OGH 5Ob167/24f

OGH5Ob167/24f18.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Dr. F*, vertreten durch die BEURLE Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Linz, gegen die beklagte Partei A* Privatstiftung, *, vertreten durch die Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 50.000 EUR), AZ 4 Cg 60/24d des Landesgerichts Ried im Innkreis, über den Rekurs der Richterin des Landesgerichts Ried im Innkreis Mag. * gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. August 2024, AZ 4 Nc 18/24i, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00167.24F.1218.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird in Bezug auf die Befangenheitsanzeige der Richterin des Landesgerichts Ried im Innkreis Mag. * dahin abgeändert, dass deren Befangenheit festgestellt wird.

 

Begründung:

[1] Der klagende Rechtsanwalt begehrt im Verfahren AZ 4 Cg 60/24d des Landesgerichts Ried im Innkreis die Feststellung, dass der Beschluss des Familienrates der beklagten Privatstiftung vom 18. 4. 2024, mit dem er mit sofortiger Wirkung als Mitglied des Stiftungsvorstands aus wichtigem Grund abberufen werde, rechtsunwirksam sei. Der Kläger beantragt zu relevanten Beweisthemen im Zusammenhang mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen die Einvernahme des Zeugen Dr. * (im Folgenden kurz: der Zeuge), mit dem in dessen Funktion als damals zuständiger Firmenbuchrichter alle maßgeblichen Umstände vorab besprochen worden seien.

[2] Die nach der Geschäftsverteilung zuständige Richterin und alle weiteren Richterinnen und Richter des Landesgerichts Ried im Innkreis zeigten ihre Befangenheit an. Mit Ausnahme der Rekurswerberin begründeten sie dies – auf das Wesentliche zusammengefasst – damit, dass sie ein freundschaftliches bzw freundschaftlich‑kollegiales Verhältnis zu dem Zeugen, der bis Ende März 2024 Präsident des Landesgerichts Ried im Innkreis gewesen sei, hätten und sich nicht in der Lage fühlten, seine Aussage unvoreingenommen zu würdigen.

[3] Die Rekurswerberin erachtete sich zwar grundsätzlich nicht subjektiv für befangen. Sie sei erst seit Juli 2024 in Ried im Innkreis tätig und kenne den Zeugen nicht persönlich. Allerdings dürfe sie ob des enorm positiven Echos der gesamten Kolleginnenschaft in Bezug auf die Person des Zeugen in den Raum stellen, dass der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Immerhin sei der Zeuge als ehemaliger Präsident des Landesgerichts Ried im Innkreis jedenfalls allen im Sprengel des Landesgerichts Ried im Innkreis Tätigen ein Begriff, sodass bei Abhaltung des Zivilprozesses in diesem Sprengel eine objektive Beurteilung es rechtfertigen könnte, auch ihre Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.

[4] Das Oberlandesgericht Linz erklärte die Richterinnen und Richter des Landesgerichts Ried im Innkreis mit Ausnahme der Rekurswerberin für befangen.

[5] Die Rekurswerberin sei nicht befangen, weil allein die Umstände des positiven Echos in der Kollegenschaft in Bezug auf die Person des ehemaligen Präsidenten des Landesgerichts Ried im Innkreis und der Abhaltung des Zivilprozesses im Sprengel des Landesgerichts Ried im Innkreis auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs nicht geeignet sei, den Anschein der Voreingenommenheit zu begründen.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Richterin, deren Befangenheit nicht festgestellt wurde.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

[8] 1. Dem Richter, dessen Selbstmeldung wegen Befangenheit nicht stattgegeben wurde, steht dagegen ein Rekursrecht zu (RS0043747). Das Erfordernis einer anwaltlichen Vertretung besteht gemäß § 28 Abs 1 ZPO nicht (RS0113115 [T2]).

[9] Wenn der Richter selbst seine Befangenheit anzeigt und Rekurs gegen die darüber ergehende Entscheidung erhebt, ist das Rechtsmittelverfahren nach wie vor einseitig (1 Ob 113/22g).

[10] 2. Bei der Prüfung der Unbefangenheit ist im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss – auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte – oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Der Anschein, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, soll jedenfalls vermieden werden (RS0046052; RS0045949 [T2, T5, T6]; RS0109379 [T7]). Bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung; Gerechtigkeit soll nicht nur geübt, sondern auch sichtbar geübt werden (RS0046052 [T15]; RS0109379 [T4]).

[11] 3. Die Selbstmeldung eines Richters dient diesem öffentlichen Interesse an der Objektivität der Rechtsprechung (RS0045943). Dessen besondere Funktion liegt einerseits in der Vorsorge für eine den Ansprüchen des Art 6 EMRK und des Art 47 der Grundrechtecharta entsprechende Gerichtsbarkeit, aber aus dienstrechtlicher Sicht auch in der Entbindung des Richters von seinen Dienstpflichten im Sinn des § 57 Abs 1 RstDG (1 Ob 113/22g; RS0045943 [T6]; RS0046053 [T7]).

[12] Angesichts dessen ist kein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeigt. Im Allgemeinen ist in einem solchen Fall ein Befangenheitsgrund anzunehmen (RS0046053; RS0045943 [T3]). Nur ausnahmsweise wird bei Selbstmeldung des Richters eine Befangenheit nicht gegeben sein, etwa bei missbräuchlicher Anzeige einer Befangenheit oder wenn die angegebenen Umstände ihrer Natur nach nicht geeignet sind, eine Befangenheit zu begründen (RS0045943 [T4]; RS0046053 [T4]).

[13] 4. Für das Oberlandesgericht Linz ist hier ein solcher Ausnahmefall gegeben, weil die frühere Tätigkeit des Zeugen als Präsident des hier angerufenen Landesgerichts Ried im Innkreis und die damit verbundene positive Voreingenommenheit der Kollegenschaft nicht geeignet seien, (ihrer Natur nach) den Anschein der Voreingenommenheit zu begründen. Mit dieser Beurteilung misst es allerdings dem Umstand zu wenig Bedeutung bei, dass hier alle Richterinnen und Richter des Landesgerichts Ried im Innkreis – seiner Auffassung nach mit Ausnahme der Rekurswerberin zu Recht – ihre Befangenheit angezeigt haben. Bei objektiver Betrachtung ist nicht von der Hand zu weisen, dass dieser Umstand bei Parteien, die – wie offenbar jedenfalls die Beklagte – keine besonderen Kontakte zur Gerichtsbarkeit haben und über kein Insiderwissen verfügen, die Befürchtung erweckt, die einzig nicht für befangen erklärte Richterin könnte sich bei ihrer Entscheidung von unsachlichen Motiven leiten lassen (vgl 7 Ob 574/93). Da bei der Beurteilung der Objektivität der Rechtsprechung und der Fairness eines Verfahrens auch dem bloßen Anschein erhebliche Bedeutung zukommt, ist hier gemäß den allgemeinen Grundsätzen die Befangenheit auch dieser Richterin zu bejahen, die sich wegen des objektiven Anscheins einer Voreingenommenheit, aber nicht für subjektiv befangen erklärte.

[14] 5. Dem Rekurs war daher Folge zu geben und der angefochtene Beschluss dahin abzuändern, dass die Befangenheit der Rekurswerberin festgestellt wird.

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