OGH 3Ob47/24v

OGH3Ob47/24v3.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* B*, vertreten durch Mag. Martin J. Moser, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1) F* S.p.A., *, Italien, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2) F* I* S.p.A., *, Italien, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 125.755 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 3. Oktober 2022, GZ 4 R 112/22a‑42, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 22. Juni 2022, GZ 56 Cg 29/22z‑36, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00047.24V.0403.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Unionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss vom 2. 2. 2023, 3 Ob 232/22x, unterbrochene Revisionsrekursverfahren wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 13.450,75 EUR (darin enthalten 1.122,72 EUR USt und 6.714,40 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Zwischenstreits über die internationale Zuständigkeit aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der in Villach wohnhafte Kläger schloss am 15. 1. 2018 im Rahmen einer Campingmesse in Stuttgart einen Kaufvertrag über ein Wohnmobil der Marke Carthago c‑tourer i 144 LE zu einem Kaufpreis von 114.524 EUR ab. Die Verkäuferin war nach dem Briefkopf des Kaufvertrags die C* GmbH, unterfertigt wurde der Kaufvertrag unter Verwendung der firmenmäßigen Stampiglie der C* S* GmbH; der Sitz beider Gesellschaften befindet sich in Neunkirchen. Der Kläger übernahm das Fahrzeug am 5. 7. 2018 in Vöcklabruck.

[2] Die in Italien ansässige Erstbeklagte ist Herstellerin des Basisfahrzeugs, die ebenfalls in Italien ansässige Zweitbeklagte hat den Motor hergestellt, der nach den Prozessbehauptungen des Klägers mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 der Verordnung 715/2007/EG über die Typengenehmigung ausgerüstet ist.

[3] Der Kläger begehrt von den beiden Beklagten aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags, hilfsweise die Zahlung von 37.726,50 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für die ihm künftig aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehenden Schäden. In dem von ihm erworbenen Wohnmobil sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, die die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems herabsetze. Die Beklagten hätten für die daraus resultierenden Schäden einzustehen, weil sie das Fahrzeug mit einer Software zur Manipulation der Abgaswerte ausgestattet hätten. Das Fahrzeug sei vom Fiat‑Abgasskandal betroffen. Die internationale (örtliche) Zuständigkeit ergebe sich aus Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Der Primärschaden sei am Ort der Übergabe des manipulierten Fahrzeugs eingetreten. Da das Fahrzeug in Vöcklabruck übernommen worden sei, sei das Erstgericht international (örtlich) zuständig.

[4] Die Beklagten erhoben die Einrede der internationalen Unzuständigkeit des Erstgerichts. Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs liege in einem Fall wie dem vorliegenden am Erwerbsort des Fahrzeugs, der mit dem Ort des Vertragsabschlusses gleichzusetzen sei. Der Vertragsabschluss sei in Deutschland erfolgt, weshalb das Erstgericht international nicht zuständig sei.

[5] Das Erstgericht sprach aus, dass es international unzuständig sei und wies die Klage zurück. Der für die Zuständigkeit nach dem Erfolgsort maßgebende Ort des Erwerbs sei in Deutschland gelegen, weil dort der Kaufvertrag abgeschlossen worden sei. Aus diesem Grund sei die internationale (örtliche) Zuständigkeit nicht gegeben.

[6] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) zu C‑343/19 , VKI, sei der Ort des schädigenden Ereignisses im Sinn des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 am Ort des Erwerbs des Fahrzeugs gelegen. Daran anknüpfend habe der Oberste Gerichtshof zu 3 Ob 24/21g entschieden, dass sich der Schaden im Lichte der EuGH-Rechtsprechung bei einem in Deutschland gekauften und dort übernommenen Fahrzeug an dem in Deutschland gelegenen Kaufort verwirkliche. Maßgebend sei der Ort des Kaufvertragsabschlusses, weil die wechselseitigen Verpflichtungen mit dem Abschluss des Vertrags entstünden. Im Anlassfall liege der Erfolgsort demnach in Deutschland.

[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich der vom Rekursgericht zugelassene Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Mit ihren Revisionsrekursbeantwortungen beantragen die Beklagten, den Revisionsrekurs der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Zu I.:

[9] Mit Beschluss vom 2. 2. 2023, 3 Ob 232/22x, hat der Senat das vorliegende mit Revisionsrekurs des Klägers eingeleitete Verfahren im Hinblick auf das vom Senat zu 3 Ob 206/22y (nunmehr 3 Ob 46/24x) beim EuGH eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren zu C‑81/23 , FCA Italy und FPT Industrial, unterbrochen und ausgesprochen, dass das Verfahren nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt wird. Da die Entscheidung des EuGH (vom 22. 2. 2024) nunmehr vorliegt, war das Revisionsrekursverfahren fortzusetzen.

Zu II.:

[10] 1. Der Revisionsrekurs ist zulässig und nach dem Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens auch berechtigt.

[11] 2. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. 2. 2024, C‑81/23 , FCA Italy und FPT Industrial (ECLI:EU:C:2024:165), das Vorabentscheidungsersuchen des Senats wie folgt beantwortet:

„Art 7 Nr  2 EuGVVO 2012 ist dahin auszulegen, dass sich in einem Fall, in dem ein Fahrzeug, das von seinem Hersteller in einem ersten Mitgliedstaat mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden sein soll, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, Gegenstand eines in einem zweiten Mitgliedstaat abgeschlossenen Kaufvertrags war und dem Erwerber in einem dritten Mitgliedstaat übergeben wurde, der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinn dieser Bestimmung im letztgenannten Mitgliedstaat befindet.“

[12] Bei einem Schaden aus dem Erwerb eines mangelhaften Fahrzeugs und der dadurch bedingten Minderung des Sachwerts knüpft der EuGH den Ort des Schadenserfolgs nunmehr ausdrücklich am Ort der Übergabe des mangelhaften Fahrzeugs an den Endabnehmer an. Der Gerichtshof begründet dies im Wesentlichen damit, dass in vergleichbaren Fällen – der Lieferung eines fehlerhaften Bestandteils für ein Produkt – der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs jener Ort sei, an dem das den Schaden auslösende Ereignis seine schädigenden Wirkungen entfalte, dh der Ort, an dem sich der durch das fehlerhafte Erzeugnis herbeigeführte Schaden konkret zeige (C‑189/08 , Zuid‑Chemie, ECLI:EU:C:2009:475). Dementsprechend sei in Fällen wie dem hier vorliegenden der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs jener Ort, an dem sich der Mangel, mit dem das Fahrzeug behaftet sei, zeige und seine schädigenden Wirkungen für den Endabnehmer entfalte, dh der Ort, an dem diesem das Fahrzeug übergeben worden sei (Rn 39 und 40). Ein Automobilhersteller, der unzulässige Manipulationen an in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebrachten Fahrzeugen vornehme, müsse damit rechnen, dass er vor den Gerichten dieser Staaten bzw vor den Gerichten der Mitgliedstaaten verklagt werde, in denen die in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge den Endabnehmern übergeben worden seien (Rn 41).

[13] 3.1 Im Anlassfall wurde das Fahrzeug dem Kläger in Vöcklabruck übergeben. Die internationale örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts ist daher gegeben. Dem Revisionsrekurs des Klägers war damit Folge zu geben und dem Erstgericht aufzutragen, das gesetzmäßige Verfahren über die vom Kläger geltend gemachten Schadenersatzansprüche durchzuführen.

[14] 3.2 Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 (iVm § 50) ZPO. Zur Frage der internationalen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (RS0109078 [T15]). Im erstinstanzlichen Verfahren betrafen die Schriftsätze des Klägers zu ON 3, 9 und 18 den Zwischenstreit. Der Schriftsatz ON 18 war nicht zweckentsprechend und daher nicht zu honorieren. Die sonstigen, hier nicht genannten Schriftsätze des Klägers sowie die Verhandlung vom 7. 6. 2022 (ON 30) dienten ausschließlich oder hauptsächlich dem Verfahren in der Hauptsache.

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