OGH 3Ob47/04i

OGH3Ob47/04i20.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Jörg H*****, vertreten durch Gheneff - Rami Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unzulässigkeit der Exekution (§ 36 EO), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. August 2003, GZ 47 R 404/03i-21, idF des Berichtigungsbeschlusses vom 19. November 2003, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 28. März 2003, GZ 75 C 7/03i-11, idF des Berichtigungsbeschlusses vom 24. April 2003, GZ 75 C 7/03i-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.063,80 EUR (darin 177,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die nunmehr klagende Partei verpflichtete sich mit vor dem Handelsgericht Wien am 28. Jänner 2002 abgeschlossenem (Teil-)Vergleich dem nunmehrigen Beklagten gegenüber, es ab sofort bei sonstiger Exekution zu unterlassen, die wörtlichen und/oder sinngemäßen Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten, der nunmehrige Beklagte hätte im Zusammenhang mit der Bestellung der KELAG-Aufsichtsräte im Jahr 1999 a) das Kollegium der Landesregierung bewusst irregeführt; b) die Geschäftsordnung der Kärntner Landesregierung gebrochen und c) die Kärntner Landesverfassung gebrochen. In diesem Verfahren hatte der nunmehrige Beklagte wegen eines in der Ausgabe des Standard vom 16. Juli 1999 veröffentlichten Artikels mit Klage vom 5. Dezember 2001 u.a. ein gleichlautendes Unterlassungsbegehren erhoben. Bei Abschluss des Unterlassungsvergleichs war dieser Artikel im Internet unter http://derstandard.at abrufbar.

Mit der Behauptung, die nun klagende Partei habe am 30. Dezember 2002 dadurch gegen diesen Vergleich verstoßen, dass an diesem Tag auf der Website http://derstandard.at/archiv . deren Verfügungsberechtigter und Medieninhaber (Verleger) die klagende Partei sei, ein - in der Printausgabe vom 26. Jänner 2002 veröffentlichter - Artikel erschienen sei, beantragte der nun Beklagte die Bewilligung der Unterlassungsexekution; in der Folge beantragte er mit gleichlautenden Behauptungen betreffend jeweils spätere Tage die Erlassung von Strafbeschlüssen. In diesem Artikel wird unter der Überschrift "Standard sieht Pressefreiheit verletzt" über eine Verurteilung durch das Oberlandesgericht Wien wegen des Berichtes, der Anlass für die Klage im Titelverfahren war, berichtet, wobei dessen Inhalt mit den laut Exekutionstitel untersagten Äußerungen wiedergegeben wird. Diese Verurteilung wird als massiver Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit bezeichnet; der Standard werde sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden. Die Bewilligung der Unterlassungsexekution sowie die Strafbeschlüsse ergingen antragsgemäß.

Mit der vorliegenden Impugnationsklage (§ 36 EO) begehrte die klagende Partei das Urteil, diese Exekution werde für unzulässig erklärt. Zur Begründung brachte sie im Wesentlichen vor, die bloße Aufrechterhaltung eines vor Entstehen des Exekutionstitels herbeigeführten Zustands rechtfertige außerhalb des Wettbewerbsrechts keine Exekutionsführung gemäß § 355 EO; eine Verpflichtung zu aktivem Tun habe die klagende Partei nicht übernommen. Durch die Ablage im elektronischen Archiv werde der beanstandete Artikel nicht mehr verbreitet. Im inkriminierten Text werde weiters nicht die vom Exekutionstitel erfasste Behauptung aufgestellt und verbreitet. Vielmehr werde die Verurteilung durch das Oberlandesgericht Wien wegen der Veröffentlichung eines Berichts über das betreffende Rechtsgutachten kommentiert. Zwangsläufig würden in diesem Kommentar die Behauptungen, weswegen die Verurteilung erfolgt sei, wiedergegeben; andernfalls wäre der Kommentar völlig unverständlich. Auch in einer Urteilsveröffentlichung oder einem Widerruf würden aus diesem Grund die inkriminierten Behauptungen selbstverständlich wiederholt und in diesem Zusammenhang noch einmal angeführt. Die klagende Partei, die lediglich fremde Äußerungen wahrheitsgemäß zitiert habe, sei durch das Zitatrecht im Sinn der Meinungsäußerungsfreiheit gerechtfertigt; andernfalls könnte die Presse ihrer Informationspflicht, auch über Äußerungen Dritter zu berichten, nicht mehr nachkommen. Jedenfalls treffe die klagende Partei an einem allfälligen Verstoß gegen das Unterlassungsgebot kein Verschulden, weil ihr bei diesem neuen Medium eine in allen Nuancen richtige rechtliche Beurteilung nicht möglich und die Bewertung des Archivs als elektronische Form einer Bibliothek für die klagende Partei naheliegender als der Vergleich mit einer täglich neu herauskommenden Tageszeitung sei.

Der Beklagte wendete ein, das Aufrechterhalten der inkriminierten Äußerung auf der eigenen Homepage im Internet sei ein Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung. Die klagende Partei habe in der inkriminierten Glosse nicht Dritte, sondern nur ihren eigenen Artikel zitiert. Es liege daher schon wesensmäßig kein Zitat vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab; es stellte im Wesentlichen den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte in rechtlicher Hinsicht aus, hier liege der Verstoß gegen den Exekutionstitel nicht in der Aufrechterhaltung eines vor Schaffung des Titels begründeten Dauerzustands, sondern in der Verbreitung bestimmter Aussagen, die durch die Abrufbarkeit des betreffenden Artikels aus dem "Archiv" nach Vollstreckbarkeit des Exekutionstitels bis zur Zustellung der Exekutionsbewilligung gegeben gewesen sei. Dabei sei nicht zwischen der täglich aktualisierten Online-Ausgabe und dem Archiv zu unterscheiden; in beiden Fällen werde der Allgemeinheit der Zugriff auf bestimmte im Internet veröffentlichte Inhalte ermöglicht. Die inkriminierten Behauptungen seien auch titelwidrig.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil; es führte in rechtlicher Hinsicht aus, der Verstoß gegen den Exekutionstitel liege hier nicht in der Aufrechterhaltung eines vor Schaffung des Titels begründeten Dauerzustands, sondern in der Verbreitung bestimmter Aussagen, die durch die Abrufbarkeit aus dem Archiv gegeben sei. Eine Unterscheidung zwischen der Online-Ausgabe und dem Standard-Archiv könne schon deshalb nicht getroffen werden, weil in beiden Fällen der allgemeine Zugriff auf diese Inhalte ermöglicht werde. Die Möglichkeit, durch Eingabe spezifischer Suchworte den Artikel aus dem Archiv zu holen, bedeute keinen Ausschluss eines allgemeinen Zugriffs auf diese Inhalte. Auch die Tatsache, dass der Artikel der Kommentierung einer Verurteilung diene, vermöge an der Titelwidrigkeit der inkriminierten Behauptungen nichts zu ändern. Das Unterlassungsgebot könne auch nicht dadurch umgangen werden, dass die titelwidrigen Äußerungen vom Verpflichteten als Zitate weiter verbreitet werden. Dies sei etwas grundsätzlich anderes als das Zitieren der Aussage einer anderen Person. Die klagende Partei treffe ein Verschulden, weil bei Inanspruchnahme von Neuerungen das Risiko eines Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot in Kauf genommen werde.

Das Berufungsgericht sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR; im Verfahren nach § 508 ZPO erklärte es die ordentliche Revision im Hinblick auf die zu erwartende Zahl der Rechtsfälle, in denen die Ausformung des elektronischen Archivs eine entscheidende Rolle spiele, und darauf, dass hiezu keine Rsp des Obersten Gerichtshofs vorliege, für zulässig.

Die Revision der klagenden Partei ist entgegen dem Ausspruch der zweiten Instanz, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage der Haftung des Betreibers eines Online-Archivs ist nunmehr in der Rsp des Obersten Gerichtshofs geklärt, sodass die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht von der Lösung dieser Frage abhängt.

a) In den Entscheidungen 6 Ob 218/03g = ecolex 2004, 530, 6 Ob 274/03t = MR 2004, 97 = RdW 2004, 274 und 6 Ob 190/03i (RIS-Justiz RS0118525) wurde mit eingehender Begründung klargestellt, dass der Betreiber eines Online-Archivs technischer Verbreiter der in archivierten Artikeln enthaltenen Tatsachenbehauptungen iSd § 1330 ABGB ist. Auch Online-Archive richten sich typischerweise an einen größeren Personenkreis, wenn auch Archivseiten allenfalls weniger Besucher aufweisen als aktuelle Online-Berichte. Ein Artikel bleibt selbst nach der bloßen "Verschiebung" aus der jeweils aktualisierten Seite einer Website in deren "Archiv" verbreitet und veröffentlicht iSd § 1 MedienG und des § 1330 ABGB, auch wenn sich dadurch die Aufmachung und die Zugriffsmodalitäten für die Besucher der Internetseite etwas anders darstellen. Es ändert sich auch die rechtliche Qualifikation des Diensteanbieters nicht allein dadurch, dass ein bestimmter Artikel zunächst einige Zeit hindurch auf einer Seite mit aktuellen Nachrichten aufscheint und danach im "Archiv" abgelegt wird. Kam dem Diensteanbieter schon bei der Einspeicherung des Artikels ins Netz die Stellung eines Medieninhabers (intellektuellen Verbreiters) zu, behält er dies auch weiterhin bei.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, ein Online-Archiv sei mit einem Online-Medium gleichzusetzen, weshalb die Abrufbarkeit eines zuvor in einer Print- oder Online-Zeitung veröffentlichten Artikels in einem Online-Archiv als Verbreitung qualifiziert werden könne, entspricht somit der (nunmehr) vorliegenden Rsp des Obersten Gerichtshofs, die auch vom erkennenden Senat gebilligt wird.

b) Auch die von der klagenden Partei in der Revision weiters als erheblich bezeichneten Rechtsfragen weisen nicht diese für die Zulässigkeit einer Revision erforderliche Qualität auf.

Dass eine gegen den Unterlassungstitel verstoßende Veröffentlichung auf der eigenen Homepage die Bewilligung der Unterlassungsexekution rechtfertigt, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits ausdrücklich bejaht (3 Ob 215/02t, 321/02f = MR 2003, 82 [Rechberger]; 3 Ob 261/03h).

Die klagende Partei kann auch nicht das Zitatrecht für sich in Anspruch nehmen.

Im Exekutionsverfahren gemäß § 355 EO ist maßgeblich, ob das Verhalten des Verpflichteten (hier der klagenden Partei) gegen den Exekutionstitel verstößt. Dies ist hier ein Teilvergleich, in dem sich die nun klagende Partei verpflichtete, es zu unterlassen, bestimmte, näher bezeichnete wörtliche und/oder sinngemäße Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten. Im Exekutionsverfahren wird nun geltend gemacht, die klagende Partei selbst habe derartige Behauptungen wieder aufgestellt; dabei handelt es sich gerade nicht um die Wiedergabe von Äußerungen anderer Personen Dritter im Sinn von Zitaten. Entgegen den Revisionsausführungen identifiziert sich die klagende Partei gerade mit den Behauptungen, zu deren Unterlassung sie sich mit gerichtlichem Vergleich verpflichtete. Sie wiederholt diese Äußerungen im Zusammenhang mit dem Bericht über ein ihr solche verbietendes Urteil und erklärt, ein solches Urteil nicht zu akzeptieren.

Weiters wird als erheblich die Rechtsfrage releviert, ob den Betreiber eines Online-Archivs ohne vorherige Abmahnung ein Verschulden trifft. Auch hier ist hervorzuheben, dass die klagende Partei keineswegs nur die Stellung eines Providers hat, sondern einen von ihr zuvor - nachdem sie die Unterlassungsverpflichtung in einem gerichtlichen Teilvergleich eingegangen war - im Printmedium veröffentlichten Artikel ihr Online-Archiv aufgenommen hat. Die Bejahung eines Verschuldens der klagenden Partei, ohne dass vor Einbringung des Exekutionsantrags gegen sie eine Abmahnung erforderlich gewesen wäre, erweckt in einem derartigen Fall keine Bedenken.

Die zuletzt relevierte Frage, wie lange gegen einen im Online-Archiv abrufbaren Artikel Exekution geführt werden könne, konkret, ob in einem solchen Fall die Verjährungsregeln obsolet wären, stellt sich schon deshalb nicht, weil dieser Einwand in der Impugnationsklage nicht geltend gemacht wurde.

Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Revisionsgegner hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hingewiesen.

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