OGH 7Ob507/78

OGH7Ob507/781.2.1978

SZ 51/11

Normen

ABGB §146b
AußStrG §19 Abs1
Bürgerliches Gesetzbuch §1632
ABGB §146b
AußStrG §19 Abs1
Bürgerliches Gesetzbuch §1632

 

Spruch:

Eine einstweilige Anordnung eines Gerichtes der Bundesrepublik Deutschland, wonach der Vater das eheliche Kind der dort lebenden Mutter zurückzubringen habe, kann nicht nach dem Vollstreckungsvertrag BGBl. 105/1960 vollstreckt werden. Ist aber die Sachentscheidung des ausländischen Gerichtes betreffend die Übertragung der elterlichen Gewalt an die Mutter gemäß Art. 3 des Übereinkommens BGBl. 446/1975 im innerstaatlichen Bereich anzuerkennen, dann ist dem Vater die Herausgabe des Kindes aufzutragen, wenn dem nicht gewichtige Gründe entgegenstehen

OGH 1. Feber 1978, 7 Ob 507/78 (LGZ Wien, 43 R 1445/77; BG Innere Stadt Wien, 1 P 251/77)

Text

Die Ehe der Eltern des am 1. Oktober 1975 geborenen minderjährigen Michael B wurde mit Urteil des Landgerichtes M vom 8. März 1977 rechtskräftig geschieden. Mit Bescheid des Bundesministeriums für Justiz vom 8. Juli 1977 wurde festgestellt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung dieses Urteiles gegeben sind. Nachdem während des Ehescheidungsverfahrens die Personensorge über das vorgenannte Kind durch einstweilige Anordnung der Mutter übertragen worden war, vereinbarten die Eltern in einem vor dem Landgericht M geschlossenen Vergleich, daß die elterliche Gewalt über das gemeinsame Kind der Mutter übertragen werden solle. Beide Elternteile verpflichteten sich zur Abgabe entsprechender Erklärungen dem Vormundschaftsgericht gegenüber. Die Parteien vereinbarten außerdem für die Zeit vom 19. März 1977 bis 31. Oktober 1977 ein Besuchsrecht des Vaters, der überdies die Erklärung abgab, innerhalb dieses Zeitraumes nicht die Absicht zu haben, mit dem Kind seine Mutter in W zu besuchen. Der Vater ist österreichischer Staatsbürger, die Mutter Staatsbürgerin der Bundesrepublik Deutschland; das Kind besitzt beide Staatsbürgerschaften.

Mit Beschluß vom 4. Juli 1977 übertrug das Amtsgericht L die elterliche Gewalt an die Mutter. Im Zuge eines inzwischen anhängig gewordenen Verfahrens zur Regelung des väterlichen Besuchsrechtes erließ das vorgenannte Amtsgericht am 25. August 1977 über Antrag der Mutter eine einstweilige Anordnung, wonach der Vater den Minderjährigen der Mutter nach St., Bundesrepublik Deutschland, zurückzubringen habe. Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Anordnung drohte es dem Vater "die Festsetzung von Zwangsgeld bis zu 1000 DM" an. Es nahm auf Grund eidesstättiger Angaben der Mutter als bescheinigt an, daß der Vater nach einem am 14. August 1977 erfolgten Besuch des Minderjährigen diesen der Mutter nicht zurückgebracht, sondern mit ihm nach W zur väterlichen Großmutter gefahren sei, wo sich der Minderjährige seither aufhalte und der Mutter gegen deren Willen vorenthalten werde. Die Erlassung eine "Eilmaßnahme" sei wegen des Alters des Minderjährigen von nur zwei Jahren sowie auch deshalb gerechtfertigt, weil im Hinblick auf die Nichtbeachtung des zwischen den Eltern geschlossenen gerichtlichen Vergleiches zu befürchten sei, daß der Vater den Minderjährigen weiterhin der Mutter vorenthalten und deren Rechtsverfolgung zu erschweren oder gar zu vereiteln trachten werde. Eine vom Vater gegen diese einstweilige Anordnung erhobene Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Z mit rechtskräftigem Beschluß vom 10. Oktober 1977 mit der Begründung als unzulässig verwerten, daß gegen eine derartige vorläufige Maßnahme ein Rechtsmittel nicht zulässig sei. Die Entscheidung über die elterliche Gewalt wurde hingegen vom Oberlandesgericht Z mit Beschluß vom 4. November 1977 aus meritorischen Gründen rechtskräftig bestätigt.

Das Erstgericht lehnte eine Vollstreckung der einstweiligen Anordnung "derzeit" ab. Die Entscheidung des Amtsgerichtes L über die elterliche Gewalt sei noch nicht rechtskräftig. Darüber hinaus habe der Vater bereits vor der Erlassung der erwähnten einstweiligen Anordnung beim Erstgericht beantragt, den Minderjährigen in seine Pflege und Erziehung zu überweisen, weil sich die Verhältnisse bei der Mutter seit Abschluß des Vergleiches zum Nachteil des Minderjährigen geändert hätten und das Wohl des Minderjährigen die Ausübung der Pflege und Erziehung durch den Vater gebiete. Die diesbezüglich notwendigen Erhebungen müßten aber erst durchgeführt werden.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es die Vollstreckung des Beschlusses des Amtsgerichtes L vom 25. August 1977 anordnete. Es ging in seiner Entscheidung von dem im Rekursverfahren erbrachten Nachweis der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit der beiden Beschlüsse des Amtsgerichtes L aus, bejahte die Zuständigkeit dieses Gerichtes für die von diesem getroffenen Entscheidungen nach dem Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961, BGBl. 446/1975, und hielt auch die Voraussetzungen des zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, abgeschlossenen Vertrages vom 6. Juni 1959, BGBl. 105/1960, über die Anerkennung und Vollstreckung der gegenständlichen einstweiligen Anordnung für gegeben. Besondere Umstände im Sinne des Art. 4 des Haager Übereinkommens, welche aus Gründen des Wohles des Minderjährigen einer Vollstreckung entgegenstunden, lägen nicht vor.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Vaters teilweise Folge und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß ihm die sofortige Herausgabe des Kindes an die Mutter aufgetragen werde.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Frage der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen wird für die Republik Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in dem zwischen diesen Staaten am 6. Juni 1959 abgeschlossenen Vertrag, BGBl. 105/1960, geregelt.

Eine Prüfung in der Richtung, ob der dem Antrag der Mutter zugrunde liegenden einstweiligen Anordnung der Charakter einer auf einem Zweiparteienverhältnis beruhenden Entscheidung im Sinne des Art. 1 des Abkommens überhaupt zukommt, ist im vorliegenden Fall deshalb nicht notwendig, weil das Abkommen schon aus dem Gründe des § 14 Abs. 1 Z. 3 leg. cit. nicht Anwendung findet.

Nach dieser Bestimmung ist der Vertrag auf einstweilige Verfügungen, einstweilige Anordnungen und auf Arreste nicht anzuwenden, soweit nicht die einstweilige Verfügung auf Leistung des Unterhalts oder auf andere Geldleistungen lautet (Abs. 2). Da die dem Antrag der Mutter zugrunde liegende gerichtliche Entscheidung, wie sich aus deren Spruch und aus der Begründung eindeutig ergibt, eine einstweilige Anordnung (Provisorialmaßnahme) im Sinne der letztzitierten Vorschrift ist, auf die die Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung des Abs. 2 nicht zutreffen, findet der Vertrag auf diese Entscheidung nicht Anwendung.

Im vorliegenden Fall kann aber auch die Beantwortung der Frage offenbleiben, ob die einstweilige Anordnung des Amtsgerichtes L etwa auf Grund des § 19 Abs. 1 AußStrG unmittelbar vollstreckt werden kann, zumal schon die hiefür erforderliche Bejahung der faktischen Gegenseitigkeit nicht sofort möglich ist. Die Aktenlage ermöglicht nämlich die Fällung einer sofortigen Sachentscheidung. Hiebei ist davon auszugehen, daß dem Antrag der Mutter über das unmittelbare Begehren hinaus deutlich zu entnehmen ist, daß sie jedenfalls die Herausgabe des Kindes auf der Grundlage der rechtskräftigen (Sach-)Entscheidung betreffend die Übertragung der elterlichen Gewalt an die Mutter anstrebt. Da diese Entscheidung gemäß dem Art. 3 BGBl. 446/1975 im innerstaatlichen Bereich anzuerkennen ist und da nach dem § 1632 Abs. 1 BGB die - von der Mutter ursprünglich gleichfalls ausgeübte - Sorge für die Person des Kindes das Recht umfaßt, dessen Herausgabe von jedem zu verlangen, der es den Eltern widerrechtlich vorenthält (vgl. dazu jetzt § 146b ABGB), ist der Vater im vorliegenden Fall grundsätzlich dazu verpflichtet, den unbestrittenermaßen ohne Einwilligung der Mutter von ihm nach Österreich gebrachten Minderjährigen an sie herauszugeben. Er wäre nur dann dazu nicht verpflichtet, wenn er derart gewichtige, im Verfahren betreffend die Übertragung der elterlichen Gewalt noch nicht behauptete Umstände vorgebracht hätte, die eine andere Maßnahme als die Herausgabe im Interesse des Wohles des Minderjährigen dringend geboten erscheinen ließen. Solche Gründe hat der Vater jedoch nicht vorgebracht. Abgesehen davon, daß die von ihm behaupteten Pflegeplatzänderungen nach seinem Vorbringen vor der am 4. Juli 1977 ergangenen Entscheidung des Amtsgerichtes L betreffend die Übertragung der elterlichen Gewalt an die Mutter stattgefunden haben sollen, bildet die von ihm als Folge behauptete Rückentwicklung des damals etwa 1 1/2jährigen Minderjährigen (er habe nach den Pflegeplatzänderungen nicht mehr selbständig das Töpfchen benützen, nicht mehr mit dem Löffel selbständig essen und auch nicht mehr wie früher einige Worte sprechen können), doch nicht einen derart gewichtigen Grund, daß er einer Herausgabe des vom Vater nach Österreich gebrachten Kindes an die Mutter entgegenstunde. Der Herausgabeauftrag konnte daher in teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung sofort erlassen werden. Eine allenfalls erforderliche Zwangsvollstreckung wäre nach dem § 19 Abs. 1 AußStrG vom Erstgericht anzuordnen.

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