OGH 5Ob224/06m

OGH5Ob224/06m14.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Kalivoda, Dr. Höllwerth und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Enteignungssache des Antragstellers Manfred F*****, vertreten durch Dr. Josef Olischar und Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin Stadt Wien, Rathaus, 1082 Wien, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen Enteignungsentschädigung (EUR 62,849,85 s.A.), über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Juli 2006, GZ 44 R 419/06b-10, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 25. Mai 2006, GZ 1 Nc 161/05x-6, maßgabebestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des rekursgerichtlichen Verfahrens.

Text

Begründung

Der Antragsteller ist Eigentümer der Liegenschaft EZ 300 Grundbuch *****.

Das Amt der Wiener Landesregierung ordnete mit Bescheid vom 22. 8. 2000 gemäß § 39 Abs 1 Wr BauO die Enteignung von Teilflächen der Liegenschaft des Antragstellers für den Ausbau der S*****straße an (Punkt I des Bescheids) und bestimmte die Höhe der Entschädigung für den Entzug des Eigentums mit EUR 33.752,42 (Punkt II des Bescheids). In Punkt III des Bescheids wurde gemäß § 38 Abs 6 Wr BauO an baulichen Änderungen an dem von der Enteignung betroffenen Gebäude im Wesentlichen ein neuer Außenabschluss, eine neue flankierende Einfriedung und die Verlegung von Versorgungsleitungen angeordnet. Für diese baulichen Veränderungen wurde in Punkt IV des Bescheids gemäß § 38 Abs 8 Wr BauO eine vorläufige Entschädigung von EUR 97.483,34 bestimmt. Der erste Teilbetrag war gleichzeitig mit der Entschädigung für den Entzug des Eigentums gemäß Punkt II des Bescheids, der zweite Teilbetrag war nach Maßgabe des Baufortschritts der angeordneten baulichen Änderungen sowie Freimachung der enteigneten Grundflächen und der dritte Teilbetrag war nach erfolgter Fertigstellungsanzeige fällig.

Auf Grund massiver Baugebrechen trug die Baubehörde mit Bescheid vom 2. 2. 2004 gemäß § 129 Abs 4 Wr BauO die Abtragung des Gebäudes auf. Der Antragsteller führte daraufhin nicht alle der in Punkt III des Enteignungsbescheids angeordneten baulichen Änderungen, sondern den Abtragungsauftrag aus.

Das Amt der Wiener Landesregierung setzte mit dem nunmehr vom Antragsteller im gerichtlichen Verfahren angefochtenen Bescheid vom 6. 9. 2005 die endgültigen Kosten für die in Punkt III des Enteignungsbescheids angeordneten und vom Antragsteller nur teilweise durchgeführten baulichen Änderungen mit EUR 33.563,99 fest und ordnete die Zahlung des restlichen Betrages von EUR 1.069,50 an. Der Antragsteller begehrte die (endgültige) Festsetzung der Entschädigung in Höhe der (vorläufig bestimmten insgesamt) EUR 97.483,34 und die Bezahlung des aushaftenden Teils von EUR 62.849,95 s. A. Maßgebend sei die ursprünglich festgesetzte Höhe der Entschädigung, während der nachträglich angeordnete Abbruch des Objekts darauf keinen Einfluss haben könne.

Die Antragsgegnerin beantragte Antragszurückweisung wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs, hilfsweise Antragsbweisung mit der wesentlichen Begründung, die endgültige Entscheidung richte sich ausschließlich nach den tatsächlich angefallenen Kosten. Das Erstgericht wies den Antrag ab und schloss sich dabei der Argumentation der Antragsgegnerin an.

Das Rekursgericht verneinte die sukzessive Kompetenz der Gerichte und wies den Antrag zurück. Das von den Antragstellern erhobene Begehren auf Ersatz der Kosten für nicht durchgeführte bauliche Maßnahmen betreffe nicht die Höhe der Entschädigung im Sinn des § 44 Abs 6 Wr BauO, sondern den Grund des Anspruchs. Insoweit sei der Bescheid beim Verwaltungsgerichtshof zu bekämpfen.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Antragsstattgebung; hilfsweise stellt der Antragsteller auch einen Aufhebungsantrag. Er hält in der Sache seine bisherigen Argumente aufrecht und macht überdies geltend, das Rekursgericht habe zu Unrecht die sukzessive Kompetenz der Gerichte verneint.

Die Antragsgegnerin beantragte in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel des Antragstellers zurückzuweisen, in eventu diesem nicht Folge zugeben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil vorliegend die sukzessive Kompetenz der ordentlichen Gericht besteht und der vom Rekursgericht herangezogene Zurückweisungsgrund daher nicht vorliegt. Der Revisionsrekurs ist in seinem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

1. § 38 Abs 1 Satz 2 lässt die Enteignung nur gegen Entschädigung zu und § 44 Abs 1 Wr BauO verweist auf die sinngemäße Anwendung des Eisenbahnenteignungsgesetzes (EisbEG). Der Antrag auf Enteignung ist vor dem 1. 1. 2005 bei der Behörde eingelangt, sodass gemäß § 48 Abs 3 letzter Satz EisbEG nF noch die bisher geltenden Vorschriften maßgeblich sind. Nach den §§ 24 Abs 1 und 30 Abs 3 bis 5 EisbEG aF gelten für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Rekursgerichts die Bestimmungen des AußStrG (RIS-Justiz RS0103731; RS0084804; RS0084799). Das Datum der erstinstanzlichen Entscheidung liegt nach dem 31. 12. 2004, weshalb auf das Rechtsmittelverfahren die Bestimmungen des AußStrG in der seit 1. 1. 2005 geltenden Fassung anzuwenden sind (§ 203 Abs 7 AußStrG nF). Der Antragsteller begehrt die (endgültige) Festsetzung der Enteignungsentschädigung mit EUR 97.483,34 und die Bezahlung des aushaftenden Teils von EUR 62.849,95 s.A.; es liegt demnach ein EUR 20.000 übersteigender Entscheidungsgegenstand vor, weshalb außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden kann.

2. Die Behörde hat nach § 38 Abs 6 der Wr BauO auf Antrag des Enteignungswerbers oder des Eigentümers der betroffenen Liegenschaft bzw des Eigentümers der darauf befindlichen Gebäude und baulichen Anlagen (Superädifikate) deren Änderung anzuordnen, wenn der Weiterbestand von Gebäudeteilen auf den Restflächen durch bauliche Maßnahmen (Umbau oder bauliche Änderungen) nach den Vorschriften dieses Gesetzes zulässig ist und die hiefür notwendigen Aufwendungen wirtschaftlich vertretbar sind. § 38 Abs 8 Wr BauO verpflichtet die Behörde, die Kosten dieser baulichen Maßnahmen zu ermitteln und mit der Entschädigung vorläufig zu bestimmen. Nach Durchführung der aufgetragenen Baumaßnahmen hat die Behörde auf Antrag des Eigentümers der Liegenschaft bzw des Gebäudes oder der baulichen Anlage oder auf Antrag des Enteignungswerbers die endgültigen Kosten festzustellen und die entsprechenden Ausgleichszahlungen anzuordnen. § 38 Abs 8 Satz 3 Wr BauO verweist auf die sinngemäße Geltung des § 44 Abs 6 Wr BauO, der es jeder Partei des Enteignungsverfahrens freistellt, binnen drei Monaten ab Zustellung des Enteignungsbescheids die Entscheidung der ordentlichen Gerichte im außerstreitigen Verfahren über die Höhe der Entschädigung zu begehren, wodurch die Entscheidung über die Entschädigung außer Kraft tritt.

3. Dem Revisionsrekurswerber ist dahin zuzustimmen, dass entgegen der Auffassung des Rekursgerichts nach dem klaren Wortlaut des § 38 Abs 8 letzter Satz iVm § 44 Abs 6 der Wr BauO vorliegend die sukzessive Kompetenz der ordentlichen Gericht besteht. Bekämpft wird der nach § 38 Abs 8 Wr BauO ergangene Bescheid, der nach Festsetzung der endgültigen Kosten die restliche Ausgleichszahlung anordnet, und der Antragsteller strebt damit eine höhere Entschädigungssumme und eine höhere restliche Ausgleichszahlung an. Dieser Antrag betrifft somit eindeutig die Höhe der Entschädigung, deren Bekämpfung im Verwaltungsverfahren nicht zulässig ist (vgl VwGH vom 2. 12. 1997, 97/05/0253). Der vom Rekursgericht herangezogenen Zurückweisungsgrund liegt demnach nicht vor.

4. Hat das Rekursgericht einen Rekurs als unzulässig zurückgewiesen, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, anläßlich der Entscheidung über den - seiner Ansicht nach verfehlten - Zurückweisungsbeschlusses gleich in der Sache selbst zu erkennen, wenn dadurch - wie hier - der Instanzenzug verschoben werden, durch eine sofortige Behandlung des außerordentlichen Revisionsrekurses in der Hauptsache durch den Obersten Gerichtshof auf die Zulässigkeit des Rechtsmittels Einfluss genommen werden könnte und der Oberste Gerichtshof sachlich über eine Frage entscheiden würde, über die er im Hinblick auf § 62 Abs 1 AußStrG nF unter Umständen gar nicht zu entscheiden hätte (vgl RIS-Justiz RS0007037; 5 Ob 406/97k = RPflSlgG 2565); dies gilt auch auf der Grundlage des neuen Außerstreitverfahrensrechts, lässt sich doch aus § 70 AußStrG nF nichts Gegenteiliges ableiten. Das Rekursgericht wird sich daher unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund mit dem Rekurs des Antragstellers inhaltlich zu befassen haben.

5. Die Kostentscheidung beruht auf § 78 Abs 1 AußStrG nF.

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