OGH 4Ob2288/96s

OGH4Ob2288/96s15.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Carina Maria S*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Thomas Richard S*****, vertreten durch Dr.Stephan Moser und andere Rechtsanwälte in Graz, sowie der Mutter Monika Maria S*****, vertreten durch Dr.Brigitte Birnbaum und Dr.Rainer Toperczer, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 29. August 1996, GZ 2 R 257/96w, 2 R 258/96t-49, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 8.Mai 1996, GZ 17 P 146/95-30, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde und der Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 25. Juni 1996, GZ 17 P 146/95-40, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Dem Rekurs des Vaters wird nicht Folge gegeben.

2. Dem Revisionsrekurs der Mutter wird, soweit er sich gegen Punkt 1) des angefochtenen Beschlusses, also gegen die Abweisung ihres Antrages auf Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Leibnitz, wendet, nicht Folge gegeben; soweit er sich gegen Punkt 2) Abs 1 der angefochtenen Entscheidung, also die Bestätigung der Anordnung von Zwangsmaßnahmen durch das Erstgericht, wendet, wird ihm Folge gegeben; in diesem Umfang wird der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Die am 11.September 1994 geborene Minderjährige ist das eheliche Kind der Monika Maria S***** und des Thomas Richard S*****, die am 4.April 1994 in den Vereinigten Staaten von Amerika die Ehe geschlossen haben. Die Mutter ist österreichische Staatsbürgerin, der Vater ist Staatsbürger der USA, das Kind besitzt beide Staatsbürgerschaften. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Familie war in Michigan, USA, gelegen. Am 30.Oktober 1995 reiste die Mutter mit dem Kind ohne Einverständnis des Vaters nach Österreich, um hier (bei ihren Eltern) zu bleiben.

Das Erstgericht trug der Mutter auf Antrag des Vaters mit Beschluß vom 20.Dezember 1995, ON 14, der Mutter auf, das Kind unverzüglich dem Vater zur Rückführung an den vormaligen Aufenthaltsort in Michigan zu übergeben. Es bejahte die Tatbestandsvoraussetzungen des Art 3 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung BGBl 1988/512 und meinte, daß entgegen den Behauptungen der Mutter die Rückgabe nicht mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist (Art 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens). Der Umstand, daß die Mutter bisher die Hauptbezugsperson des Kindes war und eine Trennung von der Mutter massive traumatische Folgen für die gesunde und physische Entwicklung des Kindes bedeuten könnten, stehe der Rückgabe nicht entgegen, weil sonst entgegen dem Sinn des Übereinkommens die meisten Mütter mit Kleinkindern unter Berufung auf das Kindeswohl das Land des gewöhnlichen Aufenthaltes der Familie verlassen könnten, ohne daß der Vater eine Rückführung erreichen könnte. Was den von der Mutter erhobenen Vorwurf der zwanghaften Onanie des Vaters auch in Gegenwart des Kindes und die Behauptung eines dadurch drohenden psychischen Schadens für das Kind angeht, so sei auf die Stellungnahme des kinderpsychologischen Sachverständigen Prof.Dr.Gernot K***** zu verweisen, wonach in Anbetracht des Alters des Kindes im Rückgabefall ein Schaden für das Kind aus diesem Grund nicht befürchtet werden müßte, obgleich dieses Verhalten über einen längeren Zeitraum oder auf Dauer geeignet wäre, einen Schaden herbeizuführen, welchem Umstand aber erst im Obsorgeverfahren Relevanz zukommen werde. Dasselbe gelte für die angebliche psychotische Veranlagung des Vaters. Von der Mutter könne auch erwartet werden, daß sie, wenn sie das Wohl des Kindes höher stelle als ihr eigenes, mit dem Kind nach Michigan zurückkehre.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit Beschluß vom 19.1.1996, ON 24. Der Oberste Gerichtshof wies den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurück (Beschluß vom 27.2.1996, ON 29).

Auf Antrag des Vaters beschloß sodann das Erstgericht (ON 30) gemäß § 19 Abs 3 AußStrG:

1. in Vollziehung des rechtskräftigen Beschlusses vom 20.Dezember 1995, ON 14, Zwangsmittel zur Anwendung zu bringen.

2. zur Durchsetzung dieser Anordnung nachstehende Verfügungen zu treffen:

a) die Abnahme der Minderjährigen habe mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers unter Assistenzleistung durch die zuständige Sicherheitsbehörde zu erfolgen;

b) um die Kindesabnahme zu gewährleisten, sei zum Vollzugstermin ein Schlosser beizuziehen;

c) zur Abnahme des Kindes sei auch ein Vertreter des Jugendwohlfahrtsamtes beizuziehen;

d) die Abnahme des Kindes habe in den frühen Morgenstunden des 10.Mai 1996 zu erfolgen.

Zur Begründung führte das Erstgericht aus, daß der begründete Verdacht bestehe, die Mutter werde trotz rechtskräftiger Entscheidung versuchen, die Abnahme des Kindes zu vereiteln und sich mit der Minderjährigen versteckt zu halten. In einem Artikel in der steirischen Monatszeitschrift "K*****" sei berichtet worden, daß die Mutter aus Angst, man könnte ihr die Tochter wegnehmen, ständig ihren Wohnsitz wechsle und sich verstecke. Sollte ihr Mann versuchen, ihr das Kind gewaltsam wegzunehmen, hätte sie keine rechtliche Handhabe; aber eines wisse sie: "Mein Kind gebe ich nicht her".

Dieser Beschluß wurde der Mutter beim Vollzugsversuch vom 10.Mai 1996 zugestellt (ON 31). Das Kind konnte damals nicht vorgefunden werden (ON 32).

Auf Antrag der Mutter (ON 39), welche behauptete, daß die Minderjährige nunmehr im Sprengel des Bezirksgerichtes Leibnitz wohne, übertrug das Erstgericht mit Beschluß vom 25.Juni 1996, ON 40, die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Leibnitz.

Das Rekursgericht wies infolge Rekurses des Vaters den Antrag der Mutter auf Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Leibnitz ab (Punkt 1.). Den Rekurs der Mutter wies es, soweit er sich gegen Punkt 2. lit d des Beschlusses ON 30 richtet, mangels Beschwer (infolge Zeitablaufs) zurück; Punkt 1. dieses Beschlusses bestätigte es; in den Punkten 2. lit a, b und c hob es den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, daß der Revisionsrekurs gegen die Punkte 1. und 2. des Beschlusses zulässig sei.

Dem Rechtsmittel des Vaters komme Berechtigung zu. Seien aller Voraussicht nach behördliche Maßnahmen, die einen speziellen Bezug zum Aufenthaltsort des Kindes haben, nicht erforderlich, so bestehe dann, wenn noch eine Entscheidung über einen Antrag aussteht, der stärkere Beziehungen zum bisher mit der Sache befaßten Antrag aufweist, kein Anlaß zur Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält. Im vorliegenden Fall seien sogar mehrere Anträge offen. Ganz abgesehen davon, daß die Mutter in einem Zeitungsinterview angekündigt habe, durch ständigen Wohnungswechsel den Vollzug der angeordneten Ausfolgung des Kindes verhindern zu wollen, sei das Verfahren nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung mit Beschleunigung durchzuführen. Eine Anknüpfung von Vollzugsmaßnahmen an den Aufenthaltsort des Kindes oder der Mutter sei nicht erforderlich. Schon aus diesem Grund sei die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Leibnitz nicht zweckmäßig, zumal der tatsächliche Aufenthalt des Kindes durch eine bloße Meldebestätigung nicht hinreichend bescheinigt sei. Der Antrag der Mutter auf Übertragung der Zuständigkeit sei daher abzuweisen.

Das Rechtsmittel der Mutter sei teilweise berechtigt. Punkt 1. des angefochtenen Beschlusses ON 30 sei zu bestätigen, weil dem § 19 AußStrG nicht zu entnehmen sei, daß eine Partei, die eindeutig erklärt, eine gerichtliche Verfügung nicht befolgen zu wollen, zunächst vor allfälligen Folgen zu warnen sei. Im Hinblick auf die öffentliche Ankündigung der Mutter, sich dem Rückgabeauftrag zu widersetzen, sei daher das Erstgericht verpflichtet gewesen, entsprechende Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.

Ob das Kindeswohl der Rückführung entgegensteht, sei nur auf entsprechende Einwendung der Person, die sich der Rückführung widersetzt, zu prüfen. Auf das Kindeswohl könne bei Vollzugsmaßnahmen nach § 19 AußStrG nur dann Bedacht genommen werden, wenn zwischen der Anordnung der Rückführung und den Vollstreckungsmaßnahmen eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Hier habe die Mutter - zwar erstmals im Rekurs, aber ohne vorher eine Möglichkeit dazu gehabt zu haben - behauptet, das Kindeswohl wäre deshalb gefährdet, weil das 20 Monate alte Kind vor nunmehr sieben Monaten mit der Mutter die USA verlassen habe, sich seither in Österreich befinde, keinen Kontakt mit dem Vater gehabt habe und ihn auch nicht mehr auf Lichtbildern erkenne, so daß also die Mutter die einzige Bezugsperson sei und eine abrupte zwangsweise Abnahme des Kindes einen nicht wieder gutzumachenden erheblichen psychischen und physischen Schaden herbeiführen würde. Auf dieses Vorbringen sei Bedacht zu nehmen. Das Erstgericht werde daher im fortzusetzenden Verfahren zu prüfen haben, ob seit seiner Entscheidung vom 20.Dezember 1995 sich die Verhältnisse im Hinblick auf das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für das Kind geändert hätten und ob bzw welche Zwangsmaßnahmen zur Rückführung des Kindes dessen Wohl am ehesten entsprechen. Dazu werde das Erstgericht etwa durch Vernehmung eines kinderpsychologischen Sachverständigen in einer Tagsatzung, allenfalls auch ohne Parteien, zu erörtern haben, ob auf Grund des Zeitablaufes nunmehr eine schwerwiegende Gefahr durch die Rückführung des Kindes gegeben wäre bzw welche Maßnahmen dem Kindeswohl am ehesten entsprechen.

Rechtliche Beurteilung

I. Der Revisionsrekurs der Mutter ist, soweit er sich gegen die abändernde Entscheidung über ihren Antrag auf Übertragung der Zuständigkeit richtet, nicht berechtigt:

Nach § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der vormundschafts- oder pflegschaftsbehördlichen Geschäfte zuständige Gericht dann, wenn dies im Interesse eines Pflegebefohlenen gelegen erscheint und namentlich, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten behördlichen Schutzes voraussichtlich befördert wird, seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen. In der Regel ist ein (örtliches) Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung (Mayr in Rechberger, ZPO, Rz 2 zu § 111 JN mwN aus der Rsp). Verlegt der Minderjährige den Mittelpunkt seiner gesamten Lebensführung und wirtschaftlichen Existenz in einen anderen Gerichtssprengel, so kann eine Übertragung der Zuständigkeit zweckmäßig sein (Mayr aaO). Offene Anträge sprechen im allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung (EFSlg 66.885, 69.764; 75.992; 1 Nd 501/95 uva; Mayr aaO Rz 4), doch kann im Einzelfall eine Entscheidung durch das schon zuständige Gericht zweckmäßiger sein (EFSlg 69.767 f), insbesondere, wenn dem übertragenden Gericht zur Entscheidung eine besondere Sachkenntnis zukommt oder dort schon alle zur Entscheidung erforderlichen Beweise aufgenommen wurden udgl. Es hängt immer von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob die Entscheidung über einen offenen Antrag durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (EFSlg 54.970; 75.993; 1 Nd 501/95 ua).

Selbst wenn man im vorliegenden Fall davon ausgehen könnte, daß die Minderjährige und ihre Mutter nun tatsächlich ihren Aufenthalt im Sprengel des Bezirksgerichtes Leibnitz haben, wäre doch die Übertragung der Zuständigkeit an dieses Gericht nicht zweckmäßig.

Während das Pflegschaftsgericht in der Regel durch Jahre hindurch immer wieder tätig werden muß, um in Sachen des Minderjährigen Entscheidungen - über Unterhaltsanträge, Obsorge, Besuchsrechtsregelung udgl. - zu treffen, geht es hier (derzeit) nur um die Frage des Vollzugs einer Entscheidung auf Rückgabe der Minderjährigen an den ausländischen Vater. Mit dieser Frage hat sich das Erstgericht schon eingehend befaßt. Welche Erleichterung, insbesondere für die Minderjährige und ihre Mutter, mit der Übertragung an ein anderes Gericht verbunden wäre, ist nicht zu sehen.

Mit Recht hat daher das Rekursgericht den entsprechenden Antrag der Mutter zurückgewiesen.

II. Der Revisionsrekurs der Mutter gegen den bestätigenden Ausspruch des Rekursgerichtes, wonach gegen sie zur Erzwingung der Übergabe des Kindes Zwangsmittel zur Anwendung gebracht werden, ist berechtigt; der "Revisionsrekurs" (richtig: Rekurs [§ 14 Abs 4 AußStrG]) des Vaters gegen den aufhebenden Teil der angefochtenen Entscheidung ist nicht berechtigt:

Der Vollzug von Ausfolgungsbeschlüssen auf Grund des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung BGBl 1988/512 hat nach innerstaatlichem Recht - allerdings mit den sich aus der Zielsetzung des Übereinkommens ergebenden Modifikationen - zu erfolgen (ZfVR 1993/58).

Wie die RV 471 BlgNR 17. GP 7 zum BG vom 9.6.1988 zur Durchführung dieses Übereinkommens BGBl 1988/513 ausführt, wird das Pflegschaftsgericht, sofern der Anordnung der Rückgabe der Kinder keiner in den Art 13 und 20 des Übereinkommens genannten Gründe entgegensteht, die Entscheidung im außerstreitigen Verfahren durchzusetzen haben, wobei die Wahl der Mittel dem Gericht überlassen bleibt. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen § 19 AußStrG angewendet.

Obwohl § 19 AußStrG zwei Wege der Durchsetzung von Pflichten vorsieht ("Zweispurigkeit des Vollstreckungsverfahrens": Klicka/Oberhammer, Außerstreitverfahren Rz 67), nämlich die Exekution nach der Exekutionsordnung (Abs 3) und die Anwendung angemessener Zwangsmittel ohne weiteres rechtliches Verfahren (Abs 1), kommt bei nicht vermögensrechtlichen Ansprüchen, insbesondere in Fällen der Pflege und Erziehung von Kindern, vor allem auch bei einer Kindesabnahme, eine Exekution nach den Regeln der Exekutionsordnung nicht in Frage, weil die Kinder Rechtssubjekt als Verfahrenspartei und nicht Verfahrensobjekt sind (Klicka/Oberhammer aaO; EvBl 1968/97; SZ 51/11; SZ 55/141 uva). Das mit der Durchführung einer Kindesabnahme befaßte inländische Gericht hat sich über die Anwendbarkeit des § 19 Abs 1 AußStrG unbeschadet der Rechtskraft des Herausgabebeschlusses jeweils - und zwar vor allem unter Bedachtnahme auf das Wohl des Kindes - schlüssig zu werden (EvBl 1970/197; SZ 44/180 ua). Es kann dabei im Interesse des Kindes Zwangsmaßnahmen auch vorläufig verweigern (SZ 44/180). Von der Anordnung jeder Vollzugsmaßnahme ist dann abzustehen, wenn sie dem Kindeswohl zuwiderläuft; von einer bestimmten Vollzugsmaßnahme ist abzustehen, wenn sie nach den konkreten Umständen zur Erreichung des angestrebten Zwecks untauglich oder auch unverhältnismäßig ist (EvBl 1982/78; RZ 1994/48 ua). Die Bedachtnahme auf das Wohl eines pflegebefohlenen Kindes ist ja das Grundprinzip des Pflegschaftsverfahrens (EFSlg 44.647; 44.648; SZ

58.398 uva).

Umstände, die derjenige, der sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, schon im Verfahren zur Entscheidung über die Anordnung der Rückgabe erfolglos vorgebracht hat, kann er freilich nicht wiederholen (EFSlg 70.402). Auf das Kindeswohl kann daher bei Vollzugsmaßnahmen nach § 19 AußStrG nur dann Bedacht genommen werden, wenn zwischen der Anordnung der Rückführung und den Vollstreckungsmaßnahmen eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (EFSlg 69.672). Im Interesse des Kindeswohles ist auch auf solche Änderungen Rücksicht zu nehmen, die sich erst nach der Fassung des angefochtenen Beschlusses ergeben haben (EFSlg 67.376; 76.443 uva); insoweit gilt keinerlei Neuerungsverbot (EFSlg 44.522; 76.442 uva).

Im Hinblick darauf, daß es hier um eine Kindesabnahme nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung BGBl 1988/512 geht, ist freilich auch der Zweck dieses Übereinkommens zu beachten. Eine Verweigerung des Vollzuges einer Kindesabnahme im Interesse des Kindeswohles kommt daher - soweit hier von Bedeutung - nur in Frage, wenn die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht würde (Art 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens). Besondere Probleme werfen die Fälle auf, in denen der Entführer durch die Entführung eine Situation herbeiführt, welche die Rückgabe zu einer schwerwiegenden Gefahr für das Kindeswohl werden läßt. Ist zB der mitbesorgeberechtigte Entführer eines Kleinkindes dessen hauptsächliche Bezugsperson und weigert sich der Entführer, an den Rückgabeort zurückzukehren, kann damit eine schwerwiegende Gefahr für das Kindeswohl begründet sein (Jorzik, Das neue zivilrechtliche Kindesentführungsrecht 43). Dazu wird die Meinung vertreten, daß der Entführer, der diese Lage selbst geschaffen hat, sich deshalb nicht auf diese Ausrede berufen könne (Siehr in Münchener Kommentar,2 ErgBd Rz 50 zu Art 13 in Anh II). Dem ist jedoch zu erwidern, daß das maßgebliche Kriterium sowohl nach Art 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens als auch nach § 19 AußStrG nach dem oben Gesagten das Kindeswohl ist (Jorzik aaO 43 f). Dem Übereinkommen liegt allerdings der Gedanke zugrunde, daß die Rückführung des Kindes dessen Wohl dient, weil es das wirkliche Opfer der Entführung ist und Kindesentführungen durch dieses Übereinkommen eben verhindert werden sollen (Jorzik aaO 44).

Nach Meinung des erkennenden Senates hat aber - wie sich gerade aus Art 13 Abs 1 lit b des Übereinkommens ergibt - das konkrete Kindeswohl - auch noch im Vollstreckungsverfahren - den Vorrang vor dem vom Übereinkommen angestrebten Ziel, Kindesentführungen ganz allgemein zu unterbinden. Entgegen Jorzik (aaO 44) darf nicht aus generalpräventiven Gründen zum Schutz des - abstrakten - Kindeswohls, nur um den Eindruck zu verhindern, Kindesentführungen würden sich doch lohnen, die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für ein Kind herbeigeführt werden.

Im vorliegenden Fall macht die Mutter geltend, daß das - nun mehr als zwei Jahre alte - Kind dem Vater völlig entfremdet sei, ihn auf Lichtbildern nicht mehr wiedererkenne und nur die Mutter als Bezugsperson empfinde, so daß eine abrupte zwangsweise Abnahme des Kindes (und die Verbringung in die USA) einen nicht wieder gutzumachenden erheblichen psychischen und physischen Schaden herbeiführen würde. Die Besonderheit des hier zu beurteilenden Falles liegt aber vor allem darin, daß im Titelverfahren die Gefahr eines (seelischen) Schadens des Kindes nur im Hinblick auf dessen geringes Alter verneint worden war. Der vom Erstgericht über die von der Mutter gegen den Vater erhobenen Vorwürfe in Kenntnis gesetzte Sachverständige hatte ja ausgeführt, daß das angebliche Verhalten des Vaters im sexuellen Bereich auf eine neurotische Persönlichkeitsstruktur schließen lasse und sich diese auf den Umgang mit dem Kind negativ auswirke. Auf Grund des geringen Alters und des vermutlich nicht allzu langen Zeitraums bis zur endgültigen Obsorgeentscheidung, könne jedoch das Kind dadurch noch keinen Schaden nehmen (ON 12).

Bei dieser Sachlage kann nicht ausgeschlossen werden, daß das nun mehr als zwei Jahre alte Kind, welches seit über einem Jahr ausschließlich bei der Mutter lebt, im Falle einer Rückführung zum Vater in die USA doch schweren psychischen Schaden nimmt. Zur Klärung dieser Frage wird ein kinderpsychologischer Sachverständiger beizuziehen sein. Allenfalls wird es auch nötig sein, Feststellungen darüber zu treffen, wieweit die Behauptungen der Mutter über das Verhalten des Vaters überhaupt zutreffen.

Dem Rekursgericht ist also darin beizupflichten, daß es einer Prüfung bedarf, ob und welche Zwangsmaßnahmen in Frage kommen. Das muß aber - entgegen der Meinung des Rekursgerichtes - auch zur Aufhebung des Punktes 1. des Beschlusses ON 30 führen, weil ja auch nicht abschließend beurteilt werden kann, ob eine zwangsweise Abnahme des Kindes überhaupt in Frage kommt.

Der aufhebende Teil des angefochtenen Beschlusses ist hingegen aus den dargelegten Gründen zu bestätigen. Entgegen der Meinung des Vaters kann die vom Rekursgericht angeordnete Prüfung nicht allein deshalb unterbleiben, weil über die Kindesabnahme schon rechtskräftig abgesprochen worden ist.

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