European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129479
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.288,70 EUR (darin enthalten 381,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile stehen durch die Herstellung und den Vertrieb von Schnelldiagnostika (In-vitro-Diagnosetests, Schwangerschafts- und Ovulationstests) im Wettbewerbsverhältnis. Die Produkte der Beklagten werden einem internen und externen regulatorischen Prüfungsverfahren unterzogen. Für die verfahrensrelevanten Produkte wurde der Beklagten am 15. Dezember 2017 eine EG-Konformitätserklärung ausgestellt. Auf den Produkten ist ein CE-Kennzeichen angebracht sowie die Nummer der benannten Stelle (der Zertifizierung). Bei der benannten Stelle mit der Kennnummer 0843 handelt es sich um die U* Limited mit Sitz in Großbritannien.
Die Klägerin begehrt, der Beklagten zu verbieten, bestimmte von ihr hergestellte Medizinprodukte ohne ausreichende Information über eine sichere Anwendung auf der Stückpackung und in der Gebrauchsanweisung in Verkehr bringen zu lassen, insbesondere wenn auf der Stückpackung und in der Gebrauchsanweisung (von der Klägerin näher angeführte) Informationen und Angaben (ua über den Produktinhalt, die Verwechslungsgefahr mit ähnlichen Produkten, die In-vitro-Anwendung etc) fehlten. Weiters stellt die Klägerin ein Beseitigungsbegehren und ein Urteilsveröffentlichungsbegehren.
Die Klägerin stützte ihre Klage auf § 1 UWG (Rechtsbruch) und warf der Beklagten einen Verstoß gegen §§ 9 ff MPG iVm § 6 Z 1 MPG vor. Dadurch sei ein sicherer Umgang durch die Anwender nicht gewährleistet. Insbesondere fehlten auf den einzelnen Stückpackungen sowie in den jeweiligen Gebrauchsanweisungen die erforderlichen Hinweise. Vor allem werde nicht auf eine mögliche Verwechslungsgefahr hingewiesen. Die Beklagte habe auf entsprechende Schreiben der Klägerin nicht reagiert.
Die Beklagte wandte ein, dass ihre Produkte nach einer umfassenden regulatorischen internen sowie externen Überprüfung durch eine unabhängige benannte Stelle mit einem CE-Kennzeichen versehen worden seien. Auf den Produkten seien deutliche Gebrauchsinformationen sowie Verwendungshinweise angebracht. Bei Medizinprodukten, die eine CE-Kennzeichnung aufwiesen, gelte stets die Annahme, dass die entsprechenden Voraussetzungen für das Inverkehrbringen eingehalten seien. Andernfalls hätte die zuständige Behörde ein Überprüfungsverfahren einzuleiten. Für derartige Überprüfungen seien ordentliche Gerichte nicht zuständig.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Aufgrund des hier anzuwendenden § 15 Abs 1 MPG (Medizinproduktegesetz) dürften Medizinprodukte nur in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden, wenn sie ein CE-Kennzeichen aufwiesen. Die CE-Kennzeichnung dürfe wegen ihrer entscheidenden rechtlichen Bedeutung im Regelungssystem für Medizinprodukte nur von Personen angebracht werden, die zur Konformitätsbewertung autorisiert seien. Sie dürfe nur dann auf einem Medizinprodukt angebracht werden, wenn die grundlegenden Anforderungen nachweisbar erfüllt seien und wenn für die Produkte eine geeignete Konformitätsbewertung durchgeführt worden sei. Bei Medizinprodukten, welche mit einem CE-Kennzeichen versehen seien, gelte bis zum Nachweis des Gegenteils die Annahme, dass das Produkt die geforderten Voraussetzungen erfülle und demnach die Kennzeichnung rechtmäßig erfolgt sei. Gemäß § 22 Abs 2 MPG sei ein begründeter Verdacht erforderlich, damit das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen geeignete Maßnahmen der Überwachung iSd § 68 MPG einleite.
Die Behauptung der Klägerin, es lägen mangels entsprechender Informationen auf der Stückpackung und der Gebrauchsanweisung Verstöße gemäß §§ 6 und 9 MPG vor, könnten eine unlautere Geschäftspraktik erfüllen. Ein Verstoß gegen diese Normen führe zu einem Rechtsbruch, mit dem eine spürbare Beeinflussung des Wettbewerbs einhergehen könne. Hier sei aber die Vertretbarkeit zu berücksichtigen. Auf den Produkten der Beklagten sei neben dem CE‑Kennzeichen auch die Nummer der zur Überprüfung autorisierten Stelle angebracht. Die Medizinprodukte der Beklagten seien einem umfassenden Qualitätsprüfungsverfahren unterzogen worden, zumal ein Hersteller dieser Produkte nicht dazu berechtigt sei, ohne jegliche externe Überprüfung ein CE-Kennzeichen anzubringen. Im Anschluss an die Überprüfung sei am 15. Dezember 2017 eine EG-Konformitätserklärung ausgestellt worden. Die Beklagte habe berechtigterweise darauf vertrauen dürfen, dass eine autorisierte Stelle sämtliche Erfordernisse überprüft habe, zumal die RL 98/79/EG ausdrücklich normiere, dass die Kennzeichnung und die Gebrauchsanweisungen Bestandteil des Prüfungsverfahrens sind. Die Auffassung, mit der Ausstellung der EG-Konformitätserklärung sei das Inverkehrbringen der damit gekennzeichneter Produkte zulässig, sei mit guten Gründen vertretbar, sodass kein unlauteres Handeln der Beklagten iSd § 1 UWG vorliege.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge; es schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Die Klägerin habe keine Mängel des Zertifizierungsverfahrens geltend gemacht. Damit habe aber die Beklagte davon ausgehen können, dass durch die vorgenommene CE-Kennzeichnung ihrer Produkte das Inverkehrbringen auf dem österreichischen Markt keinen Verstoß gegen diese Regelungen bedeute. Die Auffassung der Beklagten, sie dürfe ihre Produkte in Österreich nach Ausstellung der EG-Konformitätserklärung diese entsprechend in Verkehr bringen, sei durch die gesetzlichen Regelungen der §§ 15, 22 iVm §§ 8 und 9 MPG so weit gedeckt, dass sie mit gutem Grund vertreten werden könne. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Die Vorinstanzen haben die Grundsätze der Vertretbarkeit im Lauterkeitsrecht richtig dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Verstoß gegen eine generelle Norm nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich (nur) dann als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten ist, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht (RS0123239). Das gilt grundsätzlich auch für Normen des (sekundären) Unionsrechts (vgl 4 Ob 4/16s; 4 Ob 36/18z).
2. Es ist damit zu prüfen, ob die Rechtsansicht der Beklagten vertretbar ist, dass der Verkäufer von In-vitro-Diagnostika bzw Medizinprodukten allein wegen der aufrechten Zertifizierung von der Einhaltung der §§ 9 ff MPG iVm § 6 Z 1 MPG ausgehen kann. Das ist zu bejahen.
3. Die dafür relevanten unionsrechtlichen und nationalen Bestimmungen lauten auszugsweise wie folgt:
A. Richtlinie 98/79/EG des europäischen Parlaments und des Rats vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (im Folgenden: RL 98/79/EG )
Artikel 3 Grundlegende Anforderungen
Die Produkte müssen die für sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung geltenden grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang I erfüllen.
Artikel 4 Freier Verkehr
(1) Die Mitgliedstaaten behindern in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten, die die CE‑Kennzeichnung nach Artikel 16 tragen, wenn diese einer Konformitätsbewertung nach Artikel 9 unterzogen worden sind.
[…]
Artikel 8 Schutzklausel
(1) Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass die in Artikel 4 Absatz 1 genannten Produkte die Gesundheit und/oder Sicherheit der Patienten, der Anwender oder gegebenenfalls Dritter oder die Sicherheit von Eigentum gefährden können, auch wenn sie sachgemäß installiert, instandgehalten und ihrer Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden, so trifft er alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen, um diese Produkte vom Markt zu nehmen oder ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Der Mitgliedstaat teilt der Kommission unverzüglich diese Maßnahmen mit, nennt die Gründe für seine Entscheidung […]
(2) Die Kommission konsultiert so bald wie möglich die betreffenden Parteien. Stellt die Kommission nach dieser Anhörung fest,
- dass die Maßnahmen gerechtfertigt sind, so unterrichtet sie hiervon unverzüglich den Mitgliedstaat, der die Maßnahme getroffen hat, sowie die anderen Mitgliedstaaten. Ist die in Absatz 1 genannte Entscheidung in einem Mangel der Normen begründet, so befasst die Kommission nach Anhörung der betreffenden Parteien den in Artikel 6 Absatz 1 genannten Ausschuss innerhalb von zwei Monaten, sofern der Mitgliedstaat, der die Entscheidung getroffen hat, diese aufrechterhalten will, und leitet das in Artikel 6 genannte Verfahren ein; ist die Maßnahme nach Absatz 1 auf Probleme im Zusammenhang mit dem Inhalt oder der Anwendung von Gemeinsamen Technischen Spezifikationen zurückzuführen, so legt die Kommission die Angelegenheit nach Anhörung der betreffenden Parteien binnen zwei Monaten dem in Artikel 7 Absatz 1 genannten Ausschuss vor;
- dass die Maßnahmen nicht gerechtfertigt sind, so unterrichtet sie davon unverzüglich den Mitgliedstaat, der die Maßnahme getroffen hat, sowie den Hersteller oder seinen Bevollmächtigten.
(3) Ist ein mit dieser Richtlinie nicht übereinstimmendes Produkt mit der CE‑Kennzeichnung versehen, so ergreift der zuständige Mitgliedstaat gegenüber demjenigen, der diese Kennzeichnung angebracht hat, die geeigneten Maßnahmen und unterrichtet davon die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten.
Artikel 9 Konformitätsbewertung
(1) Für alle Produkte mit Ausnahme der in Anhang II genannten Produkte und der Produkte für Leistungsbewertungszwecke muss der Hersteller, damit die CE-Kennzeichnung angebracht werden kann, das Verfahren gemäß Anhang III einhalten und vor dem Inverkehrbringen des Produkts die geforderte EG‑Konformitätserklärung ausstellen.
Für alle Produkte zur Eigenanwendung mit Ausnahme der in Anhang II genannten Produkte und der Produkte für Leistungsbewertungszwecke muss der Hersteller vor Ausstellung der vorstehend genannten Konformitätserklärung die in Anhang III Nummer 6 genannten zusätzlichen Anforderungen erfüllen. Anstelle dieses Verfahrens kann der Hersteller das Verfahren gemäß Absatz 2 oder Absatz 3 anwenden.
[...]
Artikel 16 CE-Kennzeichnung
(1) Mit Ausnahme der Produkte für Leistungsbewertungszwecke müssen alle Produkte, von deren Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen gemäß Artikel 3 auszugehen ist, bei ihrem Inverkehrbringen mit einer CE-Kennzeichnung versehen sein.
(2) Die CE-Kennzeichnung gemäß Anhang X muss in deutlich sichtbarer, leicht lesbarer und unauslöschbarer Form auf dem Produkt – sofern dies durchführbar und zweckmäßig ist – sowie auf der Gebrauchsanweisung angebracht sein. Wenn möglich, muss die CE-Kennzeichnung auch auf der Handelsverpackung angebracht sein. Außer der CE-Kennzeichnung muss die Kennummer der benannten Stelle aufgeführt sein, die für die Durchführung der Verfahren gemäß den Anhängen III, IV, VI und VII verantwortlich ist.
(3) Zeichen oder Aufschriften, die geeignet sind, Dritte bezüglich der Bedeutung oder der graphischen Gestaltung der CE-Kennzeichnung irrezuführen, dürfen nicht angebracht werden. Alle sonstigen Zeichen dürfen auf dem Produkt, der Verpackung oder der Gebrauchsanweisung für das Produkt angebracht werden, sofern sie die Sichtbarkeit und Lesbarkeit der CE‑Kennzeichnung nicht beeinträchtigen.
Artikel 17 Unzulässige Anbringung der CE‑Kennzeichnung
(1) Unbeschadet des Artikels 8 gilt folgendes:
a) Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass die CE‑Kennzeichnung unzulässigerweise angebracht wurde, ist der Hersteller oder sein Bevollmächtigter verpflichtet, den weiteren Verstoß unter den vom Mitgliedstaat festgelegten Bedingungen zu verhindern.
b) Falls die unzulässige Anbringung fortbesteht, muss der Mitgliedstaat nach dem Verfahren gemäß Artikel 8 alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um das Inverkehrbringen des betreffenden Produkts einzuschränken oder zu untersagen oder um zu gewährleisten, dass es vom Markt genommen wird.
(2) Absatz 1 gilt auch in den Fällen, in denen die CE-Kennzeichnung nach den Verfahren dieser Richtlinie unzulässigerweise an Erzeugnissen angebracht wurde, die nicht unter diese Richtlinie fallen.
[…]
ANHANG I
[...]
8. Bereitstellung von Informationen durch den Hersteller
8.1. Jedem Produkt sind Informationen beizugeben, die unter Berücksichtigung des Ausbildungs- und Kenntnisstandes des vorgesehenen Anwenderkreises die ordnungsgemäße und sichere Anwendung des Produkts und die Ermittlung des Herstellers ermöglichen.
[...]
8.4. Die Kennzeichnung muss folgende Angaben– gegebenenfalls in Form von geeigneten Symbolen – enthalten:
[...]
e) erforderlichenfalls das Datum, angegeben in der Reihenfolge von Jahr, Monat und gegebenenfalls Tag, bis zu dem das Produkt oder eines seiner Teile ohne Verminderung der Leistungsfähigkeit sicher angewendet werden kann;
[...]
g) gegebenenfalls einen Hinweis darauf, dass es sich um ein Produkt zur In-vitro-Anwendung handelt;
h) besondere Hinweise zur Lagerung und/oder Handhabung;
i) gegebenenfalls besondere Anwendungs-hinweise;
j) geeignete Warnhinweise und/oder Hinweise auf zu treffende Vorsichtsmaßnahmen;
k) wenn Produkte zur Eigenanwendung bestimmt sind, ist dies deutlich hervorzuheben.
ANHANG III
EG-Konformitätserklärung
1. Als EG-Konformitätserklärung wird das Verfahren bezeichnet, mit dem der Hersteller oder sein Bevollmächtigter, der den Verpflichtungen nach den Nummern 2 bis 5, bei Produkten zur Eigenanwendung darüber hinaus den Verpflichtungen nach Nummer 6 nachkommt, sicherstellt und erklärt, dass die betreffenden Produkte den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen. Der Hersteller bringt die CE-Kennzeichnung gemäß Artikel 16 an.
[…]
6.1. Der Antrag muss eine verständliche Darstellung der Auslegung des Produkts enthalten und eine Bewertung der Konformität mit den auslegungsbezogenen Anforderungen der Richtlinie ermöglichen. Der Antrag muss folgendes enthalten:
[...]
- die Angaben, die auf der Kennzeichnung und in der Gebrauchsanweisung des Produkts anzubringen sind.
B. Bundesgesetz betreffend Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz – MPG)
[...]
Anforderungen an Medizinprodukte
Voraussetzungen für das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme
§ 6. Es ist verboten, Medizinprodukte in Verkehr zu bringen, zu errichten, zu installieren, in Betrieb zu nehmen oder anzuwenden, wenn
1. der begründete Verdacht besteht, dass sie die grundlegenden Anforderungen im Sinne der §§ 8 und 9 und einer Verordnung nach § 10 oder zutreffendenfalls die Anforderungen des § 11 nicht erfüllen
[…]
§ 9. (1) Jedem Medizinprodukt sind Informationen beizugeben, die unter Berücksichtigung des Ausbildungs- und Kenntnisstandes des vorgesehenen Anwenderkreises für die sichere Anwendung des Medizinproduktes erforderlich sind. Diese Informationen müssen aus Angaben in der Kennzeichnung und nach Maßgabe des Abs. 3 solchen in der Gebrauchsanweisung bestehen.
(2) Die für die sichere Anwendung erforderlichen Informationen müssen auf dem Medizinprodukt selbst, auf der Stückpackung und gegebenenfalls auf der Handelspackung angegeben sein. Falls eine Einzelverpackung nicht möglich ist, müssen die Angaben auf einer Begleitinformation erscheinen. Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales kann in der Verordnung gemäß § 10 im Einklang mit den Richtlinien 90/385/EWG , 93/42/EWG und 98/79/EG im Hinblick auf die Praktikabilität und Angemessenheit der Anbringung oder Bereitstellung dieser Informationen und auf die Gewährleistung der sicheren Anwendung von Medizinprodukten Ausnahmen vorsehen.
[...]
3. Abschnitt
CE-Kennzeichnung
§ 15. (1) Medizinprodukte mit Ausnahme von Sonderanfertigungen, Medizinprodukten gemäß § 32, für die klinische Prüfung bestimmten Medizinprodukten sowie In-vitro-Diagnostika für Leistungsbewertungszwecke dürfen nur dann in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden, wenn sie mit der CE-Kennzeichnung gemäß diesem Bundesgesetz oder auf der Grundlage der Richtlinien 90/385/EWG , 93/42/EWG und 98/79/EG ergangenen nationalen Vorschriften anderer Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum versehen sind.
(2) Medizinprodukte dürfen nur dann mit der CE‑Kennzeichnung versehen werden, wenn sie nachweisbar
1.
die grundlegenden Anforderungen im Sinne der §§ 8 und 9 und einer Verordnung nach § 10 erfüllen,
2.
allfällige weitere für Medizinprodukte geltende Vorschriften gemäß § 16 erfüllen, die auf sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbar sind, und
3.
einer für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebenen Konformitätsbewertung gemäß einer Verordnung nach § 28, die die Berechtigung zur Führung der CE-Kennzeichnung verleiht, unterzogen worden sind.
(3) Die CE-Kennzeichnung muss von dem angebracht werden, der durch eine Verordnung nach § 28 dazu bestimmt ist.
§ 22. (1) Bei Medizinprodukten, die mit der CE‑Kennzeichnung gemäß § 15 versehen sind, gilt, sofern diese nicht widerlegt wurde, grundsätzlich die Annahme, dass sie den Voraussetzungen des § 15 Abs 2 entsprechen.
(2) Besteht der begründete Verdacht, dass eine CE-Kennzeichnung entgegen diesem Bundesgesetz unrechtmäßig angebracht wurde oder unter Verletzung dieses Bundesgesetzes fehlt, hat das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen geeignete Maßnahmen der Überwachung gemäß § 68 einzuleiten, erforderliche Bewertungen und Untersuchungen durchzuführen oder zu veranlassen oder die Person oder Einrichtung, die das Medizinprodukt herstellt oder in Verkehr bringt, zu veranlassen, das Medizinprodukt von einer benannten Stelle, einer sonst geeigneten akkreditierten Stelle oder von einem Sachverständigen prüfen zu lassen und ihm die Berichte und Ergebnisse vorzulegen, um die Rechtmäßigkeit der Anbringung oder das Fehlen der CE-Kennzeichnung zu klären. Die Stellen oder Sachverständigen sind im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen auszuwählen.
(3) Die Person oder Einrichtung, die das Medizinprodukt herstellt oder in Verkehr bringt, hat die Kosten der Überwachung, der Prüfung oder der sonstigen Maßnahmen gemäß Abs 2 zu tragen, wenn die CE-Kennzeichnung zu Unrecht angebracht wurde oder unter Verletzung dieses Bundesgesetzes fehlt.
4.1 Die RL 98/79/EG deckt sich inhaltlich weitgehend mit der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (im Folgenden RL 93/42/EWG ). Nach der zur RL 93/42/EWG ergangenen Entscheidung des EuGH C-6/05 Medipac-Kazantzidisist davon auszugehen, dass Medizinprodukte, die den harmonisierten Normen entsprechen und gemäß den Verfahren der Richtlinie zertifiziert worden sind, diese grundlegenden Anforderungen erfüllen und sich für ihren Verwendungszweck eignen (Rn 42). Die Entscheidung betraf ein Vergabeverfahren für die Lieferung von Medizinprodukten an ein öffentliches Krankenhaus. Nach Ansicht des EuGH hat der betreffende Mitgliedstaat, wenn sich herausstellt, dass ein Medizinprodukt trotz CE-Kennzeichnung nicht die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie erfüllt, nach Art 8 Abs 3 RL 93/42/EWG die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen und davon die Kommission sowie die übrigen Mitgliedstaaten zu unterrichten (Rn 48). Ferner muss nach Art 18 der RL 93/42/EWG der Hersteller oder sein in der Gemeinschaft ansässiger Bevollmächtigter dann, wenn ein Mitgliedstaat feststellt, dass die CE-Kennzeichnung unberechtigterweise angebracht wurde, den Verstoß unter den von diesem Mitgliedstaat festgelegten Bedingungen abstellen (Rn 48). Die Notwendigkeit, den freien Verkehr mit diesen Produkten und den Schutz der Gesundheit der Patienten miteinander in Einklang zu bringen, verlangt, dass der betreffende Mitgliedstaat, falls ein Risiko im Zusammenhang mit Produkten auftritt, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie bestätigt wurde, das Schutzverfahren nach Art 8 der Richtlinie durchführt, ohne dass unbefugte Stellen unmittelbar und allein über die in einem solchen Fall zu treffenden Maßnahmen entscheiden können (Rn 52). Wenn angebotene Produkte beim öffentlichen Auftraggeber trotz CE-Kennzeichnung Bedenken hinsichtlich der Gesundheit oder Sicherheit der Patienten wecken, verwehren es überdies der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter und die Pflicht zur Transparenz, zur Verhinderung von Willkür dem betreffenden öffentlichen Auftraggeber, selbst das fragliche Angebot direkt abzulehnen, und verpflichten ihn dazu, ein Verfahren wie das Schutzverfahren nach Art 8 der RL 93/42/EWG einzuhalten, das eine objektive und unabhängige Beurteilung und Kontrolle der geltend gemachten Risiken gewährleistet (Rn 52).
4.2 In der die Auslegung der RL 98/79/EG betreffenden Entscheidung des EuGH C-277/15 , Servoprax, wurde vertreten, dass die RL 98/79/EG die grundlegenden Anforderungen harmonisiert, denen die in ihren Anwendungsbereich fallenden In-vitro-Diagnostika genügen müssen. Entsprechen die Produkte den harmonisierten Normen und sind sie gemäß den Verfahren der Richtlinie zertifiziert worden, ist zu vermuten, dass sie diese grundlegenden Anforderungen erfüllen, und deshalb anzunehmen, dass sie sich für ihren Verwendungszweck eignen (Rn 35). Zu diesem Zweck müssen nach Art 16 Abs 1 RL 98/79/EG grundsätzlich alle Produkte, von deren Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen gemäß Art 3 RL 98/79/EG auszugehen ist, bei ihrem Inverkehrbringen mit einer CE‑Kennzeichnung versehen sein. Art 4 Abs 1 RL 98/79/EG verbietet es den Mitgliedstaaten, das Inverkehrbringen von Produkten mit der CE-Kennzeichnung zu behindern, wenn diese einer Konformitätsbewertung nach Art 9 der Richtlinie unterzogen worden sind (Rn 36). Der EuGH hielt fest, dass die in der Richtlinie normierte Kombination aus Schutzverfahren sowie Beobachtungs- und Meldeverfahren es ermöglicht, die Gesundheit und Sicherheit der Betroffenen zu schützen und dabei die Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs zu begrenzen, die die Anwendung nationaler Maßnahmen mit sich brächte, welche den Importeur dazu verpflichten, die Änderungen, die an der Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung eines Produkts zur Erfüllung der sprachlichen Anforderungen des Einfuhrmitgliedstaats vorgenommen werden, einer Konformitätsbewertung unterziehen zu lassen (Rn 48). Art 9 RL 98/79/EG ist dahin auszulegen, dass er den Parallelimporteur eines Produkts mit einer CE-Kennzeichnung nicht verpflichtet, eine neue Bewertung vornehmen zu lassen.
5. Die aus der RL 98/79/EG und der dazu (bzw zur RL 93/42/EWG ) ergangenen Rechtsprechung abzuleitenden Vermutung, dass ein Produkt mit einer CE‑Kennzeichnung den normativen Anforderungen entspricht, findet sich in § 22 Abs 1 MPG (vgl auch ErläutRV 313 BlgNR 20. GP 79). Nach dem MPG darf die CE‑Kennzeichnung wegen ihrer entscheidenden rechtlichen Bedeutung im Regelungssystem für Medizinprodukte nur von den Personen angebracht werden, die in den Anhängen der Medizinprodukterichtlinien zur Konformitätsbewertung hiezu autorisiert sind (vgl § 15 Abs 3 MPG; https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XX/I/I_00313/fname_139191.pdfhttps://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XX/I/I_00313/fname_139191.pdf8 ).
6. Aus dem MPG lässt sich aber auch ableiten, dass diese Konformitätsvermutung widerlegbar ist (vgl https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XX/I/I_00313/fname_139191.pdfhttps://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XX/I/I_00313/fname_139191.pdf ). Produkte dürfen nach § 6 MPG nicht in Verkehr gebracht werden, wenn der „begründete Verdacht“ besteht, dass sie die grundlegenden Anforderungen des MPG nicht erfüllen.
7. Von der Thematik, dass die Vermutung widerlegbar ist, ist aber der Umstand zu trennen, auf welche Weise sich die Widerlegung manifestieren kann. Dazu stellt sich die Frage, ob es dazu – im Sinne der Ansicht der Beklagten – eines Verfahrens nach Art 8 RL 98/79/EG bedarf, wofür in Österreich nach § 22 MPG iVm § 68 MPG das Einschreiten des Bundesamts für Sicherheit und Gesundheitswesen (und die Einbeziehung der Europäischen Kommission) vorgesehen ist, oder ob die Vermutung auch außerhalb dieses Verfahrens widerlegt werden kann.
Die bereits erwähnte Entscheidung des EuGH C‑6/05 Medipac-Kazantzidis deckt tendenziell die erste Variante (vgl Rn 52: „verpflichten ihn dazu, ein Verfahren wie das Schutzverfahren nach Art 8 der Richtlinie 93/42/EWG einzuhalten“).
8. In der zweitinstanzlichen deutschen Rechtsprechung wird zum Teil vertreten (vgl OLG Hamburg MPR 2020, 28), dass Art 8 RL 98/79/EG ein Verbot nach UWG nicht ausschließe. Demgegenüber leitet Czettritz (Zur Bedeutung der CE-Zertifizierung in wettbewerbsrechtlichen Verfahren, MPR 2020, 14) aus der RL 98/79/EG und der referierten Judikatur des EuGH ab, dass im (deutschen) wettbewerbsrechtlichen Verfahren bei einem CE-Kennzeichen der Vertrieb von Medizinprodukten nicht behindert werden dürfe. Staatliche Maßnahmen (einschließlich jener im Rahmen des Wettbewerbsrechts) seien nur im engen Rahmen des Art 8 RL 98/79/EG zulässig.
9. Insoweit sich die Klägerin auf das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den rechtlichen Auswirkungen eines Zertifizierungsverfahrens und des CE‑Zeichens (§§ 15 und 22 MPG) auf die Anforderungen an die Medizinprodukte (§§ 6, 8 und 9 MPG) beruft, spricht die fehlende Rechtsprechung nicht gegen, sondern gerade für die Vertretbarkeit des von der Beklagten geteilten Standpunkts.
10. Unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen und innerstaatlichen Rechtsbestands, der referierten Rechtsprechung des EuGH, der dazu im Schrifttum vertretenen Meinung und aufgrund des von der Klägerin aufgezeigten Fehlens österreichischer Rechtsprechung zur Wirkung des CE-Zeichens auf die Anforderungen nach §§ 6 ff MPG erweist sich der Rechtsstandpunkt der Beklagten, dass sie im Hinblick auf die Vermutung der aufrechten CE‑Kennzeichnung davon ausgehen durfte, die von ihr vertriebenen Produkte entsprächen den Anforderungen des MPG, jedenfalls als vertretbar. Das umfasst mit Blick auf Anhang III Punkt 6.1 RL 98/79/EG auch den Standpunkt, dass bei der EG-Konformitätserklärung „die Angaben, die auf der Kennzeichnung und in der Gebrauchsanweisung des Produkts anzubringen sind“ geprüft werden.
11. Der Vorwurf im Rechtsmittel, das Berufungsgericht habe einen Verstoß gegen § 6 Z 1 MPG nicht näher geprüft, geht damit ins Leere. Ist ein Rechtsbruch wegen lauterkeitsrechtlicher Vertretbarkeit zu verneinen (hier: vertretbare Annahme, dass wegen der aufrechten CE‑Kennzeichnung das Verbot des § 6 Z 1 MPG nicht verletzt werden konnte), kommt es nach gesicherter Rechtsprechung (RS0077771) nicht mehr darauf an, ob der Beklagte den ihm vorgeworfenen Normverstoß begangen hat. Die abschließende Klärung der Rechtslage war wegen der hier anzunehmenden lauterkeitsrechtlichen Vertretbarkeit daher nicht erforderlich, weshalb auch der Anregung auf Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH zur Auslegung von Art 3 und Anhang I RL 98/79/EG nicht zu folgen war.
12. Entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel setzten sich die Entscheidungen der Vorinstanzen hinsichtlich der Vertretbarkeit nicht in Widerspruch zur (zurückweisenden) Entscheidung 4 Ob 48/18i. In dieser Entscheidung war die Spürbarkeit des dort behaupteten Wettbewerbsverstoßes zu prüfen, Fragen zur lauterkeitsrechtlichen Vertretbarkeit mussten nicht geklärt werden. Zudem ging es dort um die Problematik, ob eine deutsche Übersetzung der Gebrauchsanleitung zwingend mitgeliefert werden muss, was mit der CE-Kennzeichnung in keinem Zusammenhang steht, sondern im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt (EuGH C‑277/15 , Servoprax [Rn 38 f]).
13. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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