OGH 4Ob167/22w

OGH4Ob167/22w22.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Schwarzenbacher, Dr. Tarmann‑Prentner, MMag. Matzka und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. mj E*, geboren * 2018, und 2. mj M*, geboren * 2019, beide *, vertreten durch Mag. Dr. Brigitta Braunsberger‑Lechner und Mag. Thomas Loos, Rechtsanwälte in Steyr, wegen Unterhalts, über den ordentlichen Revisionsrekurs beider Minderjähriger gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom 3. August 2022, GZ 1 R 77/22z‑28, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 2. Juni 2022, GZ 4 Pu 40/21x‑20, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00167.22W.1122.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Minderjährigen werden durch die beiden in getrennten Haushalten lebenden, gemeinsam obsorgeberechtigten Elternteile völlig gleichteilig betreut. Der Vater, der den gesamten Familienbonus Plus bezieht, erzieltein deutlich höheres Einkommen als die Mutter, welcher die gesamte Familienbeihilfe ausbezahlt wird.

[2] Die Vorinstanzen bemaßen den vom Vater zu leistenden Geldunterhalt nach dem sogenannten betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell. Der Vater ließ dabei bereits die Entscheidung des Erstgerichts, die Hälfte des von ihm bezogenen Familienbonus Plus in die Unterhaltsbemessungsgrundlage der Kinder einzubeziehen, und ihn zur Zahlung von Geldunterhalt zu verpflichten, unangefochten.

[3] Das Rekursgericht gab dem gegen die teilweise Abweisung ihres Antrags gerichteten Rekurs der Minderjährigen, die damit einerseits im Tatsächlichen die gleichteilige Betreuung – und demnach das Vorliegen der Voraussetzungen des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells – bekämpft und andererseits angestrebt hatten, den halben Familienbonus Plus als Unterhaltsbetrag zugesprochen zu erhalten (anstatt ihn nur als Teil der Bemessungsgrundlage zu behandeln), nicht Folge. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil keine Rechtsprechung zur Behandlung des von einem Elternteil alleine bezogenen Familienbonus Plus im betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[4] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG; RS0107859) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig, zumal auch der Revisionsrekurs der Minderjährigen solche Fragen nicht aufzeigt (vgl RS0102059). Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[5] 1.1. Unterhaltsentscheidungen sind grundsätzlich Ermessensentscheidungen und keine reinen Rechenexempel (RS0047419 [T23]), gerade beim sogenannten betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell bestehen gewisse Bandbreiten im Einzelfall (6 Ob 18/22y Rz 10).

[6] 1.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs handelt es sich beim Familienbonus Plus um einen echten Steuerabsetzbetrag, den der Gesetzgeber mit der Zielsetzung eingeführt hat, zusammen mit dem Unterhaltsabsetzbetrag die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung von Geldunterhaltspflichtigen herbeizuführen. Dadurch findet eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht statt. Der Familienbonus Plus ist nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen; auch eine Anrechnung von Transferleistungen findet nicht mehr statt. Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag bleiben damit unterhaltsrechtlich neutral (RS0132928; insb 4 Ob 150/19s; 8 Ob 80/19a uva). Dass der Familienbonus Plus notwendigerweise nur in dem Umfang bezogen werden kann, in dem eine steuerliche Belastung besteht, und sich daraus ergebende Unterschiede in der Höhe des Entlastungsbetrags wurden vom Gesetzgeber in Kauf genommen und sind nicht im Rahmen der Unterhaltsbemessung zu korrigieren; die Entlastung des betreuenden Elternteils erfolgt durch die Transferleistungen (vgl 8 Ob 80/19a), somit durch – hier nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens bildend – Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag (vgl 6 Ob 18/22y Rz 9 unter Hinweis auf Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 [2019] Rz 100e Anm 3).

[7] Diese Rechtsprechung, wonach Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag nicht als Steuerersparnis bzw Teil der Nettoeinkünfte in die Bemessungsgrundlage einzurechnen sind, weil es sich wegen ihrer Zweckbestimmung nicht um allgemeine Einkommensbestandteile handelt, wird auch auf volljährige Unterhaltsberechtigte (RS0133181) sowie im Verhältnis zum unterhaltsberechtigten Ehegatten angewandt (1 Ob 155/20f = RS0132928 [T2]).

[8] 1.3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen dieser Rechtsprechung, die auch im Fall gleichteiliger Betreuung, aber unterschiedlichen Einkommens der Elternteile wie hier gilt (vgl nur 6 Ob 18/22y Rz 14); warum die steuerliche Entlastung für den geldunterhaltspflichtigen Vater der Minderjährigenhier nicht stattfinden sollte, ist nicht nachvollziehbar. Die vom Rekursgericht aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage stellt sich damit nicht.

[9] 2.1. Aus welcher Grundlage ein vom Revisionsrekurs angesprochenes „gesetzliches Standardmodell“, wonach beide Elternteile jeweils den halben Familienbonus Plus erhalten sollen, ableitbar wäre, wird nicht dargelegt und ist auch nicht erkennbar (vgl dagegen § 33 Abs 3a Z 3 EStG 1988). Wie oben erörtert hat der Gesetzgeber Unterschiede in der Höhe der steuerlichen Entlastung bewusst in Kauf genommen, was nach ständiger Rechtsprechung nicht im Rahmen der Unterhaltsbemessung zu korrigieren ist.

[10] 2.2. Die Ausführungen des Revisionsrekurses zur Beantragung des Familienbonus Plus und dessen Aufteilung stehen ebenfalls nicht auf dem Boden des Gesetzes (§ 33 Abs 3a Z 3 EStG 1988). Warum in diesem Zusammenhang eine von der dargelegten Rechtsprechung abweichende Behandlung des Familienbonus Plus in unterhaltsrechtlicher Hinsicht folgen sollte, erschließt sich nicht.

[11] 2.3. Soweit der Revisionsrekurs neuerlich die Voraussetzungen des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells in Frage stellt, geht er nicht von der im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof bindenden Tatsachengrundlage aus. Die Beurteilung, ob nach den tatsächlichen Verhältnissen eine gemeinsame Kostentragung der Elternteile stattfindet, ist für die Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens und hierbei die grundsätzliche Behandlung von Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag nicht ausschlaggebend.

[12] 2.4. Sonstige Gründe, warum den Minderjährigen höhere als die von den Vorinstanzen bereits rechtskräftig zugesprochenen Unterhaltsbeträge zustehen sollten, haben sie weder in ihrem Rekurs noch im Revisionsrekurs ins Treffen geführt.

[13] 3. Insgesamt stellt sich daher keine erhebliche Rechtsfrage, was zur Zurückweisung des Revisionsrekurses führen muss.

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