OGH 3Ob506/88

OGH3Ob506/8829.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Dr.Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*** registrierte Genossenschaft m.b.H., Schillerstraße 4, 4020 Linz, vertreten durch Dr.Eduard Saxinger und Dr.Peter Baumann, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Renate M***, Angestellte, Hartackerstraße 48, 4060 Leonding, vertreten durch Dr.Rudolf Schuh, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 300.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 24.September 1987, GZ 6 R 197/87-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 24.April 1987, GZ 3 a Cg 192/86-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.198,65 (darin S 927,15 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Kreditunternehmung nimmt die Beklagte auf Zahlung von S 300.000,-- sA aus deren am 3.April 1984 für die Verbindlichkeiten der Darlehensnehmerin "C***-F***" S***-M*** Gesellschaft m.b.H. übernommenen Bürgschaft bis zu diesem Höchstbetrag in Anspruch. Die Hauptschuldnerin habe ein Darlehen von S 1,000.000,-- zu 300 1773 2200 erhalten und sei ebenso wie die anderen Bürgen bereits mit Anerkenntnisurteil zur Rückzahlung verurteilt worden.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Geschäftsführer der Gesellschaft, die von der klagenden Bank am 3. April 1984 S 1,000.000,-- Kredit erhalten habe, und der Leiter der Bank hätten an die Beklagte den Wunsch herangetragen, eine Teilbürgschaft mit S 300.000,-- zu übernehmen, aber immer wieder betont, es handle sich um einen Formalakt. Die Beklagte werde aus der Haftungsübernahme nie in Anspruch genommen werden. Sie sei also in Irrtum geführt worden und hafte wenn überhaupt nur als Ausfallbürgin. Der Leiter der Bank habe ihr auch versichert, die Hauptschuldnerin habe Pachtrechte am Pichlingersee, deren Veräußerung einen Erlös von etwa S 300.000,-- erwarten lasse. Dieser Betrag sei der klagenden Partei am 19.November 1984 zugekommen. Die Bürgschaft sei damit gegenstandslos.

Das Erstgericht verhielt die Beklagte zur Zahlung von S 300.000,-- samt den gesetzlichen Zinsen an die klagende Partei und wies nur ein Zinsenmehrbegehren ab.

Es stellte fest:

Die "C***-F***" S***-M*** Gesellschaft m.b.H. kämpfte mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und erhielt von der klagenden Bank am 21.März 1984 einen Abstattungskredit von S 1,000.000,-- zur Umschuldung zugesagt. Die Rückzahlung sollte in 15 Jahren durch monatliche Pauschalraten von S 11.300,-- ab dem 5.Mai 1984 erfolgen. Eine Wiederausnutzung des Kredites war nicht vorgesehen. Die klagende Bank verlangte, weil große Vorlasten bestanden, eine Besicherung durch Bürgen. Die Beklagte war die Lebensgefährtin des Geschäftsführers Josef S***. Der zweite Geschäftsführer konnte seinen Schwager Walter G*** zur Übernahme der Bürgschaft für S 300.000,-- bewegen. Am 3.April 1984 kamen die Geschäftsführer und die Bürgen zur klagenden Bank zur Unterfertigung des Darlehensvertrages und der Bürgschaftserklärungen. Die Beklagte übernahm für die Kreditverbindlichkeit der Gesellschaft zu Konto Nr 300 1773 2200 beschränkt auf S 300.000,-- die Bürgschaft. Es war davon die Rede, daß mit einer Inanspruchnahme der Beklagten nicht zu rechnen sei, weil im Kiosk der Gesellschaft am Pichlingersee die Geschäfte so gut laufen, daß die Monatsraten ohne Schwierigkeiten zurückbezahlt werden könnten. Sollte sich der Geschäftsgang nicht wie erwartet entwickeln, könne der Kiosk verkauft und der Kredit mit dem Erlös abgestattet werden. Alle Beteiligten, so auch der Leiter der klagenden Bank und die Beklagte, meinten, daß es unwahrscheinlich sei, daß die Beklagte als Bürgin in Anspruch genommen werde.

Daß aber erklärt wurde, es handle sich um eine "Proformabürgschaft", um einen Formalakt, aus dem die Beklagte nicht hafte, oder daß der Leiter der klagenden Partei oder sonst ein Beteiligter erklärten, die Bürgschaft sei gegenstandslos, wenn der Erlös aus der Veräußerung des Verkaufsgegenstandes der Gesellschaft am Pichlingersee der klagenden Bank zukomme, ist nicht erwiesen. Die Beklagte unterfertigte die schriftliche Bürgschaftserklärung, wonach sie zur Sicherstellung aller Forderungen der Bank aus der Inanspruchnahme des Kredites von S 1,000.000,-- die Haftung als Bürge und Zahler nach § 1357 ABGB bis zum Höchstbetrag von S 300.000,-- übernahm.

Das Geschäft der Gesellschaft am Verkaufsstand lief im Sommer 1984 nicht wie erwartet. Der Verkaufsstand mußte um S 600.000,-- verkauft werden. Mit dem Teilbetrag von S 250.000,-- wurde das Stammkapital an die Gesellschaft entrichtet. Den Restbetrag zahlte der Geschäftsführer Günther M*** auf das Kontokorrentkonto 300 1773 0000 der Gesellschaft bei der klagenden Bank ein, das mit S 950.000,-- im Soll stand. Die Zahlungspflicht aus dem Darlehensvertrag 300 1773 2200 konnte die Gesellschaft nicht erfüllen. Es trat Terminsverlust ein. Die Gesellschaft und die Bürgen Josef S***, Günther M*** und Maria M*** wurden mit dem Anerkenntnisurteil vom 12.Dezember 1986 zur Zahlung von S 1,649.193,97 sA an die klagende Bank verurteilt. Darin sind S 792.479,59 aus dem Kredit enthalten, für den die Beklagte bürgte. Es haftet jedenfalls immer noch mehr als der eingeklagte Betrag aus. Über das Vermögen der Gesellschaft ist der Konkurs eröffnet. Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt rechtlich dahin, daß die Beklagte aus dem Vertrag als Bürge und Zahler mit S 300.000,-- hafte und seit ihrem Verzug die gesetzlichen Zinsen leisten müsse. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es übernahm die erstrichterlichen Feststellungen als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und hielt auch die Rechtsrüge für unbegründet. Daraus, daß alle Beteiligten zur Zeit ihrer Bürgschaftserklärung erwarteten, eine Inanspruchnahme der Beklagten aus der übernommenen Haftung sei nicht wahrscheinlich, könne die Beklagte ihre Haftungsbefreiung nicht ableiten. Ohne Zutun der klagenden Partei hätten sich die Geschäfte der Hauptschuldnerin nicht so entwickelt, wie es die Beteiligten angenommen hatten. Ein von der klagenden Bank veranlaßter Irrtum, daß sie aus ihrer Bürgschaft keineswegs in Anspruch genommen werde, liege nicht vor. Die Vorstellung ihres Lebensgefährten und des zweiten Geschäftsführers, bei einem Verkauf könne man mit dem Erlös den Kredit zurückzahlen, führe nicht zur Unwirksamkeit der Bürgschaft. Die klagende Partei habe es nicht zu vertreten, daß die Geschäftsführer der Gesellschaft den Verkaufserlös zur Aufbringung des Stammkapitals und zur Abstattung anderer Schulden verwendeten. Von den Verbindlichkeiten, für die die Beklagte bürgte, sei jedenfalls noch ein S 300.000,-- übersteigender Betrag unberichtigt. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei, weil der Abgrenzung der Diligenzpflichten der Kreditunternehmung gegenüber Kunden eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukomme, wenn der Beklagten im Beisein des Bankangestellten in Aussicht gestellt wurde, sie werde aus ihrer Haftung kaum in Anspruch genommen werden, wenn ein entsprechender Verkaufserlös erzielt werde. Die Zusage des Hauptschuldners, den Erlös aus dem Kioskverkauf zur Abdeckung des durch die Bürgschaft der Beklagten besicherten Kredites zu verwenden, habe von der klagenden Partei nicht garantiert werden können. Sie habe auch nicht in Kenntnis der Herkunft des auf dem Kontokorrentkonto einbezahlten Betrages eine andere Widmung vorgenommen. Es sei aber denkbar, daß die Bank zu einer Umbuchung verpflichtet wäre, wenn ihr die Geschäftsgrundlage der Beklagten für die Übernahme der Bürgschaft und die Herkunft des auf dem Kontokorrentkonto zur Einzahlung gebrachten Verkaufserlöses von S 350.000,-- bekannt war. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes habe es sich allerdings nur um das Motiv der Bürgin gehandelt, und über den Erlös aus dem Kioskverkauf habe nur die Gesellschaft durch ihre Geschäftsführer verfügen können.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Das Berufungsgericht ist ohnedies davon ausgegangen, daß vor der Unterfertigung der Bürgschaftserklärung davon die Rede war, eine Inanspruchnahme der Beklagten sei wegen der Möglichkeit des Kioskverkaufes unwahrscheinlich.

Die Vorinstanzen haben die Haftung der Beklagten als Bürge und Zahler ohne Rechtsirrtum bejaht. Für eine Bank besteht keine allgemeine Rechtspflicht, den Bürgen über alle Umstände auf Seiten des Darlehensnehmers aufzuklären, die auf seine Entschließung Einfluß haben konnten. Eine solche Rechtspflicht besteht nur, wenn Umstände vorliegen, deren Aufklärung nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs vom Vertragspartner erwartet werden kann (vgl SZ 52/55; SZ 55/51). Der Angestellte der Bank konnte durchaus voraussetzen, daß sich die Beklagte in geeigneter Weise über die für das Risiko der Haftungsübernahme bedeutsamen Umstände unterrichten werde. Für die Beklagte hätte es naheliegend sein müssen, sich bei ihrem Lebensgefährten zu erkundigen, dem als einem der beiden Geschäftsführer der Hauptschuldnerin in erster Linie eine Vorausschau auf die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft zumutbar war und der deren wirtschaftliche Lage kennen mußte (vgl § 22 Abs 1 und § 25 Abs 1 GmbHG). Daraus, daß im Beisein des Bankangestellten erörtert wurde, daß der Geschäftsgang der Gesellschaft die Abstattung der Tilgungsraten zulasse und äußerstenfalls auch noch der Kioskverkauf in Betracht zu ziehen und daher eine Inanspruchnahme der Beklagten aus ihrer persönlichen Haftung nicht wahrscheinlich sei, kann die Beklagte eine den Anspruch der Bank auf Rückgriff am Bürgen und Zahler beeinträchtigende Verletzung der Bankaufklärungspflicht nicht ableiten. Nach den Feststellungen sind alle Beteiligten damals davon ausgegangen, daß das Risiko der Beklagten nicht allzu groß sei, doch haben sich die Geschäfte der Gesellschaft in der Folge nicht wie erwartet entwickelt. Nach dem klaren Wortlaut ihrer schriftlichen Bürgschaftserklärung mußte der Beklagten, die eine Beeinträchtigung ihrer Beurteilungsfähigkeit nicht geltend gemacht hat, klar sein, daß sie bei einer unerwarteten ungünstigen Geschäftsentwicklung des von ihrem Lebensgefährten mitgeführten Unternehmens eine Haftung als Bürge und Zahler trage. Es liegt also nur daran, daß die Beklagte selbst in der Hoffnung, aus ihrer Bürgschaftserklärung nicht wirklich in Anspruch genommen zu werden, ausreichende Erkundigungen bei der Hauptschuldnerin unterließ und sich mit den Beteuerungen der Geschäftsführer zufrieden gab. Davon, daß die klagende Bank etwa für einen bereits gewährten, notleidend gewordenen Kredit Bürgschaftserklärungen entgegennahm, obwohl ihr klar sein mußte, daß von der Hauptschuldnerin Zahlung nicht erlangt werden könne (SZ 57/70; RdW 1986/40 ua), kann nach dem festgestellten Sachverhalt nicht die Rede sein. Grundsätzlich ist es nicht Sache einer Kreditunternehmung, den Bürgen über die Vermögensverhältnisse des Schuldners aufzuklären (SZ 56/81; SZ 57/70 ua), wenn nicht ausnahmeweise eine Warnpflicht besteht, weil die Bank schon Kenntnis vom unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Kreditnehmers hat und nur wegen der vom Dritten geleisteten Sicherheit weiteren Kredit gewährt (vgl zuletzt WBl 1987, 211 = BankArchiv 1987, 576). Daß der Bankangestellte auch damit rechnete, das Geld von den Bürgen einbringlich machen zu müssen, entspricht dem Zweck dieser Besicherung, denn bei Ausfall des Hauptschuldners soll der Gläubiger sich jedenfalls an den Bürgen halten können. Daß aber der Bank schon bei Unterfertigung der Bürgschaftserklärung durch die Beklagte erkennbar war, daß vom Hauptschuldner Zahlung wegen seines drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruches nicht zu erlangen sein werde, ist nicht festgestellt. Es liegt weder eine Vertragspflichtverletzung auf Seiten der klagenden Partei vor noch ein von ihr veranlaßter Irrtum oder eine Irreführung der Beklagten, die bloß selbst irrte, wenn sie den Beteuerungen ihres Lebensgefährten vertraute, daß sie selbst kein Risiko eingehe. Es trifft auch zu, daß der Kioskverkauf als mögliche Geldbeschaffungsquelle zur Abdeckung des Darlehens erwähnt wurde. Aber weder die Bank noch die Beklagte konnten unmittelbar Einfluß auf die Verwendung des Verkaufserlöses nehmen. Die Verfügung über Gelder der Gesellschaft stand den zu ihrer Vertretung nach außen und zur Führung ihrer Geschäfte berufenen Geschäftsführern zu. Durch die Erwähnung dieses Vermögenswerts konnte sich daher die Beklagte zwar in ihrem Irrtum bestärkt fühlen, ohne daß aber dieser Irrtum von der klagenden Partei veranlaßt wurde. Daraus, daß die Bank die von den Geschäftsführern zu anderen Zwecken gewidmete Einzahlung nicht zur teilweisen Tilgung des durch die Bürgschaft der Beklagten und anderer Personen besicherten Kredits verwendete, kann die Klägerin eine Befreiung von ihrer Haftung nicht ableiten, weil ein arglistiges Zusammenwirken nicht einmal behauptet wurde. Schließlich steht fest, daß der besicherte Kredit jedenfalls mit mehr als der Haftungssumme der Beklagten unberichtigt ist. Bei ihrer Berechnung übersieht die Revisionswerberin nämlich, daß die Gesellschaft auch noch bedeutende weitere Verbindlichkeiten bei der klagenden Bank hatte.

Die Beklagte hat daher für ihre Bürgschaft einzustehen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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