Spruch:
Eine "Gefährdung des Kindeswohls" im Sinne des § 176 Abs. 1 ABGB (nF) setzt nicht geradezu einen Mißbrauch der elterlichen Befugnisse voraus; es genügt, daß die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden
OGH 4. November 1980, 4 Ob 547/80 (LGZ Graz 3 R 108/80; BGZ Graz 16 P 211/78)
Text
Die Eltern der minderjährigen Thomas H., geboren am 7. Feber 1969, und Verena H., geboren am 29. Dezember 1972, vereinbarten anläßlich der - aus dem Verschulden der beklagten Ehegattin - ausgesprochenen Scheidung ihrer Ehe am 30. August 1978, daß dem Vater im Sinne des § 177 Abs. 1 ABGB nF künftig alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen ihnen und den minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zustehen sollten. Der Vater räumte der Mutter ein uneingeschränktes Besuchsrecht ein. Diese Vereinbarung wurde durch das Pflegschaftsgericht genehmigt. Die Mutter stimmte dieser Vereinbarung nur zu, weil sie von allen Seiten bestürmt wurde, die Kinder nicht aus der gewohnten Umgebung herauszureißen und weil sie selbst in unzumutbaren Wohnverhältnissen lebte.
Am 22. Oktober 1979 begehrte die Mutter unter ausführlicher Darlegung der seit dieser Vereinbarung eingetretenen Änderung der Verhältnisse die "Übertragung der Pflege und Erziehung der minderjährigen Thomas und Verena H".
Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter, ihr die Pflege und Erziehung der Kinder zu übertragen und festzustellen, daß die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) künftig ihr allein zustehen, ab.
Es ging hiebei von folgendem Sachverhalt aus: Der Vater, Dr. Robert H (geboren am 17. Juni 1949) ist Landesbeamter. Er verehelichte sich am 11. August 1979 mit Andrea S (geboren am 7. Jänner 1957). Dieser zweiten Ehe entstammten keine Kinder. Die zweite Ehegattin des Vaters ist medizinischtechnische Assistentin. Die Arbeitszeit des Vaters endet täglich zwischen 14.30 Uhr und 15.30 Uhr; seine Gattin ist im allgemeinen bis 15.30 Uhr tätig; jede fünfte bis sechste Arbeitswoche hat sie eine Arbeitszeit von 12 Uhr bis 19 Uhr. Die aus drei Zimmern und Küche bestehende Wohnung des Vaters in Graz, D-Platz 1, ist 120 m2 groß. Den Kindern steht dort ein 42 m2 großes, durch eine Kastenwand getrenntes Zimmer zur Verfügung. Die Mutter, Brigitte A (geboren am 23. Mai 1950) ist Volksschullehrerin. Sie ehelichte am 15. Dezember 1978 den Mittelschullehrer Mag. Max A (geboren am 13. Juni 1949). Dieser Ehe entstammt die minderjährige Judith (geboren am 1. Jänner 1980). Die Mutter ist seit November 1979 in Karenzurlaub. Sie will ab Jahresmitte 1981 wieder als Volksschullehrerin arbeiten. Die Mutter bewohnt im Hause Graz, S-Gasse 38, eine Fünfzimmerwohung samt Bad und Nebenräumen im Ausmaß von 186 m2. In dieser Wohnung steht dem minderjährigen Thomas - derzeit bei den Besuchen - ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Die minderjährige Verena teilt - in diesem Fall - ein Zimmer mit der minderjährigen Judith. Der minderjährige Thomas besucht mit gutem Schulerfolg die erste Klasse eines Gymnasiums in Graz, die minderjährige Verena, ebenfalls mit gutem Schulerfolg, die Volksschule. Nach dem Schulbesuch gehen die Kinder zu den väterlichen Großeltern in deren Wohnung in Graz, S-Gasse, wo sie ihr Mittagsessen einnehmen und die Schulaufgaben erledigen. Zwischen
15.30 Uhr und 16 Uhr fahren die Kinder an den Schultagen mit der Straßenbahn in die elterliche Wohnung. Beide Kinder sind ihrem Alter entsprechend gut entwickelt. Sie sind intelligent, aufgeschlossen und an ihrer Umgebung interessiert. Sie sind selbstbewußt und wissen, daß sie sowohl in der väterlichen als auch in der mütterlichen Verwandtschaft eine zentrale Rolle spielen. Beiden Kindern ist ihre persönliche Tüchtigkeit sehr wichtig. Sie sind stolz darauf, gute Schüler und selbständig bei der Arbeit zu sein. Die Konflikte ihrer Eltern empfinden sie als schmerzlich, auch wenn die Erwachsenen bemüht sind, die Kinder nicht zu tief in die Problematik hineinzuziehen. Diesbezüglich verhält sich die väterliche Verwandtschaft disziplinierter, während von der Mutter in letzter Zeit wiederholt Fragen des Erziehungsrechtes und des Besuchsrechtes mit den Kindern besprochen wurden. Beide Kinder haben beide Elternteile und auch die nunmehrigen Ehepartner ihrer Eltern sehr gerne. Die minderjährige Verena gab allerdings an, ihre Mutter mehr lieb zu haben. Beide Kinder wollen in Pflege und Erziehung ihrer Mutter kommen, Verena mit der Begründung, daß der Vater viel strenger sei und sehr schnell zu schreien anfange. Der minderjährige Thomas gab zur Begründung seines Entschlusses, den er offensichtlich wohl überlegt hat, an, daß seine Mutter und ihr nunmehriger Ehemann mehr Zeit für ihn und seine Schwester hätten und sich mehr mit ihnen beschäftigten. Da der Vater bei Gericht eine Einschränkung des Besuchsrechtes der Mutter beantragte, befürchtete er, daß die Besuche bei der Mutter mehr und mehr eingeschränkt werden könnten. Hingegen glaubte er, daß sie, wenn sie bei ihrer Mutter untergebracht wären, stets ihren Vater besuchen könnten, wenn sie dies wollten. Der Vater dränge insbesondere darauf, daß vor Absolvierung der Besuche bei der Mutter zuerst die Schulaufgaben erledigt werden. Sowohl Eltern und Stiefeltern als auch Großeltern bemühen sich sehr um die Kinder, die sich überall als akzeptiert fühlen. Sowohl der Vater als auch die Mutter leben in Verhältnissen, in denen eine positive Entwicklung der Kinder erwartet werden kann. Vater, Stiefmutter und väterliche Großmutter sind energisch, zielbewußt und autoritär. Die väterliche Großmutter, geboren 1929, ist eine agile, sehr rüstige Frau, die ein umsichtiges und strenges Regiment über die Kinder führt. Sie fördert an ihnen auch Eigeninitiative und Eigenverantwortung und hat es zustande gebracht, daß die Kinder selbständig und pflichtbewußt ihre Hausaufgaben erledigen. Sie tun dies mit Eifer und Freude, was dafür spricht, daß sie auch geschickt angeleitet werden. Schon während der Ehe der Eltern spielte die väterliche Großmutter bei der Erziehung der Kinder immer eine entscheidende Rolle. Die Stiefmutter ist für eine Mutterrolle an den Kindern noch sehr jung. Sie geht aber mit großem Ernst und mit Überlegung an die Aufgabe heran und wird von beiden Kindern bereits voll akzeptiert. Der Vater bedeutet für die Kinder die oberste Instanz und zentrale Autorität. Die Kinder lieben den Vater, fürchten aber gleichzeitig seine Strenge. Die Mutter nimmt den Kindern gegenüber eine eher besorgte und teilnehmende Haltung ein. Sie ist weniger fordernd und erwartend als die väterliche Verwandtschaft. Der Stiefvater hat eine besondere pädagogische Begabung. Er kann die Kinder besonders gut ansprechen, beschäftigen und begeistern. Er versteht es, sie so in seinen Bann zu ziehen, daß Strenge überflüssig wird, die Ordnung aber trotzdem aufrecht bleibt. Die Betreuung der Kinder durch die Eltern, Stiefeltern und Großeltern ist hochwertig. Eine negative Beeinflussung der Kinder gegen den jeweiligen anderen Elternteil erfolgte nicht, doch machte die Mutter die Kinder mit der Problematik des Besuchs- und Erziehungsrechtes vertraut.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß sowohl bei Vater als auch bei der Mutter beste Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung der Kinder gegeben seien. Die Lebensverhältnisse seinen beim Vater und bei der Mutter als annähernd gleich zu bezeichnen. Hinweise für eine Gefährdung der Kinder beim Vater seien von der Mutter weder vorgebracht worden, noch hätten sie sich aus der Aktenlage ergeben. Nur bei Vorliegen einer solchen Gefährdung hätte aber dem Vater das Recht auf Pflege und Erziehung seiner Kinder aberkannt werden können. Eine Änderung der Pflege- und Erziehungsverhältnisse sei möglichst zu vermeiden und nur dann anzuordnen, wenn dafür im Interesse der Kinder gelegene, besonders wichtige Umstände gegeben seien. Die Befürchtung des minderjährigen Thomas, daß sein Recht, die Mutter zu besuchen, künftig eingeschränkt würde, sei nicht mehr gegeben, da zwischen den Eltern am 18. März 1980 eine sehr weitgehende Besuchsrechtsregelung vereinbart worden sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter Folge und sprach aus, daß ihr künftig alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) hinsichtlich beider Kinder allein zustehen. Das Rekursgericht legte seiner Entscheidung noch folgende weitere Feststellungen zugrunde:
Zwischen den Kindern und den mütterlichen Großeltern besteht eine starke persönliche Beziehung. Sie spielen im Leben der Kinder eine wichtige Rolle. Die Kinder haben die stärkste Bindung an die Mutter und den ausgeprägten Wunsch, für ganz bei der Mutter sein zu dürfen. Die Mutter nützte die Zeit seit der Ehescheidung auch insofern, als sie mit ihrem zweiten Mann eine Fünfzimmerwohnung einrichtete und dort von Anfang an deutlich für die Kinder mitplante. Die Kinder fühlen sich in ihren Zimmern sehr heimisch. Die väterliche Familie hat in der Gefühlswelt der Kinder kein Übergewicht, obwohl sie dort mehr Zeit als in der mütterlichen Familie verbringen. Sollten die Kinder in Pflege und Erziehung der Mutter kommen, hätten sie insofern mehr Ruhe und Konstanz, als sie die gesamte schulfreie Zeit bei der Mutter verbringen könnten. Beim Vater haben sie wochentags täglich den Wechsel zwischen der Wohnung des Vaters (Abendessen, Schlafen, Frühstück) und dem Haus der väterlichen Großeltern (Mittagessen, Schulaufgaben). Die Mutter hat als Volksschullehrerin mehr Zeit für die Kinder als der Vater; sie kann die Kinder fast zur Gänze selbst betreuen. Die Mutter schuf Verhältnisse, in denen eine gute Entwicklung der Minderjährigen zu erwarten ist. Erfahrungsgemäß ist die Erziehung von Kindern wesentlich erleichtert, wenn sie bei dem Elternteil leben, an den sie die stärkste Bindung haben. Die Geschwister haben ein sehr herzliches und tiefes Verhältnis zueinander. Eine Trennung ist unter keinen Umständen zu befürworten. Der Vater stellte mehrere Besuchsrechtsregelungsanträge, mit denen er eine Einschränkung des Besuchsrechtes der Mutter aus schulischen Gründen und wegen Beeinflussung der Kinder durch die Mutter begehrte.
Das Rekursgericht war der Ansicht, daß eine Änderung der Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) nicht nur unter den strengen Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 ABGB, also nur dann, wenn die Eltern das Wohl der Kinder durch ihr Verhalten gefährdeten, erfolgen könne. Gewiß dürfe eine getroffene Regelung nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Sach- und Interessenlage geändert werden. Größere Veränderungen sollten aber eine Änderung der Regelung auch dann ermöglichen, wenn dies zum überwiegenden Wohl der Kinder gereichen würde, ohne daß eine Nichterfüllung oder Vernachlässigung der Pflichten durch einen Elternteil vorliege. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse könne auch dann vorliegen, wenn die Unterbringung-, Pflege- und Erziehungsverhältnisse der Kinder deutlich verbessert würden. Für die Beachtlichkeit einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse - ohne daß es gerade auf das Verhalten eines Elternteiles ankomme - spreche auch der AB (587 BlgNR, XIV. GP) zu § 176 ABGB letzter Absatz. Dort sei nämlich die Streichung (der im ursprünglichen Entwurf enthaltenen) Bestimmung, daß das Gericht bei wesentlich geänderten Verhältnissen neu zu entscheiden habe, nur damit begrundet worden, daß dies ein das Vormundschafts- und Pflegschaftsverfahren ganz allgemein beherrschender Grundsatz sei. Gehe man aber davon aus, daß eine Änderung der im Einvernehmen der Eltern getroffenen Regelung auch §§ 177, 144 ABGB unter der Voraussetzung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse und unter vorzüglicher Bedachtnahme auf das Kindeswohl zulässig sei, komme dem Rekurs der Mutter Berechtigung zu. Bei Gleichwertigkeit der Voraussetzungen sei grundsätzlich der ständigen Betreuung durch die Mutter gegenüber einer Stellvertreterin des Vaters der Vorzug zu geben. Nach ständiger Rechtsprechung sei für ein knapp volksschulpflichtiges Kind die Pflege und Erziehung durch die Mutter am günstigsten. Auch sollte der Wille des 11jährigen Thomas beachtet werden, in wessen Pflege und Erziehung er eingewiesen werden wolle, wenn nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprächen. Schließlich sei das getrennte Aufwachsen von Geschwistern nur dann zu billigen, wenn besondere Gründe für eine solche Regelung sprächen. Im vorliegenden Fall seien ändernde Maßnahmen im Interesse der Kinder dringend geboten. Die Wohnverhältnisse bei der Mutter seien nunmehr ausgezeichnet. Die Kinder hätten zu ihr die stärkste Bindung und verstunden sich auch mit den Stiefvater ausgezeichnet. Nachteile aus dem Milieuwechsel seien nicht zu befürchten, da die Kinder nichts sehnlicher wünschten, als in die Obhut der Mutter zu kommen. Für den ständigen Aufenthalt bei der Mutter spreche auch, daß der für die Kinder nachteilige tägliche Wechsel zwischen der Wohnung des Vaters und der Wohnung der väterlichen Großeltern wegfalle. Zusammenfassend betrachtet, rechtfertigen daher diese wichtigen Gründe unter Bedachtnahme auf die seelischen Bedürfnisse der Kinder die Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten an die Mutter.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Vaters nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach § 142 Abs. 2 ABGB aF konnte das Gericht, wenn eine Entscheidung im Sinne des Abs. 1 dieser Gesetzestelle darüber, ob alle oder welche Kinder dem Vater oder der Mutter zu überlassen seinen, bereits vorlag, bei geänderten Verhältnissen ohne Rücksicht auf seine früheren Anordnungen oder die Vereinbarungen der Ehegatten die im Interesse der Kinder notwendigen neuen Anordnungen zu treffen. Hiebei vertrat die Rechtsprechung zu dieser Bestimmung die Ansicht, daß ein Wechsel in der Person des Erziehungsberechtigten in aller Regel von Nachteil sei, weil ein wesentlicher Grundsatz jeder Erziehung ihre Stetigkeit und Dauer zu sein habe, sodaß ändernde Maßnahmen nur dann als zulässig erachtet werden könnten, wenn sie im Interesse der Kinder dringend geboten erscheinen (Wenzel - Plessl in Klang[2] I/2, 58; EvBl. 1972/244 u. a.) und (besonders) wichtige Umstände dafür sprächen (EFSlg. 26 567, 26 568, 22 014, 22 015 u. a.). Es wurde ausgesprochen, daß bei der Prüfung dieser Frage stets ein strenger (z. B. EFSlg. 29 011) bzw. ein besonderer strenger Maßstab (EFSlg. 24 175 u. a.) anzulegen sei.
In der vom Revisionsrekurswerber zitierten ersten auf der geänderten Rechtslage beruhenden Entscheidung EvBl. 1979/42 wurde ausgesprochen, daß eine Änderung in der Zuerkennung der elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 177 ABGB nF an einen Elternteil ein Verhalten dieses Elternteiles zur Voraussetzung habe, daß die Interessen des Kindes gefährde, sodaß eine Änderung nur dann angeordnet werden dürfe, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten sei. Ein das Wohl des Kindes gefährdendes Verhalten eines Elternteiles wurde aber auch schon darin erblickt, daß er auf den ihm nach § 177 Abs. 2 ABGB nF zuerkannten elterlichen Rechten und Pflichten in einer die Interessen des Kindes beeinträchtigenden Weise bestehe (in diesem Sinne auch 5 Ob 597/79; 4 Ob 519/80).
Die vom Revisionsrekurswerber auch ausdrücklich bezogene Entscheidung EvBl. SZ 51/136 ging ebenfalls nach Darstellung der bisherigen Rechtslage davon aus, daß die Gründe, die gemäß § 176 Abs. 1 ABGB nF zu einer Entziehung oder Einschränkung der elterlichen Rechte und Pflichten führen können, weitgehend den Gründen entsprächen, welche die Gerichte schon zuvor allein dafür anerkannt hätten, daß die einem Elternteil einmal zuerkannte Pflege und Erziehung von Kindern auf den anderen Elternteil übertragen werden konnte. Das Fehlen einer dem § 142 Abs. 2 ABGB aF ähnlichen Bestimmung im neuen Gesetz sei also dahin zu verstehen, daß nunmehr auch durch das Gesetz klargestellt werden sollte, daß eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zustehen sollten, nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden soll, wenn das Wohl des Kindes oder der Kinder gefährdet ist, wenn also, wie es die Rechtsprechung bisher ausdrückte, besonders wichtige Gründe vorliegen und eine Änderung dringend geboten ist (im gleichen Sinn auch EvBl. 1979/185 und weitere nicht veröffentlichte Entscheidungen).
Daraus folgt aber, daß die Rechtsprechung den Begriff der "Gefährdung des Kindeswohles" im Sinne des § 176 Abs. 1 ABGB nF von den des Vorliegens eines wichtigen, die Änderung rechtfertigenden Gründes nicht scharf getrennt, sondern zum Ausdruck gebracht hat, daß die bisherigen, in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze weiterhin Geltung hätten, wobei allerdings eher ein noch strengerer Maßstab als bisher anzulegen sei.
Soweit dies aus dem Fehlen einer dem § 142 Abs. 2 ABGB aF entsprechenden Bestimmung im neuen Gesetz abgeleitet werden soll, ist die Begründung dieser Ansicht nicht stichhältig. Die in der RV (144 Blg, XIII. GP.) noch enthaltene Bestimmung, daß das Gericht bei wesentlich geänderten Verhältnissen neu zu entscheiden habe (Verweisung des vorgeschlagenen § 177 Abs. 2 ABGB auf § 176 Abs. 3 ABGB), ist aus der endgültigen Fassung des Gesetzes nicht deshalb entfernt worden, weil wesentlich geänderte Verhältnisse nicht mehr als ausreichender Grund zu einer neuen Entscheidung angesehen worden wären, sondern weil eine ausdrückliche Bestimmung dieses Inhaltes vom Justizausschuß deswegen für entbehrlich gehalten wurde, weil der Grundsatz, daß das Gericht bei geänderten Verhältnissen neu zu entscheiden habe, ohnehin ein das Vormundschafts- und Pflegschaftsverfahren ganz allgemein beherrschender Grundsatz sei (JA 587 BlgNR, XIV. GP, 14; Schwimann in Floretta, Das neue Ehe- und Kindschaftsrecht, 174). Die damit aus der bisherigen Rechtsprechung abzuleitende weitgehende Gleichsetzung der Begriffe "Gefährdung des Kindeswohls" und "besonders wichtige, die Änderung rechtfertigende Gründe" findet aber auch im § 176 Abs. 1 ABGB nF eine Stütze, der Verfügungen zur Sicherung des Kindeswohls nicht nur bei dessen Gefährdung durch die Eltern anordnet, sondern (auf Antrag) auch dann gestattet, wenn die Eltern in einer wichtigen Angelegenheit des Kindes kein Einvernehmen erzielen.
Aus den Materialien ist auch sonst nichts zu entnehmen, was auf eine strengere Bedeutung des Begriffes der Gefährdung des Kindeswohles im Sinne des § 176 Abs. 1 ABGB nF (etwa in Richtung eines drohenden Erziehungsnotstandes) hindeuten würde. Die Gesetzesverfasser betonen vielmehr, daß dazu nicht geradezu ein Mißbrauch der elterlichen Befugnisse gefordert wird. Es genüge, daß die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (RV 60 BlgNR, XIV. GP 33). Eine Pflichtverletzung in diesem Sinne kann auch vorliegen, wenn die Eltern ihre Pflicht zu einvernehmlichen Vorgehen verletzen. Die Gefährdung des Kindeswohls kann daher auch schon darin liegen, daß wichtige Veränderungen eingetreten sind, die Eltern diesen Veränderungen aber nicht durch einvernehmliches Vorgehen Rechnung tragen. Hiebei kann eine Gefährdung des Kindeswohls auch eintreten, wenn dem Kind die auf Grund wesentlich geänderter Verhältnisse gebotene Verbesserung seiner Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten verwehrt wird.
Ein Wechsel der Pflege- und Erziehungsverhältnisse kann daher auch nach der neuen Rechtslage vorgenommen werden, wenn besonders wichtige Gründe eine Änderung geboten erscheinen lassen. Wegen der mit jeder Änderung der Unterbringung verbundenen Unterbrechung in der gebotenen Kontinuität der Pflege und Erziehung eines Heranwachsenden und wegen der von ihm zu verarbeitenden Umstellung auf andere Bezugspersonen ist aber eine bereits eingelebte Regelung im Sinne des § 177 ABGB nF grundsätzlich nur dann abzuändern, wenn besondere Umstände dafür sprechen, daß die durch die Persönlichkeit, den Charakter, die pädagogischen Fähigkeiten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des vorgesehenen neuen Pflege- und Erziehungsberechtigten eröffneten Möglichkeiten aller Voraussicht nach zu einer beachtlichen Verbesserung seiner Lage und Zukunftserwartungen führen werden (5 Ob 506/79; 2 Ob 585/79).
Im vorliegenden Fall erfolgte die Zuteilung der Elternrechte an den Vater auf Grund einer - gerichtlich genehmigten - Vereinbarung im Sinne des § 177 Abs. 1 ABGB nF, der die Mutter nur deshalb zugestimmt hatte, weil sie damals in unzumutbaren Wohnverhältnissen lebte und ihr der Vater ein uneingeschränktes Besuchsrecht einräumte. Die damaligen Wohnungsverhältnisse der Mutter machten somit eine Zuteilung der Elternrechte an sie von vornherein unmöglich, sodaß eine Abwägung aller sonstigen Umstände, die für eine Zuweisung der Elternrechte an den einen oder anderen Elternteil von Bedeutung hätte sein können, entfiel. Seither haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert. Beide Elternteile sind wieder verheiratet. Die Wohnungsverhältnisse der Mutter verbesserten sich entscheidend. Sie ist in der Lage, ihren Kindern eigene Zimmer zur Verfügung zu stellen, die sie jetzt schon bei ihren Besuchen bei der Mutter bewohnen. Da die Mutter im Karenzurlaub ist, kann sie die Betreuung der Kinder selbst durchführen. Auch wenn sie ab Mitte 1981 wiederum ihrem Berufe als Volksschullehrerin nachgehen sollte, wird sie aller Voraussicht nach mehr Zeit für die Kinder haben als der ganztägig berufstätige Vater, womit der die Kinder belastende tägliche Aufenthaltswechsel zwischen dem Haushalt der väterlichen Großeltern und dem Haushalte des Vaters entfällt. Grundsätzlich ist aber der ständigen Betreuung der Kinder durch die Mutter gegenüber der Betreuung durch einen Stellvertreter des Vaters bei Gleichwertigkeit der sonstigen Voraussetzungen der Vorzug zu geben.
Entscheidendes Gewicht erhalten diese Vorteile aber vor allem dadurch, daß die Kinder trotz ihrer nunmehr etwa zwei Jahre währenden Betreuung durch den Vater und die väterlichen Großeltern die stärkste Bindung zur Mutter haben. Dazu kommt, daß es ihr ausgeprägter Wunsch ist, für ganz bei der Mutter sein zu dürfen. Bei der Entscheidung, welchem Elternteil ein Kind in Pflege und Erziehung übergeben werden soll, ist aber auch der Wunsch der Kinder nach Maßgabe ihres Alters entsprechend mitzuberücksichtigen, ohne daß freilich dieser Wunsch allein entscheidend sein könnte (EFSlg. 26 557 u. a.). Der damit gesteigerten Rücksichtnahme auf die Persönlichkeit des Kindes hat der Gesetzgeber auch dadurch Rechnung getragen, daß er die Anhörung des mindestens zehnjährigen Kindes gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 ABGB zwingend anordnete. Im vorliegenden Fall kommt dem Wunsch der Kinder, vor allem dem Wunsch des für sein Alter schon überdurchschnittlich reifen minderjährigen Thomas, deshalb erhebliche Bedeutung zu, weil er ihn auch mit der Besorgnis, daß der von den Kindern gewünschte innige Kontakt zur Mutter durch den Vater immer mehr beschränkt werden könnte, motivierte. Diese Besorgnis ist nach der Aktenlage nicht unbegrundet, da der Vater wiederholt eine Einschränkung des der Mutter zunächst unbeschränkt eingeräumten Besuchsrechtes beantragte und sich auch an die beschlußmäßig festgesetzten Zeiten nicht hielt, sodaß es bei der Ausübung des Besuchsrechtes wiederholt zu beträchtlichen Unstimmigkeiten der Eltern, durch die auch die Kinder in Mitleidenschaft gezogen wurden, kam. Wegen des innigen Kontaktes der Kinder zur Mutter fallen hier auch die allgemeinen, mit einem Wechsel in der Pflege und Erziehung eines Kindes verbundenen Nachteile nicht besonders ins Gewicht.
Das Rekursgericht nahm daher zutreffend besonders wichtige Gründe an, die eine Abänderung der zwischen den Eltern getroffenen Vereinbarung rechtfertigen. Der Vater vermag zwar dagegen keine stichhältigen Gründe vorzubringen. Mit dem Einwand, daß der dringende Wunsch der Kinder, zur Mutter zu kommen, auf deren unsachliche Beeinflussung vor der Untersuchung durch die Psychologin ("durch vorbereitete Äußerungen") zurückzuführen sei, bekämpft der Revisionsrekurswerber in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die davon ausgingen, daß es tatsächlich ernsthafter und dringender Wunsch der Kinder sei, dauernd in Pflege und Erziehung der Mutter zu kommen. Im übrigen sei jedoch darauf verwiesen, daß die psychologische Sachverständige, welche die Erklärungen des minderjährigen Thomas keineswegs unkritisch zur Kenntnis nahm, sondern sie auf ihre Stichhältigkeit überprüfte, ohnehin von einer Beeinflussung des minderjährigen Thomas vor der Befundaufnahme ausging, aber dennoch zu dem Ergebnis gelangte, daß das, was er damals sagte, sehr stark seinen eigenen Intentionen entsprach. Das Rekursgericht maß auch dem Umstand, daß die Mutter mit den Kindern Fragen des Erziehungs- und Besuchsrechtes besprach, mit Recht keine für seine Entscheidung maßgebliche Bedeutung zu. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß diese Frage durch die Versuche des Vaters, das Besuchsrecht der Mutter zu beschränken, zwangsläufig in das Bewußtsein der unmittelbar davon betroffenen Kinder gerückt wurde, sodaß es verständlich ist, daß diese Probleme zwischen Mutter und Kindern zu Sprache kamen. Es steht aber fest, daß eine negative Beeinflussung der Kinder gegen den Vater nicht erfolgte.
Es entspricht der Absicht des Gesetzgebers, daß das Verschulden am Zusammenbruch der Ehe für die Frage, welchem Elternteil die elterlichen Befugnisse zuzuteilen seien, grundsätzlich unbeachtlich sein soll (RV 60 BlgNR, XIV. GP, 36). Der an sich zutreffende Vorwurf des Revisionsrekurswerbers, die Mutter habe die eheliche Gemeinschaft verlassen und wegen der Bindung zu einem anderen Mann eine baldige Ehescheidung angestrebt, ist daher für die Entscheidung, die sich ausschließlich an dem nach den derzeitigen Gegebenheiten zu beurteilenden Wohl der Kinder zu orientieren hat, nicht von Gewicht.
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