European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00036.23Z.0419.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Exekutionsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
II. Die Eingaben der Mutter des Antragstellers vom 25. 1. 2023 und 6. 2. 2023 werden zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Aufgrund der Entscheidung des Gerichts für den zentralen Stadtbezirk der Stadt Minsk vom 13. 10. 2017 ist der Antragsgegner (Vater) seit 1. 6. 2016 zu einer Unterhaltszahlung von 25 % seines Einkommens an den Antragsteller bis zu dessen Volljährigkeit verpflichtet.
[2] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 13. 6. 2018, GZ 14 Nc 3/18z‑2, wurde diese Entscheidung für Österreich für vollstreckbar erklärt. Für die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. 1. 2016 ist demnach gemäß § 413 EO der weißrussische Unterhaltstitel maßgebend (siehe dazu 4 Ob 191/20x).
[3] Mit Beschluss vom 10. 2. 2021 hat das Gericht für den zentralen Stadtbezirk der Stadt Minsk seine Entscheidung vom 13. 10. 2017 dahingehend abgeändert, dass der Unterhaltsanspruch des Antragstellers für die Zeit ab 1. 1. 2021 bis zur Volljährigkeit mit 5.000 EUR monatlich festgesetzt wurde.
[4] Das Erstgericht hob über Antrag des Antragsgegners die Vollstreckbarerklärung vom 13. 6. 2018 für die Unterhaltsansprüche des Antragstellers ab dem 1. 1. 2021 auf. Im restlichen Umfang (Unterhaltsansprüche vom 1. 6. 2016 bis 31. 12. 2020) hielt es die Vollstreckbarerklärung aufrecht.
[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners nicht, wohl aber jenem des Antragstellers statt und wies den Antrag des Antragsgegners, die erteilte Vollstreckbarerklärung aufzuheben, hilfsweise insoweit aufzuheben, als sie Zahlungsverpflichtungen ab 1. 1. 2021 erfasst, zur Gänze ab. Dazu sprach es aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob in einem Verfahren über einen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarerklärung auch im Sinne einer Abänderung eines Bruchteilstitels in einen Festbetragstitel entschieden werden könne.
[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners, der auf die gänzliche Aufhebung der Vollstreckbarerklärung vom 13. 6. 2018 abzielt.
[7] Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Antragsteller, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.
Zu I.
[9] 1. Das vorliegende Verfahren betrifft den Antrag des Antragsgegners auf Anpassung der Vollstreckbarerklärung gemäß § 414 EO idF EO‑Novelle 2016 (vormals § 84c EO). Diese Bestimmung ermöglicht es, die inländische Vollstreckbarerklärung nachträglich an eine zwischenzeitlich (nach Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung) erfolgte Aufhebung oder Abänderung des ausländischen Exekutionstitels anzupassen. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebung bzw Änderung der Vollstreckbarerklärung liegt bei demjenigen, der die Aufhebung bzw Abänderung begehrt (vgl Höllwerth in Deixler-Hübner, EO § 414 Rz 1 f; Slonina in Angst/Oberhammer, EO3 § 84c EO Rz 1 und 7).
2. Zeitraum vom 1. 6. 2016 bis 31. 12. 2020:
[10] Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass der ursprüngliche Unterhaltstitel des Minsker Gerichts für den genannten Zeitraum unberührt geblieben sei, vermag der Antragsgegner nicht mit nachvollziehbaren Argumenten zu entkräften. Seine Behauptung, dass der zweite Beschluss des Minsker Gerichts vom 10. 2. 2021 ohne ausdrücklichen Vorbehalt für den genannten Zeitraum ein vollkommen neuer Unterhaltstitel sei, der den ursprünglichen Unterhaltstitel zur Gänze außer Kraft gesetzt habe, ist ausgehend von der – den Grundsätzen für die Auslegung eines hier ausländischen Exekutionstitels entsprechenden – Beurteilung des Rekursgerichts unhaltbar.
3. Zeitraum ab 1. 1. 2021:
[11] 3.1 Für diesen Zeitraum hat das Minsker Gericht mit seiner Entscheidung vom 10. 2. 2021 den ursprünglichen Bruchteilstitel über Antrag des Antragstellers in einen Festbetragstitel umgewandelt. Dabei hat es insbesondere auf Art 94 des Gesetzbuchs der Republik Belarus über Ehe und Familie Bezug genommen und ausgeführt, dass Kindesunterhalt – in Abweichung zu Art 92 leg cit – unter anderem dann in einer festen Geldsumme festgesetzt werden kann, wenn der Unterhaltspflichtige Einkommen in unregelmäßiger Höhe bezieht oder die Unterhaltseinbringung schwierig ist, was hier der Fall sei. Außerdem habe sich die materielle Einkommenssituation und der Familienstand des Unterhaltspflichtigen geändert, weshalb – auf der Grundlage des im österreichischen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens – ein Unterhaltsbetrag von 5.000 EUR pro Monat gerechtfertigt sei.
[12] 3.2 Für die Frage, ob der ursprüngliche Unterhaltstitel (hier Bruchteilstitel ab 1. 1. 2021) aufgehoben oder abgeändert wurde, ist entscheidend, ob dieser nach der Entscheidung des Minsker Gerichts weiterhin Vollstreckungsgrundlage sein soll oder ob die Vollstreckung für den genannten Zeitraum nur mehr auf Basis des neuen Unterhaltstitels zu erfolgen hat. Die Auslegung der Entscheidungen des Minsker Gerichts nach dem Wortsinn führt zum Ergebnis, dass für den Zeitraum ab 1. 1. 2021 nur mehr der neue Festbetragstitel maßgebend sein soll, zumal das Minsker Gericht in dieser Hinsicht sogar von einer Neubemessung des Unterhalts wegen geänderter Einkommens- und Familienverhältnisse des Unterhaltspflichtigen ausgegangen ist.
[13] Das Erstgericht hat damit die Vollstreckbarerklärung vom 13. 6. 2018 hinsichtlich des hier in Rede stehenden Zeitraums zu Recht aufgehoben, weshalb dessen Entscheidung wiederherzustellen ist.
[14] 4. Das Verfahren über die Aufhebung oder Abänderung der Vollstreckbarerklärung ist zweiseitig (3 Ob 212/06g). Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO iVm § 78 EO.
Zu II.
[15] Die von der Mutter des Antragstellers zum Revisionsrekurs des Antragsgegners persönlich eingebrachten Schriftsätze waren als unzulässig zurückzuweisen, weil für exekutionsrechtliche Rechtsmittel und Rechtsmittelgegenschriften nach § 520 ZPO iVm § 78 EO Anwaltspflicht besteht (RS0002328) und kurz nach den Eingaben der Mutter ohnedies eine formgerechte Revisionsrekursbeantwortung eingebracht wurde (zum Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels siehe RS0041666).
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