OGH 4Ob122/24f

OGH4Ob122/24f27.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Dr. Kikinger, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen *, geboren * 2020, wohnhaft bei der Mutter *, diese vertreten durch Mag. Karin Luxbacher und Mag. Julia Tesch‑Kohlbeck, LL.M., Rechtsanwältinnen in Korneuburg, wegen Festlegung der hauptsächlichen Betreuung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters *, vertreten durch Mag. Gerhard Walzl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 28. Mai 2024, GZ 20 R 90/24‑129, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00122.24F.0827.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Die Revisionsrekursbeantwortung wird als unzulässig zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Nachdem die Mutter mit der damals knapp zweijährigen Minderjährigen im Zuge eines Scheidungsverfahrens aus der Ehewohnung ausgezogen war, legte das Erstgericht zunächst mit Beschluss vom 21. 4. 2022 fest, dass die hauptsächliche Betreuung vorläufig im Haushalt der Mutter als damaliger Hauptbezugsperson des Kindes erfolgen solle. Gleichzeitig räumte es dem Vater ein umfangreiches Kontaktrecht ein.

[2] Mit Beschluss vom 7. 11. 2022 wies das Erstgericht den Antrag der Mutter ab, dem Vater die Obsorge zu entziehen, legte aber fest, dass der Ort der hauptsächlichen Betreuung im Haushalt der Mutter sei. Das Kontaktrecht des Vaters setzte es (abgesehen von detaillierten und möglichst ausgewogenen Regelungen zu Ferienzeiten) endgültig in dem Sinne fest, dass der Vater berechtigt und verpflichtet sei, die Tochter in ungeraden Kalenderwochen am Montag vom Kindergarten abzuholen und am Mittwoch Früh wieder dorthin zu bringen sowie am Freitag von dort abzuholen und am Montag Früh zurückzubringen; in geraden Wochen am Dienstag abzuholen und am Mittwoch zurückzubringen. Das Rekursgericht gab Rechtsmitteln der Eltern nur insofern Folge, als es der Mutter die hauptsächliche Betreuung (weiterhin) bloß vorläufig zuwies.

[3] Schließlich wies das Erstgericht mit Beschluss vom 19. 2. 2024 Anträge des Vaters ab, ihm die alleinige Obsorge zuzusprechen bzw die hauptsächliche Betreuung in seinem Haushalt (der vormaligen Ehewohnung) in Niederösterreich festzulegen, und legte diese – unter Aufrechterhaltung der gemeinsamen Obsorge – endgültig im Haushalt der Mutter fest. Das fortgesetzte Verfahren habe keine Umstände hervorgebracht, von den bisherigen Regelungen abzugehen; es entspreche dem Kindeswohl, den hauptsächlichen Aufenthalt weiterhin im Haushalt der Mutter in Wien anzuordnen, wo das Mädchen nunmehr auch den Kindergarten besuche.

[4] Das Rekursgericht gab einem Rekurs des Vaters nicht Folge, bestätigte diese Überlegungen im Wesentlichen und ließ den Revisionsrekurs wegen der Einzelfallbezogenheit nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters, der sich ausschließlich gegen die Festlegung der hauptsächlichen Betreuung im Haushalt der Mutter richtet, ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig und daher zurückzuweisen.

[6] 1. Sind beide Elternteile mit der Obsorge betraut, hat das Gericht dann, wenn sie nicht in häuslicher Gemeinschaft leben und keine Vereinbarung schließen, gemäß § 180 Abs 2 ABGB festzulegen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird.

[7] Die Festlegung, welchem Elternteil die hauptsächliche Betreuung zukommen soll, hat sich am Kindeswohl zu orientieren (vgl RS0128811) und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0130918 [T3], RS0115719 [T14]).

[8] 2. Der Revisionsrekurs geht von der Annahme aus, dass eine gleichteilige Betreuung gegeben sei (Doppelresidenz- bzw Wechselmodell), weswegen im Sinn der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zu G 152/2015 und des Obersten Gerichtshofs zu 6 Ob 149/16d, 9 Ob 82/16y ua (RS0130981, RS0130918) die Festsetzung des Hauptaufenthalts lediglich nomineller Anknüpfungspunkt für andere (vor allem verwaltungsrechtliche) Rechtsfolgen sei. Daher hätten die Vorinstanzen hinterfragen müssen, von welchem Elternteil diese Aufgaben bislang wahrgenommen worden seien und wer auch zukünftig dafür geeignet sei. Überdies hätte die lediglich nominelle Anknüpfung beim „Domizilelternteil“ im Spruch zum Ausdruck gebracht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 162 Abs 2 ABGB ausgenommen werden müssen.

[9] 3. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist die Frage, ob und wie § 180 Abs 2 ABGB für Fälle der zeitlich gleichteiligen Betreuung verfassungskonform interpretiert werden kann.

[10] Diese Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Zwar kommt dem Vater ein umfangreiches Kontaktrecht zu, in erster Linie lebt die Minderjährige jedoch im Haushalt der Mutter und wird von dieser mehr als die Hälfte der Zeit betreut, sodass es folglich nicht nur einen nominellen, sondern einen tatsächlichen „hauptsächlichen Aufenthalt“ gibt (vgl 1 Ob 94/14a). Eine Präzisierung bzw Einschränkung des Spruchs ist daher zu Recht unterblieben.

[11] Im Übrigen gelingt es dem Revisionsrekurs nicht, durch die bloß einseitige Hervorhebung der Leistungen des Vaters im Zusammenhang mit „Behördenwegen“ und sonstigen organisatorischen und medizinischen Belangen sowie (behaupteten) Versäumnissen der Mutter in diesen Bereichen eine Gefährdung des Kindeswohls und Unvertretbarkeit der Entscheidung des Erstgerichts aufzuzeigen, den hauptsächlichen Aufenthalt endgültig bei der Mutter in Wien festzulegen, wo die Minderjährige bereits überwiegend betreut wird und auch städtische Betreuungsleistungen in Anspruch nimmt.

[12] 4. Im Ergebnis erfüllt der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG und ist daher zurückzuweisen.

[13] Die entgegen § 72 Abs 2 AußStrG eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung ist ebenfalls zurückzuweisen. Ein Kostenersatz ist schon durch § 107 Abs 5 AußStrG ausgeschlossen.

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