Boden liegenden Klägerin. Die Klägerin hatte zuvor schon des öfteren den Hund an der angrenzenden Wiese spielen gesehen; sie war bis dahin vom Hund noch niemals behelligt worden und hatte auch keine vom Tier ausgehende Aggressivität zu spüren bekommen. Durch den Sturz erlitt die Klägerin einen Schenkelhalsbruch rechts, der eine sofortige Operation erforderlich machte.
Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Bezahlung von 97.211,40 S s. A., weil der Hund, der noch sehr verspielt gewesen sei und daher der Aufsicht bedurft hätte, von der Beklagten nicht ordnungsgemäß verwahrt worden sei.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und beantragte dessen Abweisung. Der Hund sei äußerst gutmütig und sehr ruhig gewesen und habe keinerlei Anzeichen von Aggressivität gezeigt; er habe daher keiner besonderen Verwahrung bedurft. Dies gelte insbesondere für den nicht im Bereich einer frequentierten Straße, sondern abseits davon gelegenen Parkplatz der Jugendherberge. Da die Klägerin ihren PKW widerrechtlich auf dem Parkplatz der Jugendherberge abgestellt habe, treffe sie für den Fall der Bejahung einer Haftung der Beklagten ein Mitverschulden.
Demgegenüber bestritt die Klägerin ein Mitverschulden, weil das Parkverbot vor dem Gebäude der Jugendherberge in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem durch den Hund der Beklagten verursachten Unfall stehe und der Platz auch von anderen Personen, insbesondere von Patienten des Arztes zum Parken benützt werde.
Das Erstgericht wies in dem auf den Grund des Anspruches eingeschränkten Verfahren das Klagebegehren zur Gänze ab, weil die Beklagte die sie nach § 1320 ABGB treffende Verwahrungspflicht nicht vernachlässigt habe. Bei einem gutmütigen Hund dürfe der Hundehalter dem Tier volle Bewegungsfreiheit im Bereich von Haus und dazugehörigem Hof gewähren. Einer besonderen Beaufsichtigung und Verwahrung bedürfe es dabei nicht. Die Beklagte habe auch den von ihr zu erbringenden Beweis der Gutmütigkeit des Hundes geführt. Die Anforderungen an die Verwahrung eines Hundes dürften nicht überspannt werden. Der Beklagten sei es nicht zuzumuten gewesen, jeden Schritt ihres Hundes auf "ihrem" Grundstück im Auge zu behalten, bzw. den Hund noch auf dem eigenen Gelände anzuketten. Das Gelände, auf dem sich der Unfall der Klägerin ereignet habe, sei als "Hof" im Sinne der Rechtsprechung zu qualifizieren, da er nur über eine längere Zufahrtsstraße erreichbar sei. Da die nächstgelegene viel befahrene B*****straße etwa 50 m entfernt sei, habe im Bereich, in dem der Hund spielte, keine besondere Verwahrungspflicht bestanden. Die Beklagte treffe kein Verschulden am Zustandekommen des Unfalles, weshalb das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen gewesen sei.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß die (ordentliche) Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, erachtete diese als für die abschließende rechtliche Beurteilung ausreichend und nahm zu der im Sinne der Annahme einer wegen der vom Gewicht des Hundes wenn auch nur im Spielen ausgehenden Gefahr unzureichenden Verwahrung ausgeführten Rechtsrüge im wesentlichen wie folgt Stellung:
Wenngleich die Zufahrtsstraße den Charakter einer öffentlichen Straße habe, so handle es sich dabei doch "um eine eher ruhige Grundstücksfläche mit relativ wenig Verkehr", auf der die typischen Gefahren des Straßenverkehrs offensichtlich nicht gegeben seien. Das Zusammentreffen der Klägerin mit dem Hund der Beklagten sei auch nicht in Verbindung mit der Benützung des PKWs, sondern als Fußgängerin erfolgt. Soweit aber nicht Gefahren des Straßenverkehrs in Frage stünden, sei das freie Herumlaufen von an sich gutmütigen Hunden auf der Straße unbedenklich, zumal eine Neigung des Hundes, fremde Personen aus Verspieltheit anzuspringen und umzuwerfen, bis zum gegenständlichen Vorfall nicht erkennbar gewesen sei. Der Beklagten sei also daraus, daß sie den Hund in Rufweite habe frei herumlaufen und spielen lassen, nicht der Vorwurf eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, insbesondere durch Vernachlässigung ihrer Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht zu machen. Sie sei vielmehr ihrer Verwahrungspflicht in einem noch ausreichenden Maß nachgekommen. Das Berufungsgericht billigte im übrigen die rechtlichen Ausführungen des Erstgerichtes und erachtete damit ebenfalls eine Haftung der Beklagten als Tierhalter nach § 1320 ABGB für die Unfallsfolgen als nicht gegeben.
Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der (ordentlichen) Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen, weil das Erstgericht und auch das Berufungsgericht aufgrund der übereinstimmenden Judikatur und Literatur entschieden hätten.
Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß die beklagte Partei dem Grunde nach schuldig erkannt werde, der Klägerin sämtliche Schäden aus dem genannten Unfall zu ersetzen, und hilfsweise dahin, daß dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde.
Die Beklagte machte von der ihr eingeräumten Möglichkeit, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten, Gebrauch und beantragte darin, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes zulässig, weil den Entscheidungen der Vorinstanzen eine Verkennung der im vorliegenden Fall gegebenen Gefahrensituation zugrunde liegt und von den Vorinstanzen damit eine Rechtsfrage des materiellen Rechts unrichtig gelöst wurde, der zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt. Die Revision ist auch im Sinne des in den Abänderungsanträgen enthaltenen Aufhebungsantrages berechtigt.
Die Klägerin weist in ihrer Revision zutreffend darauf hin, daß die Vorinstanzen der Verkehrssituation im Bereich des Unfallsgeschehens zu Unrecht eine entscheidende Bedeutung beigemessen haben und bei Beurteilung der Gefährlichkeit des Hundes der Beklagten wegen des Umstandes, daß hier nicht die typischen Gefahren des Straßenverkehrs in Frage stehen, bloß auf die mangelnde Bösartigkeit des Hundes sowie darauf abgestellt haben, daß die Neigung des Hundes, fremde Personen anzuspringen und umzuwerfen, bis zu dem gegenständlichen Vorfall nicht erkennbar gewesen sei.
Die der Bestimmung des § 1320 ABGB zugrunde liegende besondere Tiergefahr besteht grundsätzlich darin, daß Tiere durch ihre von Trieben und Instinkten gelenkten Bewegungen, die nicht durch Vernunft kontrolliert werden, Schaden stiften können (Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 405; 5 Ob 559/85; 1 Ob 513/86; 8 Ob 564/87;
8 Ob 521/90). Als Grund für die Schadensstiftung durch einen Hund kommt meist dessen Bösartigkeit, vor allem Bissigkeit, in Frage;
aber auch die von gutmütigen Tieren ausgehenden Gefahren erschöpfen sich nicht allein in deren unkontrolliertem Auftauchen im Straßenverkehr verbunden mit der dem Tier im allgemeinen fehlenden Fähigkeit zu einem verkehrsgerechten Verhalten, gutmütige Hunde können vielmehr auch allein durch ihren Spieltrieb eine Gefahr für Menschen darstellen, was insbesondere dann der Fall sein wird, wenn es sich um noch junge, aber doch schon kräftige, schwere, mangels entsprechender Abrichtung noch verspielte Tiere handelt. Solchen Tieren darf daher wegen ihrer Unberechenbarkeit - selbst wenn sie sonst gutmütig erscheinen - auf öffentlichen Verkehrsflächen nicht volle Bewegungsfreiheit gewährt werden, weil doch die Gefahr besteht, daß sie durch instinktive Bewegungen Menschen angehen und dabei zu Sturz bringen.
Bei dem Hund der Beklagten handelte es sich um einen erst 9 Monate alten, 30 kg schweren Neufundländerhund, der trotz Absolvierung eines Kurses in einer Hundeschule noch sehr verspielt war. Bei diesen Eigenschaften des Tieres durfte die Beklagte aus dem Umstand, daß der gegenständliche Vorfall der erste war, bei dem jemand durch den Hund zu Schaden gekommen ist, nicht auf die Ungefährlichkeit des Tieres schließen. Da sie den Hund unbeaufsichtigt auf einer öffentlichen Verkehrsfläche umherlaufen ließ, mußte sie damit rechnen, daß der Hund auch auf kleine Kinder oder ältere, gebrechliche Menschen treffen kann, die durch spielerische Bewegungen des doch schweren Hundes gefährdet werden konnten. Sie wäre daher unter den gegebenen Umständen trotz der sonst gegebenen Gutmütigkeit des Tieres zu besonderer Vorsicht verpflichtet gewesen und hätte dem Tier nicht völlig unbeaufsichtigt freien Lauf lassen dürfen. Es stellt auch keine Überspannung der Beaufsichtigungspflicht der Beklagten dar, wenn ihr zum Vorwurf gemacht wird, sie hätte den Hund während des Beladens ihres Fahrzeuges an die Leine nehmen oder aber der Obhut ihrer gleichzeitig anwesenden Mutter anvertrauen müssen.
Die Vorinstanzen sind daher zu Unrecht zur Ablehnung einer Haftung der Beklagten für die Unfallsfolgen gelangt.
Dem von der Beklagten erhobenen Mitverschuldenseinwand kommt keine Berechtigung zu. Zwischen der Übertretung des Parkverbotes und dem eingetretenen Schaden besteht - wie die Klägerin zutreffend replizierte - kein Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil das verfügte Parkverbot keineswegs Schäden wie dem gegenständlichen vorbeugen will.
Da die Vorinstanzen es - von einer nicht zu billigenden Rechtsansicht ausgehend - unterlassen haben, zum Klagebegehren der Höhe nach Stellung zu nehmen, erweist sich die Revision im Sinne des in den Abänderungsanträgen enthaltenen Aufhebungsantrages als berechtigt.
Die Rechtssache mußte daher nach Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen an das Erstgericht zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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