OGH 3Ob98/22s

OGH3Ob98/22s22.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* P*, vertreten durch Dr. Catharina Grau, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. K* P*, vertreten durch preslmayr.legal Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen § 36 EO, über den Rekurs der klagenden Partei gegen Spruchpunkt 1 im Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 2. März 2022, GZ 23 R 41/22k‑31, mit dem das Urteil des Erstgerichts sowie das diesem vorangegangene Verfahren hinsichtlich eines Betrags von 16.126,30 EUR als nichtig aufgehoben und die Oppositionsklage insoweit zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00098.22S.0622.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei auch hinsichtlich des Betrags von 16.126,30 EUR an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile schlossen anlässlich ihrer einvernehmlichen Scheidung im Jahr 2016 eine Unterhaltsvereinbarung, in der unter anderem eine jährliche Neuberechnung des Unterhalts vorgesehen ist.

Pkt 5. lit c dieser Vereinbarung enthält folgende Regelung:

„Der Unterhaltsanspruch der Ehefrau ruht im Ausmaß der Hälfte für den Fall, dass sie eine Lebensgemeinschaft aufnimmt ... Sollten die Eheleute uneinig darüber sein, ob die Ehefrau eine Lebensgemeinschaft aufgenommen hat, ... werden die Eheleute unverzüglich gemeinsam ein Mediationsverfahren in die Wege leiten und gemeinsam den redlichen Versuch einer außergerichtlichen Klärung unternehmen. Bis zur Beendigung dieses Mediationsverfahrens verzichten beide Eheleute gegeneinander auf alle gerichtlichen Schritte (Klage, Exekution oder andere Anträge). Sie vereinbaren ausdrücklich, dass die Anrufung des Gerichts vor Einleitung und Abschluss des Mediationsverfahrens unzulässig ist.“

[2] Zu AZ 4 E 375/21w des Bezirksgerichts Purkersdorf wurde der Beklagten zur Hereinbringung einer Unterhaltsforderung in Höhe von 21.250,01 EUR sA die Exekution bewilligt. Vor Einleitung des Exekutionsverfahrens fand keine Mediation statt, weil der Kläger den darauf gerichteten Vorschlag der Beklagten (durch das Stellen von Bedingungen) ablehnte.

[3] Mit der vorliegenden Oppositionsklage begehrte der Kläger, den von der Beklagten in Exekution gezogenen Anspruch für erloschen zu erklären. Sie lebe seit 2016 in einer Lebensgemeinschaft, was dazu geführt habe, dass sich der Unterhaltsanspruch auf die Hälfte reduziere. Er habe zu viel an Unterhalt gezahlt.

[4] Die Beklagte entgegnete, dass die vom Kläger aufgestellte Behauptung, sie führe eine Lebensgemeinschaft, unrichtig sei. Da sich der Kläger auf das Bestehen einer Lebensgemeinschaft stütze, wäre er aufgrund der Regelungen in der Scheidungsfolgenvereinbarung verpflichtet gewesen, vor Einbringung der Oppositionsklage ein Mediationsverfahren einzuleiten. Da er dies unterlassen habe, werde Unzulässigkeit des Rechtswegs eingewendet.

[5] Das Erstgericht sprach aus, dass der von der Beklagten im Verfahren zu AZ 4 E 375/21w des Bezirksgerichts Purkersdorf in Exekution gezogene Anspruch im Betrag von 21.250,01 EUR erloschen sei. Die Beklagte führe eine klassische moderne Lebensgemeinschaft, was dazu führe, dass ihr nur mehr die Hälfte des vereinbarten Unterhalts zustehe. Die berechtigten Unterhaltsansprüche habe der Kläger beglichen.

[6] Soweit für das Rekursverfahren von Bedeutung, gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil sowie das diesem vorangegangene Verfahren hinsichtlich eines Betrags von 16.126,30 EUR als nichtig auf und wies insoweit die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Selbst unter Zugrundelegung der Berechnungen des Klägers sei – bei Ausblendung der Frage der Lebensgemeinschaft der Beklagten – die Exekution der Beklagten im Betrag von 16.126,30 EUR berechtigt. In diesem Umfang hänge die Entscheidung über die Oppositionsklage zwingend vom Bestehen der Lebensgemeinschaft ab, weshalb in dieser Hinsicht die Mediationsklausel in Pkt 5. lit c der Unterhaltsvereinbarung von Bedeutung sei. Diese Vereinbarung könne nur dahin verstanden werden, dass zunächst ein Mediationsverfahren über die Frage der Lebensgemeinschaft stattzufinden habe. Solange ein derartiger außergerichtlicher Streitbeilegungsversuch nicht stattgefunden habe, stehe einer Klage das temporäre Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen, weshalb die Oppositionsklage insoweit zurückzuweisen sei.

[7] Gegen diesen Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Klägers, der darauf abzielt, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[8] Die Beklagte beantragt mit ihrer Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[9] § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ist nach der Rechtsprechung nur dann anzuwenden, wenn das Berufungsgericht den Nichtigkeitsgrund erstmals aufgreift und die Klage unter Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Verfahrens zurückweist. Hat das Erstgericht hingegen die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs – zumindest in den Entscheidungsgründen – verworfen, so wird die zweite Instanz funktionell als Rekursgericht tätig, weshalb sich die Zulässigkeit eines Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof nach § 528 ZPO richtet (vgl RS0116348 [T5 und T6]).

[10] Das Erstgericht hat sich mit der Mediationsklausel in der Unterhaltsvereinbarung nur im Zusammenhang mit dem Vorbringen des Klägers befasst, die Beklagte hätte vor Einbringung des Exekutionsantrags eine Mediation durchführen müssen; dies betrifft die rechtskräftig abgewiesene Impugnationsklage. Die Frage der Unzulässigkeit des Rechtswegs für die vorliegende Oppositionsklage hat das Berufungsgericht erstmals aufgegriffen. Damit handelt es sich beim vorliegenden Rechtsmittel um einen Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO.

[11] Der Rekurs ist damit zulässig (RS0116348), er ist auch berechtigt.

[12] 1. Gemäß § 41 JN hat das Gericht bei jeder Klage seine Zuständigkeit – grundsätzlich aufgrund der Angaben in der Klage – von Amts wegen zu prüfen. Dies gilt auch für die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs (vgl RS0124983).

[13] 2. Der Rechtsweg ist (unter anderem) unzulässig, wenn die Entscheidungsbefugnis für eine bestimmte Streitigkeit einem Schiedsgericht im Sinn der §§ 577 ff ZPO als Sondergericht zukommt (§ 584 ZPO).

[14] 3. Im Zusammenhang mit einer obligatorischen Streitschlichtung ordnet etwa § 8 VerG 2002 für Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis oder Art III ZivRÄG 2004 für die Untersagung negativer Immissionen nach § 364 Abs 3 ABGB bei Nichtanrufung der im Gesetz vorgesehenen Schlichtungseinrichtung die temporäre Unzulässigkeit des Rechtswegs an, die vom Gericht auch ohne entsprechenden Einwand der Parteien von Amts wegen aufgegriffen werden kann. Das Prozesshindernis der (auch nur temporären) Unzulässigkeit des Rechtswegs führt zur Zurückweisung der Klage (vgl RS0122426; RS0124983).

[15] 4.1 Den erwähnten gesetzlichen Streitschlichtungsregelungen ist gemein, dass sie sowohl zu den in Betracht kommenden Schlichtungseinrichtungen als auch zur Dauer der temporären „Prozesssperre“ nähere Anordnungen enthalten. Auf diese Weise sollen auch gewisse Mindest-Verfahrensgarantien gewährleistet werden. So haben nach § 8 VerG 2002 die Vereinsstatuten die Zusammensetzung und die Art der Bestellung der Mitglieder der Schlichtungseinrichtung unter Bedachtnahme auf deren Unbefangenheit zu regeln; den Streitparteien ist beiderseitiges Gehör zu gewähren. Für Rechtsstreitigkeiten steht nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen, sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht früher beendet ist. Nach Art III ZivRÄG 2004 kommt als „Schlichtungsstelle“ nur eine von einer Notariatskammer, einer Rechtsanwaltskammer oder einer sonstigen Körperschaft öffentlichen Rechts eingerichtete Schlichtungsstelle und als „Mediator“ nur ein solcher im Sinn des Zivilrechts-Mediations-Gesetzes, BGBl I Nr 29/2003 idgF, in Betracht. Die Klage ist nur zulässig, wenn nicht längstens innerhalb von drei Monaten ab Einleitung des Schlichtungsverfahrens oder ab Beginn der Mediation eine gütliche Einigung erzielt wurde (vgl 10 Ob 58/14y).

[16] 4.2 Die angeführten gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Auswahl und Bestellung der Streitschlichter, den Ort der Streitschlichtung und die Dauer der vorgerichtlichen Streitbeilegungsversuche sind als Richtschnur für eine wirksame (obligatorische) Streitschlichtungsklausel anzusehen. Dementsprechend ist es etwa auch in der arbeitsgerichtlichen Judikatur anerkannt, dass Streitschlichtungsvereinbarungen gewissen inhaltlichen Mindestanforderungen entsprechen müssen und sie jedenfalls im Hinblick auf den Standort und auf die Zusammensetzung der Schlichtungsstelle einschließlich der Bestellung des Vorsitzenden ein Mindestmaß an Bestimmtheit aufzuweisen haben; die Zusammensetzung muss außerdem die Objektivität und Sachkunde der Schlichtungsstelle gewährleisten (vgl RS0063867; 9 ObA 47/20g). Sind die dargelegten Mindestanforderungen nicht erfüllt, so ist eine vertragliche Regelung zur Streitschlichtung zu unbestimmt und unwirksam.

[17] 5. Die hier vorliegende Streitschlichtungsklausel erfüllt die Mindestanforderungen nicht. Sie legt weder fest, wieviele Mediatoren von wem auf welche Weise zu bestimmen sind, welche Qualifikationen die Mediatoren aufweisen müssen, wo der Schlichtungsversuch stattfinden soll und wie lange diese Versuche dauern sollen, bis das Gericht angerufen werden kann. Diese vollkommen unbestimmte Streitschlichtungsklausel in der zugrunde liegenden Unterhaltsvereinbarung ist schon aus diesen Gründen unwirksam. Es muss daher nicht weiter geprüft werden, ob für familienrechtliche Ansprüche eine obligatorische außergerichtliche Streitbeilegung vertraglich vorgesehen werden kann (vgl § 582 Abs 2 ZPO betreffend eine Schiedsvereinbarung) und welche rechtliche Konsequenz sich an die Nichteinhaltung einer solchen wirksamen Klausel knüpft.

[18] 6. Die Beurteilung führt zum Ergebnis, dass das Berufungsgericht hinsichtlich des Betrags von 16.126,30 EUR zu Unrecht von der Unzulässigkeit des Rechtswegs ausgegangen ist, weshalb es die Oppositionsklage in diesem Umfang nicht hätte zurückweisen dürfen.

[19] Dem Rekurs war daher Folge zu geben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die – inhaltlich bisher nicht behandelte – Berufung der Beklagten auch hinsichtlich des hier fraglichen Betrags von 16.126,30 EUR aufzutragen.

[20] Der Vorbehalt der Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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