European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00110.19H.0705.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das stattgebende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 23.190,45 EUR (darin enthalten 1.267,91 EUR USt und 15.583 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile schlossen am 8./11. Mai 2017 einen Kaufvertrag über ein von der Beklagten an die Klägerin zu lieferndes Kraftfahrzeug der Marke Mercedes Maibach zum Kaufpreis von 925.000 EUR netto. Dazu leistete die Klägerin im Mai 2017 die vereinbarte Anzahlung in Höhe von 370.000 EUR; die Lieferung des Fahrzeugs sollte bis Ende September 2017 erfolgen. Weder zum erwähnten Liefertermin noch zu einem späteren Zeitpunkt konnte die Beklagte das Fahrzeug liefern. Im April 2018 sollte der Klägerin ein Fahrzeug in einer falschen Farbe übergeben werden, was die Klägerin aber ablehnte.
Die Klägerin begehrte am 10. 8. 2018 die Rückzahlung ihrer Anzahlung im Betrag von 370.000 EUR. Nach monatelangen Verzögerungen habe ihr die Beklagte nur ein Fahrzeug in der falschen Farbe anbieten können, dessen Übernahme sie aber abgelehnt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei aufgrund der seit dem Beginn des Verkaufs des Fahrzeugs vergangenen Zeit und der limitierten Stückzahl von 99 Fahrzeugen klar gewesen, dass die Beklagte das bestellte Fahrzeug nicht liefern könne; ein Festhalten am Vertrag sei für die Klägerin unzumutbar.
Die Beklagte entgegnete, dass zum fraglichen Zeitpunkt lediglich ein Fahrzeug in weißer Farbe verfügbar gewesen sei. Sobald die Unmöglichkeit der Lieferung des bestellten Fahrzeugs feststehe, werde die Anzahlung zurückgezahlt; dies sei aber noch nicht der Fall. Außerdem liege kein Vertragsrücktritt der Klägerin vor.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Klägerin könne gemäß Art 49 Abs 1 CISG die Aufhebung des Vertrags verlangen, weil das bestellte Fahrzeug immer noch nicht geliefert worden sei. Die Einbringung der Klage habe die Rücktrittserklärung ersetzt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Zur Frage, ob ein Kaufvertrag über das Fahrzeug im gemeinsamen Konsens aufgehoben worden sei, liege ein unzureichendes Vorbringen der Klägerin vor, weil nicht klar sei, welche Person in Vertretung der Klägerin mit der Beklagten telefoniert habe. Zur geltend gemachten vertraglichen Rückzahlungsvereinbarung habe das Erstgericht keine Feststellung dahin getroffen, dass von den 99 produzierten Fahrzeugen der limitierten Sonderserie tatsächlich schon alle schwarzen Fahrzeuge mit der gewählten Innenausstattung vom Hersteller verkauft worden seien. Schließlich habe das Erstgericht auch keine ausreichenden Feststellungen zu einer außervertraglichen Rücktrittserklärung der Klägerin im Sinn des Art 49 CISG getroffen. Auch die Meinung des Erstgerichts, die Einbringung einer Klage ersetze die Rücktrittserklärung, sei erörterungsbedürftig, weil der Beklagten Gelegenheit gegeben werden müsse, ein Vorbringen dahin zu erstatten, dass sie das Klagsvorbringen nicht in diesem Sinn verstanden habe. Außerdem habe die Klägerin der Beklagten keine Nachfrist gesetzt. Der faktischen Gewährung einer Nachfrist komme daher nur im Zusammenhang mit einer wesentlichen Vertragsverletzung Bedeutung zu, wenn der Verkäufer dem Käufer mehrfach verspreche, zu einem bestimmten Termin zu liefern und ihn auf diese Weise unangemessen lange hinhalte. In einem solchen Fall komme es auf die Setzung einer Nachfrist nicht mehr an. Auch dazu seien aber ergänzende Feststellungen erforderlich. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage, ob eine Rückzahlungsklage im Anwendungsbereich des CISG „per se“ eine Aufhebungserklärung ersetze, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Der Rekurs der Klägerin ist zulässig, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts zu den Voraussetzungen einer Vertragsaufhebung durch die Klägerin einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf; der Rekurs ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass beide Parteien zutreffend von der Anwendbarkeit des CISG ausgehen. Nach Maßgabe der Rechtsmittelschriftsätze ist im Anlassfall fraglich, ob die Klägerin mit ihrer Klage eine Aufhebungserklärung (Rücktrittserklärung) abgegeben hat, sowie ob die Vertragsaufhebung nach Art 49 CISG berechtigt und die Beklagte daher zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet ist.
2.1 Zum Vorliegen einer Rücktrittserklärung führt das Berufungsgericht zunächst (zutreffend) aus, die Erklärung müsse eindeutig zum Ausdruck bringen, dass der Vertrag rückabgewickelt werden solle. Entscheidend sei daher, dass der Wille, vom Vertrag Abstand zu nehmen, zum Ausdruck komme und diese Erklärung auch im Rahmen einer Klage erfolgen könne. Im Anschluss daran vertritt das Berufungsgericht die Meinung, es sei nicht klar, inwieweit in den gerichtlichen Schriftsätzen der Klägerin eine Aufhebungserklärung zum Ausdruck gelange, zumal sie darin auf zeitlich zurückliegende Aufhebungserklärungen verweise.
Die Klägerin steht in ihrem Rekurs dazu auf dem Standpunkt, dass ihre auf die Rückzahlung der Anzahlung gerichtete Klagsführung ohne Zweifel und für die Beklagte klar erkennbar eine Aufhebungserklärung enthalte.
2.2 In der Rechtsprechung auch zum CISG ist geklärt, dass die Vertragsaufhebung durch eine vom vertragstreuen Teil an den Vertragspartner gerichtete einseitige Erklärung geltend zu machen ist, die an keine bestimmte Form gebunden ist und die – mit Ausnahme der Fälle des Art 49 Abs 2 CISG – keiner Befristung unterliegt (RIS‑Justiz RS0112335; RS0104937). Für das Vorliegen einer Aufhebungserklärung ist maßgebend, dass aus dieser eindeutig hervorgeht, dass der Käufer die Vertragserfüllung ablehnt (Müller‑Chen in Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter UN‑Kaufrecht [CISG]7 Art 49 Rz 24).
Zudem ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine solche Vertragsaufhebungserklärung auch im Anwendungsbereich des CISG mit der Klage erklärt werden kann (RS0113572; 4 Ob 159/11b). Daraus folgt, dass auch mit der Klage eine ausdrückliche oder schlüssige Aufhebungserklärung abgegeben werden kann (vgl Magnus in Staudinger, Wiener UN‑Kaufrecht [2018] Art 49 Rz 24). Damit entspricht die Rechtslage nach dem CISG jener nach § 918 ABGB (vgl dazu Reischauer in Rummel/Lukas 4 § 918 Rz 48; Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 918 Rz 29).
2.3 Im Anlassfall ist die Klage auf die Rückzahlung der von der Klägerin geleisteten Anzahlung gerichtet. Bei objektiver Betrachtung legt dies einen für den Geschäftspartner erkennbaren Rücktrittswillen nahe (vgl dazu Reidinger in Schwimann/Kodek 4 § 918 Rz 39). In der Klage ist zudem von monatelangen Verzögerungen und ständigem Hinhalten durch die Beklagte die Rede. Dazu hat die Klägerin ausdrücklich vorgebracht, dass im April 2018 aufgrund der verstrichenen Zeit seit dem Produktions- und Verkaufsstart bereits klar gewesen sei, dass die Beklagte nicht mehr in der Lage sei, das bestellte Fahrzeug zu liefern. Dadurch sei ihr Vertrauen derart erschüttert worden, dass ihr ein Zuhalten am Vertrag völlig unzumutbar sei. Dazu warf sie der Beklagten sogar vor, von dieser über die Erfüllbarkeit des Vertrags getäuscht worden zu sein. Zudem führte die Klägerin aus, dass der von ihr erklärte Vertragsrücktritt von der Beklagten akzeptiert worden sei. Überhaupt wird an mehreren Stellen des Vorbringens der Klägerin ausdrücklich auf den Rücktritt vom Vertrag wegen unzumutbaren Verzugs und Unmöglichkeit der Lieferung durch die Beklagte Bezug genommen.
2.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Vorbringen der Klägerin für die Beklagte klar erkennbar mehrfach zum Ausdruck gelangt, dass die Klägerin am Kaufvertrag nicht festhalten will und wegen wesentlicher Vertragsverletzung die Vertragsaufhebung erklärt.
3.1 Die Beklagte hat das bestellte Fahrzeug weder zum vereinbarten Liefertermin Ende September 2017 noch später geliefert. Diese Konstellation erinnert zunächst an einen Lieferverzug.
Das Berufungsgericht vertritt dazu die Meinung, dass die Beklagte keine Nachfrist gesetzt habe und die faktische Gewährung einer Nachfrist nur im Zusammenhang mit einer wesentlichen Vertragsverletzung Bedeutung haben könne, wenn der Verkäufer dem Käufer mehrfach verspreche, zu einem bestimmten Termin zu liefern und ihn so unangemessen lange hinhalte.
Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass im gegebenen Zusammenhang eine wesentliche Vertragsverletzung mehrfache Vertröstungen voraussetze, ist aus folgenden Gründen verkürzt:
3.2 Art 33 CISG regelt den Zeitpunkt, zu dem der Verkäufer die Lieferung vorzunehmen hat. Die Parteien können diesen Zeitpunkt frei festlegen, was sie im Anlassfall auch getan haben. Liefert der Verkäufer die Ware nicht rechtzeitig, so ist der Käufer berechtigt, auf Lieferung zu klagen (Art 46) oder eine Nachfrist (Art 47) mit dem Ziel der Vertragsaufhebung zu setzen (Art 49 Abs 1 lit b). Im Fall des fruchtlosen Ablaufs der Nachfrist kommt es für die Vertragsaufhebung nicht darauf an, ob der Lieferverzug eine wesentliche Vertragsverletzung begründet. Die Nachfristsetzung muss aber eine ausreichend bestimmte Aufforderung zur Leistung und die Bekanntgabe eines bestimmten Termins enthalten (Müller ‑ Chen in Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, UN-Kaufrecht [CISG]7 Art 47 Rz 1 und 4; Widmer-Lüchinger in Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, UN-Kaufrecht [CISG]7 Art 33 Rz 3).
Darüber hinaus kann der Käufer auch ohne Mahnung oder Nachfristsetzung und auch unabhängig von einem Verschulden des Verkäufers direkt die Vertragsaufhebung erklären, wenn die Überschreitung der Lieferfrist eine wesentliche Vertragsverletzung (Art 25) begründet (Art 49 Abs 1 lit a). Durch die Vertragsaufhebung werden die ursprünglichen vertraglichen Verpflichtungen der Vertragsparteien vollständig beseitigt.
Die vertragliche Rückabwicklung richtet sich nach den autonomen Regeln des Art 81 CISG. Danach können die Vertragsparteien das Geleistete in vollem Umfang zurückfordern; das Rückforderungsrecht ist nicht beschränkt (Ferrari in Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht3 Art 81 CISG Rz 17). Darüber hinaus steht dem Käufer ein Schadenersatzanspruch nach Art 74 CISG zu. Kommt der Verkäufer seiner Leistungspflicht nicht nach, so ist der vertragstreue Geschäftspartner so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung der objektiv verletzten vertraglichen Leistungspflicht gestanden wäre (3 Ob 194/15y).
3.3 Nach diesen Grundsätzen ist eine sofortige Vertragsaufhebung nur dann gerechtfertigt, wenn eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt (RS0127288). Die Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung ist regelmäßig aufgrund einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls nach objektiven Kriterien zu bestimmen. In die gebotene Interessenabwägung sind neben Art und Ausmaß der Vertragsverletzung und deren Auswirkungen auf die vertragstreue Partei unter anderem auch die Möglichkeit einer Nachlieferung oder Verbesserung innerhalb angemessener Frist, deren Kosten sowie deren Zumutbarkeit für den Käufer einzubeziehen (RS0127288; 4 Ob 159/11b; 3 Ob 194/15y).
3.4 Die Überschreitung eines Liefertermins stellt im Allgemeinen noch keine wesentliche Vertragsverletzung dar. Anderes kann aber vor allem dann gelten, wenn ein Fixgeschäft vereinbart wurde (vgl Saenger in Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht3 Art 33 CISG Rz 7).
Im Anlassfall wurde nach den Feststellungen zwischen den Vertragsparteien zwar kein Fixgeschäft im juristischen Sinn, aber doch ein fixer Liefertermin bis Ende September 2017 vereinbart, den die Beklagte nicht eingehalten hat. Hinzu kommt, dass sie das Fahrzeug auch in der Folge nicht liefern konnte und zwischenzeitlich bereits mehr als ein Jahr verstrichen ist. In dieser Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass es sich beim bestellten Fahrzeug um ein Sondermodell handelt, das in einer begrenzten Stückzahl von 99 Fahrzeugen produziert wurde. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit der Lieferbarkeit mit zunehmendem Zeitverlauf weiter sinkt. Da unter diesen Umständen mit Rücksicht auf den vereinbarten Liefertermin eine auch für den Käufer eines Luxusfahrzeugs angemessene Nachlieferungsmöglichkeit nicht mehr unterstellt werden kann, ist ein weiteres Zuwarten der Klägerin nicht zumutbar, weshalb die Interessenabwägung im vorliegenden Einzelfall zu Lasten der Beklagten ausschlägt. Der Beklagten muss daher eine wesentliche Vertragsverletzung angelastet werden, die die Klägerin zur sofortigen Vertragsaufhebung berechtigt.
4.1 Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die Klägerin mit ihrem Klagsvorbringen eine wirksame Vertragsaufhebungserklärung gegenüber der Beklagten abgegeben hat, die Beklagte eine wesentliche Vertragsverletzung nach Art 25 CISG trifft und die Klägerin die Vertragsaufhebung daher nach Art 49 Abs 1 lit a CISG berechtigt erklärt hat. Aus diesem Grund steht der Klägerin der geltend gemachte vertragliche Rückabwicklungsanspruch zu, weshalb die Beklagte zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung verpflichtet ist.
4.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof damit nicht Stand. Bei richtiger Anwendung der dargelegten Beurteilungsgrundsätze verbleibt für die vom Berufungsgericht angeordnete Verfahrensergänzung kein Raum. Das Verbot der Überraschungsentscheidung gilt auch für den Obersten Gerichtshof. Demnach darf auch das Höchstgericht die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen, die sie nicht bedacht haben (8 Ob 109/16m; 4 Ob 21/19w; RS0037300 [T9]). Eine solche Überraschungsentscheidung liegt hier allerdings nicht vor. Wie bereits ausgeführt, war nach dem Klagsvorbringen für einen verständigen Erklärungsempfänger bei objektiver Betrachtung eindeutig erkennbar, dass die Klägerin die Vertragsaufhebung und aus diesem Grund die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung als vertragliche Rückabwicklung begehrt. Da über den geltend gemachten Anspruch somit endgültig entschieden werden kann, ist die vom Berufungsgericht verfügte Verfahrensergänzung entbehrlich.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kostenbestimmungsantrag vom 13. 5. 2019 wurde innerhalb der vierwöchigen Frist ab dem Entstehen der Zahlungspflicht (§ 54 Abs 2 ZPO) gestellt; für diesen Antrag gebühren aber nur Kosten nach TP 1 RATG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)