Spruch:
Eine in einem Kollektivvertrag enthaltene Schlichtungsklausel, also die Vereinbarung, daß vor Erhebung der Klage ein Schlichtungsverfahren durchzuführen ist, hindert die Klagbarkeit des Anspruchs vor der Durchführung des Schlichtungsverfahrens
Eine solche Vereinbarung gehört zu den normativen Bestimmungen des Kollektivvertrags. Sie begrundet eine materiell-rechtliche Einrede und führt im Fall ihrer Berechtigung nicht zur Zurückweisung der Klage sondern zur Klagsabweisung
Durch die von § 9 KollVG abweichende Formulierung des § 11 ArbVG wurde keine Änderung der Rechtslage bezweckt
OGH 18. Feber 1975, 4 Ob 1/75 (LG Innsbruck 2 R 619/74; ArbG Innsbruck Cr 179/74).
Text
Der Kläger behauptet, er sei mehrere Jahre im Bäckereibetrieb der beklagten Partei als Fahrverkäufer beschäftigt gewesen. Von seinem Lohn sei ihm zu Unrecht ein Betrag von 15.000 S abgezogen worden, weil er angeblich einen Schaden an einem Fahrzeug der beklagten Partei verschuldet habe. Da dies nicht richtig sei, sei die beklagte Partei verpflichtet, dem Kläger diesen Betrag zu zahlen.
Die beklagte Partei erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, weil nach § 21 des im vorliegenden Fall anzuwendenden Kollektivvertrages für das österreichische Bäckergewerbe das Arbeitsgericht erst angerufen werden dürfe, wenn im Rahmen der Schlichtungsstelle eine Beilegung des Streites nicht erreicht wurde; der Kläger habe seinen Anspruch bisher der Schlichtungsstelle nicht vorgetragen. Überdies sei der erhobene Anspruch auch sachlich nicht berechtigt.
Dazu brachte der Kläger vor, daß der angeführte Kollektivvertrag im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, weil er nur Arbeiter betreffe, der Kläger aber Angestellter gewesen sei.
Das Erstgericht wies die Klage "derzeit" zurück. Es stellte fest:
Die beklagte Partei gehört der Innung der Bäcker an. Auf das gegenständliche Dienstverhältnis ist unter der Voraussetzung, daß der Kläger als Arbeiter beschäftigt war, der zwischen der Bundesinnung der Bäcker einerseits und dem österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Lebens- und Genußmittelarbeiter, andererseits abgeschlossene Kollektivvertrag anzuwenden.
Bei Abschluß des Dienstvertrages wurde die Frage, ob der Kläger als Angestellter oder als Arbeiter eingestellt werde, überhaupt nicht besprochen. Vereinbart wurde ein Stundenlohn, in der Folge wurde jedoch auf Grund einer Änderung der Lohnzahlungsvereinbarung der Lohn monatlich ausbezahlt. Der Kläger war als Fahrverkäufer tätig. Als solcher hatte er an Hand eines Ladezettels die Kunden zu beliefern und neue Bestellungen entgegenzunehmen; hiebei hatte er sich eines Bestellblockes zu bedienen. Ursprünglich hatte er auch auf Grund der ihm übergebenen Rechnungen die Beträge von den Kunden zu kassieren und abzuliefern. In den letzten zwei Jahren vor Lösung des Dienstvertrages wurden infolge einer betrieblichen Änderung der Inkassoart die Rechnungen von den Kunden größtenteils über die Bank bezahlt; nur ein Teil von Kunden ging von der Barzahlung nicht ab. Nur mehr solche Barzahlungen hatte der Kläger dann weiter in Empfang zu nehmen. Während der Beschäftigungszeit erkrankte der Kläger zweibis dreimal, und zwar jeweils etwa in der Dauer von 14 Tagen. Während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit bezahlte der Beklagte jeweils an den ersten drei Tagen den Lohn und anschließend erhielt der Kläger von der Gebietskrankenkasse das Krankengeld ausbezahlt.
Eine Vereinbarung zwischen den Parteien, daß auf das gegenständliche Beschäftigungsverhältnis das Angestelltengesetz anzuwenden sei, wurde nicht getroffen.
Auf Grund der aufgezeigten Tätigkeitsmerkmale in Verbindung mit der Tatsache, daß dem Kläger während seiner mindestens zweimaligen Erkrankungen im Ausmaß von je 14 Tagen vom Dienstgeber das Entgelt nicht nach § 8 des Angestelltengesetzes weiterbezahlt wurde, der Kläger vielmehr sein Krankengeld von der Tiroler Gebietskrankenkasse bezog, war das Erstgericht der Auffassung, daß der Kläger dem Bereich der Arbeiter zuzuordnen sei. Es vertrat daher die Ansicht, daß § 21 des Kollektivvertrages für das österreichische Bäckergewerbe anzuwenden sei.
Die in Betracht kommenden Bestimmungen des § 21 stellte das Erstgericht wie folgt fest:
Abs. 1: "Werden Streitigkeiten aus den Arbeitsverhältnissen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht unmittelbar geklärt, dann sind solche Ansprüche durch die zuständige Berufsorganisation den zu bildenden Schlichtungsstellen vorzutragen."
Abs. 3: "Das zuständige Arbeitsgericht darf erst dann angerufen werden, wenn im Rahmen der Schlichtungsstelle eine Beilegung des Streitfalles nicht erreicht wurde."
Abs. 4: "In den Fällen, die an gesetzliche Fristen gebunden sind, kann zur Vermeidung von Terminverlusten auch während der Laufzeit eines Schlichtungsverfahrens der Streitfall beim Einigungsamt oder Arbeitsgericht anhängig gemacht werden."
Außer Streit gestellt wurde, daß ein Schlichtungsverfahren nicht eingeleitet worden ist.
Darnach war das Erstgericht der Auffassung, daß es zu einer Verhandlung und Entscheidung über den erhobenen Anspruch nicht zuständig sei, weil die Streitigkeit bisher nicht der Schlichtungsstelle vorgetragen worden sei.
Über Rekurs des Klägers hob das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem neuerliche Verhandlung und Entscheidung auf. Es war, ebenso wie das Erstgericht, der Auffassung, daß der Kläger nicht Angestellter gewesen, und daher der bezogene Kollektivvertrag anzuwenden sei. Die Einwendung, das darin vorgesehene Schlichtungsverfahren sei noch nicht durchgeführt worden, sei keine Prozeßeinrede, sondern die Einwendung der mangelnden Klagbarkeit des Anspruches. Diese Einwendung führe daher nicht zu einer Zurückverweisung der Klage, sondern - wenn sie berechtigt ist zur Abweisung des Klagebegehrens.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Gericht zweiter Instanz zwar den erstrichterlichen Beschluß formell aufhob, tatsächlich aber ihn abänderte, da es nicht dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung über die strittige Frage, ob das angenommene Prozeßhindernis vorliegt, auftrug, sondern diese Frage selbst abschließend erledigen wollte (Fasching ZP IV, 442; JBl. 1974, 101, 1972, 46; SZ 12/17; 4 Ob 17/74 u.a.).
Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
Zunächst ist darauf zu verweisen, daß die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichtes nicht Unzulässigkeit des Rechtsweges, sondern sachliche Unzuständigkeit eines anderen Gerichtes, auch wenn dieses ein Arbeitsgericht ist, bewirkt (Stanzl, Arbeitsgerichtliches Verfahren, 83; ArbSlg. 8817, 8483 und dazu Spielbüchler, Das Recht der Arbeit 1968, 294; ArbSlg. 7670; SZ 24/160; RZ 1973/2; 4 Ob 18/74 u. a.).
Eine in einem Kollektivvertrag enthaltene Schlichtungsklausel begrundet dagegen keine Prozeßeinrede; sie hindert vielmehr die Klagbarkeit des Anspruches vor der Durchführung des Schlichtungsverfahrens. Die Vereinbarung, daß vor Erhebung der Klage ein Schlichtungsverfahren durchzuführen sei, bedeutet eine materiell-rechtliche Vereinbarung über das Fehlen der Klagbarkeit des Anspruches ohne Erfüllung dieser Voraussetzung. Eine solche Vereinbarung gehört zu den normativen Bestimmungen des Kollektivvertrages (ArbSlg. 8483, 6528, 6007, 5418 u. a.). Diese Einrede begrundet daher einen materiell-rechtlichen Einwand und führt - im Falle seiner Berechtigung - nicht zur Zurückweisung der Klage, sondern zur Abweisung des gestellten Klagebegehrens (ArbSlg. 8483, 6528, 6007; JBl. 1955, 127 u.a.).
Daran hat sich entgegen der Auffassung der beklagten Partei auch durch das Arbeitsverfassungsgesetz (BGBl. 22/1974, ArbVG) nichts geändert.
Auch nach dem Arbeitsverfassungsgesetz kann in Kollektivverträgen eine Schlichtungsklausel aufgenommen werden; dabei handelt es sich um eine Regelung der gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gemäß § 2 Abs. 2 Z. 2 ArbVG (Floretta - Strasser, Arbeitsverfassungsgesetz, 20). Eine derartige Vereinbarung gehört somit auch nach dem Arbeitsverfassungsgesetz dem normativen Teil eines Kollektivvertrages an, dem sie auch schon während der Geltung des Kollektivvertragsgesetzes zugezählt wurde. Einer solchen Vereinbarung ist daher auch nach Inkrafttreten des Arbeitsverfassungsgesetzes dieselbe Wirkung zuzuschreiben, die einer solchen Vereinbarung vor diesem Zeitpunkt beigelegt wurde. Allerdings weicht der Wortlaut der im Arbeitsverfassungsgesetz enthaltenen Regelung über die Wirkung einer solchen Vereinbarung von dem der betreffenden Bestimmung des Kollektivvertragsgesetzes ab. Während nämlich § 9 Abs. 1 KVG davon sprach, daß die Bestimmungen des normativen Teiles des Kollektivvertrages als Bestandteil der Einzeldienstverhältnisse zu gelten haben, bestimmt nunmehr § 11 Abs. 1 des ArbVG, daß die Bestimmungen des Kollektivvertrages, soweit sie nicht die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien regeln, innerhalb seines fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereiches unmittelbar rechtsverbindlich sind. Damit wurde aber keine Änderung der Rechtslage bezweckt. Es sollte vielmehr der Theorienstreit über die rechtliche Natur solcher Bestimmungen und den Grund ihrer Verbindlichkeit - im Sinn der als herrschend anerkannten Auffassung der sogenannten Normentheorie - durch die gesetzliche Regelung beendet werden (Floretta - Strasser, 51; Kinzel, Kommentar zum ArbVG, herausgegeben vom Wirtschaftsverlag, 95). Es besteht daher kein Grund, die Bestimmung eines Kollektivvertrages über die Verpflichtung, vor gerichtlicher Geltendmachung eines Anspruches eine Schlichtungsstelle anzurufen, nunmehr anders zu beurteilen als bis zum Inkrafttreten des Arbeitsverfassungsgesetzes. Sie ist weiterhin als Teil der Regelung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis eine Bestimmung materiellrechtlicher Natur, mit der die Frage der Klagbarkeit des Anspruches geregelt wird, nicht aber als eine verfahrensrechtliche Vorschrift anzusehen, die eine Prozeßeinrede begrunden könnte. Die Frage der Verbindlichkeit einer solchen Kollektivvertragsbestimmung ist von der Frage ihrer rechtlichen Natur und ihrer Zuordnung zum materiellen Recht oder zum Verfahrensrecht zu unterscheiden. Auch Vereinbarungen oder normative Bestimmungen materiell-rechtlicher Natur sind für die Betroffenen grundsätzlich - sofern sie nicht gegen zwingende gesetzliche Vorschriften oder gegen die guten Sitten verstoßen (Floretta - Strasser, 25, 26) - verbindlich. Dies wurde auch vor Inkrafttreten des Arbeitsverfassungsgesetzes von Kollektivvertragsbestimmungen über ein Schlichtungsverfahren vor gerichtlicher Geltendmachung eines Anspruches anerkannt, wenn die Bestimmung ihrem Inhalte nach eine Verpflichtung der Beteiligten dazu festlegte. Da die rechtliche Natur solcher Bestimmungen durch das Arbeitsverfassungsgesetz keine Änderung, sondern eine Bestätigung der bis dahin herrschenden Auffassung erfuhr, besteht kein Anlaß, solche Bestimmungen nicht mehr als materiell-rechtliche Regelungen, sondern als Verfahrensvorschriften zu behandeln. Der Einwand, es sei das im Kollektivvertrag vorgeschriebene Schlichtungsverfahren nicht eingeleitet worden, begrundet somit weiterhin nicht eine Prozeßeinrede, sondern den materiellrechtlichen Einwand der mangelnden Klagbarkeit des erhobenen Anspruches. Die Zurückweisung der Klage durch das Erstgericht wegen Unzuständigkeit wurde daher mit Recht vom Rekursgericht behoben.
Die Frage, ob der Kläger Arbeiter oder Angestellter war, somit ob der bezogene Kollektivvertrag im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar ist, ist für die Entscheidung über das angebliche Prozeßhindernis nicht entscheidend. Dieses Prozeßhindernis ist auch bei Anwendbarkeit dieses Kollektivvertrages aus den angeführten Gründen nicht gegeben. Wenn der bezogene Kollektivvertrag auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden könnte, wäre überhaupt keine Grundlage für die Annahme dieses Prozeßhindernisses gegeben. Die Frage der Anwendbarkeit dieses Kollektivvertrages ist erst bei der Sachentscheidung, nämlich bei der Beurteilung der Frage zu prüfen, ob der erhobene Anspruch klagbar ist. Sie bedarf daher im Streit über das Vorliegen des angeblichen Prozeßhindernisses keiner Erörterung. Der Revisionsrekurs ist vielmehr unberechtigt, so daß ihm nicht Folge zu geben war.
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