OGH 4Ob2378/96a

OGH4Ob2378/96a17.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Carina Maria S*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter Monika Maria S*****, vertreten durch Dr.Brigitte Birnbaum und Dr.Rainer Toperczer, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 11.September 1996, GZ 2 R 290/96y-52, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 13.August 1996, GZ 17 P 2850/95m-48, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird mit der Maßgabe bestätigt, daß der Beschluß des Erstgerichts in seiner ursprünglichen Fassung wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die am 11.September 1994 geborene Minderjährige ist das eheliche Kind der Monika Maria S***** und des Thomas Richard S*****, die am 4.April 1994 in den Vereinigten Staaten von Amerika die Ehe geschlossen haben. Die Mutter ist österreichische Staatsbürgerin, der Vater ist Staatsbürger der USA, das Kind besitzt beide Staatsbürgerschaften. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Familie war in M*****, USA, gelegen. Am 30. Oktober 1995 reiste die Mutter mit dem Kind ohne Einverständnis des Vaters nach Österreich, um hier (bei ihren Eltern) zu bleiben.

Mit Beschluß vom 20.Dezember 1995, ON 14, trug das Erstgericht der Mutter auf Antrag des Vaters auf, das Kind unverzüglich dem Vater zur Rückführung an den vormaligen Aufenthaltsort in M***** zu übergeben. Es bejahte die Tatbestandsvoraussetzungen des Art 3 des (Haager) Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung BGBl 1988/512 (HKiEntfü) und meinte, daß die Rückgabe nicht mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist (Art 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens).

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit Beschluß vom 19. Jänner 1996, ON 24. Der Oberste Gerichtshof wies den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurück (Beschluß vom 27.Februar 1996, ON 29).

Am 15.Mai 1996 stellte die Mutter den Antrag auf neuerliche Entscheidung über den Rückgabeantrag sowie auf Entscheidung im Obsorgeverfahren. Gleichzeitig beantragtee sie die Aufschiebung der Exekution und der Anordnung weiterer Zwangsmittel bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diese beiden Anträge (ON 36). Seit der Entscheidung im Rückgabeverfahren seien neue Tatsachen eingetreten bzw bekanntgeworden, die eine neuerliche Behandlung der Rechtssache erforderlich machten. In den USA sei nämlich mittlerweile mit Versäumungsurteil vom 16.April 1996 dem Vater endgültig das alleinige Sorgerecht für die Minderjährige gewährt worden. Diese Sorgerechtsentscheidung sei in einem Verfahren ergangen, das nicht einmal den primitivsten Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit entsprochen habe (ON 36).

Mit Beschluß vom 13.August 1996, ON 48, wies das Erstgericht den Antrag auf Aufschiebung der Exekution bis rechtskräftigen Entscheidung über die Anträge auf neuerliche Entscheidung nach dem HKiEntfü sowie im Obsorgeverfahren ab. § 42 Abs 1 EO sei analog anzuwenden. Dabei sei zu bedenken, daß die Bewilligung der Aufschiebung der Exekution dem erklärten Ziel des HKiEntfü, in einem schnellstmöglichen Verfahren die sofortige Rückkehr widerrechltich verbrachter Kinder sicherzustellen, zuwiderliefe. Die Ermessensentscheidung habe daher gegen die Aufschiebung zu fallen, zumal auch das Kindeswohl eine Rückgabe vor einer völligen Entfremdung vom Vater fordere.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß mit der Maßgabe, daß der Aufschiebungsantrag nicht als abgewiesen, sondern als zurückgewiesen zu gelten habe, und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes könnten die Vorschriften über die Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage im Außerstreitverfahren nicht analog angewendet werden. Der Antrag der Mutter auf neuerliche Entscheidung über den Rückgabeantrag könne jedoch nur als Rechtsinstrument analog einer Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage im Außerstreitverfahren verstanden werden. Da ein solches Verfahren unzulässig ist, könne auch eine Aufschiebung der Exekution bis zur Entscheidung in einem solchen Verfahren nicht bewilligt werden. Im übrigen strebe das genannte Übereinkommen die Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse in einem eng formalisierten Schnellverfahren unter weitgehender Ausblendung von Rechtsfragen an, so daß geänderte Verhältnisse im Hauptverfahren nicht mehr geltend gemacht werden können. Auf das Kindeswohl könne nur bei Vollzugsmaßnahmen nach § 19 AußStrG Bedacht genommen werden, wenn zwischen der Anordnung der Rückführung und den Vollstreckungsmaßnahmen eine Änderung der Verhältnisse eingetreten wäre.

Eine Obsorgeentscheidung könne nach Art 16 HKiEntfü von den Behörden des Vertragsstaates, in welchen das Kind verbracht oder in dem es zurückgehalten wurde, nach Mitteilung des widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens des Kindes nur dann getroffen werden, wenn entschieden ist, daß das Kind auf Grund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben sei. Da hier die gegenteilige Entscheidung getroffen worden sei, komme ein Obsorgeverfahren nicht in Frage.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung teilweise von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht und auch Rechtsfragen zu behandeln sind, zu denen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; er ist aber nicht berechtigt.

Dem Rekursgericht kann nicht darin gefolgt werden, daß die Mutter mit ihrem Antrag ON 36 in Wahrheit einen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 530 ZPO geltend gemacht habe. Die Tatbestände des § 530 Abs 1 Z 1 bis 6 ZPO kommen von vornherein nicht in Betracht; der Tatbestand des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO setzt voraus, daß die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung in früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte. Voraussetzung ist also hier - wie ganz allgemein für die Wiederaufnahmsgründe - , daß in der vorangegangenen Entscheidung zu dem für sie maßgeblichen Zeitpunkt vorhandene Umstände unberücksichtigt geblieben sind. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Änderungen des Tatbestandes können hingegen keine Wiederaufnahmsklage, sondern nur entweder die neuerliche Geltendmachung eines vorher abgewiesenen Anspruches oder - im Falle einer Exekution - eine Opositionsklage oder bei entsprechendem Interesse eine negative Feststellungsklage rechtfertigen (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 1 zu § 530).

Der von der Mutter geltend gemachte neue Umstand, daß nämlich dem Vater in den USA mittlerweile die Obsorge für die Minderjährige zuerkannt worden sei, ist nicht nur erst nach der Beschlußfassung erster Instanz, sondern auch erst nach der Entscheidung des Rekursgerichtes im Rückgabeverfahren eingetreten.

Die Mutter hat sich daher auf geänderte Verhältnisse nach Fällung der Entscheidungen im Rückgabeverfahren berufen. Nach ständiger Rechtsprechung hält die materielle Rechtskraft von Beschlüssen im Außerstreitverfahren nach § 18 AußStrG gegenüber nachträglichen Tatbestandsänderungen nicht stand (JBl 1974, 268; RZ 1991/34 = EFSlg

64.689 mwN). Daraus ist aber für die Mutter im Ergebnis nichts gewonnen:

Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß ein - im Außerstreitverfahren sonst grundsätzlich zulässiger - Antrag, im Hinblick auf geänderte Verhältnisse neu zu entscheiden, im Falle eines Beschlusses auf Grund des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung nicht in Frage kommt. Das Ziel des Übereinkommens ist ja ua die Sicherstellung der sofortigen Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder (Art 1 lit a des Übereinkommens); es strebt die Wiederherstellung der ursprünglichen Tatsachenverhältnisse in einem eng formalisierten Schnellverfahren unter weitgehender Ausblendung von Rechtsfragen an (ZfRV 1993/58 = EFSlg 69.672). Daraus ist aber zu schließen, daß die in einem solchen Schnellverfahren getroffene Entscheidung nicht jedesmal dann neu aufgerollt werden kann, wenn derjenige, der sich der Rückgabe widersetzt, neue Tatsachen behauptet. Hier kann nur in dem auf Vollzug des Rückgabebeschlusses geführten Verfahren auf neue Umstände Bedacht genommen werden, die zwischen der Anordnung der Rückführung und den Vollstreckungsmaßnahmen eingetreten und für das Kindeswohl von Bedeutung sind. Dazu hat der Oberste Gerichtshof in diesem Verfahren schon mit Beschluß vom 15.Oktober 1996, 4 Ob 2288/96s (ON 57) Stellung genommen und entsprechende Aufträge erteilt.

Der Antrag, das Hauptverfahren nochmals aufzurollen, erweist sich daher als unberechtigt. Dieser Umstand ist aber entgegen der Meinung der Revisionsrekurswerberin bei der Beurteilung des Antrages auf Aufschiebung einer Exekution bis zur Entscheidung über den Antrag sehr wohl zu berücksichtigen. So kann ja auch die Aufschiebung einer Exekution nach § 42 EO nur dann bewilligt werden, wenn einer dort angeführten Aufschiebungsgründe schlüssig geltend gemacht wird (Heller/Berger/Stix 550). Ist aber der Antrag der Mutter nach dem Gesagten gar nicht geeignet, die Rückgabeentscheidung (den "Exekutionstitel") aus der Welt zu schaffen, dann kann er nicht als Aufschiebungsgrund herangezogen werden.

Wie weit die im Antrag der Mutter ON 36 geltend gemachten Umstände eine Aufschiebung von Vollzugsmaßnahmen nach § 19 AußStrG rechtfertigen könnten, braucht hier nicht erörtert zu werden.

Dem Rekursgericht ist auch darin beizupflichten, daß eine Obsorgeentscheidung des Erstgerichtes derzeit nicht in Frage kommt. Das ergibt sich eindeutig aus Art 16 HKiEntfü, wonach die Behörden des Staates, in den das Kind verbracht wurde - hier also die österreichischen Gerichte - erst dann eine Sachentscheidung über das Sorgerecht treffen dürfen, wenn entschieden ist, daß das Kind auf Grund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben ist oder wenn innerhalb angemessener Frist nach der Mitteilung kein Antrag nach dem Übereinkommen gestellt wird. Daß diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist aktenkundig.

Mit Recht haben daher die Vorinstanzen dem Aufschiebungsantrag nicht stattgegeben. Da dies auf Grund einer sachlichen Prüfung, nämlich der Verneinung der Erfolgschancen des als Aufschiebungsgrund geltend gemachten Antrages geschah, hat das Erstgericht den Antrag mit Recht abgewiesen und nicht zurückgewiesen. Der Beschluß war daher in dieser Fassung wiederherzustellen.

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