OGH 4Ob42/16d

OGH4Ob42/16d30.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** R*****, vertreten durch Dr. Reinhard Bruzek und Dr. Hubert Bruzek, Rechtsanwälte in Elsbethen, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. H***** S*****, 2. G***** Versicherung AG *****, beide vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, 3. B***** KG, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen zuletzt 23.803,75 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 2. Dezember 2015, GZ 3 R 150/15x‑18, womit das Teilurteil des Landesgerichts Salzburg vom 24. September 2015, GZ 4 Cg 24/15s‑14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das erstgerichtliche Urteil bezüglich des gegen die erst‑ und zweitbeklagten Parteien erhobenen Leistungsbegehrens als Teil‑Zwischenurteil zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die erst- und zweitbeklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 23.803,75 EUR samt Zinsen zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten bleibt dem Endurteil vorbehalten.“

Im Übrigen wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde 2014 im Zuge einer ärztlichen Behandlung bei einer Lokalanästhesie an ihrer Nasenschleimhaut verätzt, weil die vom erstbeklagten HNO‑Facharzt als Oberflächenanästhetikum verwendete Pantocain‑Lösung von der drittbeklagten Partei fälschlicherweise statt mit destilliertem Wasser zu 96 % mit Alkohol hergestellt wurde. Eine Variante mit Alkohol oder anderen Zutaten als Trägerlösung statt destilliertem Wasser ist bei der Pantocain‑Lösung nicht vorgesehen und wurde auch nie vom Erstbeklagten bestellt. Abgesehen von der beim Vorfall verwendeten Lösung belieferte die drittbeklagte Partei, die eine Apotheke betreibt, den Erstbeklagten seit 2009 stets mit korrekt hergestellten Pantocain‑Lösungen im Sinne der Bestellungen des Erstbeklagten. In den zwei Jahren vor dem Vorfall gab es zumindest zehn Lieferungen, jeweils ohne Beanstandung. Die Flasche der falsch gemischten Lösung wies in fettgedruckter Blockschrift mit 2 mm Höhe den Namen der Arznei mit „2 % PANTOCAIN LÖSUNG“ auf. Darunter befand sich die Zutatenliste in feinerer und ca 1,6 mm großer Schriftart gedruckt, aus der hervorgeht, dass es sich um eine Lösung mit Alkohol in hoher Konzentration handelt. Ein Hinweis auf besondere Gefahren war nicht aufgedruckt. Der Erstbeklagte behandelte die Klägerin, ohne die auf dem Etikett angeführte Zutatenliste zuvor gelesen zu haben. Ihm war damit die tatsächliche, unrichtige Zusammensetzung nicht bekannt.

Die klagende Partei begehrte an Schmerzengeld, Heilungskosten und Barauslagen abzüglich einer Zahlung der drittbeklagten Partei zuletzt insgesamt 23.803,75 EUR und die Feststellung, dass ihr die beklagten Parteien für zukünftige Schäden aus dem Vorfall haften. Die drittbeklagte Partei habe die Arznei hergestellt. Dem Erstbeklagten sei als fahrlässiges Verhalten anzulasten, nicht auf das von der drittbeklagten Partei auf der Flasche angebrachte Etikett geachtet zu haben. Die zweitbeklagte Partei werde als Haftpflichtversicherung des Erstbeklagten nach § 52d Abs 6 ÄrzteG in Anspruch genommen.

Der Erstbeklagte und die zweitbeklagte Partei brachten im Wesentlichen vor, dass sich der Erstbeklagte auf die korrekte Zusammensetzung der Lösung verlassen habe können, die seinem Rezept entspricht, das er der drittbeklagten Partei übermittelt habe. Jedes Mal, wenn der Erstbeklagte dieses Medikament benötigt habe, habe er die Lösung entsprechend dem Rezept bestellt. Er habe davon ausgehen dürfen, dass dieses Medikament entsprechend dem im Rezeptbuch aufliegenden Rezept hergestellt werde. Die drittbeklagte Partei habe bis zum gegenständlichen Vorfall die Lösung seit Jahren stets einwandfrei hergestellt und geliefert.

Der Anspruch gegen die drittbeklagte Partei, die ihre Haftung für die Verletzungsfolgen dem Grunde nach anerkannt hat, ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Das Erstgericht wies mit seinem Teilurteil die Klagsforderung gegen den Erstbeklagten und die zweitbeklagte Partei ab, wobei es das Verschulden des Erstbeklagten verneinte. Dieser müsse sich zwar vergewissern, dass er das korrekte Medikament und nicht ein anderes verwendet, was auch geschehen sei. Von einem durchschnittlichen Arzt könne aber nicht verlangt werden, jedes von ihm regelmäßig in Auftrag gegebene, von einer Apotheke gemischte Medikament auf die korrekte Zusammensetzung hin zu überprüfen, wenn er keinerlei Anlass habe, die Zubereitungen der Apotheke in Zweifel zu ziehen. Der Pantocain‑Lösung liege seit 2009 eine vorgegebene, unveränderte Rezeptur zugrunde, die sowohl dem Arzt als auch der Apotheke bekannt sei. Die Medikamentenbezeichnung am Flaschenetikett stimme mit dem Rezept des Erstbeklagten überein. Es wäre eine Überspannung der Sorgfaltspflicht, wenn er nicht nur den Namen des Präparats, sondern auch dessen Zusammensetzung kontrollieren müsste. Eine Überprüfungspflicht ergebe sich auch nicht aus der Apothekenbetriebsordnung 2005 (ABO 2005).

Das Berufungsgericht gab der gegen das Ersturteil erhobenen Berufung der Klägerin keine Folge und schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Der Erstbeklagte habe davon ausgehen können, dass die drittbeklagte Partei die Arznei entsprechend seiner Verschreibung herstellt. Ihm sei nicht anzulasten, dass er die auf dem Etikett im Kleindruck angeführten Daten nicht gelesen habe. Der Erstbeklagte hafte nicht für das Verhalten der drittbeklagten Partei, weil diese nicht unmittelbar in die vertragliche Erfüllungshandlung gegenüber der Klägerin eingebunden worden sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sowohl zur Frage, inwieweit einem Arzt Kontrollpflichten für magistral zubereitete Arzneimittel obliegen, als auch zur Frage der Erfüllungsgehilfeneigenschaft der Herstellerin von magistral zubereiteten Medikamenten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

In ihrer Revision vertritt die Klägerin die Ansicht, die Verpflichtung des Apothekers, von der Verschreibung des Arztes nicht abzuweichen, enthebe den Arzt nicht von allen Kontrollpflichten. Ihm sei es zuzumuten, durch einen kurzen Blick auf das Etikett zu prüfen, ob das Medikament seiner Verschreibung entspreche. Auch der Arzt sei Adressat des § 22 Abs 1 Z 3 ABO 2005. Zudem hafte der Erstbeklagte für das Verhalten der drittbeklagten Partei, weil er sich ihrer Mitwirkung als Erfüllungsgehilfin bedient habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Ärzte haben nach § 1299 ABGB den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird (RIS‑Justiz RS0038202; RS0026311). Der vom Arzt (als Sachverständigen im Sinne des § 1299 ABGB) einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab wird demnach durch die typischen und objektiv bestimmten Fähigkeiten eines Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises bestimmt. Entscheidend ist der Leistungsstandard der betreffenden Berufsgruppe (RIS‑Justiz RS0026541). Bei § 1299 ABGB geht es somit um den durchschnittlichen Fachmann des jeweiligen Gebietes, der prinzipiell auch der maßgerechte im Sinn dieser Bestimmung ist. Der Sorgfaltsmaßstab darf aber nicht überspannt werden (RIS‑Justiz RS0026535).

Die im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung, dass dem Erstbeklagten der ihm obliegende Entlastungsbeweis (vgl RIS‑Justiz RS0026412) gelungen ist, ist mit Rücksicht auf die Feststellungen nicht zu teilen. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass eine Pflicht des Arztes zur Prüfung der korrekten Herstellung eines seit Jahren von einer Apotheke ohne Beanstandung magistral zubereiteten Arzneimittels den Sorgfaltsmaßstab nach § 1299 ABGB überspannen würde, übersieht den Schutzzweck der in der ABO 2005 dazu ergangenen Normen. Die hier relevanten Normen lauten:

Zubereitungen (Rezeptur)

§ 20. (1) Magistrale Zubereitungen sind Arznei-mittel, die in einer Apotheke durch einen Apotheker/eine Apothekerin nach ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten/eine bestimmte Patientin bzw. nach tierärztlicher Verschreibung für ein bestimmtes Tier zubereitet werden.

[...]

(4) Magistrale und offizinale Zubereitungen sind nach den Vorschriften des Arzneibuches im Sinne des § 1 des Arzneibuchgesetzes herzustellen. Soweit dieses keine Vorschriften über die Herstellung enthält, sind sie nach dem Stand der Wissenschaften herzustellen.

§ 21. Magistrale Zubereitungen müssen der Verschreibung entsprechen. Enthält eine Verschreibung einen erkennbaren Irrtum, ist sie unleserlich oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht hergestellt werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist.

§ 22. (1) Auf den Behältnissen der magistralen und offizinalen Zubereitungen ist eine deutlich lesbare Aufschrift anzubringen, die mindestens [...]

3. die wirksamen Bestandteile nach Art und Menge, sofern dies nach der Größe des Gebindes möglich ist,

[…] zu enthalten hat.

Rezepturvorrat

§ 23. (1) Bei der Herstellung von magistralen und offizinalen Zubereitungen auf Grund eines vorhersehbar wiederkehrenden Bedarfes sind die zur Vermeidung von Verwechslungen und unbeabsichtigten Vermengungen notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen.

Die genannten Bestimmungen dienen vor allem dazu, Patienten vor einem Schaden durch Fehler im Zusammenhang mit der Herstellung und Verwendung magistraler Zubereitungen zu schützen. Es soll vermieden werden, dass der Patient durch Verwechslungen oder unrichtig zubereitete Arzneimittel geschädigt wird. Die in § 22 ABO 2005 normierte Pflicht, die Bestandteile der Arznei auf den Behältnissen von magistralen Zubereitungen in einer deutlich lesbaren Aufschrift anzubringen, bezweckt, dass der Anwender der Arznei Kenntnis von ihren Bestandteilen hat. Die Vorschrift richtet sich daher und vor allem an jene Fachärzte, die die von ihnen verschriebene Arznei bei ihren Patienten anwenden.

Es bedeutet keine Überspannung des gebotenen Sorgfaltsmaßstabs, wenn der Arzt die ihm auf der Arzneiflasche zur Verfügung stehenden Informationen vor dem Einsatz der Arznei überprüft. Der Erstbeklagte war im Anlassfall auch nicht gehindert, der gebotenen sorgfältigen Erfüllung des Behandlungsvertrags durch einen kurzen Blick auf die Flasche nachzukommen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Erstbeklagte mit der Arznei bis zum Vorfall noch keine negativen Erfahrungen gemacht hat, ist aus § 22 Abs 1 Z 3 ABO 2005 vielmehr zu schließen, dass ein Facharzt jedenfalls vor der erstmaligen Anwendung einer neuen Flasche prüfen muss, ob der Inhalt seiner Verschreibung entspricht. Dabei darf er sich gerade bei magistralen Zubereitungen nicht darauf verlassen, dass seiner Verschreibung entsprochen wurde, wenn Gegenteiliges augenfällig ist.

Dem Erstbeklagten ist somit der Entlastungsbeweis nicht gelungen, sodass dessen Haftung dem Grunde nach zu Recht besteht. Entsprechendes gilt für die zweitbeklagte Parteie (§ 52d Abs 6 ÄrzteG). Die das Leistungsbegehren abweisenden Urteile der Vorinstanzen waren somit dahin abzuändern, dass die Haftung der erst- und zweitbeklagten Parteien mit Teil‑Zwischenurteil dem Grunde nach festzustellen war. Im fortgesetzten Verfahren wird die Anspruchshöhe zu prüfen sein.

Die Entscheidung über das Feststellungsbegehren war zur Prüfung der behaupteten Dauerfolgen aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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