European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00192.20V.1126.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin vertreibt handgefertigte Waren aus Zirbenholz, darunter Glaskaraffen mit einer Zirbenkugel aus Holz, deren Gestaltung durch das Gemeinschafts-geschmacksmuster Nummer 001920810‑0001 mit Priorität 21. 9. 2011 geschützt ist. Der Geschäftsführer der Klägerin ist Inhaber, die Klägerin ausschließliche Lizenznehmerin dieses Gemeinschaftsgeschmacksmusters. Die Lizenz wurde am 12. 2. 2018 im Register des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eingetragen.
[2] Der Beklagte vertreibt über ihre Website sowie über Amazon.de ebenfalls Waren aus Zirbenholz, darunter das Produkt „Original Zirbenkugel“, das ähnlich wie das gegenständliche Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestaltet ist.
[3] Die Klägerin begehrte – gestützt auf Art 19 GGV – dem Beklagten zu verbieten, das registrierte Gemeinschaftsgeschmacksmuster oder ein Design, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck als dieses hervorruft, ohne Zustimmung der Klägerin zu benützen; zudem stellte sie ein Beseitigungs-, ein Rechnungslegungs-, ein Auskunfts- sowie ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Der Beklagte habe im Jahr 2017 mehrfach ein Produkt vertrieben, das mit dem registrierten Gemeinschaftsgeschmacksmuster ident bzw verwechselbar ähnlich sei. Unrichtig sei, dass die fragliche Kombination einer Glaskaraffe mit einer Zirbenkugel schon im Jahr 2010 bekannt gewesen sei.
[4] Der Beklagte bestritt die Aktivlegitimation der Klägerin sowie die Schutzfähigkeit des Gemeinschaftsgeschmacksmusters mangels Neuheit und Eigenart. Die Gestaltung der Glaskaraffe samt Zirbenkugel sei funktionell bzw technisch bedingt. Außerdem verkaufe der Beklagte bereits seit 1. 5. 2010 ein solches Produkt über die Plattform Amazon.de. Auch das Unternehmen S***** habe bereits im Jahr 2010 derartige Kombinationsmodelle angeboten. Das fragliche Gemeinschaftsgeschmacksmuster sei daher längst gängig und bekannt gewesen. Da es an der Neuheit fehle, lägen die Nichtigkeitsgründe des § 25 Abs 1 lit b iVm Art 5 Abs 1 GGV vor. Er habe daher einen Nichtigkeitsantrag beim EUIPO eingebracht.
[5] Die Vorinstanzen gaben den Klagebegehren statt. Da das EUIPO über den vom Beklagten eingebrachten Nichtigkeitsantrag noch nicht entschieden habe, sei im Verletzungsverfahren von der Rechtsgültigkeit des Gemeinschaftsgeschmacksmusters auszugehen. Außerdem sei eine frühere neuheitsschädliche Benützung nicht erwiesen. Die Frage der Aktivlegitimation der Klägerin sei geklärt. Der Eingriff in das registrierte Gemeinschaftsgeschmacksmuster durch den Beklagten sei bereits im Provisorialverfahren mit eingehender Begründung bejaht worden. Das vom Beklagten vertriebene Produkt sei mit dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster verwechselbar ähnlich.
Rechtliche Beurteilung
[6] Mit seiner außerordentlichen Revision zeigt der Beklagte keinen Verfahrensmangel und keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[7] 1.1 Als Verfahrensmangel macht der Beklagte geltend, dass das Berufungsgericht das vorliegende Verfahren nicht von Amts wegen bis zur Entscheidung des EUIPO über den Nichtigkeitsantrag unterbrochen habe. Nach dem Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz habe das EUIPO seinem Nichtigkeitsantrag stattgegeben; dagegen habe die Klägerin ein Rechtsmittel eingelegt, über das noch nicht entschieden worden sei. Für solche Fälle ordne Art 91 GGV eine zwingende Unterbrechung des Verfahrens über die Verletzungsklage an; das Verfahren sei zu unterbrechen, wenn eine Widerklage oder ein Antrag auf Nichtigerklärung beim EUIPO eingebracht worden sei. Die gegenteilige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 140/02w sei unrichtig.
[8] 1.2 Das mit einer Verletzungsklage befasste Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht setzt nach Art 91 Abs 1 GGV (außer bei besonderen Gründen für die Fortsetzung) das Verfahren von Amts wegen oder auf Antrag aus, wenn die Rechtsgültigkeit des Gemeinschaftsgeschmacksmusters bereits aufgrund einer Widerklage vor einem anderen Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht angegriffen worden ist oder wenn beim Amt bereits ein Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gestellt worden ist.
[9] Richtig ist, dass es sich bei der in dieser Bestimmung angeordneten Aussetzung des Verfahrens über eine Verletzungsklage um eine zwingende Aussetzung handelt (so auch 4 Ob 140/02w; vgl dazu RIS‑Justiz RS0037110; RS0037034). Mit den Wendungen „bereits angegriffen“ bzw „bereits gestellt“ wird jedoch eindeutig die zeitliche Abfolge geregelt. Demnach muss die in Art 91 Abs 1 GGV angesprochene Widerklage bzw der Nichtigkeitsantrag beim Amt vor der Klage in dem gegebenenfalls zu unterbrechenden Verletzungsprozess eingebracht worden sein. Es kann daher nur ein späterer Verletzungsprozess unterbrochen werden.
[10] Das Argument des Beklagten, dass das Gegenteil richtig sei, weil eine „Widerklage“ erst nach der Verletzungsklage eingebracht werden könne, ist deshalb nicht überzeugend, weil die in Art 91 Abs 1 GGV angesprochene Widerklage (und damit die dieser vorangegangene Verletzungsklage) auf ein „anderes Gemeinschafts-geschmacksmustergericht“ bezogen wird. Dies bedeutet, dass es sich bei dem zu unterbrechenden Verletzungsprozess um einen weiteren (späteren) Verletzungsprozess handelt (vgl dazu EuGH C‑425/16 , wonach Klage und Widerklage beim selben Gericht einzubringen sind).
[11] 1.3 Die Entscheidung zu 4 Ob 140/02w, die zur vergleichbaren Bestimmung des Art 100 Abs 1 GMV (nunmehr Art 132 Abs 1 UMV) ebenfalls zum Ergebnis gelangte, dass die dort normierte Unterbrechung voraussetzt, dass der Antrag auf Nichtigerklärung beim HABM (EUIPO) schon vor Beginn des Verletzungsverfahrens eingebracht wurde, ist somit zutreffend. An dieser Rechtsprechung wurde in der Folge ausdrücklich festgehalten (4 Ob 14/12f). Sie wurde im Übrigen auch vom BGH übernommen (vgl I ZR 106/11 und I ZR 23/10).
[12] 1.4 Die Anregung des Beklagten auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH war nicht aufzugreifen, weil sich seine Argumentation mit dem Wortlaut des Art 91 GGV nicht in Einklang bringen lässt und in dieser Hinsicht auch keine Zweifel bestehen (vgl dazu schon 4 Ob 140/02w).
[13] 2.1 Im Rahmen der Rechtsrüge ignoriert der Beklagte weiterhin die Sachverhaltsgrundlage. Das Erstgericht hat nicht nur festgestellt, dass der Beklagte im Jahr 2010 noch keine Glaskaraffe mit Zirbenkugel vertrieben hat, sondern zudem auch, dass im Jahr 2011, bis zum Vertrieb durch die Klägerin, die in Rede stehende Gestaltung noch keine gängige oder bekannte Kombination war. Die Tatsacheninstanzen sind den gegenteiligen Behauptungen des Beklagten nicht gefolgt und haben die dazu vorgelegten Urkunden als nicht verlässlich beurteilt. Zu der vom Beklagten vorgelegten Beilage ./1 hat das Berufungsgericht zudem festgehalten, dass er dazu kein nachvollziehbares Vorbringen erstattet habe.
[14] 2.2 Davon abgesehen hat, worauf bereits das Erstgericht zutreffend hingewiesen hat, ein Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht in einem Verfahren über eine Verletzungsklage wegen eines (nach wie vor) eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters von dessen Rechtsgültigkeit auszugehen (siehe dazu Art 85 Abs 1 GGV). Es ist ihm daher verwehrt, eine behauptete Nichtigkeit als Vorfrage zu beurteilen (vgl 4 Ob 239/04g).
[15] 3. Insgesamt gelingt es dem Beklagten mit seinen Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
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