OGH 4Ob40/12d

OGH4Ob40/12d27.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin T***** B*****, vertreten durch Sattlegger, Dorninger, Steiner & Partner, Anwaltssocietät in Linz, gegen den Antragsgegner J***** K*****, vertreten durch Mag. Jürgen Mayerhofer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 7. Dezember 2011, GZ 15 R 442/11t‑25, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 7. November 2011, GZ 2 FAM 37/11y‑18 = 2 FAM 39/11t‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 373,68 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin 62,28 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Vorinstanzen verpflichteten den Antragsgegner, der Antragstellerin monatlich 190 EUR Unterhalt zu bezahlen und wiesen seinen Antrag ab, von der Unterhaltspflicht für die Antragstellerin zur Gänze befreit zu werden. Die Unterhaltspflicht des Antragsgegners bestehe weiter, weil auch eine Zweitausbildung zu finanzieren sei, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass die Antragstellerin durch ihre zusätzliche Konditorlehre bessere berufliche Fortkommensmöglichkeiten erlange. Die Unterhaltsberechtigte sei auch nicht gehalten, die Möglichkeit einer berufsbegleitenden Ausbildung wahrzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Antragsgegners, mit dem er weiterhin die Befreiung von der Unterhaltspflicht anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Eine bereits erlangte Selbsterhaltungsfähigkeit kann bei gerechtfertigter beruflicher Weiterbildung auch wieder wegfallen (RIS‑Justiz RS0047533). Einem Kind kann dann eine zweite Berufsausbildung gegen den Willen, jedoch (ganz oder teilweise) dennoch auf Kosten des Unterhaltspflichtigen zugebilligt werden, wenn es eine ernsthafte Neigung und besondere Eignung sowie ausreichenden Fleiß für eine derartige weitere Ausbildung erkennen lässt, es dem Unterhaltsschuldner zumutbar erscheint, dafür Leistungen zu erbringen, und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass dadurch eine nicht unbedeutende Verbesserung des künftigen besseren Fortkommens des Kindes eintreten wird (RIS‑Justiz RS0107722). Ist eine fortgesetzte Unterhaltspflicht nicht schon deshalb zu verneinen, weil es dem Unterhaltspflichtigen entweder an der erforderlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mangelt oder die Berufsaussichten und Verdienstmöglichkeiten des Unterhaltsberechtigten durch die angestrebte zweite Berufsausbildung ‑ überwiegend wahrscheinlich ‑ nicht nennenswert verbessert werden könnten, bilden die Bestimmungsfaktoren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und Verbesserung der Berufsaussichten und Verdienstmöglichkeiten des Unterhaltsberechtigten ein bewegliches System, das eine den jeweiligen Umständen des Einzelfalls angepasste Ausmittlung der weiterbestehenden Unterhaltspflicht ermöglichen soll (RIS‑Justiz RS0107723).

Ob die kumulativen Voraussetzungen für ein Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs vorliegen, ist eine Frage der konkreten Lebensumstände und wirft keine über den Anlassfall hinaus erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf (8 Ob 43/11y; vgl RIS‑Justiz RS0043028).

Im Hinblick auf die positiven Berufsaussichten durch die beabsichtigte Zweitlehre (Konditor als Ergänzung zu Koch/Kellner), was bessere Verdienstmöglichkeiten (etwa 100 EUR mehr Anfangsgehalt), betriebsinterne Aufstiegschancen, eine Erweiterung des Kreises potenzieller Arbeitgeber und auch eine international große Nachfrage nach österreichischen Konditoren bedeutet, bildet die Unterhaltsentscheidung der Vorinstanzen keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Dass Unterhaltspflichtige nicht sofort auf berufsbegleitende Ausbildungsvarianten zu verweisen sind, werden solche nur angeboten, sprach der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach aus (8 Ob 43/11y mwN). Letztlich hängt die Frage, ob und inwieweit dem Unterhaltsberechtigten eine eigene Erwerbstätigkeit neben dem Studium zur Entlastung des Unterhaltspflichtigen zumutbar ist, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (8 Ob 43/11y).

Schließlich ist festzuhalten, dass die angefochtene Unterhaltsverpflichtung entgegen der Argumentation des Antragsgegners auch nicht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs widerspricht. Für die Belastbarkeit eines Geldunterhaltspflichtigen ist zu beachten, dass Entscheidungen in Unterhaltssachen an den Verhältnissen in einer fiktiven „intakten Familie“ zu orientieren sind. Es ist zu fragen, ob in einem vergleichbaren Fall auch maßstabsgerechte „Durchschnittseltern“ einen durch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit begrenzten finanziellen Beitrag zur weiterführenden Berufsausbildung ihres Kindes leisten würden. Als Richtwert für die Untergrenze der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines „maßstabgerechten“ Unterhaltspflichtigen kann das Unterhaltsexistenzminimum eines unselbstständig Erwerbstätigen mit beschränkt pfändbaren Bezügen herangezogen werden, weil von pflichtbewussten Eltern erwartet werden kann, ihre Bedürfnisse temporär auf dieses Maß einzuschränken und die Chancen ihrer zumindest durchschnittlich begabten und lernwilligen Kinder im künftigen Erwerbsleben durch die Finanzierung der Erlangung einer höheren Bildungsqualifikation zu fördern (1 Ob 49/02s ua; zuletzt 2 Ob 179/10b).

Da das Unterhaltsexistenzminimum gemäß § 291b EO lediglich 75 % des allgemeinen Existenzminimums beträgt, ermöglicht das Einkommen eines Unterhaltspflichtigen in Höhe des allgemeinen Existenzminimums (Bezieher einer „Mindestpension“) eine Unterhaltspflicht im Ausmaß von maximal 25 % der Bemessungsgrundlage. Diese wird im vorliegend zu beurteilenden Fall nicht überschritten (21,6 %).

Mangels erheblicher Rechtsfrage nach § 62 Abs 1 AußStrG war der Revisionsrekurs des Antragsgegners zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG; die Antragstellerin wies auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hin.

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