OGH 5Ob559/85

OGH5Ob559/854.6.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Griehsler, Dr.Jensik, Dr.Zehetner und Dr.Klinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martina A, Berufsschülerin, Unterwölbling 30, vertreten durch Dr.Richard Wandl, Rechtsanwalt in St.Pölten, wider die beklagte Partei Karl B, Angestellter, Rottersdorf 55, vertreten durch Dr.Karl Haas, Rechtsanwalt in St.Pölten, wegen S 51.000,-- samt Anhang infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 5.Dezember 1984, GZ 17 R 232/84-22, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes St.Pölten vom 30.Mai 1984, GZ 2 Cg 159/83- 16, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Bestätigung der erstgerichtlichen Abweisung des Mehrbegehrens von S 18.000,-- (richtig: S 33.000,--) samt 4 % Zinsen seit 19.April 1983 durch das Berufungsgericht richtet, zurückgewiesen.

Im übrigen wird der Revision Folge gegeben und in Abänderung des angefochtenen Urteils das Ersturteil (Verurteilung der beklagten Partei, der klagenden Partei S 18.000,-- samt 4 % Zinsen seit 19. April 1983 zu zahlen; gegenseitige Aufhebung der Prozeßkosten erster Instanz) wiederhergestellt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.363,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 214,88 an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der am 19.April 1983 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, geboren am 25.November 1965, die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Betrages von S 51.000,-- samt 4 % Zinsen seit Klagetag. Sie brachte vor, sie sei am 20.April 1980 durch das Verhalten des mangelhaft verwahrten und beaufsichtigten Schäferhundes des Beklagten zum Sturz gekommen; sie habe dadurch einen Bruch des linken Schlüsselbeins erlitten; überdies sei durch den Sturz ihre Kleidung beschädigt worden. Aus dem Titel des Schmerzengeldes werde ein Betrag von S 50.000,--, als Ersatz des Kleiderschadens ein solcher von S 1.000,-- geltend gemacht. Der Beklagte bestritt das Klagebegehren sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach und beantragte Klageabweisung. Das Verhalten seines Schäferhundes sei für den Sturz und die Verletzung der Klägerin nicht ursächlich gewesen. Das Alleinverschulden an dem gegenständlichen Unfall treffe die Klägerin.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten unter Abweisung des Mehrbegehrens von S 18.000,-- (richtig: S 33.000,--) samt 4 % Zinsen seit 19.April 1983 zur Zahlung eines Betrages von S 18.000,-- samt 4 % Zinsen seit 19.April 1983. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Das Einfamilienhaus des Beklagten in Rottersdorf 55 steht in einem rechtwinkeligen, eingezäunten Garten, an dessen Schmalseiten im Norden und Süden asphaltierte Straßen vorbeiführen. Unmittelbar nördlich der im Norden am Grundstück des Beklagten vorbeiführenden Straße steht auf gleicher Höhe wie das Haus des Beklagten das den Eltern der Klägerin gehörende Haus Rottersdorf 42. Heute ist das Grundstück des Beklagten an allen vier Seiten eingezäunt. Der übliche Zugang zum Haus erfolgt durch ein Gartentürl im südlichen Zaun, von dem ein betonierter Weg an der Ostseite des Hauses entlang bis zur Nordostecke desselben führt. Man betritt das Haus durch die an der Ostseite des Hauses eingebaute Haustür. An der Nordostecke des Hauses befindet sich eine rund 1,5 m über dem Gartenniveau gelegene, durch eine Türe vom Hausinnern zugängliche Terrasse. Im April 1980 war die Terrasse gegen den Garten noch nicht durch ein Geländer abgesichert. Vom Zaun an der Nordgrenze des Grundstückes des Beklagten waren lediglich Betonfundamente vorhanden, in denen etwa in der Mitte eine Autoausfahrt ausgespart war. Zwischen der Nordfront des Hauses und der rund 10 m entfernten Nordgrenze des Grundstückes wies der Garten als Folge der noch nicht abgeschlossenen Bauarbeiten eine unebene Oberfläche aus Erde und Schotter auf. Der Schäferhund des Beklagten war damals 9 Monate alt und gutmütig. Er wurde, um ihn am Davonlaufen zu hindern, meist im Garten an einer Kette gehalten und nur hie und da, vorwiegend in Anwesenheit des Beklagten, dem er einwandfrei gehorchte, freigelassen. Er hatte noch niemanden attackiert.

Am 20.April 1980 unterhielt sich die damals 14jährige, im Haus ihrer Eltern wohnende Klägerin, die auf dem Betonweg unmittelbar östlich der Terrasse des Hauses des Beklagten stand, mit der auf der Terrasse stehenden Tochter des Beklagten Renate B. Der Beklagte war damals nicht zu Hause, seine beiden anderen Töchter und der Hund befanden sich im Innern des Hauses. Als die beiden anderen Töchter des Beklagten das Gespräch zwischen der Klägerin und Renate B hörten, traten sie gleichfalls auf die Terrasse und ließen die Terrassentür offen. Der Hund des Beklagten nützte die Gelegenheit, schlich durch die Terrassentür auf die Terrasse heraus und bellte die Klägerin an. Diese bekam Angst - sie hatte sich schon immer vor dem Hund gefürchtet und aus diesem Grund das Grundstück des Beklagten nie betreten, wenn der Hund im Garten an der Kette hing - und rannte in Richtung ihres Elternhauses davon. Der Hund sprang, als er die Klägerin davonlaufen sah, von der Terrase in den Garten und rannte ihr nach. Die Töchter des Beklagten schrien ihm erfolglos nach, er solle zurückkommen. Die Klägerin stolperte etwa auf halber Strecke zwischen dem Haus und der nördlichen Grundstücksgrenze, stürzte und brach sich dabei das linke Schlüsselbein. Der Hund erreichte die Klägerin, als diese schon am Boden lag, und beschnupperte sie, doch biß er sie weder, noch sprang er auf ihr herum. Die Klägerin fürchtete sich trotzdem vor ihm und schrie, worauf ihre Mutter mit der gerade zu Besuch weilenden Josefa C aus ihrem Haus eilte. Als die Mutter der Klägerin sich dieser näherte, entfernte sich der Hund. Die Klägerin erhob sich mit Hilfe ihrer Mutter und ging in ihr Elternhaus. Da sie über starke Schmerzen in der linken Schulter klagte, schnitt ihr die Mutter das selbst geschneiderte Dirndl vom Leib. Die Rettung transportierte die Klägerin in die Unfallabteilung des Krankenhauses St.Pölten, wo man einen Bruch des linken Schlüsselbeines mit Verschiebung der Bruchstücke um Schaftbreite feststellte. Die linke Schulter der Klägerin fiel stark ab, die Bewegung war schmerzbedingt stark eingeschränkt. Der Klägerin wurde ein Tornisterverband angelegt. Nachdem mehrere ambulante Kontrollen eine komplikationsfreie Heilung gezeigt hatten, wurde der Verband am 17.Juni 1980 abgenommen. Die Klägerin litt noch einige Zeit hindurch bei bestimmten Belastungen an Schmerzen, die aber nach und nach verschwanden. Jetzt findet man im Bereich der ehemaligen Bruchstelle noch eine geringe tastbare Stufe. Die Schulterbreite ist um 1 cm verkürzt. Die Gestalt der Klägerin ist bei Betrachtung mit freiem Auge nicht sichtbar verändert, die Funktion der linken Schulter vollkommen frei und symmetrisch. Durch die Verletzung und die Heilbehandlung hatte die Klägerin körperliche Schmerzen zu erleiden, die - in geraffter Form angegeben - 3 Tage starken, 7 Tage mittleren und 32 Tage leichten Grades waren.

Diesen Sachverhalt unterzog das Erstgericht nachstehender rechtlichen Beurteilung:

Gemäß § 1320 Satz 2 ABGB sei der Halter eines Tieres für den von diesem hervorgerufenen Schaden verantwortlich, wenn er nicht beweise, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres gesorgt habe. Darauf, daß er seiner Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht dadurch ausreichend nachgekommen sei, daß er den Hund während seiner Abwesenheit seinen Töchtern anvertraut habe, habe sich der Beklagte nicht berufen, sodaß er eine von seinen Töchtern begangene Vernachlässigung der Verwahrung oder Beaufsichtigung des Hundes selbst zu vertreten habe. Zu prüfen sei, ob es als Vernachlässigung der Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes anzusehen sei, daß dieser vom Innern des Hauses auf die Terrasse habe gelangen können, und ob die Verletzung der Klägerin durch das Verhalten des Hundes ausgelöst worden sei. Die Verwahrung und Beaufsichtigung eines Tieres werde vernachlässigt, wenn die nach den bekannten oder erkennbaren Eigenschaften und dem bisherigen Verhalten eines Tieres erforderlichen und nach der Auffassung des Verkehrs vernünftigerweise zu erwartenden Vorkehrungen unterlassen würden. Da den Töchtern des Beklagten bekannt gewesen sei, daß die Klägerin sich vor dem Hund des Beklagten fürchte, hätten sie verhindern müssen, daß der Hund auf die Terrasse herauskommen und die Klägerin anbellen könne, weil sie damit rechnen hätten müssen, daß der Hund der Klägerin dadurch Angst einjagen und sie zu unbedachten Handlungen veranlassen werde. Wenn die Verletzung der Klägerin auch nicht direkt durch einen Angriff des Hundes entstanden sei, sondern dadurch, daß die Klägerin beim Davonlaufen vor dem Hund gestürzt sei, so hafte der Beklagte doch auch für diesen der Klägerin von seinem Hund indirekt zugefügten Schaden, weil auch solche Schäden vom Schutzzweck des § 1320 ABGB umfaßt seien.

Die Klägerin habe auf das Verhalten des Hundes in übertriebener Weise reagiert und ihren Schaden dadurch selbst teilweise verschuldet. Sie habe keinen Anlaß gehabt, vor dem Hund in geradezu panischer Angst davonzulaufen, zumal ihr dieser bis dahin nichts getan gehabt habe, sein Verhalten auch diesmal nicht offensichtlich feindselig gewesen sei und sich ohnedies die drei Töchter des Beklagten, die ihn gegebenenfalls zurückhalten hätten können, in seiner unmittelbaren Nähe aufgehalten hätten.

Bei Gegenüberstellung des beiderseitigen Verschuldens werde eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1:1 für angemessen erachtet, was bedeute, daß der Beklagte der Klägerin die Hälfte ihres Schadens zu ersetzen habe.

Die von der Klägerin durch die Sturzverletzung und die Heilbehandlung erduldeten körperlichen Schmerzen und die damit verbundene seelische Belastung rechtfertigten ein Schmerzengeld von S 35.000,--. Der Kleiderschaden der Klägerin werde unter Berücksichtigung der für Damenbekleidung üblichen Preise mit S 1.000,-- geschätzt. Insgesamt betrage der Schaden der Klägerin somit S 36.000,--, wovon ihr der Beklagte die Hälfte, das seien S 18.000,-

-, zu ersetzen habe.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht wies die Klage zur Gänze ab und sprach gemäß § 500 Abs 3 ZPO aus, daß die Revision nicht nach § 502 Abs 4 Z.1 ZPO zulässig sei. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich und führte zur Rechtsfrage aus:

Berechtigung komme der Rechtsrüge des Beklagten zu, welcher die Annahme einer Haftung bekämpfe. Eine Verletzung der Verwahrungspflicht sei entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichtes zu verneinen. Damit erübrige es sich, auf die im wesentlichen nur zur Verschuldensteilung erfolgten Berufungsausführungen der Klägerin einzugehen, die vermeine, daß der angstbedingte Sturz und die Fehlreaktion kein Verschulden darstellten, wenn eine Verletzung der Verwahrungspflicht gegeben sei.

Gemäß § 1320 ABGB treffe den Hundehalter die Beweislast dafür, daß er den Hund ordentlich verwahrt habe. Das Maß der Verwahrung richte sich nach der vom Tier ausgehenden Gefahr (ZVR 1984/19 und 123). Zwischen dem eingetretenen Schaden, der Verletzung der Klägerin und der Beschädigung ihrer Kleider, und dem Verhalten des Hundes bestehe ein Kausalzusammenhang, weil dieser Schaden durch das Erscheinen des Hundes ausgelöst worden sei. Die Klägerin habe sich vor dem Hund gefürchtet und überängstlich reagiert. Der Schaden sei daher nicht durch die Eigenschaft des Tieres, nämlich durch die von diesem ausgehende, nach § 1320 ABGB von der Beweislastumkehr besonders umfaßte Gefahr (vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 405; ZVR 1983/313; ZVR 1984/234), durch die Art und das Wesen des Hundes, seine Individualität oder Größe, bedingt gewesen, sondern durch die besondere, durch keine Vorerlebnisse mit diesem Hund gegebene Angst der Klägerin. Für die dem § 1320 ABGB entnehmbare Gefährdungshaftung im Rahmen der Tierhaltung fehle es im vorliegenden Fall am Kriterium der besonderen Tiergefahr. Zutreffend weise Koziol a.a.O. 407 darauf hin, daß dem Tierhalter eine Beweislast im Umfang des § 9 EKHG nicht auferlegt werden könne und dürfe. Ein Anhängen des Hundes im Hause zu fordern, damit eine allenfalls auf Besuch kommende Freundin der Kinder des Hauses, welche sich vor dem Hund fürchte, keine Schreckreaktion setze, hieße die Verwahrungspflicht überspannen.

Auch könne der Umstand, daß den Töchtern des Beklagten bekannt gewesen sei, daß sich die Klägerin vor dem Hund fürchte, noch keine Halterhaftung im Sinne einer reinen Gefährdungshaftung auslösen, denn der Hund habe weder vor dem Unfall noch bei diesem die Bösartigkeit einer besonderen tierbedingten Fehlreaktion gezeigt. Es sei daher eine Halterhaftung des Beklagten zu verneinen gewesen. Da die Entscheidung des Berufungsgerichtes auf den von Lehre und Rechtsprechung zur Beweislast und Gefährdungshaftung nach § 1320 ABGB entwickelten Grundsätzen beruhe, sei die Zulässigkeit der Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z.1 ZPO zu verneinen gewesen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf § 503 Abs 1 Z.4 und Abs 2 ZPO gestützte außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der vollinhaltlichen Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte, dem gemäß § 508 a Abs 2 ZPO die Beantwortung der außerordentlichen Revision freigestellt worden ist, hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, soweit sie sich gegen die Bestätigung der erstgerichtlichen Abweisung des Mehrbegehrens von S 18.000,-- (richtig: S 33.000,--) samt 4 % Zinsen seit 19.April 1983 durch das Berufungsgericht richtet, gemäß § 502 Abs 3 ZPO unzulässig und war daher in diesem Umfang zurückzuweisen.

Soweit sich die Revision gegen den abändernden Teil des Berufungsurteils wendet, ist sie - der Auffassung des Berufungsgerichtes zuwider - gemäß § 502 Abs 4 Z.1 ZPO zulässig und auch berechtigt, weil das Berufungsgericht - wie die nachstehenden Ausführungen zeigen werden - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist.

Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß nach der Anordnung des § 1320 Satz 2 ABGB der Halter eines Tieres für jeden Schaden verantwortlich ist, der in der besonderen Tiergefahr seine Ursache hat, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat (JBl 1982, 150). Die besondere Tiergefahr, die zur Normierung der strengeren Haftung Anlaß gab, liegt darin, daß - auch gutmütige - Tiere durch ihre von Trieben und Instinkten gelenkten Bewegungen, die nicht durch Vernunft kontrolliert werden, Schaden stiften können (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 405; JBl 1982, 150; ZVR 1983/313; ZVR 1984/234; RZ 1984/4 u.a.). Dem Berufungsgericht, das auch den Kausalzusammenhang zwischen der Verletzung und dem Kleiderschaden der Klägerin einerseits und dem Verhalten des Hundes des Beklagten andererseits mit Recht bejaht hat (SZ 51/58; ZVR 1983/313 u.a.), kann aber nicht darin beigepflichtet werden, daß der gegenständliche Schadenseintritt nicht (zumindest auch) auf die besondere Tiergefahr, sondern (ausschließlich) auf die Angstreaktion der Klägerin zurückzuführen sei und der Beklagte deshalb nicht hafte. Schon in der vom Berufungsgericht selbst herangezogenen Vorentscheidung ZVR 1983/313 wurde darauf hingewiesen, daß das bloße Verbellen durch einen ordnungsgemäß an der Leine geführten Hund noch keine besondere Tiergefahr im vorgenannten Sinne bedeuten möge, daß jedoch das die Erwartung eines Angriffs verursachende 'Hinausschießen' eines Hundes auf die Straße sehr wohl als eine derartige besondere, die Tierhalterhaftung nach § 1320 Satz 2 ABGB auslösende Tiergefahr anzusehen sei. Im vorliegenden Fall schlich der nicht mit einem Maulkorb versehene und nicht angeleinte Hund des Beklagten auf die Terrasse hinaus, die damals noch kein Geländer hatte, und bellte die Klägerin an. Als diese aus Angst in Richtung ihres Elternhauses davonlief, sprang der Hund von der Terrasse in den Garten und rannte der Klägerin nach, ohne daß ihn die Töchter des Beklagten mit Erfolg zurückrufen konnten, worauf die Klägerin stürzte und sich dabei das linke Schlüsselbein brach. In diesem von den Vorinstanzen festgestellten Geschehensablauf hat sich nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes die besondere, im § 1320 Satz 2 ABGB vorausgesetzte Tiergefahr im vorerwähnten Sinne verwirklicht. Am Vorliegen des Kausalzusammenhanges und an der Verwirklichung der besonderen Tiergefahr ändert auch der Umstand nichts, daß die Reaktion der Klägerin auf das Verhalten des Hundes durch ihre Angst vor diesem und das dem Davonlaufen der Klägerin nachfolgende Verhalten des Hundes durch deren Reaktion mitverursacht worden sein mag.

Die Bestimmung des Maßes der erforderlichen Verwahrung oder Beaufsichtigung eines Tieres hat in elastischer und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu erfolgen, wobei insbesondere die Gefährlichkeit des Tieres nach seiner Art und Individualität, die Möglichkeit einer Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und die Abwägung der beteiligten Interessen eine Rolle spielt (JBl 1982, 150; 1 Ob 670/82 u.a.; vgl. auch Koziol a.a.O. 407 f.). Im vorliegenden Fall ist vor allem zu berücksichtigen, daß der - wenn auch damals gutmütige - Hund, um ihn am Davonlaufen zu hindern, meist im Garten an einer Kette gehalten und nur hie und da, vorwiegend in Anwesenheit des Beklagten, dem er (anders als den Töchtern des Beklagten, wie der prozeßgegenständliche Vorfall zeigt) einwandfrei gehorchte, freigelassen wurde, sowie daß der Garten damals noch nicht vollständig eingezäunt war und infolgedessen insbesondere auch von auf Besuch kommenden Freundinnen der Töchter des Beklagten ohne weiteres betreten werden konnte. Es bestand demnach die nicht bloß entfernte und daher vom Beklagten auch zu veranschlagende Möglichkeit (vgl. RZ 1984/4), daß sich der Hund so verhalten werde, wie er es dann tatsächlich gegenüber der Klägerin getan hat, und daß dieses bei der ängstlichen Klägerin die Erwartung eines Angriffes verursachende Verhalten des Hundes sie zum Davonlaufen veranlaßt und dadurch zu Schaden kommen läßt (vgl. ZVR 1983/313). Angesichts der hier somit bestehenden Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, dem anerkannt höchsten Gut, bedeutet es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes keine überspannung der gesetzlich normierten Verwahrungs- bzw. Beaufsichtigungspflicht des Tierhalters, wenn vom Beklagten entsprechende Vorkehrungen verlangt werden, damit sein Hund nicht ohne Maulkorb und unangeleint das Haus verlassen und in den nicht eingefriedeten Garten gelangen kann (vgl. JBl 1982, 150).

Da der Beklagte den Beweis dafür schuldig geblieben ist, für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung seines Hundes gesorgt zu haben (daß er die Verwahrung oder Beaufsichtigung seines Hundes einer dafür geeigneten, gehörig angeleiteten und entsprechend überwachten Person anvertraut hätte - vgl. Koziol a.a.O. 408 f.; ZVR 1980/278 und JBl 1983, 255 -, hat er nicht einmal behauptet), wurde seine Haftung dem Grunde nach vom Erstgericht zutreffend bejaht. Ein allfälliges Mitverschulden der Klägerin überstiege keinesfalls die vom Erstgericht angenommenen 50 %. Die vom Erstgericht ausgemittelte Höhe des Schmerzengeldes und des Kleiderschadens wurde vom Beklagten bereits im Berufungsverfahren nicht mehr bekämpft.

Es war daher der Revision im Umfang ihrer Zulässigkeit Folge zu geben und insoweit in Abänderung des Berufungsurteils das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 43 Abs 1 und 2, § 50 ZPO, jene über die Kosten des Revisionsverfahrens auf § 43 Abs 1, § 50 ZPO, wobei der Bemessung - da sich der Beklagte am Revisionsverfahren nicht beteiligt hat - der von der Klägerin ersiegte Betrag zugrundezulegen war.

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