Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 814,27 EUR (darin 135,71 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 753,15 EUR (darin 93,19 EUR Umsatzsteuer und 194 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitparteien - darunter die nunmehrige Oppositionsklägerin als eine der beklagten Parteien des Titelverfahrens - haben am 21. März 2011 vor dem Handelsgericht Wien einen Vergleich geschlossen, dessen Punkte 2. und 3. wie folgt lauten:
„2. Die beklagten Parteien verpflichten sich, die Punkt[e] 1. und 2. dieses Vergleiches binnen 30 Tagen auf ihre Kosten auf der Seite 7 einer Sonntagsausgabe der Tageszeitung „Ö*****“ auf einer Viertelseite in einem Kasten mit fettgedruckter Überschrift „Vergleich“ in 15 mm großen Buchstaben, den Rest in normaler Laufschrift mit gesperrt und fett gedruckten Prozessparteien unter Angabe des Gerichtes, der Geschäftszahl und der entscheidenden Richterin zu veröffentlichen.
3. Die beklagten Parteien verpflichten sich, diese Veröffentlichung auf der Titelseite derselben Ausgabe in einem grau unterlegten Kasten mit dem Text „Vergleichsveröffentlichung über Antrag der M***** GmbH & Co KG aufgrund unserer Artikel … in der Ausgabe vom 13. Dezember 2008 und ... in unserer Ausgabe vom 14. Dezember 2008, Seite 7 anzukündigen, wobei das Wort „Vergleichsveröffentlichung“ in 12 mm großen Fettdruckbuchstaben gehalten ist, der Rest in normaler Laufschrift.“
Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom 4. August 2011 wurde der beklagten Partei die Exekution gemäß § 354 EO zur Durchsetzung der Veröffentlichungsverpflichtung laut den Punkten 2. und 3. des gerichtlichen Vergleichs vom 21. März 2011 bewilligt. Die beklagte Partei hatte in ihrem Exekutionsantrag vorgebracht, die klagende Partei habe die Veröffentlichung nicht auf der Titelseite vorgenommen.
Während die Tageszeitung „*****“ regelmäßig ohne äußere Umhüllung erscheint, trifft dies auf die Tageszeitungen „K*****“ und „Ö*****“ nur an Wochentagen zu: An Sonntagen erscheinen diese beiden Tageszeitungen in einem Hochglanzumschlag (Farbmantel), dem die Funktion eines Sonntagsmagazins zukommt. Mantel und Tageszeitung sind nicht zusammengeheftet.
Die Tageszeitung „Ö*****“ vom Sonntag, 17. April 2011, erschien mit einem Hochglanzumschlag, dem die Tageszeitung in der Art, wie sie täglich erscheint, innelag. Auf der ersten Seite des inneliegenden Tageszeitungsteils wurde auf die Vergleichsveröffentlichung auf Seite 7 hingewiesen (siehe Punkt 3. des Titelvergleichs); auf Seite 7 wurde der Vergleich veröffentlicht (siehe Punkt 2. des Titelvergleichs). Der veröffentlichte Vergleichstext auf Seite 7 und der Text der Ankündigung auf Seite 1 entsprechen dem Vergleich vom 21. März 2011.
In ihrer Oppositionsklage brachte die klagende Partei zusammengefasst vor, sie habe ihre titelmäßige Verpflichtung erfüllt: Die Veröffentlichung sei auf der Titelseite dieser Ausgabe, allerdings nicht auf der ersten Seite des Hochglanzumschlags angekündigt worden. Eine Ankündigung auf Seite 1 des Hochglanzumschlags sei im Titelverfahren nie Thema gewesen. Mit der „Titelseite“ einer Sonntagsausgabe sei stets die erste Seite der im Inneren des Mantels befindlichen Tageszeitung und nicht die Seite 1 des Hochglanzumschlags gemeint. Gemeinsames Vergleichsverständnis sei daher eine Ankündigung des Vergleichs auf der Titelseite der Tageszeitung einer Sonntagsausgabe gewesen.
Die beklagte Partei wandte zusammengefasst ein, die klagende Partei habe ihre titelmäßige Verpflichtung noch nicht erfüllt: Die Seite, auf der die Ankündigung der Veröffentlichung stattgefunden habe, sei nicht die „Titelseite“; darunter sei vielmehr die Seite 1 des Hochglanzumschlags zu verstehen, weil es nur eine und nicht zwei Titelseiten geben könne.
Die beklagte Partei habe primär eine Urteilsveröffentlichung auf einer halben Seite der Titelseite einer Samstagsausgabe angestrebt; den Abschluss des Vergleichs habe aber die klagende Partei angeboten und dazu den Text entworfen. Die beklagte Partei habe aber immer und von Anbeginn an unter der Titelseite die erste sichtbare Seite verstanden. Da sich die klagende Partei einer undeutlichen Äußerung bedient habe, sei der Begriff „Titelseite“ nach § 915 ABGB ausschließlich im Sinn der ersten Seite des Hochglanzumschlags zu verstehen.
Das Erstgericht gab der Oppositionsklage statt. Über den eingangs angeführten Sachverhalt hinaus traf es folgende weitere Feststellungen:
In der Zeitungsbranche wird unter der „Titelseite“ jene erste Seite einer Tageszeitung verstanden, die im sogenannten Cold-Set-Verfahren gedruckt wird und bei der es noch bis in die Nachtstunden des Vortags möglich ist, aktuelle Schlagzeilen aufzunehmen. Die nur am Sonntag erscheinenden Hochglanzumschläge der Tageszeitungen „Ö*****“ und „K*****“ werden bereits einige Tage vor Erscheinen gedruckt.
Der Rechtsvertreter der nunmehr klagenden Partei hatte mit dem Begriff „Titelseite“ nur die erste Seite der im Cold-Set-Verfahren hergestellten Sonntagszeitung gemeint und wollte die Veröffentlichung der Ankündigung auch nur auf dieser Seite anbieten. Der Vertreter der beklagten Partei wiederum verstand bei Vergleichsabschluss unter dem Begriff „Titelseite“ die erste sichtbare Seite einer Zeitung und hätte den Vergleich nicht angenommen, wenn die Veröffentlichung nur auf einer Seite im „Blattinneren“, sei es auch die erste Seite der im Cold-Set-Verfahren gedruckten Zeitung, angeboten gewesen wäre.
Für beide Parteien bzw deren Vertreter war klar, dass die Tageszeitung „Ö*****“ am Sonntag in einem Hochglanzumschlag erscheint. Das Verständnis vom Begriff „Titelseite“ war im Titelverfahren kein Thema zwischen den Rechtsvertretern der Parteien.
Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Erstgericht zugrunde, dass der Begriff „Titelseite“ in der Zeitungsbranche objektiv eindeutig verstanden werde: gemeint sei - im Fall einer Sonntagsausgabe mit Hochglanzumschlag - die erste Seite des inneliegenden Tageszeitungsteils. Wenn nach dem Titelvergleich die Ankündigung der Veröffentlichung auf der - im Vergleich nicht näher definierten - Titelseite der Sonntagsausgabe geschuldet werde, habe die klagende Partei dem Vergleich durch Ankündigung der Veröffentlichung auf der „Titelseite“ der Tageszeitung vollends entsprochen, weshalb der Anspruch der beklagten Partei auf Veröffentlichung infolge Erfüllung erloschen sei.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts im klageabweisenden Sinn ab.
Mangels Feststellung einer vom Vergleichstext abweichenden übereinstimmenden Parteienabsicht sei für die Bestimmung des Vergleichsinhalts allein der Vergleichswortlaut maßgeblich; eine Auslegung nach der Übung des redlichen Verkehrs bzw nach dem Verständnis in der Zeitungsbranche komme nicht zur Anwendung. Ausgehend vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung sei aber mit dem Begriff „Titelseite“ die erste, äußere Seite, also die erste sichtbare Seite einer Zeitung gemeint, die den Titel enthalte. Im vorliegenden Fall sei dies die erste Seite des Hochglanzumschlags (Farbmantel). Da die klagende Partei die Ankündigung der Veröffentlichung nicht auf der ersten Seite des Hochglanzumschlags, sondern auf der ersten Seite des inneliegenden Tageszeitungsteils der Sonntagsausgabe vorgenommen habe, habe die klagende Partei die Verpflichtung aus dem Vergleich noch nicht erfüllt.
Die Revision wurde nachträglich zur Klärung der strittigen Frage zugelassen, ob der Begriff „Titelseite“ nach dem Verständnis in der Zeitungsbranche auszulegen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des klagestattgebenden Ersturteils.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils berechtigt.
Das Revisionsvorbringen der klagenden Partei lässt sich dahin zusammenfassen, dass ein gerichtlicher Vergleich so zu verstehen sei, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspreche. Unter der gemäß § 914 ABGB zu erforschenden „Absicht der Parteien“ sei die dem Erklärungsgegner (hier: der beklagten Partei) erkennbare und von ihm widerspruchslos zur Kenntnis genommene Absicht des Erklärenden zu verstehen. Dass in Punkt 2. des Vergleichs unter „Titelseite einer Sonntagsausgabe“ die erste Seite der im Cold-Set-Verfahren hergestellten Tageszeitung gemeint gewesen sei, habe dem Verständnis des redlichen Verkehrs, nämlich dem Verständnis der Zeitungsbranche sowie dem - der beklagten Partei erkennbaren - Erklärungswillen der klagenden Partei entsprochen. Der Vergleich sei demnach mit dem Inhalt zustande gekommen, dass die Ankündigung des Vergleichs auf der Titelseite der im Cold-Set-Verfahren hergestellten Tageszeitung vorzunehmen sei; das dem entgegenstehende, nicht erkennbare subjektive Verständnis des Vertreters der beklagten Partei sei irrelevant.
Dazu wurde erwogen:
1. Im vorliegenden Fall ist entscheidend, ob die klagende Partei die im Titelvergleich übernommene Verpflichtung erfüllt hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stellt die Auslegung eines Vergleichs in aller Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Die Auslegung eines Vergleichs im Einzelfall ist nur dann revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (RIS-Justiz RS0113785 [T4]).
Dies ist hier der Fall, weil das Berufungsgericht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Eruierung des Vergleichsinhalts abgewichen ist.
2. Der Inhalt eines gerichtlichen Vergleichs wird in erster Linie nach der erkennbaren Absicht der Parteien bestimmt (RIS-Justiz RS0023319). § 914 ABGB misst dem Rechtsgeschäft den tatsächlich gewollten Inhalt zu und verbietet eine „richterliche Bevormundung“ der Parteien durch eine objektivierte Interpretation ihres Rechtsgeschäfts (Heiss in ABGB-ON 1.00 § 914 Rz 31).
Dem gesetzlichen Auftrag (§ 914 ABGB), die Parteienabsicht zu erforschen, ist in mehreren Schritten nachzukommen (instruktiv etwa Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 5 f): Zuerst ist zu prüfen, ob nicht ohnedies beide Vergleichsparteien bei Vergleichsabschluss dasselbe gewollt haben, was auch bei einer Falschbezeichnung möglich ist („natürlicher Konsens“; RIS-Justiz RS0014160 [T18]). Liegt keine tatsächliche Willensübereinstimmung vor, ist „Absicht“ im Sinne der dem Erklärungsgegner erkennbaren Absicht des Erklärenden zu verstehen, wenn gegen die Erklärung kein Einwand erhoben wurde (RIS-Justiz RS0017915 [T15] und [T29]). Was redlicherweise verstanden werden darf ergibt sich aus der Übung des redlichen Verkehrs (Verkehrssitte; Rummel in Rummel 3 § 914 Rz 4). Entscheidend ist dabei das Verständnis in den beteiligten Verkehrskreisen (anstatt vieler Heiss in ABGB-ON 1.00 § 914 Rz 45; siehe auch die Beispiele bei Rummel in Rummel 3 § 914 Rz 5).
3. Nach den Feststellungen wird in der Zeitungsbranche unter der „Titelseite“ einer mit einem Farbmantel erscheinenden Sonntagsausgabe einer Zeitung nicht die erste Seite des Hochglanzumschlags, sondern jene erste Seite der Tageszeitung verstanden, die im sogenannten Cold-Set-Verfahren gedruckt wird und bei der es noch bis in die Nachtstunden des Vortags möglich ist, aktuelle Schlagzeilen aufzunehmen.
Ein redlicher Erklärungsempfänger musste davon ausgehen, dass die klagende Partei ihrem Vergleichsvorschlag dieses Verständnis zugrunde gelegt hatte. Die beklagte Partei hat dem nicht widersprochen, weshalb davon auszugehen ist, dass dieses Verständnis des Begriffs „Titelseite“ Vergleichsinhalt geworden ist. Dieses Verständnis kann dadurch untermauert werden, dass nach dem Vergleichstext der auf der Titelseite anzubringende Hinweis auf die Vergleichsveröffentlichung in einem „grau unterlegten Kasten“ positioniert werden sollte, was dagegen spricht, dass dieser Kasten auf der (farbigen) Seite 1 des Hochglanzumschlags abgedruckt werden sollte.
Da die klagende Partei ihre titelmäßige Verpflichtung somit bereits erfüllt hat, ist das der Oppositionsklage stattgebende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
4. Die Entscheidung über die Verpflichtung der beklagten Partei zum Ersatz der im Rechtsmittelverfahren aufgelaufenen Kosten der klagenden Partei beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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