Spruch:
Der Lagerhalter erwirbt an den ihm vom Verwalter anläßlich einer zwangsweisen Räumung übergebenen Fahrnissen das gesetzliche Pfandrecht.
Der gemäß § 349 EO. vom Vollstreckungsorgan bestellte Verwahrer hat die Stellung eines Sequesters im Sinne des § 968 ABGB., dessen Rechte und Verbindlichkeiten nach den Grundsätzen des Verwahrungsvertrages zu beurteilen sind.
Entscheidung vom 20. Oktober 1954, 3 Ob 400/54.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers auf Herausgabe bestimmter Fahrnisse statt. Das Erstgericht stellte fest, daß die Klagsgegenstände Eigentum des Klägers sind, die anläßlich einer von Karoline S. gegen Josef S. (dem Vater des Klägers) geführten Räumungsexekution von der ersteren der beklagten Partei zur Einlagerung und Aufbewahrung übergeben wurden. Als Eigentümer der Klagsgegenstände sei Kläger gemäß § 366 ABGB. berechtigt, die ihm gehörigen und von der beklagten Partei vorenthaltenen Sachen zu fordern. Der beklagten Partei stehe an den Klagsgegenständen weder das gesetzliche Pfandrecht des Lagerhalters (§ 421 HGB.), noch ein Retentionsrecht nach den Vorschriften des HGB. bzw. des ABGB. zu. Denn die beklagte Partei sei bei Abschluß des Lagervertrages mit Karoline S. von Josef S. ausdrücklich aufmerksam gemacht worden, daß die klagsgegenständlichen Fahrnisse Eigentum des Klägers seien. Die Beklagte hätte daher die Frage des Eigentumsrecht an den Klagsgegenständen prüfen müssen. Dies habe die Beklagte unterlassen und es sei daher zufolge des mangelnden guten Glaubens der Beklagten bei Abschluß des Lagervertrages das gesetzliche Pfandrecht des Lagerhalters nicht entstanden. Auf ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 471 ABGB. könne sich die Beklagte nicht berufen, weil ihr die Klagsgegenstände nicht vom rückfordernden Eigentümer übergeben worden seien und sich die Beklagte bei Abschluß des Lagervertrages hinsichtlich des Eigentums oder der Verfügungsberechtigung des Einlegers nicht im guten Glauben befunden habe. Ein Retentionsrecht nach den Bestimmungen des Handelsgesetzes (§ 369 HGB.) sei schon deshalb zu verneinen, weil hiezu ein beiderseitiges Handelsgeschäft zwischen Kaufleuten notwendig sei, was im gegenständlichen Fall nicht vorliege.
Dieses Urteil hob das Berufungsgericht infolge Berufung der beklagten Partei auf und trug dem Erstgericht neuerliche Verhandlung und Entscheidung mit der Weisung auf, das Verfahren erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen. Das Berufungsgericht pflichtete der Ansicht des Erstgerichtes bei, daß die Bestimmungen über das kaufmännische Retentionsgeschäft auf das vorliegende Rechtsgeschäft mangels Zutreffens der Voraussetzungen des § 369 HGB. keine Anwendung fänden, zumal den im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangenden allgemeinen Lagerbedingungen des österreichischen Möbeltransportes (kundgemacht in der Wiener Zeitung vom 3. Juni und 9. August 1947) gemäß § 13 dieser Bedingungen ein Zurückbehaltungsrecht nach den Bestimmungen des Handelsgesetzbuches auch gegenüber Nicht-Kaufleuten als Einleger fremd sei.
Hingegen lehnte das Berufungsgericht die Ansicht des Erstrichters ab, daß das gesetzliche Pfandrecht des Lagerhalters wegen mangelnder Gutgläubigkeit des Lagerhalters zur Zeit des Abschlusses des Lagervertrages nicht erworben worden sei. Sei auch dem Lagerhalter bei Abschluß des Lagervertrages bzw. bei Empfangnahme des Lagergutes bekannt geworden, daß der Einleger nicht Eigentümer sei, so verschlage dieser Umstand dann nicht, wenn der Lagerhalter ohne grobe Fahrlässigkeit nach der konkreten Sachlage den Einleger für berechtigt erachten konnte, über das Einlagerungsgut zu verfügen (§§ 421, 366 Abs. 3 HGB.). Konnte der Lagerhalter nach den konkreten Umständen den Einlagerer für berechtigt halten, über das Einlagerungsgut zu verfügen, dann sei er im Sinne der mehrfach erwähnten Gesetzesstelle als gutgläubig anzusehen. Die Redlichkeit im Sinne der obigen Ausführungen sei auch bei Prüfung des allfälligen Retentionsrechtes gemäß § 471 ABGB. zugrunde zu legen, da das Zurückbehaltungsrecht gemäß § 334 ABGB. nur dem redlichen Inhaber zustehe.
Von dieser Rechtsansicht ausgehend erachtete das Berufungsgericht das erstgerichtliche Verfahren als mangelhaft und trug dem Erstgericht auf, zur Frage der Gutgläubigkeit sowie zum Eigentumsrecht des Klägers an den klagsgegenständlichen Fahrnissen die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Der Oberste Gerichtshof hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug dem Berufungsgericht die sachliche Entscheidung über die Berufung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es ist von der Bestimmung des § 366 Abs. 3 HGB. auszugehen. Danach steht das gesetzliche Pfandrecht des Lagerhalters hinsichtlich des Schutzes des guten Glaubens einem durch Vertrag begrundeten Pfandrecht gleich. Nach § 366 Abs. 1 HGB. finden bei dem Vertragspfand die Vorschriften über den Schutz des guten Glaubens Anwendung, wenn sich der gute Glaube entweder auf das Eigentum des Verpfänders oder wenn er sich auf die Befugnis des Verpfänders erstreckt, über die Sachen für den Eigentümer zu verfügen. Geschützt wird also der gute Glaube hinsichtlich des Eigentums oder der Verfügungsbefugnis des Verpfänders. Nimmt daher der Lagerhalter ohne grobe Fahrlässigkeit an, daß der Einlagerer Eigentümer des Gutes oder zur Einlagerung des Gutes dem Eigentümer gegenüber befugt war, so erwirbt er das gesetzliche Pfandrecht an dem Lagergut, auch wenn das Eigentum oder die Verfügungsbefugnis des Einlagerers in Wahrheit gefehlt hat.
Im vorliegenden Fall sind die in der Gewahrsame des Verpflichteten Josef S. gestandenen Klagsfahrnisse im Zuge einer am 27. Mai 1949 durchgeführten Räumungsexekution in den Besitz der beklagten Partei gelangt. Sie wurden ihr vom Vollstreckungsorgan in Verwahrung gegeben (siehe den Amtsvermerk auf S. 34 des Aktes 4 C 335/48 des Bezirksgerichtes Döbling). Dieses ist hiebei nach der Vorschrift des § 349 Abs. 2 EO. vorgegangen, wonach in Ermanglung einer zur Übernahme der wegzuschaffenden Sachen befugten Person diese auf Kosten des Verpflichteten durch das Vollstreckungsorgan anderweitig in Verwahrung zu bringen sind (siehe hiezu jetzt auch § 569 Abs. 1 Geo. und Punkte 152 des Dienstbuches für Vollstrecker, Erlaß des Bundesministeriums für Justiz vom 7. Mai 1950, JABl. Nr. 10). Das Vollstreckungsorgan handelte hiebei weder im Namen der betreibenden Partei noch im Namen der verpflichteten Partei, sondern kraft Gesetzesbefehls, allerdings mit der zivilistischen Rechtsfolge, daß ein Verwahrungsverhältnis zwischen dem Verwahrer (der Beklagten) und dem Verpflichteten (Josef S.) entstand. Der gemäß § 349 EO. vom Vollstreckungsorgan bestellte Verwahrer hat die Stellung eines Sequesters im Sinne des § 968 ABGB., dessen Rechte und Verbindlichkeiten nach den Grundsätzen des Verwahrungsvertrages zu beurteilen sind (SZ. IX/235).
Bei dieser Rechtslage kommt es somit gar nicht darauf an, ob dem Kläger das Eigentumsrecht an den Klagsgegenständen zusteht. Es ist auch unerheblich, daß Karoline S. in Ansehung der Klagsfahrnisse, über die ihr überhaupt keine Verfügungsbefugnis zustand, mit der beklagten Partei einen Verwahrungsvertrag abgeschlossen hat. Denn die Sachen, deren Herausgabe der Kläger von der beklagten Partei verlangt, sind ihr vom Vollstreckungsorgan in Verwahrung gegeben worden. Das Vollstreckungsorgan war aber ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse kraft der Vorschrift des § 349 Abs. 2 EO. befugt, die Sachen der beklagten Partei in Verwahrung zu geben; es hatte nur für eine Verständigung der ihm bekannten Personen, die daran Rechte behaupten, zu sorgen. Somit steht außer Frage, daß das Vollstreckungsorgan die Befugnis zur Einlagerung der Klagsfahrnisse nicht nur dem Verpflichteten, sondern auch dem Kläger gegenüber hatte. War aber die Verfügungsbefugnis vorhanden, dann hat die beklagte Partei das gesetzliche Pfandrecht an dem Lagergut erworben und kann es auch dem Kläger wirksam zur Geltung bringen.
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