OGH 4Ob222/21g

OGH4Ob222/21g23.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka, Dr. Faber sowie Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj S* G*, geboren am * 2010, im Haushalt seiner Mutter E* G*, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber und Mag. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwälte in Baden, Vater: DI G* Z*, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 9. November 2021, GZ 16 R 294/21f‑24, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00222.21G.0223.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die – getrennt lebenden – Eltern üben die gemeinsame Obsorge über den Minderjährigen aus. Die Mutter lehnt die allgemein gültigen Corona-Maßnahmen der Schule (Maske, Tests, Abstand) ab und meldete ihren Sohn deshalb zum häuslichen Unterricht gemäß § 11 Schulpflichtgesetz an, ohne tatsächlich einen adäquaten Ersatz zum Schulunterricht zu bieten.

[2] Der Vater, der den weiteren Schulbesuch seines Sohnes und die Einhaltung der Corona-Maßnahmen für erforderlich hält, beantragte, der Mutter die Obsorge in den Teilbereichen schulische Ausbildung sowie medizinische Versorgung zu entziehen, (sodass sie in diesen Teilbereichen ausschließlich ihm zukommt).

[3] Die Mutter sprach sich gegen diese Anträge aus und beantragte ihrerseits die Beibehaltung der geteilten Obsorge, eventualiter die Übertragung der alleinigen Obsorge in medizinischen und schulischen Belangen auf sie (gemeint: die Entziehung der Obsorge des Vaters in diesen Teilbereichen). Weiters beantragte sie die Fassung eines Beschlusses, mit dem dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung aufgetragen werden möge, es gegenüber ihrem Sohn zu unterlassen, in der von ihm besuchten Schule Gesichtsmasken, Mindestabstände und Corona-Schnelltests aufzutragen und den Minderjährigen bei Nichteinhaltung dieser Maßnahmen vom Unterricht auszuschließen. In diesem Sinne beantragte sie auch die Erlassung einer Einstweiligen Verfügung gegen das genannte Bundesministerium.

[4] Das Erstgericht gab dem Antrag des Vaters statt, erklärte die Entscheidung für vorläufig verbindlich und vollstreckbar und wies die gegen Organe der Republik Österreich gerichteten Anträge der Mutter wegen der Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] Dagegen richtet sich der auf die Stattgebung ihrer Anträge gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, der allerdings (trotz seines beträchtlichen Umfangs) keine für die Entscheidung des vorliegenden Obsorgestreits erheblichen Rechtsfragen aufwirft.

[7] 1.1. Die Anträge gegen die Republik Österreich wurden vom Erstgericht wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen. Das Rekursgericht billigte diese Ansicht und führte aus, dass es sich hier nicht um privatrechtliche Ansprüche iSv § 1 JN handle, zumal die Unterrichts‑ und Erziehungsarbeit der Schule eine hoheitliche Tätigkeit sei.

[8] 1.2. Damit hält sich das Rekursgericht im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die Erteilung von Unterricht hoheitlich ausgeübt wird (1 Ob 203/15g). Dazu zählt auch die Beaufsichtigung der Schüler (RS0049933; RS0050061 [T3]), wozu auch sämtliche Aspekte des Pandemiemanagements gehören (vgl  RS0049948).

[9] 2.1. Die Entscheidungen der Vorinstanzen hatten nicht die Frage der allgemeinen Sinnhaftigkeit der staatlich verordneten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und deren Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl zum Gegenstand (womit sich das vorliegende Rechtsmittel fast ausschließlich befasst), sondern die Frage, ob es dem Wohl des Minderjährigen eher zuträglich ist, in den Teilbereichen schulische Ausbildung und medizinische Versorgung in Alleinobsorge der Mutter zu sein, die ihn vom Schulunterricht abmeldete ohne adäquaten Ersatz zu bieten, oder in Alleinobsorge des Vaters, der die Fortsetzung des regulären Schulunterrichts für seinen Sohn befürwortet.

[10] 2.2. In einer Schulbesuchsverweigerung seitens der Obsorgeberechtigten kann eine Kindeswohlgefährdung liegen (vgl RS0132340). Im Übrigen ist aus den §§ 137 Abs 2, 138 Z 1 und 160 Abs 1 ABGB ein umfassender Auftrag an obsorgeberechtigte Personen zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit von minderjährigen Kindern abzuleiten. Die Vorinstanzen sind übereinstimmend zum Ergebnis gekommen, dass in den hier relevanten Bereichen die (Allein-)Obsorge und damit Entscheidungsgewalt des Vaters über die Aspekte des Schulbesuchs und der medizinischen Versorgung eher dem Wohl des Minderjährigen entspricht als jene der Mutter. Darin liegt keine unvertretbare, vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[11] Der Revisionsrekurs ist daher in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen unzulässig und somit zurückzuweisen.

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