European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00078.15X.0811.000
Spruch:
Beide außerordentlichen Revisionsrekurse werden gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Das klagende Kreditinstitut hat seinen Sitz in Österreich, die Beklagten haben ihren (Wohn‑)Sitz in Deutschland.
Die Klägerin nimmt Erst‑ und Zweitbeklagten als ehemalige Dienstnehmer wegen der Verletzung ihrer arbeitsrechtlichen Treuepflicht mit dem Vorbringen in Anspruch, diese hätten sich unter Verletzung ihrer arbeitsrechtlichen Treuepflicht Daten von Kunden der Klägerin verschafft und in der Folge diese Kunden gezielt und systematisch zu Gunsten der Drittbeklagten oder von sich selbst abzuwerben versucht. Die Drittbeklagte verwerte die rechtswidrig erlangten Kundendaten im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs. Die Klägerin begehrte von den Beklagten gemäß §§ 1, 14, 15, 16 und 25 UWG Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz bzw Herausgabe des Gewinns und Urteilsveröffentlichung.
Die Beklagten wendeten die internationale Unzuständigkeit ein.
Das Erstgericht sprach seine internationale Unzuständigkeit aus und wies sämtliche Klagebegehren zurück.
Das Rekursgericht bestätigte die Klagszurückweisung hinsichtlich der Erst- und Zweibeklagten, verwarf die Einrede der internationalen Unzuständigkeit der Drittbeklagten und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
I. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin:
1. Die EuGVVO 2012 ist erst auf Verfahren anwendbar, die am 10. 1. 2015 oder danach eingeleitet wurden. Auf den vorliegenden Fall ist daher noch die EuGVVO idF VO (EG) Nr 44/2001 anzuwenden ( Mayr in Czernich/Kodek/Mayr , Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht 4 Art 81 EuGVVO Rz 1).
2. Art 18 EuGVVO regelt, dass sich die Zuständigkeit für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag, unbeschadet des Art 4 und des Art 5 Nr 5, nach dem 5. Abschnitt (Art 18 ‑ 21) bestimmt. Nach Art 20 Abs 1 EuGVVO kann die Klage des Arbeitgebers nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat (dies ist im Fall der Erst‑ und Zweitbeklagten Deutschland).
3. Die Begriffe des Arbeitsvertrags und der Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag sind gemeinschaftsrechtlich autonom auszulegen ( Simotta in Fasching/Konecny 2 Art 18 EuGVVO Rz 9; vgl auch RIS‑Justiz RS0111622). Zu den Ansprüchen aus einem individuellen Arbeitsvertrag zählen nicht nur Ansprüche aus einem aufrechten Arbeitsvertrag, sondern auch solche aus einem nicht mehr bestehenden oder aufgelösten Arbeitsvertrag ( Simotta aaO Rz 29; Gottwald in Münchener Kommentar zur dZPO 4 , Art 18 EuGVVO Rz 4; Musielak/Voit , dZPO 12 Art 18 EuGVVO Rz 2a), insbesondere im Zusammenhang mit Geheimhaltungspflichten sowie Streitigkeiten aus einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot ( Mankowski in Rauscher , Europäisches Zivilprozess‑ und Kollisionsrecht [2011] Art 18 EuGVVO Rz 5; Mayr aaO Art 20 EuGVVO Rz 21; Garber in Burgstaller/Neumayr , Internationales Zivilverfahrensrecht [2010], Art 18 EuGVVO Rz 37). Auch für Schadenersatzansprüche, die ihren Ursprung in der Verletzung einer sich aus dem Vertrag ergebenden Pflicht haben, gelten die Zuständigkeitsregelungen für Streitigkeiten aus Arbeitsverträgen nach Art 18 ff EuGVVO ( Kodek/Rebhahn , Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Arbeitsrechtsfragen [2006] 98).
4. Der EuGH hat in der Rs zu C‑548/12, Brogsitter , am 13. 3. 2014 ausgesprochen: Klagen wegen zivilrechtlicher Haftung wie die des Ausgangsverfahrens, die nach nationalem Recht deliktsrechtlicher Natur sind, knüpfen gleichwohl an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art 5 Nr 1 lit a der VO (EG) Nr. 44/2001, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen. Das Ausgangsverfahren hatte Ansprüche nach dem dUWG und die Abgrenzung zwischen Art 5 Nr 3 und Art 5 Nr 1 EuGVVO zum Gegenstand. Zu Rz 26 hielt der EuGH fest, dass es Sache des vorlegenden Gerichts sei, festzustellen, ob die Klageanträge des Klägers einen Ersatzanspruch zum Gegenstand haben, dessen Grund bei vernünftiger Betrachtungsweise in einem Verstoß gegen die Rechte und Pflichten aus dem zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens bestehenden Vertrag gesehen werden könne, so dass dessen Berücksichtigung für die Entscheidung über die Klage zwingend erforderlich wäre.
5. Diese Erwägungen des EuGH lassen sich auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragen. Die von der Klägerin gegen die Erst‑ und Zweitbeklagten geltend gemachten Ersatzansprüche haben bei vernünftiger Betrachtungsweise ihren Grund im jeweiligen Arbeitsvertrag. Die Erst‑ und Zweitbeklagten sind darin Verschwiegenheits‑, Schutz‑ und Geheimhaltungspflichten eingegangen, die nunmehr die Grundlage für die Prüfung der gestellten Begehren bilden. Das Rekursgericht hat daher (wegen des Wohnsitzes der Erst- und Zweitbeklagten in Deutschland) vertretbar die Anwendbarkeit der Art 18 ff EuGVVO und somit die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts angenommen.
II. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs der Drittbeklagten:
1. Nach Art 5 Nr 3 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
2. Der EuGH definiert Klagen aus unerlaubten Handlungen als Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag“ im Sinne des Art 5 Z 1 anknüpfen . Darunter fallen insbesondere auch Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb und aus der Verletzung von Immaterialgüterrechten. Örtlich zuständig für derartige Klagen ist das Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist . Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des EuGH vertragsautonom dahin auszulegen, dass sie sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens meint (RIS‑Justiz RS0115357).
3. Zu 17 Ob 2/07d hat der Oberste Gerichtshof in einem Fall von Domain‑Grabbing ‑ ausgehend von den für die Beurteilung der Zuständigkeit maßgeblichen Klagsbehauptungen ‑ den Sitz des behinderten Mitbewerbers als Erfolgsort iSv Art 5 Nr 3 EuGVVO gewertet. Im vorliegenden Fall behauptet die Klägerin, dass die der Drittbeklagten vorgeworfene unlautere Handlung ihre Verdienstmöglichkeiten im Inland einschränkt. Das schädigende Ereignis ist daher nach den für die Beurteilung der Zuständigkeit maßgeblichen Klagsbehauptungen auch hier im Inland eingetreten.
4. Gegen diese Annahme spricht auch nicht die Entscheidung des EuGH Rs C‑168/02, Kronhofer , da es dort darum ging, dass dem Kläger durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Vertragsstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist, weshalb der Ort des Klägerwohnsitzes nicht als Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist angesehen werden konnte. Nichts anderes gilt auch für die Entscheidung Rs C‑360/12, Coty Germany , wonach in einem Fall, in dem nur einer von mehreren mutmaßlichen Verursachern eines behaupteten Schadens vor einem Gericht verklagt wird, in dessen Zuständigkeitsbereich er keine Handlung vorgenommen hat, nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich iSv Art 5 Nr 3 der VO (EG) Nr 44/2001 das ursächliche Geschehen im Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts ereignet hat. Die Drittbeklagte übersieht nämlich den eindeutigen Vorwurf der Klägerin, sie habe die vom Erst- und Zweitbeklagten rechtswidrig erlangten Kundendaten verwertet. Damit wird der Drittbeklagten ein eigenes rechtswidriges Verhalten vorgeworfen, und sie wird nicht bloß als „Gehilfin“ der beiden anderen Beklagten in Anspruch genommen.
5. Der Anwendungsbereich des Art 5 Nr 3 EuGVVO ist daher ‑ im Zusammenhang mit der vorliegenden Konstellation ‑ durch Rechtsprechung des EuGH ausreichend geklärt, weshalb die von der Drittbeklagten angeregte Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung nicht erforderlich ist. Das Rekursgericht hat die Zuständigkeit hinsichtlich der Drittbeklagten jedenfalls vertretbar bejaht.
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