OGH 7Ob574/93

OGH7Ob574/936.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Ablehnungssache des mj. Dieter S*****, vertreten durch seine Mutter Maria Anna H*****, gegen den Präsidenten, den Vizepräsidenten und sämtliche Richter des Landesgerichtes F***** in der beim Bezirksgericht B***** anhängigen Pflegschaftssache des mj. Dieter S*****, GZ P 307/90, infolge des von Maria Anna H***** namens Dieter S***** erhobenen Rekurses gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 21.Juni 1993, GZ 3 Nc 105/93-5, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem namens des mj. Dieter S***** erhobene Rekurs der Mutter Maria Anna H***** wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er lautet:

"Dem von Maria Anna H***** namens des mj. Dieter S***** gestellten Ablehnungsantrag gegen den Präsidenten, den Vizepräsidenten und sämtliche Richter des Landesgerichtes F***** (außer Dr.L***** T*****) wird stattgegeben.

Gemäß § 30 JN wird die Pflegschaftssache des mj. Dieter S*****, P 307/90 des Bezirksgerichtes B*****, dem Landesgericht I***** als Rechtsmittelgericht und als zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag gegen sämtliche Richter des Bezirksgerichtes B***** zuständiger Gerichtshof zugewiesen."

Text

Begründung

In der anläßlich der Ehescheidung der Maria Anna S***** (nun H*****) und des Karl S***** getroffenen Vereinbarung verpflichtete sich Karl S***** für seine beiden aus dieser Ehe stammenden, in der Obsorge der Mutter verbleibenden Söhne Rene und Dieter monatliche Unterhaltsbeiträge von S 1.500 (für den am 22.4.1974 geborenen Rene) und S 3.500 (für den am 30.4.1977 geborenen Dieter) zu zahlen. Der Vergleich wurde vom Bezirksgericht B***** als zuständigem pflegschaftsgericht genehmigt.

Am 25.1.1993 stellte Karl S***** den Antrag, ihn ab 1.7.1992 von der Unterhaltsleistung gegenüber Rene infolge dessen Selbsterhaltungsfähigkeit zu entheben und den Unterhaltsbeitrag für Dieter ab 1.8.1992 auf S 3.000 monatlich herabzusetzen, weil sich die finanzielle Lage des Antragstellers entsprechend verschlechtert habe.

Am 26.2.1993 brachte Maria Anna H***** als gesetzliche Vertreterin des Rene S***** den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG ein. Mit am 2.3.1993 eingebrachtem Schreiben trat sie namens der Kinder Rene und Dieter den Anträgen des Karl S***** entgegen und begehrte die Bewilligung der Verfahrenshilfe sowie die Erhöhung des Unterhaltsbeitrages für Dieter ab 1.7.1992 auf S 4.500, wobei diese Erhöhung sofort mittels einstweiliger Verfügung anzuordnen sei. Weiters stellte sie einen Fristsetzungsantrag für den Fall, daß ihr nicht binnen 14 Tagen eine solche Verfügung zugestellt sein sollte.

Das Bezirksgericht B***** forderte daraufhin Maria Anna H***** auf, den Dienstgeber des Rene binnen 14 Tagen bekanntzugeben; Karl S***** forderte es zur Äußerung zum Antrag der Maria Anna H***** binnen 14 Tagen unter Hinweis auf § 185 Abs 3 AußStrG auf.

Maria Anna H***** reagierte mit einer am 5.4.1993 überreichten Eingabe, mit der sie ua die Erlassung der einstweiligen Verfügung urgierte. Eine weitere Eingabe folgte am 6.4.1993.

Karl S***** nahm mit seiner am 15.4.1993 eingelangten Eingabe zu den Behauptungen der Maria Anna H***** Stellung und hielt seine Anträge aufrecht.

Mit Beschluß vom 18.3.1993 wies das Landesgericht F***** den am 26.2.1993 gestellten Fristsetzungsantrag der Maria Anna H***** ab.

Mit Beschluß vom 15.4.1993 wies das Bezirksgericht B***** den Antrag der Maria Anna H***** ab, die Unterhaltsbeiträge für Dieter auf S

4.500 mittels einstweiliger Verfügung zu erhöhen. Dieser Beschluß wurde Maria Anna H***** am 26.4.1993 zugestellt. Maria Anna H***** lehnte daraufhin mit am 27.4.1993 überreichter Eingabe alle Richter einschließlich des Vorstehers des Bezirksgerichtes B*****, alle in der Abteilung 7 des Bezirksgerichtes B***** tätigen Rechtspfleger sowie den Präsidenten, den Vizepräsidenten und alle Richter des Landesgerichtes F***** - mit Ausnahme des Richter Dr.L***** T*****, der seine Selbstablehnung erklären werde - und weiters den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck Dr.K***** als befangen ab. Zur Begründung des Ablehnungsantrages der beim Landesgericht F***** tätigen Richter verwies sie auf die Ablehnungssache 1 Nc 67/92 des Landesgerichtes F***** und die hiezu ergangene Entscheidung 3 Nc 102, 103/93 des Oberlandesgerichtes Innsbruck. In dem vorliegenden Pflegschaftsverfahren komme noch als weiterer Befangenheitsgrund hinzu, daß das Landesgericht F***** in seiner Entscheidung über den Fristsetzungsantrag entgegen der herrschenden Judikatur keine Notwendigkeit gesehen habe, daß über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung schleunigst zu entscheiden sei, sondern daß es das Erstgericht dahin bestärkt habe, keine unverzügliche Provisorialverfügung zu erlassen.

Am 3.5.1993 überreichte Maria Anna H***** einen von ihr als gesetzliche Vertreterin des mj. Dieter S***** gefertigten Rekurs gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Bregenz vom 15.4.1993.

Anläßlich der Vorlage des Aktes zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag gegen den Vorsteher und alle Richter des Bezirksgerichtes B***** erklärte sich der beim Landesgericht F***** tätige Richter Dr.L***** T***** für befangen und verwies auf den Akt 1 Nc 67/92 des Landesgerichtes F***** sowie auf den gegen den Beschluß vom 15.4.1993 eingebrachten Rekurs. Alle anderen Richter des Landesgerichtes F***** sowie dessen Präsident und dessen Vizepräsident erklärten, nicht befangen zu sein.

Das Oberlandesgericht Innsbruck gab der Ablehnung aller Richter des Landesgerichtes F***** einschließlich dessen Präsidenten und dessen Vizepräsidenten nicht Folge. Die Annahme, daß die Entscheidung in einer anderen Rechtssache eine Reflexwirkung auf das gegenständliche Verfahren habe, entbehre jeder Grundlage. Die in der Verfassung festgelegte richterliche Unabhängigkeit verbiete den Schluß, daß lediglich bei einem Richter bzw einem richterlichen Senat vorliegende Befangenheitsgründe auf andere Richter, Senate oder gar ganze Gerichtshöfe zuträfen. Die Rechtsmittelentscheidung eines Senates des Landesgerichtes F***** vom 18.3.1993 spiegle bloß die Rechtsmeinung der Mitglieder des betreffenden Senates wieder. Für eine unsachliche, die Antragstellerin offensichtlich benachteiligende Argumentation fänden sich keine Anhaltspunkte. Im übrigen könne immer nur ein Richter bzw jeder einzelne Richter seines Gerichtes als Person, niemals aber das Gericht als Institution abgelehnt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß namens des mj. Dieter S***** erhobene Rekurs der Maria Anna Hartmann ist berechtigt.

Aus dem Akt 1 Nc 67/92 des Landesgerichtes F***** ergibt sich, daß Maria Anna H***** die Lebensgefährtin des Richters des Landesgerichtes Feldkirch Dr.L***** T***** ist.

Beim Bezirksgericht B***** sind (oder waren) zu 8 C 100/92 und 8 C 753/92 Verfahren zwischen Brigitte F***** und Maria Anna H***** anhängig. Im Verfahren 8 C 753/92 ist Dr.***** T***** auf Seiten der Maria Anna H***** als Nebenintervenient beigetreten. In der Rechtssache 8 C 100/92 trat er als Vertreter der Maria Anna H***** auf. Anläßlich des vom Landesgericht F***** in diesen Verfahren zu entscheidender Rekurse lehnten Dr.***** T***** in beiden Verfahren und Maria Anna H***** im Verfahren 8 C 100/92 alle Richter einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Landesgerichtes F***** als befangen ab. Die Ablehnungswerber verwiesen auf die Parteistellung des Dr.L***** T*****, seine Ausgeschlossenheit sowie sinngemäß darauf, daß aufgrund seines Naheverhältnisses zu den Verfahren und seiner Position als Kollege der Richter, die über die Rechtsmittel zu entscheiden hätten, die Selbstanzeige der Befangenheit seiner Kollegen zu erwarten gewesen wäre. Überdies wurde geltend gemacht, die Richtervereinigung Sektion V***** habe den ebenfalls abgelehnten Richter des Bezirksgerichtes B***** Dr.K***** zur Stellung einer Disziplinaranzeige gegen Dr.***** T***** motiviert. Da alle Richter des Landesgerichtes F***** der Richtervereinigung angehörten, würden sich diese in einer Interessenkollision befinden.

In der am 12.1.1993 beim Landesgericht F***** zur Stellungnahme zu diesen Ablehnungsanträgen in Umlauf gegegebenen Liste trugen 15 Richter ein, sich in beiden Rechtssachen befangen zu fühlen. Drei weitere Richter erklärten sich im Verfahren 8 C 753/92, nicht aber im Verfahren 8 C 100/92 (keine Parteistellung des Dr.L***** T*****, sondern nur Parteienvertreter) für befangen. Der Präsident, der Vizepräsident und drei weitere Richter erklärten, in keinem der Verfahren befangen zu sein. Soweit die Befangenheit bejaht wurde, wurde dies im wesentlichen mit längeren dienstlichen Kontakten, privaten Kontakten und gutem kollegialen Verhältnis begründet.

Mit Beschluß vom 17.3.1993, 3 Nc 102, 103/93, gab das Oberlandesgericht Innsbruck dem Ablehnungsantrag des Dr.L***** T***** in der Rechtssache 8 C 753/92 und jenem der Maria Anna H***** in der Rechtssache 8 C 100/92 gegen sämtliche Richter des Landesgerichtes Feldkirch statt und wies die Rechtssachen gemäß § 30 JN dem Landesgericht I***** als Rechtsmittelgericht zur Entscheidung zu. Der Ablehnungsantrag des Dr.L***** T***** in der Rechtssache 8 C 100/92, soweit er im eigenen Namen erhoben wurde, wies es mangels eigener Parteistellung des Dr.***** T***** in dieser Rechtssache zurück. In diesem Beschluß wurde die Antragstattgebung im wesentlichen mit den bestehenden Beziehungen der Richter zu Dr.***** T*****einerseits als Prozeßpartei, andererseits als Prozeßvertreter begründet. Das vorliegende Naheverhältnis sei bei objektiver Betrachtung zumindest geeignet, den Anschein einer Voreingenommenheit sämtlicher am Landesgericht F***** tätigen Richter zu erwecken.

Keine anderen Erwägungen können für das nun vorliegende Pflegschaftsverfahren gelten.

Obgleich die zahlreichen schriftlichen Eingaben der Maria Anna H***** offenbar ihre eigene Unterschrift tragen, liegt doch auf der Hand, daß die Eingaben entweder überhaupt von Dr.L***** T***** oder zumindest aufgrund dessen eingehender Beratung verfaßt wurden, zumal sie nicht nur ein bei einem juristischen Laien nicht übliches Maß an Rechtswissen, sondern auch einer außenstehenden Person kaum zugängliche Kenntnisse über interne Gerichtsangelegenheiten ausweisen. Aufgrund des auch in dieser Pflegschaftssache offenbar massiven Engagements des Richters Dr.***** T***** kann es keinen Unterschied machen, ob er nun formell als Vertreter der Maria Anna H***** ausgewiesen ist oder nicht. Die Richter des Landesgerichtes F***** müßten sich auch im vorliegenden Verfahren mit einer im wesentlichen von einem ihrer schon seit vielen Jahren in ihrem Kreis tätigen Richterkollegen stammenden Argumentation auseinandersetzen.

Daß die noch vor wenigen Monaten bestandenen Kontakte der Richter des Landesgerichtes F*****, die in ihrer Stellungnahme vom Jänner 1993 in weitaus überwiegender Zahl dokumentiert wurden, inzwischen zur Gänze abgebrochen worden wären, läßt sich aus dem Akteninhalt nicht erschließen. Sollte dies der Fall sein, wäre aber aufgrund des dann anzunehmenden unüblich angespannten Verhältnisses zu einem im vorliegenden Verfahren involvierten Kollegen aus objektiver Hinsicht umsomehr an einer völligen Unbefangenheit gegenüber diesem Kollegen und die ihm offenbar persönlich sehr am Herzen liegenden Angelegenheiten seiner Lebensgefährtin zu zweifeln.

Es ist daher seit der als begründet anerkannten Befangenheitserklärung von 18 der insgesamt 23 am Landesgericht F***** tätigen Richter (einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten) keine erkennbare Änderung der Umstände eingetreten, die für eine nunmehrige Unbefangenheit dieser Richter spräche.

Dabei ist zu bedenken, daß in der vorliegenden Pflegschaftssache nicht nur die Entscheidung über die Ablehnung von Richtern des Bezirksgerichtes B***** ansteht. Abgesehen davon, daß derzeit schon die Rekursentscheidung betreffend die Abweisung der einstweiligen Verfügung ausständig ist, ist absehbar, daß vom übergeordneten Gerichtshof noch eine Reihe anderer Entscheidungen materiell-rechtlicher Art, die gerade in Pflegschaftssachen erfahrungsgemäß große emotionalere Reaktionen der betroffenen Parteien hervorrufen, zu treffen sein werden.

Im Hinblick darauf, daß die bereits überwiegende Mehrheit der Richterschaft des Landesgerichtes F***** vor kurzem selbst ihre Befangenheit in einer durchaus vergleichbaren Verfahrenssitution bejahten, kann der Grundsatz, daß die Vermutung für die Unparteilichkeit des Richters spricht, hier nicht zum Tragen kommen. Da bei der Beurteilung der Fairnes eines Verfahrens auch der äußere Anschein von Bedeutung ist (vgl EvBl 1990/145 mwN), ist es angezeigt, die Befangenheit auch jener wenigen Richter des Landesgerichtes F***** zu bejahen, die sich in den vorangegangenen Verfahren für nicht befangen erklärten. Es ist bei dieser Überlegung insbesondere auch auf die Sicht der anderen Partei, die offenbar keine über dieses Verfahren hinausgehende Kontakte zur Gerichtsbarkeit hat und über kein Insiderwissen verfügt, Bedacht zu nehmen. Das öffentliche Interesse an der Objektivität der Rechtsprechung (vgl 6 Ob 549/78), das aufgrund der Bejahung der Befangenheit vom überwiegenden Teil der Richter des Landesgerichtes F***** schon in der Entscheidung 3 Nc 102, 103/93 des Oberlandesgerichtes Innsbruck ausschlaggebend war, führt auch im vorliegenden Fall zu einer Stattgebung des Ablehnungsantrages.

Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichtes Innsbruck in dem hier angefochtenen Beschluß reicht der im Ablehnungsantrag enthaltene Hinweis auf das Ablehnungsverfahren 1 Nc 67/92 des Landesgerichtes F***** und die hiezu ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Darstellung der Befangenheitsgründe durchaus hin. Damit wurde klargestellt, daß die Ablehnungswerberin der Argumentation des Oberlandesgerichtes Innsbruck beitrat und meinte, daß die dortigen Erwägungen auch im vorliegenden Fall zum Tragen kommen sollten.

Der Ablehnungsantrag beinhaltet auch keine indifferente Pauschalablehnung des Gerichtshofes als Institution. Vielmehr ist dem Antrag sinngemäß zu entnehmen, daß bei jedem einzelnen Richter im wesentlichen dieselben Ablehnungsgründe vorliegen, die sich aus dem zitierten Vorakt ergeben.

Da der Rekurs der Antragstellerin aus den dargelegten Gründen berechtigt ist, erübrigte es sich, auf die sonstigen Rekursausführungen einzugehen.

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