European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00100.22Z.0829.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.
Begründung:
[1] Die Klägerin kaufte am 21. Juni 2018 einen gebrauchten PKW Mercedes‑Benz V 250 CDI um 67.200 EUR. Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, der im Fahrzeug verbaute Dieselmotor sei vom Abgasmanipulationsskandal betroffen, sodass die Stickoxidwerte nicht den Angaben im Typenschein entsprechen. Die Beklagte als Herstellerin habe vorsätzlich und rechtswidrig Fahrzeuge in Verkehr gebracht, die im Auslieferungszeitpunkt weder typengenehmigungs- noch zulassungsfähig gewesen seien. Hätte die Klägerin bei Ankauf gewusst, dass das Fahrzeug nicht einmal den Mindeststandards, nämlich der Euro‑Abgasnorm 6 entspreche, hätte sie das Fahrzeug nicht um diesen Kaufpreis erworben. Der Schaden der Klägerin liege im Erwerb eines überteuerten Fahrzeugs. Sie hätte bei Kenntnis für das Fahrzeug 30 % weniger als den Kaufpreis bezahlt, was auch dem objektiven Minderwert entspreche, der – bei Offenlegung der Manipulation – für das Fahrzeug zum Ankaufszeitpunkt bezahlt worden wäre. Wegen dieser Mängel habe die Klägerin das Fahrzeug wieder verkauft („abgestoßen“). Für ihren Schadenersatzanspruch in Höhe von 30 % des Kaufpreises sei die nachfolgende Veräußerung des Fahrzeugs irrelevant.
[2] Die Beklagte bestritt die ihr vorgeworfenen Manipulationen. Die Klage sei nicht schlüssig. Der Klägerin sei kein Schaden entstanden, weil das Fahrzeug zu einem angemessenen Preis verkauft worden sein dürfte. Bei Fahrzeugen, bei denen das Softwareupdate aufgespielt worden sei, sei keine Wertminderung feststellbar.
[3] Nach Erörterung der Schadensherleitung unter Einbeziehung des unstrittigen Weiterkaufs hielt die Klägerin an ihrem Standpunkt fest, ihr Schaden liege im Erwerb eines überteuerten Fahrzeugs, die Weiterveräußerung spiele keine Rolle. Sie erstattete kein Vorbringen, welchen Kaufpreis sie anlässlich der Weiterveräußerung erzielt habe und um wie viel geringer ein Weiterverkaufspreis wegen der behaupteten Abgasmanipulationen ausgefallen wäre.
[4] Das Erstgericht wies die Klage als unschlüssig ab. Die Klägerin begehre deliktischen Schadenersatz in Form eines Vermögensschadens als Differenz zwischen dem tatsächlichen Vermögensstand des Geschädigten und jenem, wenn man das schadensstiftende Verhalten wegdenke. Gegen die von der Klägerin zugrunde gelegte objektiv‑abstrakte Schadensberechnung spreche, dass damit die Gefahr einer mit dem schadenersatzrechtlichen Bereicherungsverbot unvereinbaren Überkompensation verbunden sei. Wenn auch für die Schadensberechnung an sich der Zeitpunkt der Schädigung maßgeblich und nachfolgende Ereignisse unbeachtlich seien, treffe dies dann nicht zu, wenn aus dem haftbar machenden Ereignis sowohl Nachteile als auch Vorteile entspringen, was hier der Fall sei. Eine ungerechtfertigte Bereicherung der Klägerin liege dann vor, wenn die behauptete Abgasmanipulation auf den beim Weiterverkauf erzielten Kaufpreis keinen Einfluss gehabt habe.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Für die Ansicht der Klägerin, sie habe bei Ankauf des Fahrzeugs einen um 30 % überhöhten Kaufpreis bezahlt, weil das gekaufte Fahrzeug mit einem Mangel (der unzulässigen Abschalteinrichtung) behaftet gewesen sei und daher einen geringeren Wert gehabt habe, spreche das Argument, dass der Schädiger gemäß § 1332 ABGB bei leichter Fahrlässigkeit den gemeinen Wert der beschädigten oder zerstörten Sache schulde. Für die Bestimmung des gemeinen Werts sei auf § 305 ABGB zurückzugreifen, der Schaden demgemäß objektiv‑abstrakt, somit ohne Rücksicht auf die persönlichen Umstände des Geschädigten zu berechnen. Der Ersatz des gemeinen Werts stehe nach überwiegender Ansicht auch dann zu, wenn beim Geschädigten infolge subjektiver Umstände gar kein rechnerischer Schaden eingetreten sei. Bei einem Kfz bestehe im Fall der Beschädigung der Sache der objektiv‑abstrakte Schaden in der Differenz zwischen dem gemeinen Wert der Sache vor der Schädigung und dem gemeinen Wert nach der Schädigung. Da es auf subjektive Umstände des Geschädigten nicht ankomme, brauche sich dieser nicht einen den Schätzwert übersteigenden Mehrerlös auf den Verkauf des beschädigten Fahrzeugs anrechnen zu lassen. Würden die subjektiven Umstände des Geschädigten keine Rolle spielen, wäre es im Sinn des Klagevorbringens ohne Belang, um welchen Preis die Klägerin das Fahrzeug weiterverkauft habe. Da dem Schadenersatzrecht aber das Prinzip der Naturalrestitution zugrunde liege, könne die abstrakte Berechnung nur Hilfsmittel zur Schadensberechnung sein. Da die Klägerin ihren Ersatzanspruch nicht aus Schadensbehebungskosten ableite, sondern aus der Behauptung, die Beklagte habe das Fahrzeug am Markt überteuert angeboten, sei dies mit dem Fall vergleichbar, in dem Geschädigte fiktive Reparaturkosten begehren, weil sie auch in diesen Fällen kein Interesse an einer realen Naturalrestitution hätten, sondern die beschädigte Sache in unrepariertem Zustand verkaufen. Nach der Rechtsprechung verbiete sich der Zuspruch fiktiver Reparaturkosten in voller Höhe immer dann, wenn diese höher als die objektive Wertminderung seien, weil es andernfalls zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten käme. Wenn nach dieser Judikatur zwar nicht die subjektiven Umstände des Geschädigten maßgeblich seien, sei doch auf den nach objektiven Kriterien zu ermittelnden Restwert des im unreparierten Zustand weiterveräußerten beschädigten Fahrzeugs abzustellen. Zum gleichen Ergebnis gelange man auf Basis der Vorteilsanrechnung, die ebenfalls eine Bereicherung des Geschädigten verhindern solle. Die Klägerin begehre keinen Schaden daraus, dass sie aufgrund der Manipulation beim Weiterverkauf einen Mindererlös erzielt hätte (was schlüssig wäre), sodass das Klagevorbringen, das isoliert auf den Erwerb abstelle und nachfolgende Vermögensveränderungen durch die Veräußerung der beschädigten Sache nicht berücksichtige, unschlüssig sei.
[6] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil es durchaus Argumente gebe, die die Schadensberechnung der Klägerin stützen könnten, und es aufgrund der in unterschiedlichen Konstellationen anhängigen Verfahren im Zusammenhang mit behaupteten oder tatsächlichen Manipulationen bei der Abgasreinigung von Fahrzeugmotoren einer höchstgerichtlichen Klarstellung bedürfe, welche Schadenersatzansprüche daraus abgeleitet werden können.
[7] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, in der sie die Abänderung im Sinn einer vollinhaltlichen Klagestattgebung, hilfsweise eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Erstgericht anstrebt.
[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist im Sinn ihres Eventualantrags auch berechtigt.
[10] 1. Die Klägerin begehrt Schadenersatz aus deliktischer Schädigung durch die Beklagte. Gemäß Art 4 Abs 1 der Verordnung (EG) 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom Ⅱ VO) ist – soweit in der Verordnung nichts anderes vorgesehen – auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staats anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Da die Klägerin die Schädigung durch Erwerb des abgasmanipulierten Fahrzeugs in Österreich behauptet, ist die von den Vorinstanzen (implizit) vorausgesetzte Anwendung österreichischen Schadenersatzrechts nicht zu beanstanden. Auch die Parteien gehen in ihren Rechtsmittelschriften von der Anwendung österreichischen Rechts aus.
[11] 2. In ihrer Revision greift die Klägerin nur den ersten Teil der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts auf und behauptet eine Abweichung von höchstgerichtlicher Rechtsprechung (8 Ob 56/21z). Im Fall der behaupteten betrügerischen Schädigung durch die Beklagte bestehe der Vermögensschaden der Klägerin in der Zahlung des um 30 % zu hohen Kaufpreises, woran sich durch einen Weiterverkauf nichts ändere. Maßgeblich für die Schadensberechnung sei der Zeitpunkt der Schädigung, nachfolgende Ereignisse seien unbeachtlich, es sei denn, dass aus dem haftbar machenden Ereignis sowohl Nachteile als auch Vorteile entspringen. Die Beklagte habe aber weder behauptet noch bewiesen, dass durch die Manipulation der Klägerin Vorteile entstanden seien. Solche Vorteile habe das Erstgericht auch nicht festgestellt. Mit der Schadensberechnung im Fall fiktiver Reparaturkosten sei die Schadensermittlung der Klägerin nicht vergleichbar, weil bei fiktiven Reparaturkosten der Geschädigte keinen Vermögensschaden in deren Höhe erleide, hier aber der Fahrzeugkäufer zu viel für das Fahrzeug bezahle und damit im Ankaufszeitpunkt bereits geschädigt werde.
Hiezu wurde erwogen:
[12] 3.1. Beide Vorinstanzen haben das Klagevorbringen als unschlüssig angesehen, weil die Klägerin kein Vorbringen zu ihrem Erlös aus der Weiterveräußerung des Fahrzeugs erstattet habe. Wesentlich und von der Revisionswerberin auch angesprochen ist die Frage, ob überhaupt und in welchem Umfang der unstrittige Weiterverkauf des Fahrzeugs – der nach den Klageangaben wegen der behaupteten Mängel erfolgte – im Rahmen des begehrten Ersatzes des objektiven Minderwerts des Fahrzeugs zu berücksichtigen ist und ob es tatsächlich Sache der geschädigten Klägerin war, Behauptungen dazu aufzustellen und Beweise anzubieten.
[13] 3.2. Grundsätzlich kann die Schlüssigkeit einer Klage nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden; ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, wirft daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS‑Justiz RS0037780). Beruht allerdings die Annahme der Unschlüssigkeit der Klage auf einem erheblichen Rechtsirrtum, kann die Zulässigkeit der Revision nicht mit diesem Argument verneint werden (RS0037780 [T3]). Ein solcher Fall liegt hier vor.
[14] 4.1. Die Vorinstanzen haben zutreffend auf die herrschende Rechtsprechung (RS0030119) verwiesen, wonach der Schadenersatzanspruch nach § 1323 ABGB objektiv‑abstrakt oder subjektiv‑konkret berechnet werden kann. Während der objektiv‑abstrakte Schaden der Differenz der gemeinen Werte des beschädigten Rechtsguts vor und nach der Beschädigung ohne Rücksicht auf die Rückwirkungen des Schadensereignisses auf das sonstige Vermögen und auf die subjektiven Umstände des Geschädigten entspricht, ist das Interesse die Differenz zwischen der Vermögenslage des Geschädigten, wie sie im Beurteilungszeitpunkt ohne schädigendes Ereignis wäre, und dem nach dem schädigenden Ereignis tatsächlich vorhandenen Vermögensstand, wobei es nicht auf den gemeinen Wert des beschädigten Rechtsguts, sondern auf den Wert desselben gerade im Vermögen des Geschädigten ankommt. Die behauptete Abweichung von der Entscheidung 8 Ob 56/21z liegt nicht vor, weil sich diese mit einem auf Wandlung und Irrtum gestützten Rückabwicklungsbegehren (ungeachtet des mittlerweile erfolgten Weiterverkaufs des Fahrzeugs) befasste und daher nicht einschlägig ist.
[15] 4.2. Es trifft zu, dass die Lehre (Reischauer in Rummel ABGB³ § 1293 Rz 2a; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 1293 Rz 22 mwN; Wagner in Schwimann/Kodek ABGB Praxiskommentar⁴ [2016] zu §§ 1293 ff Rz 21 ff) die Auffassung, der objektiv‑abstrakt berechnete Schaden sei als Mindestschadenersatz schon aus Präventionsgründen zuzusprechen, nicht teilt, weil das ABGB vom Prinzip der konkreten Schadensberechnung ausgehe, dafür spreche auch die historische Interpretation (Reischauer in Rummel ABGB³ § 1332 Rz 2).
[16] 4.3. Für den Bereich der Schadensberechnung im Fall reiner Vermögensschäden hat auch die jüngere Rechtsprechung das Prinzip des objektiv‑abstrakten Schadenersatzes auf Basis des gemeinen Werts zum Schädigungszeitpunkt als ausnahmsloses Grundprinzip abgelehnt, was insbesondere Fälle reiner Vermögensschäden aufgrund von Beratungsfehlern betraf. So ging etwa 1 Ob 46/11p davon aus, bei sehr volatilen Wertpapieren und den diesen immanenten Kursschwankungen sei eine subjektiv‑konkrete Schadensberechnung angezeigt. Dem folgte der sechste Senat zu 6 Ob 7/15w, wonach bei bloßen Vermögensschäden aufgrund von Beratungsfehlern, die naturgemäß nicht mit dem Eingriff in ein (anderes) konkret geschütztes Rechtsgut verbunden sind, eine abstrakte Schadensberechnung jedenfalls dann ausscheidet, wenn es sich um volatile Vermögenswerte handelt. Die vom Erstgericht zitierte Entscheidung 6 Ob 244/12v betraf eine treuwidrige Kapitalerhöhung und lehnte die objektiv‑abstrakte Schadensberechnung auf Basis des gemeinen Werts (Substanzwert) des Unternehmens als ungeeignet ab.
[17] 4.4. Demgegenüber ließ der neunte Senat in der – ebenfalls eine behauptete Abgasmanipulation betreffenden – Entscheidung 9 Ob 53/20i die Frage, ob der Minderwert objektiv‑abstrakt oder subjektiv‑konkret zu berechnen wäre, zwar ausdrücklich offen, weil die Unschlüssigkeit der Klage (der Schadenersatzanspruch betraf dort ein geleastes Fahrzeug, das die Klägerin erst nach Ablauf des Leasingvertrags gekauft hatte) aus anderen Gründen zu bejahen war. Dass eine objektiv‑abstrakte Schadensberechnung dort nicht zulässig gewesen wäre, ergibt sich aus dieser Entscheidung nicht. In der ebenso eine Abgasmanipulation betreffenden Entscheidung 8 Ob 22/22a – in der der achte Senat im Gegensatz zu den Vorinstanzen von einer schlüssigen Klage ausging – lag dem behaupteten Schadenersatzanspruch das – auch hier erstattete – Vorbringen zu Grunde, die Klägerin hätte bei Kenntnis der behaupteten Manipulationen für das Fahrzeug 30 % weniger bezahlt, was auch dem objektiven Minderwert entspreche. Der achte Senat ging davon aus, die Klägerin habe – selbst wenn der Kaufpreis dort über einen Leasingvertrag finanziert wurde – einen eigenen Schaden behauptet, der Grundlage eines Ersatzanspruchs sein kann.
[18] 5.1. Auch nach Auffassung des erkennenden Senats sind die die objektiv‑abstrakte Schadensberechnung im Fall bloßer Vermögensschäden aufgrund von Beratungsfehlern relativierenden Entscheidungen 1 Ob 46/11p, 6 Ob 244/12v und 6 Ob 7/15w nicht auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt übertragbar. Die Klägerin behauptet ja, dadurch geschädigt worden zu sein, dass sie eine mangelhafte (weil durch vorsätzliche Manipulationen der Beklagten in Form von Abgasmanipulationen beschädigte) Sache zu einem Preis erworben habe, der 30 % über dem objektiven Wert einer mit einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Sache liege. Zu dieser Behauptung bot sie auch Beweise an. Sie hat daher einen Eingriff in den Substanzwert des von ihr gekauften Fahrzeugs behauptet.
[19] 5.2. Ihrer Schadensberechnung liegt die relative Berechnungsmethode zugrunde, wonach der vereinbarte Preis sich zum geänderten Preis so verhalten muss wie der Wert der Sache ohne Mangel zum Wert der Sache mit Mangel. Auch dies ist nicht unschlüssig, hat doch der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 600/90 im Fall fälschlich zugesagter Eigenschaften einer Eigentumswohnung deren Heranziehung für die Ermittlung eines auf § 874 ABGB gestützten Schadenersatzanspruchs als zulässig angesehen (vgl auch RS0014750). In die gleiche Richtung weist die Rechtsprechung in Deutschland zu vergleichbaren Fällen. So hat der BGH (zu Ⅵ ZR 40/20) zum sogenannten „kleinen Schadenersatz“ bei Abgasmanipulationsfällen ausgesprochen, dass Fahrzeugkäufer nicht nur die Rückabwicklung des Kaufs verlangen können, sondern stattdessen auch den Ersatz des Minderwerts, also die Differenz, um die das Fahrzeug gemäß dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu teuer erworben wurde. Der BGH will allerdings eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch eine nachträgliche Maßnahme (so ein Softwareupdate des Schädigers), die gerade der Beseitigung der Prüfstanderkennungssoftware dienen sollte, im Rahmen der Vorteilsausgleichung berücksichtigt wissen.
[20] 5.3. Der vom Berufungsgericht argumentierte Hinweis auf die Judikatur zum Ersatz fiktiver Reparaturkosten überzeugt nicht. Die Klägerin begehrt ja nicht Schadensbehebungs‑, somit fiktive Reparaturkosten, sondern den Ersatz des objektiven Minderwerts der ihr verkauften Sache. Anspruch auf die objektive Wertminderung der Sache infolge der Beschädigung bei Verkauf der beschädigten Sache im unreparierten Zustand hat nach der vom Berufungsgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung (RS0030534) der Geschädigte aber jedenfalls. Warum daraus eine Unzulässigkeit der objektiv‑abstrakten Schadensberechnung für den hier zu beurteilenden Fall abzuleiten sein soll, erschließt sich dem erkennenden Senat nicht. An der grundsätzlichen Zulässigkeit der von der Klägerin gewählten objektiv‑abstrakten Berechnung ihres Schadenersatzanspruchs ist zusammenfassend nicht zu zweifeln.
[21] 6.1. Zu prüfen bleibt die Frage, ob sich die Klägerin den Erlös aus der – unstrittigen – Weiterveräußerung des Fahrzeugs als Vorteil anrechnen lassen muss und wen diesbezüglich die Behauptungs‑ und Beweislast trifft. Beide Vorinstanzen gingen ja davon aus, es wäre Sache der Klägerin gewesen, hierzu konkrete Behauptungen aufzustellen. Diese Auffassung teilt der erkennende Senat nicht.
[22] 6.2. Die Frage der Vorteilsanrechnung betrifft die Berechnung der Schadenshöhe, es geht daher nicht um die Frage des Anspruchsgrundes oder eine Gegenforderung (9 Ob 33/21z; Kodek in Kletečka/Schauer ABGB‑ON1.03 § 1295 Rz 41). Grundsätzlich setzt die Vorteilsanrechnung eine subjektiv‑konkrete Schadensberechnung voraus (Wagner in Schwimann/Kodek ABGB Praxiskommentar⁴ [2016] zu §§ 1293 ff Rz 23 c), weil es bei objektiv‑abstrakter Berechnung unerheblich ist, ob der Geschädigte die Sache nach Eintritt des Schadens veräußert und welchen Erlös er dadurch erzielt hat (4 Ob 3/19y). Nach der überwiegenden Rechtsprechung wäre der objektiv‑abstrakt berechnete Schaden nämlich selbst dann zuzusprechen, wenn das subjektiv berechnete Interesse geringer wäre (RS0030075). Bei objektiv‑abstrakter Schadensberechnung ist ein Vorteil nur dann anrechenbar, wenn er am beschädigten Gut selbst entstanden ist (RS0022824 [T2]). Für den Fall der Zerstörung eines Gebäudes sprach der Oberste Gerichtshof daher etwa aus (RS0123734), dass diesfalls nicht nur dieses Gebäude, sondern die gesamte Liegenschaft als „beschädigtes Gut“ anzusehen ist, sodass deren Werterhöhung auch bei objektiv‑abstrakter Berechnung zugunsten des Schädigers in Anrechnung zu bringen ist.
[23] 6.3. Generell ist die schadenersatzrechtliche Vorteilsausgleichung aber in jedem Fall nur über Einwendung vorzunehmen. Sie setzt voraus, dass Schaden und Vorteil im selben Tatsachenkomplex wurzeln und das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat. Zeitlich und sachlich kongruente Vorteile, die durch das pflichtwidrige Handeln entstehen oder wenigstens im selben Tatsachenkomplex wurzeln, sind anzurechnen, sofern die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht und nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führt (RS0022824 [T4]).
[24] 6.4. Die Frage, ob hier überhaupt von einer sachlichen Kongruenz des Erlöses aus dem Weiterverkauf des mangelhaften Fahrzeugs auszugehen wäre (vgl RS0122868; Koziol Haftpflichtrecht Ⅰ⁴ D/2 Rz 63 ff), kann dahinstehen. Selbst bei Unterstellung einer kongruenten Leistung könnte dies aufgrund der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Beweislastverteilung zu keiner Unschlüssigkeit des Klagevorbringens führen. Der Eintritt von Vorteilen aus dem Schadensereignis unter dem Titel des Vorteilsausgleichs fällt nämlich nicht in die Beweispflicht des Geschädigten, vielmehr hat der Schädiger die Vorteile zu behaupten und zu beweisen (RS0036710), dies betrifft auch die Höhe des Vorteils und die Kongruenz der Leistung (9 Ob 33/21z). Die Behauptung der Beklagten erschöpfte sich hier aber darin, das Fahrzeug dürfte zu einem angemessenen Preis verkauft worden sein, sodass der Klägerin kein Schaden erwachsen sei. Das Erstgericht entsprach ihrem Antrag, der Klägerin die Vorlage sämtlicher Unterlagen aufzutragen, nicht und traf keine Feststellungen zum Verkaufserlös, weil es von der Behauptungs‑ und Beweislast der Klägerin ausging. Damit berücksichtigte es aber die zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu nicht. Eine Unschlüssigkeit der Klage ist daher zu verneinen.
[25] 7. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben. Das Erstgericht wird das Verfahren über die Klage fortzusetzen und die Beweise zu den bestrittenen Tatsachenbehauptungen aufzunehmen und Feststellungen hiezu zu treffen haben. Kongruente Vorteile aus dem Schadensereignis und deren Höhe müsste die Beklagte konkret behaupten. Im Fall eines schlüssigen Vorbringens ihrerseits wird das Erstgericht auch dazu Beweise aufzunehmen und Feststellungen zu treffen haben. Erst dann wird der von der Klägerin erhobene Schadenersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach abschließend beurteilt werden können.
[26] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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