Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am *****1941 geborene Johann P***** befindet sich seit 11.7.1983 wegen einer Oligophrenie mit dem Grad einer Imbezillität im Landes-Nervenkrankenhaus Hall in Tirol. Seine Mutter war vor der Aufnahme verstorben; er ist seither allein und ohne jegliche Hilfe von Verwandten. Der Betroffene spricht nichts und soll überhaupt nur einige Worte Ladinisch können. Seine Anhaltung ist zuletzt mit Beschluß des Erstgerichtes vom 13.9.1990, L 234/83-33, wegen Imbezillität höheren Grades nach § 22 EntmO bis zum 13.9.1991 für zulässig erklärt worden. Auf Grund der Mitteilung des Abteilungsleiters vom 6.6.1991, wonach er die weitere Unterbringung des Betroffenen für erforderlich halte, weil sich an dessen Zustand nichts wesentliches geändert habe, erklärte das Erstgericht bei der ersten Anhörung des Betroffenen am 7.6.1991 dessen weitere Unterbringung vorläufig bis zur Entscheidung nach § 26 Abs 2 UbG für zulässig (ON 2). Nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr.Istvan B***** vom 18.6.1991 (ON 3) erklärte das Erstgericht am Schluß der mündlichen Verhandlung vom 21.6.1991 die weitere Unterbringung des Betroffenen für unzulässig. Es stellte fest, daß die früheren epileptischen Anfälle Johann P*****s abgeklungen sind und seit 1986 kein Anfall mehr beschrieben wurde. Johann P***** ist auf Grund seiner Oligophrenie rein geistig behindert; für eine zusätzliche psychische Krankheit oder eine psychische Komponente liegen keine Anhaltspunkte vor.
Daraus folgerte das Erstgericht, daß der Betroffene an keiner psychischen Krankheit leide und schon deshalb seine weitere Unterbringung in einer Anstalt unzulässig sei.
Dem vom Abteilungsleiter angemeldeten Rekurs erkannte das Erstgericht sogleich aufschiebende Wirkung zu. Es gab mit dem angefochtenen Beschluß dem fristgerecht ausgeführten Rekurs des Abteilungsleiters nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das Erstgericht habe zutreffend erkannt, daß nur ein psychisch Kranker in einer Krankenanstalt oder einer Abteilung für Psychiatrie untergebracht werden könne. Das Unterbringungsgesetz beschränke - abweichend von § 273 ABGB, welcher die Bestellung eines Sachwalters sowohl für psychisch Kranke als auch für geistig Behinderte zulasse - bewußt die Unterbringung in einer Anstalt auf Personen, die an einer psychischen Krankheit leiden. Das Vorliegen einer geistigen Behinderung allein reiche daher für eine Unterbringung nicht mehr aus. Solche Personen könnten nur dann in einer Anstalt untergebracht werden, wenn die geistige Behinderung mit einer psychischen Krankheit verbunden ist oder eine solche als Folge der geistigen Behinderung auftritt. Da der Betroffene nicht psychisch krank, sondern geistig behindert sei, sei - wenngleich auch in Tirol sonst keine Betreuungs- und Versorgungsmöglichkeit für geistig Schwerstbehinderte bestehen sollte - die weitere Unterbringung in der Landes-Nervenklinik Hall in Tirol unzulässig. Der Betroffene könne nur außerhalb des geschlossenen Bereiches der Anstalt betreut werden.
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Abteilungsleiters ist schon deshalb zulässig, weil zu den Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Anstalt nach dem erst am 1.1.1991 in Kraft getretenen Bundesgesetz vom 1.3.1990 BGBl 155 über die Unterbringung psychisch Kranker in Krankenanstalten (Unterbringungsgesetz - UbG) noch keine veröffentlichte Rechtsprechung des Obersten Gerichshofes vorliegt. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gegenstand der Entscheidung ist die Frage, ob der Behinderte (weiterhin) in einer Krankenanstalt oder einer Abteilung für Psychiatrie, in der Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden, untergebracht werden darf, also seine Unterbringung im Geltungsbereich des Unterbringungsgesetzes (§ 2 UbG) zulässig ist. Daß das Landes-Nervenkrankenhaus Hall in Tirol eine Anstalt im Sinne des § 2 UbG ist, steht außer Zweifel. Nach § 3 UbG darf in einer solchen Anstalt nur untergebracht werden, wer
1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und
2. nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.
Materiell-rechtliche Voraussetzung der Unterbringung ist sohin (ua) das Vorliegen einer psychischen Krankheit. § 3 UbG erwähnt - im Gegensatz etwa zu § 273 Abs 1 ABGB - nicht daneben auch noch die geistig behinderten Personen. Aus der gleichzeitigen Novellierung des § 37 Abs 1 KAG - wo die bisherige Wortfolge "Geisteskranken, Geistesschwachen und Suchtkranken" durch die bloße Nennung "psychisch Kranker" ersetzt wurde - und dem Justizausschußbericht dazu (1204 BlgNR 17.GP 1) geht die Absicht des Gesetzgebers eindeutig hervor, daß geistig Behinderte in Hinkunft nur dann in Abteilungen und Sonderanstalten für Psychiatrie aufgenommen werden dürfen, wenn neben der geistigen Behinderung auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten. Die bloße geistige Behinderung kann daher - selbst bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 3 UbG - die Aufnahme in eine solche Anstalt nicht rechtfertigen. Einer näheren Abgrenzung der - rechtlichen (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 273; Kopecki, UnterbringungsG Rz 58; vgl EvBl 1974/214) - Begriffe der "psychischen Krankheit" und der "geistigen Behinderung" bedarf es aber hier nicht, weil nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen eine über die geistige Behinderung vom Grad einer Imbezillität hinausgehende psychische Krankheit oder psychische Komponente nicht erwiesen ist. Auch der Rechtsmittelwerber selbst geht davon aus, daß Johann P***** nicht an einer psychischen Krankheit leidet. Im Hinblick auf die eindeutig zum Ausdruck gebracht Absicht des Gesetzgebers, nur die Aufnahme psychisch Kranker in Anstalten gemäß § 2 UbG zu gestatten, kommt mangels Vorliegens einer "planwidrigen Unvollständigkeit", also einer nicht gewollten Lücke (Bydlinski in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 7 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung), eine analoge Anwendung des Unterbringungsgesetzes auf bloß geistig Behinderte nicht in Frage (7 Ob 586/91); dies umso weniger, als auch Art 2 Abs 1 Z 5 des gleichfalls am 1.1.1991 in Kraft getretenen Bundesverfassungsgesetzes vom 29.11.1988 BGBl 684 über den Schutz der persönlichen Freiheit im gegebenen Zusammenhang eine Entziehung der persönlichen Freiheit auf die gesetzlich vorgesehene Weise nur für Menschen vorsieht, die wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährden, nicht aber für geistig Behinderte, auf die das gleiche zutrifft. Daß geistig Behinderte ohne Symptome einer psychischen Erkrankung auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Behinderung sich oder andere ernstlich und erheblich gefährden, nach dieser Rechtslage weder in einem geschlossenen Bereich angehalten noch sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden dürfen, mag unbefriedigend sein; die Änderung einer solchen Rechtslage ist aber nicht Sache der Rechtsprechung, sondern Aufgabe des Gesetzgebers (SZ 40/154; SZ 45/41 und 90; JBl 1974, 99; EvBl 1975/148; JBl 1979, 382; SZ 54/120; ÖBl 1984, 14 ua).
Der Rechtsmittelwerber beruft sich ausschließlich darauf, daß eine sofortige Entlassung des Betroffenen aus der geschlossenen Abteilung von ärztlicher Seite in keiner Weise vertretbar wäre, weil der Patient ohne fremde Hilfe und auch ohne regelmäßige ärztliche Betreuung nicht einmal für kurze Zeit lebensfähig wäre und sich derzeit außerhalb der geschlossenen Abteilung des Landes-Nervenkrankenhauses Hall in Tirol keinerlei Möglichkeit einer entsprechenden Betreuung, Versorgung und Behandlung des Patienten ergebe, so daß die sofortige Entlassung durch den Arzt gegen das Strafgesetz und das Ärztegesetz verstieße. Dem ist folgendes zu erwidern:
Die - im Hinblick auf die insoweit eindeutige Rechtslage zwingend notwendige - Entscheidung, daß die Unterbringung des Betroffenen in einer Anstalt (§ 2 UbG) unzulässig ist, kann gewiß nicht bedeuten, daß der völlig hilflose geistig Behinderte, um den sich nach der Aktenlage sonst niemand kümmert, auf die Straße gestellt und damit dem sicheren Verderben preisgegeben werden dürfte. Die vom Gesetzgeber in Aussicht gestellte (JAB 1202 BlgNR 17.GP 3) Regelung der "zivilrechtlichen Voraussetzungen der Aufenthaltsbestimmung für psychisch Kranke und behinderte Menschen im Rahmen des Sachwalterrechts", wobei dem Sachwalter nach § 273 ABGB sowie dem Pflegschaftsgericht weitergehende Überwachungsbefugnisse eingeräumt werden sollen, steht freilich noch aus. Soweit nicht dennoch das Erstgericht im Zuge pflegschaftsbehördlicher Maßnahmen eine anderweitige Betreuung des Behinderten anordnen sollte, müßte der Betroffene, welcher ohne Zweifel nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu beschaffen, und ihn offenbar auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält, sich also in einer Notlage im Sinne des Tiroler Sozialhilfegesetzes LGBl 1973/105 befindet, den nach diesem Gesetz zuständigen Organen zur Betreuung übergeben werden. Das genannte Gesetz sieht ausdrücklich auch eine Hilfe für pflegebedürftige Personen vor (§ 5 Abs 1 lit d und Abs 5).
Dem Revisionsrekurs mußte somit ein Erfolg versagt bleiben.
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