Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die Vorinstanzen trugen der Beklagten aufgrund von Z 28 des Anhangs zum UWG auf, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen,
in ihrer Werbung, insbesondere auf Werbeplakaten, die sie in ihren Filialen affichiert, unmündige Minderjährige, insbesondere Volksschulkinder, zum Kauf bestimmter beworbener Produkte direkt aufzufordern, insbesondere durch Aufforderungen wie „Hol´ dir hier das Buch dazu! Stickersammelbuch zum Sensationspreis“ oder sinngleiche Aufforderungen.
Grundlage des Verbots war die Werbung der Beklagten für ein Stickeralbum. Sie hatte auf dem Kopfteil eines zur Aufnahme solcher Alben bestimmten Kartonständers blickfangartig folgende Aussage abgedruckt: „Die Entdeckungsreise zu den Wüsten und Steppen beginnt! Hol' dir hier das Buch dazu. Stickersammelbuch zum Sensationspreis € 1,99.“ Die Vorinstanzen werteten das als direkte Aufforderung an Kinder, das Album zu kaufen. Damit sei der Tatbestand von Z 28 Anh UWG (Nr 28 Anh RL-UGP) erfüllt.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine eindeutige Regelung trifft (RIS-Justiz RS0042656) oder ein Streitfall trotz neuer Sachverhaltselemente bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann (Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 70 mwN). Ein Indiz für die eindeutige Regelung eines bestimmten Sachverhalts ist die insofern übereinstimmende Auslegung der strittigen Bestimmung in der rechtswissenschaftlichen Literatur. Ein solcher Fall liegt hier vor.
2. Zum Begriff „Kinder“
2.1. Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Begriff „Kinder“ sei im Sinn der früheren Definition des § 21 ABGB (idF vor dem KindRÄG 2001, BGBl I 135/2000) zu verstehen. Z 28 Anh UWG erfasse daher nur Minderjährige unter sieben Jahren, die, des Lesens unkundig, von der hier beanstandeten Werbung nicht angesprochen worden seien.
2.2. Z 28 Anh UWG beruht allerdings auf der gleichlautenden Nr 28 RL-UGP und ist daher richtlinienkonform auszulegen (RIS-Justiz RS0075866). Begriffe des Unionsrechts sind wiederum - außer bei Vorliegen eines ausdrücklichen Verweises auf nationales Recht - autonom auszulegen (EuGH C-357/98 , Yaa Konadu Yiadom, Slg 2000 I-9265, Rz 26 mwN; Schauer in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 6 Rz 30; Posch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 6 Rz 33). Das gilt nach praktisch einhelliger Lehre auch für den Begriff „Kinder“ in Nr 28 Anh UWG (Burgstaller in Wiebe/G. Kodek, UWG [2009] Anh § 1a Rz 83; Köhler/Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG30 [2012] § 3 Abs 3 Rz 28.5; Mankowski, Wer ist ein „Kind“? WRP 2007, 1398 f; Apetz, Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken [2011] 646 mwN; vgl auch die Begründung des deutschen RegE zu Anh Nr 28, BT-Drucks 16/10145; tendenziell anders nur Prunbauer-Glaser, Kinder, Kinder! - Zum „Kind“ in der Werbung nach der UWG-Nov 2007, ÖBl 2008, 164 [167], die jedoch aus österreichischer Sicht sogar Sechzehnjährige als Kinder ansehen will). Ausreichende Gründe für einen Rückgriff auf - noch dazu nicht mehr geltendes - nationales Recht zeigt die Beklagte nicht auf.
2.3. Als Ergebnis dieser autonomen Auslegung ist - dem Schutzzweck der Bestimmung entsprechend - ebenfalls völlig unbestritten, dass jedenfalls Minderjährige unter vierzehn Jahren unter Nr 28 Anh RL-UGP und damit auch unter die richtlinienkonform auszulegenden Bestimmungen der jeweiligen Umsetzungsgesetze fallen (Burgstaller in Wiebe/Kodek, UWG [2009] Anh § 1a Rz 87, 91; Duursma/Duursma-Kepplinger in Gumpoldsberger/ Baumann, UWG Ergänzungsband [2009] Anhang Aggressive Geschäftspraktiken Rz 103; Wiltschek/Majchrak, Die UWG-Novelle 2007, ÖBl 2008, 4 [8 FN 26]; Apetz, Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken [2011] 655 ff; Fuchs, Wettbewerbsrechtliche Schranken bei der Werbung gegenüber Minderjährigen, WRP 2009, 255 [256 f, 263]; Köhler, Werbung gegenüber Kindern: Welche Grenze zieht die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken? WRP 2008, 700 [702]; Scherer, Kinder als Konsumenten und Kaufmotivatoren, WRP 2008, 430, 432; dies, „Case law“ in Gesetzesform - Die „Schwarze Liste“ als neuer UWG-Anhang, NJW 2009, 324, 330; dies in Fezer, UWG (2010) Anhang Nr. 28 Rz 9; Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG5 [2010] Rz 59; Steinbeck, Die Zukunft der aggressiven Geschäftspraktik, WRP 2008, 865, 867 f). Strittig ist nur, ob auch ältere Minderjährige erfasst sein könnten (dafür insb Mankowski, WRP 2007, 1403 ff, Prunbauer-Glaser, ÖBl 2008, 167). An der Richtigkeit der Auslegung durch die Vorinstanzen bestehen daher keine vernünftigen Zweifel.
3. Zur „Aufforderung“ an Kinder
3.1. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass eine „direkte Aufforderung“ iSv Z 28 Anh UWG (Nr 28 Anh RL-UGP) nur vorliege, wenn sie mit besonderer Nachdrücklichkeit erfolge. Sie leitet das aus der englischen und französischen Fassung der Richtlinienbestimmung ab. Die deutsche Fassung von Nr 28 Anh RL-UGP verwende den in Art 2 Abs 1 lit i RL-UGP definierten Begriff der „Aufforderung“, während die englische und französische Fassung von Nr 28 Anh RL-UGP mit „exhortation“ bzw „inciter“ mehr verlangten als eine bloße „invitation“ iSv Art 2 Abs 1 lit i RL-UGP.
3.2. Zwar ist es wegen der Unterschiede in den Sprachfassungen wohl nicht möglich, die Legaldefinition des Art 2 Abs 1 lit i RL-UGP (§ 1 Abs 4 Z 5 UWG) auch für die Auslegung von Nr 28 RL-UGP (Z 28 Anh RL-UGP) heranzuziehen (Burgstaller in Wiebe/Kodek, UWG Anh § 1a Rz 98; Duursma/Duursma-Kepplinger in Gumpoldsberger/ Baumann, UWG Ergänzungsband [2009] Anhang Aggressive Geschäftspraktiken Rz 107; Köhler, WRP 2008, 703, Köhler/Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG30 Anh zu § 3 III Rz 28.11; Prunbauer-Glaser, ÖBl 2008, 168; Apetz, Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken 662 ff). Darauf kommt es hier aber nicht an, weil die Verwendung des Imperativs („Hol' dir das Buch dazu“) jedenfalls eine für die Anwendung von Nr 28 Anh RL-UGP (Z 28 Anh UWG) ausreichende Nachdrücklichkeit aufweist. Das ist nicht nur im deutschsprachigen Schrifttum völlig unbestritten (Burgstaller in Wiebe/G. Kodek, UWG Anh § 1a Rz 98; Duursma/Duursma-Kepplinger in Gumpoldsberger/Baumann, UWG Ergänzungsband Anhang Aggressive Geschäftspraktiken Rz 108; Fuchs, WRP 2009, 264; Köhler, WRP 2008, 703; Köhler/Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG30 § 3 Abs 3 Rz 28.9; Scherer in Fezer, UWG [2010] Anhang Nr 28 Rz 16; Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG5 [2010] Rz 61), sondern wird auch von der Europäischen Kommission in einem Leitfaden zur RL-UGP vertreten (Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz [Hrsg], Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken [Luxemburg 2006]; http://ec.europa.eu/consumers/cons_int/safe_shop/fair_bus_pract/ucp_de.pdf bzw [...]en.pdf, fr.pdf etc). Als Beispiel für eine „direkte Aufforderung“ werden dort (S 25) folgende Formulierungen genannt: „Komm kauf das Buch“; “Go buy the book!"; „Achte ce livre!“ Auch der Senat hat sich - wenngleich obiter - dieser Auffassung angeschlossen (4 Ob 57/08y = SZ 2008/96 - Pony Club). Ein Vorabentscheidungsersuchen hielt er nur für Aussagen erforderlich, die nicht unter den so verstandenen Begriffskern der „direkten Aufforderung“ fallen.
3.3. Auf dieser Grundlage bestehen keine vernünftigen Zweifel, dass die hier beanstandete Formulierung „Hol' dir hier das Buch dazu. Stickersammelbuch zum Sensationspreis € 1,99“ unter Nr 28 Anh RL-UGP (Z 28 Anh UWG) fällt. Auch in diesem Punkt ist daher weder eine Sachentscheidung noch ein von der Beklagten angeregtes Vorabentscheidungsersuchen erforderlich.
4. Auch sonst zeigt die Revision keine erheblichen Rechtsfragen auf. Sie ist daher nach § 508a Abs 2 ZPO zurückzuweisen.
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