OGH 4Ob2285/96z

OGH4Ob2285/96z29.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Christian Roland G*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft S***** als Unterhaltssachwalterin, infolge Revisionsrekurses des Vaters Michael Manfred H*****, vertreten durch Hofstätter & Isola, Rechtsanwaltskommandit-Partnerschaft in Graz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 14.August 1996, GZ 3 R 247/96z-14, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Veit/Glan vom 25.Juli 1996, GZ 1 P 1456/95i-11, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes vom 25.Juli 1996, GZ 1 P 1456/95i-11, mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß der monatliche Unterhaltsbeitrag ab 1.7.1996 auf S 2.540 erhöht und das Mehrbegehren von S 560 monatlich abgewiesen wird.

Text

Begründung

Der mj.Christian Roland G*****, geboren am 23.6.1990, wächst bei der Kindesmutter auf. Der Vater war auf Grund des Beschlusses des Erstgerichtes vom 25.8.1993 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von S 2.300,-- für das Kind verpflichtet.

Am 6.5.1996 stellte die Bezirkshauptmannschaft St.Veit/Glan als Unterhaltssachwalterin den Antrag, den vom Vater zu leistenden Unterhalt ab 1.7.1996 auf S 3.100 monatlich zu erhöhen. Sowohl die Bedürfnisse des Kindes als auch die Leistungsfähigkeit des Vaters seien gestiegen.

Der Vater sprach sich gegen eine Unterhaltserhöhung aus.

Das Erstgericht gab dem gegen den Erhöhungsbeschluß des Rechtspflegers (dieser hatte den Unterhalt antragsgemäß erhöht) eingebrachten Rekurs gemäß § 11 Abs 3 RPflG Folge, erhöhte die monatliche Unterhaltsleistung auf S 2.540 (das sind 18 % der Bemessungsgrundlage) und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest, daß der Vater über ein monatliches Nettoeinkommen von S 14.106,20 verfüge und keine weiteren Sorgepflichten habe. Die Mutter erhalte neben der Familienbeihilfe eine Notstandshilfe von S 7.000 monatlich. Wenngleich der Minderjährige weniger als den Regelbedarf erhalte, sei die finanzielle Leistungsfähigkeit des Vaters mit einem Zuspruch von S 2.540 monatlich ausgeschöpft.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Unterhaltssachwalters Folge und erhöhte die Unterhaltsleistung auf S

3.100 monatlich. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der hier entscheidungswesentlichen Frage der Berechnung des Unterhalts nach dem Regelbedarf oder nach der Prozentsatzmethode nicht einheitlich sei.

Der Prozentsatzberechnung sei dann nicht zu folgen, wenn damit die Gefahr einer Unteralimentierung bestehe. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der Unterhaltspflichtige - wie hier - nur für eine unterhaltsberechtigte Person zu sorgen habe. In diesen Fällen sei primär auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten und damit auf den Regelbedarf abzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (JBl 1991,40 = ÖA 1991, 78; RZ 1991/26; RZ 1991/50 ÖA 1994, 99 u 94; ÖA 1994, 191 F 84 ua; 7 Ob 503/95; s auch Schwimann, Unterhaltsrecht 33), bietet § 140 ABGB keine Grundlage für die Anwendung eines bestimmten Systems der Unterhaltsbemessung. Diese Bestimmung verknüpft die Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern und deren Verpflichtung, zum Unterhalt nach Kräften beizutragen. Maßgeblich sind daher die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten einerseits und die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen andererseits. Eine Unterhaltsbemessung in der Höhe des jeweiligen Regelbedarfs ohne Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Kindeseltern steht daher mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Das Rekursgericht orientierte sich an der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 25.8.1994, 2 Ob 548/94 (ÖA 1995, 118 u 121), wonach - zur Vermeidung einer Unteralimentierung - primär auf die Bedürfnisse des Kindes abzustellen und der Regelbedarf ohne Berücksichtigung der Prozentsatzberechnung dann zuzusprechen ist, wenn den Unterhaltspflichtigen keine weiteren Sorgepflichten treffen.

Dieser Rechtsansicht trat der Senat 7 des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom 8.2.1995, 7 Ob 503/95, entgegen. Es sei zwar richtig, daß besonders atypische Fälle eine den tatsächlichen Verhältnissen angepaßte individuelle Berücksichtigung der Bemessungskriterien erfordern, und daß bei erheblich überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltspflichtigen eine Obergrenze zur Vermeidung einer Überalimentierung gezogen werden muß; andererseits müsse dem Unterhaltspflichtigen bei sehr geringem Einkommen und konkurrierenden Sorgepflichten noch ein gewisser Mindestbetrag bleiben. Die Entscheidung 2 Ob 548/94 widerspreche jedoch dem der Rechtssicherheit dienenden Grundsatz, daß annähernd gleichgelagerte und vergleichbare Fälle auch zu einer Gleichbehandlung der von der Entscheidung Betroffenen führen sollen und vernachlässige das Bestreben des Gesetzgebers nach einer angemessenen Abwägung dessen, was dem Unterhaltspflichtigen einerseits bleiben und dem Unterhaltsberechtigten andererseits zukommen soll. Ein überzeugender Grund dafür, daß die Prozentsatzmethode zwar bei mehreren konkurrierenden Sorgepflichten nicht aber bei einer einzigen Sorgepflicht als geeignete Methode zur Ermittlung des konkreten Unterhaltsbetrages angesehen werden sollte, sei nicht ersichtlich. Die Anwendung der in 2 Ob 548/94 vertretenen Ansicht würde in Fällen unterdurchschnittlichen Einkommens des Unterhaltspflichtigen Abzüge bis nahe an die Grenze des Existenzminimums zulassen, während dem einzigen Kind ein Unterhaltsbetrag zur Verfügung stünde, der durchschnittlichen und damit besseren Einkommensverhältnissen als im konkreten Fall entspreche. Die sachgerechte Koppelung des Unterhaltsanspruches mit den Lebensverhältnissen der Eltern ginge hiedurch bei Sorgepflichten nur für ein Einzelkind verloren.

Der Senat teilt die in 7 Ob 503/95 vertretene Auffassung. Durch die Anwendung der Prozentsatzmethode werden die Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen entsprechend berücksichtigt (Schwimann, Unterhaltsrecht 26 f) und die vom Gesetzgeber angestrebte Gleichbehandlung gleichartiger Fälle hergestellt. Wollte man bei Fehlen konkurrierender Unterhaltspflichten allein auf den Regelbedarf abstellen, wären Unterhaltspflichtige, die (wie hier) ein Einkommen unter dem österreichischen Durchschnitt beziehen, in Relation zu ihrer Leistungsfähigkeit überproportional belastet. Sie könnten bei nur einer Sorgepflicht gegebenenfalls auch bis an das Existenzminimum heran verpflichtet werden. Sie wären aber auch in Relation zu anderen - besser verdienenden - Unterhaltspflichtigen (bei denen die Prozentsatzberechnung eine Unterhaltsleistung in Höhe des Regelbedarfes oder darüber ergibt) schlechter gestellt. Die dem Regelbedarf entsprechenden, vom Rekursgericht zugesprochenen S 3.100 mtl sind 22 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage, wogegen nach der Prozentsatzmethode für Kinder zwischen 6 und 10 Jahren 18 % als angemessen anzusehen sind.

Ein vernünftiger Grund dafür, daß das Einzelkind eines Unterhaltsverpflichteten, der keine konkurrierenden Unterhaltsansprüche zu erfüllen hat, über die konkreten Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen hinaus alimentiert werden soll, wogegen die Unterhaltspflicht bei konkurrierenden Sorgepflichten auf bestimmte Prozentsätze beschränkt sein sollte, kann nicht gefunden werden. Die dadurch bewirkte Ungleichbehandlung Unterhaltsberechtigter und Unterhaltspflichtiger widerspricht den Intentionen des Gesetzgebers.

Überdies besteht die vom Rekursgericht ins Treffen geführte Gefahr einer Unteralimentierung bei Anwendung der Prozentsatzberechnung auf niedrige Einkommen sowohl bei Einzelkindern als auch in Fällen konkurrierender Unterhaltspflichten. Sie ist Folge des unterdurchschnittlichen Einkommens des Unterhaltspflichtigen, an dessen Lebensverhältnissen der Unterhaltsberechtigte angemessen teilhaben soll. Warum aber die Unteralimentierung nur beim Einzelkind ohne konkurrierende Unterhaltsansprüche ausgeglichen werden soll, ist nicht einzusehen, zumal dies dem Grundsatz der Gleichbehandlung widerspricht.

Der Unterhaltsberechtigte muß sich daher im gegenständlichen Fall bei Berücksichtigung der Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen und dessen Leistungsfähigkeit einen Abzug auf den Regelbedarf gefallen lassen.

Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, im gegenständlichen Fall von der in der Rechtsprechung gebilligten Prozentsatzmethode abzugehen. Der angefochtene Beschluß war daher abzuändern und der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

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