European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00116.22B.0131.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht
Spruch:
Den außerordentlichen Revisionsrekursen wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Antragsteller und die Antragsgegner – mit Ausnahme des 193. Antragsgegners, dem das Fruchtgenussrecht an einem Wohnungseigentumsobjekt zukommt – sind Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG *. Zur Frage, ob die de facto als Hausverwalterin tätige P* GmbH (idF nur GmbH) diese Tätigkeit rechtmäßig ausübt, fanden bereits mehrere Vorverfahren statt.
[2] Ausgangspunkt dieses Verfahrens ist das Begehren des Antragstellers, für die Liegenschaft einen vorläufigen Verwalter gemäß § 23 WEG zu bestellen.
[3] Mit Sachbeschluss vom 11. 3. 2019 bestellte das Erstgericht eine Immobilien Treuhand GmbH zum vorläufigen Verwalter.
[4] Das Rekursgericht wies den gegen diesen Sachbeschluss des Erstgerichts erhobenen Rekurs der 15., 18., 78., 79., 82., 101., 114., 115. und 193. Antragsgegner als verspätet zurück. Den gegen die Entscheidung des Rekursgerichts erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs der 15., 18., 78., 79., 82., 101., 114. und 115. Antragsgegner wies der Oberste Gerichtshof zu 5 Ob 50/20v mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurück; jenem des 193. Antragsgegners gab er mit dieser Entscheidung nicht Folge.
[5] Das Erstgericht wies einen Antrag der als faktische Verwalterin tätigen GmbH, ihr den verfahrenseinleitenden Antrag und sämtliche danach gefällten Beschlüsse zuzustellen und eine Tagsatzung anzuberaumen, zurück und bestätigte am 16. 4. 2019 die Vollstreckbarkeit seines Sachbeschlusses vom 11. 3. 2019. Einen Antrag der 15., 18., 78., 79., 82., 101., 114. und 115. Antragsgegner, die Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit aufzuheben, wies es ab, den darauf gerichteten Antrag des 193. Antragsgegners und der faktisch verwaltenden GmbH wies es zurück.
[6] Dagegen erhoben sowohl die 15., 18., 78., 79., 82., 101., 114., 115. und 193. Antragsgegner als auch die GmbH Rekurs.
[7] Die GmbH erhob zudem Rekurs gegen den Sachbeschluss vom 11. 3. 2019 und gegen den Beschluss, mit dem das Erstgericht ihren Antrag auf Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes abgewiesen hatte.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der GmbH Folge und hob den Beschluss des Erstgerichts, mit dem dieses ihre Anträge auf Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes und der daraufhin gefassten Beschlüsse sowie auf Anberaumung einer Tagsatzung abgewiesen hatte, auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung über deren Parteistellung auf. Die Entscheidung über den Rekurs der GmbH gegen den Sachbeschluss vom 11. 3. 2019 behielt es ebenso bis zur rechtskräftigen Klärung von deren Parteistellung vor, wie die Entscheidung über deren Rekurs und den Rekurs der 15., 18., 78., 79., 82., 101., 114., 115. und 193. Antragsgegner gegen den Beschluss des Erstgerichts über die Ab- bzw Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Sachbeschlusses vom 19. 3. 2019.
[9] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts erhob die mit Sachbeschluss vom 11. 3. 2019 zur einstweiligen Verwalterin bestellte Immobilien Treuhand GmbH einen Revisionsrekurs, den der Oberste Gerichtshof mit Entscheidung zu 5 Ob 51/20s zurückwies.
[10] Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht eine Entscheidung des Erstgerichts, mit der dieses neuerliche Anträge der 15., 18., 78., 79., 82., 101., 114., 115. und 193. Antragsgegner sowie der de facto verwaltenden GmbH auf Aufhebung der Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Sachbeschlusses vom 11. 3. 2019 zurückgewiesen hatte, und ließ den Revisionsrekurs nicht zu. Aus der Entscheidung zu 5 Ob 51/20s könne nicht abgeleitet werden, dass die Unrichtigkeit der Rechtskraftbestätigung des Sachbeschlusses bereits feststünde. Aus dieser Entscheidung ergebe sich auch keineswegs, dass der Sachbeschluss nicht rechtskräftig und die darüber erteilte Bestätigung daher aufzuheben sei. Ob der Sachbeschluss vom 11. 3. 2019 rechtskräftig sei oder nicht, hänge davon ab, ob die de facto verwaltende GmbH im gegenständlichen Verfahren Parteistellung habe und dieser ein Rechtsmittel gegen den Sachbeschluss zukomme. Sämtlichen anderen Antragsgegnern sei der Sachbeschluss durch Hausanschlag zugestellt worden, sodass er ihnen gegenüber in Rechtskraft erwachsen sei. Das Erstgericht habe über den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit bereits entschieden. Ohne Änderung der wesentlichen Entscheidungsgrundlagen sei eine neuerliche Entscheidung darüber daher nicht zulässig. Da ihr nunmehriger Antrag inhaltlich dem bereits vom Erstgericht entschiedenen Begehren entspreche und sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert habe, seien sie vom Erstgericht zu Recht zurückgewiesen worden.
[11] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der 5., 18., 78., 79., 82., 101., 114., 115. und 193. Antragsgegner sowie der de facto verwaltenden GmbH, der zur Klarstellung zulässig und im Sinn des in seinem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsbegehrens auch berechtigt ist.
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Eine Revisionsrekursbeantwortung ist nach § 68 Abs 1 AußStrG nur für Beschlüsse vorgesehen, mit denen „über die Sache“ oder die Kosten entschieden wurde, während der Gesetzgeber des AußStrG die generelle Einführung der Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens für überschießend hielt (vgl RIS‑Justiz RS0120860). Die Einholung einer Rechtsmittelgegenschrift ist nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall entbehrlich, weil über den identen Anspruch der Revisionswerber bereits ein Verfahren vor dem Rekursgericht anhängig und lediglich die prozessuale Behandlung des späteren, inhaltsgleichen Begehrens zu beurteilen ist.
[13] 2. Der Antrag auf Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit gemäß § 7 Abs 3 EO richtet sich ausschließlich gegen die Bestätigung der Vollstreckbarkeit selbst, also gegen den maßgeblichen Akt des Richters (oder Rechtspflegers). Die Prüfung der Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen ist auf jenen Zeitpunkt abzustellen, in welchem die Vollstreckbarkeitsbestätigung erteilt wurde (RS0001576 [T1, T2]). Das Verfahren zur Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ist so wie das Verfahren zu seiner Erteilung Teil des Titelverfahrens und richtet sich so wie dieses nach den Bestimmungen, die für das Titelverfahren gelten (Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 7 EO Rz 108 [Stand 1. 7. 2015, rdb.at]).
[14] Für die Aufhebung der (hier in Wahrheit relevant:) Rechtskraftbestätigung kommt § 7 Abs 3 EO analog zur Anwendung (RS0124932; RS0001583 [T5]). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung, ob sie zu Recht erteilt wurde, ist im vorliegenden Verfahren der 16. 4. 2019. Das Verfahren richtet sich nach dem Außerstreitgesetz.
[15] 3. Die Revisionsrekurswerber haben bereits Anträge auf Aufhebung der Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit (Fragen der Vollstreckbarkeit stellen sich mangels Leistungsfrist nicht) des Sachbeschlusses vom 11. 3. 2019 gestellt, die unter Anwendung der Bestimmung des § 7 Abs 3 EO zu beurteilen sind, und die das Erstgericht ab- bzw zurückgewiesen hat. Diesen Beschluss haben sie bekämpft. Die Entscheidung über ihr Rechtsmittel hat sich das Rekursgericht im Spruch seines Aufhebungsbeschlusses bis zur Klärung der Parteistellung der de facto verwaltenden GmbH vorbehalten. Der erkennende Senat hat zu 5 Ob 87/22p klargestellt, dass das Rekursgericht mit dieser Entscheidung inhaltlich eine Unterbrechung gemäß § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG angeordnet hat, die mangels Bekämpfung in Rechtskraft erwachsen ist.
[16] Über ihre Anträge auf Aufhebung der Bestätigung der Rechtskraft des Sachbeschlusses vom 11. 3. 2019 liegt demnach bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung des Erstgerichts vor.
[17] 4. Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit ist dem Außerstreitverfahren fremd. Anders als im Streitverfahren, in dem die Streitanhängigkeit ein Prozesshindernis begründet, kommt die Zurückweisung eines Antrags im Außerstreitverfahren wegen der Identität mit einem Begehren, das bereits Gegenstand eines Verfahrens ist, nicht in Betracht. Die Einheitlichkeit des Verfahrens ist vielmehr unter Beachtung der Überweisungsvorschrift des § 12 Abs 2 AußStrG durch die Verbindung der Verfahren zu bewirken (vgl 5 Ob 213/11a mwN). Diese Regelung dient dazu, alle über dieselbe Sache anhängigen Verfahren zu vereinen und damit widersprechende Entscheidungen zu verhindern (ErlRV 224 BlgNR 22. GP 31; abgedruckt bei Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] § 12).
[18] 4.1 Anhängig ist ein Verfahren im Sinn des § 12 Abs 2 AußStrG solange, bis der ihm zugrunde liegende Antrag rechtskräftig zurück- oder abgewiesen ist (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 12 AußStrG Rz 5; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 12 AußStrG Rz 2). Dasselbe Verfahren und damit die Identität des Entscheidungsgegenstands liegen dabei vor, wenn der mit dem neuen Antrag geltend gemachte Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Anspruchsgrundes, ident mit jenem des anderen Verfahrens ist (RS0127546).
[19] 4.2 Entscheidungsgegenstand im vorliegenden Zwischenstreit ist die Frage, ob die Rechtskraft des Sachbeschlusses vom 11. 3. 2019, wie die Revisionsrekurswerber geltend machen, in dem sie deren Aufhebung begehren, irrtümlich erteilt wurde. Dazu ist über Rekurse der Revisionsrekurswerber bereits ein Verfahren vor dem Rekursgericht anhängig, das derzeit unterbrochen ist.
[20] 4.3 Auf eine geänderte Sach- oder Rechtslage, wie die 15., 18., 78., 79., 82., 101., 114., 115. und 193. Antragsgegner sowie die de facto verwaltende GmbH zu ihren neuerlichen Begehren auf Aufhebung der Rechtskraftbestätigung geltend machen, können sie sich, wie auch das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, nicht berufen. In der Entscheidung zu 5 Ob 51/20s, aus der sie offenbar ableiten, dass die Immobilien Treuhand GmbH nicht rechtskräftig zur einstweiligen Verwalterin bestellt worden sei und daraus den Schluss ziehen, dass die Bestätigung der Rechtskraft des Sachbeschlusses vom 11. 3. 2019 zu Unrecht erfolgt sei, hat der Fachsenat zur Parteistellung und damit zur Rechtsmittellegitimation der Immobilien Treuhand GmbH im Zwischenstreit über die Parteistellung der de facto die Verwaltung führenden GmbH Stellung genommen und deren Rechtsmittel gegen den Beschluss des Rekursgerichts, mit dem es die Entscheidung des Erstgerichts insoweit aufgehoben und diesem die Klärung dieser Frage aufgetragen hatte, zurückgewiesen. Fragen zur Richtigkeit der Bestätigung der Rechtskraft des Sachbeschlusses waren kein Gegenstand dieses Revisionsrekursverfahrens. Darauf und damit auf die dazu angestellten rechtlichen Überlegungen der Revisionsrekurswerber ist auch aus Anlass des vorliegenden Rechtsmittels nicht einzugehen.
[21] 5. Daraus folgt: Der Entscheidungsgegenstand über die hier zu beurteilenden Anträge auf Aufhebung der Bestätigung der Rechtskraft des Sachbeschlusses vom 11. 3. 2019 ist ident mit dem Gegenstand, der im bereits vor dem Rekursgericht über die Rechtsmittel der Revisionswerber anhängig gemachten Verfahren zu entscheiden sein wird. Das führt entgegen der Ansicht des Rekursgerichts aber nicht zur Zurückweisung der neuerlich darauf gerichteten Anträge der Revisionsrekurswerber, weil dem Außerstreitgesetz ein der Streitanhängigkeit vergleichbares Verfahrenshindernis fremd ist. In sinngemäßer Anwendung der Bestimmung des § 12 Abs 2 AußStrG ist nach Ansicht des erkennenden Senats bei Vorliegen identer Entscheidungsgegenstände in einem Zwischenstreit – wie hier – über die Aufhebung der Bestätigung der Rechtskraft eines Sachbeschlusses die Verbindung der Verfahren geboten, sofern das Verfahren über den ersten darauf gerichteten Antrag noch nicht rechtskräftig beendet ist. Das führt im vorliegenden Fall zum Ergebnis, dass die neuerlichen auf Aufhebung der Rechtskraftbestätigung gerichtetenAnträge der nunmehrigen Revisionsrekurswerber nicht zurückzuweisen, sondern in das vor dem Rekursgericht über deren erste darauf gerichteten Rechtsschutzbegehren anhängige Verfahren miteinzubeziehen und zum Gegenstand einer einheitlichen Entscheidung zu machen sind.
[22] 6. Den Revisionsrekursen ist damit im Ergebnis Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind zu beheben; die hier zu beurteilenden Anträge werden in das bereits über ein identes Begehren anhängige Verfahren einzubeziehen sein.
[23] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die danach gebotenen Billigkeitserwägungen können erst in dem die Sache (den Zwischenstreit) erledigenden Beschluss vorgenommen werden.
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