Normen
ABGB §6
ABGB §7
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs3
ABGB §6
ABGB §7
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs3
Spruch:
Unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, ist nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung; es ist nicht Aufgabe der Gerichte, im Wege der Rechtsfortbildung oder einer allzu weitherzigen Interpretation möglicher Intentionen des Gesetzgebers Gedanken in ein Gesetz zu tragen, die darin nicht enthalten sind Auch der Vermieter, der ein Haus durch Rechtsgeschäft unter Lebenden von einem Verwandten in gerader Linie oder dem Ehegatten erworben hat, kann nach § 19 Abs 2 Z 5 MG nur kundigen, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Erwerbung und dem Kündigungstermin mindestens zehn Jahre liegen
OGH 5. 4. 1972, 1 Ob 60/72 (LGZ Wien 41 R 695/71; BG Döbling 5 C 1031/71)
Text
Elsa T und die Erstklägerin, deren Tochter, waren auf Grund des Kaufvertrages vom 6. 3. 1940 seit 25. 9. 1940 zu drei Vierteln bzw die Erstklägerin zu einem Viertel Eigentümer des Hauses Wien, C-Straße 3. Auf Grund des Schenkungsvertrages vom 28. 9. und 14. 10. 1970 wurde die Erstklägerin auch Eigentümerin der Elsa T gehörigen Drei-Viertel-Anteile und damit Alleineigentümerin der Liegenschaft. Auf Grund des weiteren Schenkungsvertrages vom 26. 2. und 1. 3. 1971 wurde schließlich am 29. 3. 1971 das Eigentumsrecht der Zweitklägerin, der Tochter der Erstklägerin und damit Enkelin der Elsa T, an der Liegenschaft zu einem Drittel einverleibt.
Die beiden Klägerinnen kundigten am 24. 6. 1971 dem Beklagten die in ihrem Haus gelegene Wohnung Nr 1 zum 31. 10. 1971 unter Geltendmachung des Kündigungsgrundes des § 19 Abs 2 Z 5 MG (Eigenbedarf für die Zweitklägerin) auf.
Das Erstgericht hob die Aufkündigung, gegen die der Beklagte ua die Einwendung der mangelnden aktiven Klagslegitimation erhoben und das Fehlen der Voraussetzung des § 19 Abs 3 MG behauptet hatte, auf. Die materielle Kündigungsberechtigung nach § 19 Abs 3 MG sei nicht gegeben, da keine der Klägerinnen vor dem Kündigungstermin durch zehn Jahre hindurch mindestens Hälfteeigentümerin gewesen sei. Die Eigentumsübertragungen während dieses Zeitraumes seien durchwegs im Wege von Rechtsgeschäften unter Lebenden erfolgt.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und erklärte die Revision für zulässig.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerinnen nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Gemäß § 19 Abs 3 MG idF MRÄG kann der Vermieter, der das Haus durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden erworben hat, aus dem Grund des § 19 Abs 2 Z 5 MG nur kundigen, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Erwerbung und dem Kündigungstermin mindestens zehn Jahre liegen. Diese Bestimmung löste die frühere, auf einen bedeutend längeren Zeitraum abgestellte Regelung des § 19 Abs 3 MG ab, nach der einerseits das Rechtsgeschäft unter Lebenden (in W) vor Ende Juli 1914 liegen mußte, andererseits allerdings Rechtsgeschäfte unter Lebenden, die nach diesem Zeitpunkt lagen, unberücksichtigt blieben, wenn sie mit Verwandten in gerader Linie oder dem Ehegatten abgeschlossen wurden; begünstigt war darüber hinaus ein Erwerb unter Miteigentümern, die Verwandte in gerader Linie waren. Das Mietrechtsänderungsgesetz brachte damit für den Vermieter eine wesentliche Erleichterung, indem es den mehr als 50 Jahre zurückliegenden Stichtag 31. 7. 1914 beseitigte und es genügen ließ, daß das Rechtsgeschäft unter Lebenden, mit dem das Haus, in dem sich die gekundigte Wohnung befindet, erworben wurde, 10 Jahre zurückliegt. Diese Gesetzesänderung wurde in den EB zur RV des Mietrechtsänderungsgesetzes, 500 BlgNR 11, GP damit begrundet, daß die vorgesehene Frist die berücksichtigungswürdigen Interessen der Mieter vor Spekulationskäufen der Vermieter ausreichend schützt (s Limbek - Ruttar, Das Mietengesetz idF des Mietrechtsänderungsgesetzes I, 94). Das Mietrechtsänderungsgesetz brachte aber auch eine Schlechterstellung des Vermieters durch Wegfall des begünstigten Erwerbes unter nahen Verwandten, einen Nachteil, den die EB zur RV des Gesetzes überhaupt nicht erwähnten. Er wurde aber von den Schriftstellern, die sich mit den Auswirkungen des Mietrechtsänderungsgesetzes befaßten, sofort erkannt. So führen Czech - Michlmayr, Das neue Wohnungsrecht II, 39 aus, daß durch den neuen Wortlaut des § 19 Abs 3 MG eine in den Erläuternden Bemerkungen nicht besprochene und nicht hervorgehobene Erschwerung für die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 19 Abs 2 Z 5 MG eingetreten sei, weil der § 19 Abs 3 MG in der neuen Fassung des bis dahin erwähnten begünstigten Erwerb nicht mehr kenne; es trete also durch jedes Rechtsgeschäft unter Lebenden, demnach zB auch durch eine Schenkung der Liegenschaft vom Vater an den Sohn, eine Unterbrechung des "Altbesitzes" ein; dies habe die sonderbar anmutende Folge, daß zB der Vater, der sein Haus etwa im Jahre 1965 dem Sohn geschenkt habe, damit die ohne diese Schenkung vielleicht gegeben gewesene Kündigungsmöglichkeit für den Bedarf des Sohnes ausgeschaltet habe; der Vater könne für den Sohn nicht mehr kundigen, weil er nicht mehr Eigentümer sei; der Eigenbedarf des Sohnes könne aber gerade deshalb von ihm selbst nicht geltend gemacht werden, weil er erst 1965 Eigentümer geworden sei; nach dem neuen Abs 3 des § 19 MG müsse er mit der Kündigung nach § 19 Abs 2 Z 5 MG bis 1975 warten. Im gleichen Sinne führen Limbek - Ruttar aaO II, 92 aus, daß die Zehnjahresfrist auch dann gelte, wenn das Haus vom Ehegatten oder Verwandten in gerader Linie erworben wurde; auch für Miteigentümer sei, vom letzten Satz des § 19 Abs 3 MG abgesehen, keine Regelung getroffen; auch für den Miteigentümer, der nach § 19 Abs 2 Z 5 MG kundigen wolle, gelte daher die Zehnjahresfrist (vgl Zingher, MG[15], 92; Sobalik in RZ 1968, 99). Tatsächlich läßt sich auch das keineswegs unklar formulierte Gesetz nicht anders verstehen. Aus den Materialien kann entgegen der Ansicht der Revision nichts gewonnen werden, da jene zur erwähnten Gesetzesänderung überhaupt nichts sagen und damit keine Aufklärung geben, inwieweit die Erschwerung für den Vermieter beabsichtigt war. Materialien können zudem ohnehin erst dann zur Auslegung einer Gesetzesbestimmung herangezogen werden, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzes selbst zweifelhaft ist (SZ 39/103; SZ 22/1; vgl SZ 41/119 ua). Im vorliegenden Falle ist das Gesetz aber, wie erwähnt, so deutlich formuliert, daß es einer Auslegung durch Heranziehung der Materialien nicht bedarf; ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht einmal angedeutet ist, kann aber auch nicht im Wege der Auslegung Geltung erlangen (SZ 39/103; JBl 1961, 425). Insbesondere kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber erkennbar seinen Willen erklärt habe, früher begünstigten Erwerb weiter gelten zu lassen. Gerade die Tatsache, daß ein solcher früher im Gesetz stand und nunmehr weggelassen wurde, läßt nur den Schluß zu, daß eine Gesetzesänderung beabsichtigt war; es kann jedenfalls dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er hätte auf eine Regelung, die bisher Bestandteil des Gesetzes war, bei der Neufassung trotz gegenteiliger Absicht vergessen; eine solche Absicht wäre jedenfalls aus dem Gesetz nicht zu erkennen.
Es mag sein, daß die Regelung des Gesetzes unverständlich und unbefriedigend ist. Diese zu ändern, ist aber nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung; die Gerichte haben nur die bestehenden Gesetze anzuwenden; es ist hingegen keineswegs ihre Aufgabe, im Wege der Rechtsfortbildung oder einer allzu weitherzigen Interpretation möglicher Intentionen des Gesetzgebers Gedanken in ein Gesetz zu tragen, die darin nicht enthalten sind (vgl SZ 40/154). Als maßgebend kann vielmehr nur der objektive Sinn eines gehörig kundgemachten Gesetzeswortlautes angesehen werden (SZ 41/119). Es ist daher auch nicht möglich, in den § 19 Abs 3 MG, wie es die Revision will, die besondere Berücksichtigung von Deszendenten deswegen hineinzuinterpretieren, weil § 19 Abs 2 Z 5 MG auf diese Bedacht nimmt.
Im vorliegenden Fall haben nun beide Klägerinnen das Haus, in dem sich die gekundigte Wohnung befindet, innerhalb der letzten zehn Jahre durch Schenkung und damit durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben. Eine Ausnahme gilt nur für ein Hausviertel, das der Erstklägerin schon seit dem Jahre 1940 gehört. Gemäß § 19 Abs 3 zweiter Satz MG kann jedoch ein Miteigentümer den Kündigungsgrund nach § 19 Abs 2 Z 5 MG nur geltend machen, wenn er wenigstens Eigentümer zur Hälfte ist. Diese Voraussetzung war für keine der Klägerinnen und auch nicht für beide zusammen während der letzten zehn Jahre gegeben (vgl dazu Sobalik aaO). Daß es hiebei nur auf den Zeitpunkt der Kündigung ankomme, wie die Revision meint, ist ebenfalls bereits durch den Gesetzeswortlaut selbst widerlegt, da der § 19 Abs 3, Satz 2, MG ausdrücklich das Wort "überdies" enthält und damit keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß als nach § 19 Abs 2 Z 5 MG kündigungsberechtigter Miteigentümer auch nur derjenige gelten kann, der seinen Anteil nicht erst innerhalb der letzten zehn Jahre durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat.
Der Mangel der Kündigungsberechtigung wurde vom Beklagten auch in ausreichender Weise gerügt. Mit Recht haben die Untergerichte daher die Aufkündigung aufgehoben.
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