European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00226.12Z.0123.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Der nunmehrige Kläger (damals als Beklagter) und die nunmehrige beklagte Partei (damals als klagende Partei) schlossen am 3. September 2008 vor dem Handelsgericht Wien einen Vergleich mit folgenden Punkten 1. und 2.:
„1. Die beklagte Partei verpflichtet sich der klagenden P. EUR 85.078,20 samt 10,67 % Zinsen seit 7. 11. 2006 sowie die Kosten in Höhe von EUR 22.029,54 (darin enthalten EUR 1.737,73 USt und EUR 11.603,16 Barauslagen) samt 4 % Zinsen seit 4. 9. 2008 ab Rechtswirksamkeit des Vergleiches binnen 14 Tagen zu Handen des KV zu bezahlen.
2. Die Zahlungsverpflichtung zu Punkt des Vergleiches entfällt, wenn die beklagte Partei EUR 30.000,-binnen 14 Tagen ab Rechtswirksamkeit des Vergleiches und EUR 25.000,--, zahlbar in fünf jährlichen Raten zu jeweils EUR 5.000,--, fällig jeweils mit 20. 10. jeden Jahres (erstmals fällig mit 20. 10. 2009) unter Einhaltung eines dreitägigen Respiros ebenfalls ab Rechtswirksamkeit des Vergleiches zu Handen des KV bezahlt. Der dreitägige Respiro bezieht sich auch auf die Einmalzahlung in Höhe von EUR 30.000,--.“
Vor dem Vergleichsabschluss wurden die einzelnen Punkte zwischen den Parteien erörtert und besprochen. Nachdem der Richter zunächst ein fünftägiges Respiro vorgeschlagen hatte, einigte man sich schließlich über Anregung der Beklagtenseite zwecks Abdeckung des Bankweges bis zum Einlangen des Geldes auf dem Konto des Beklagtenvertreters auf ein dreitägiges Respiro, weil drei Tage für eine Geldüberweisung ausreichend erschienen.
Durch die Vereinbarung eines dreitägigen Respiros in Punkt 2. des Vergleichs wollten die Parteien die Fälligkeit der Zahlungen nicht hinausschieben, sondern diese mit 20. 10. eines jeden Jahres unverändert lassen. Sie wollten damit den Bankweg bis zum Einlangen des Geldes spätestens am 23. 10. auf dem Konto des Beklagtenvertreters abdecken und die Geltendmachung von Verzugsfolgen bis zum Ablauf dieser drei Tage hinausschieben.
Am 8. Oktober 2008 zahlte der Kläger 30.000 EUR. Dieser Betrag wurde mit 13. Oktober 2008 auf dem Konto des Beklagtenvertreters gutgeschrieben. Die erste Ratenzahlung in der Höhe von 5.000 EUR an den Beklagtenvertreter leistete der Kläger am 19. Oktober 2009; am 22. Oktober 2009 langte diese Zahlung auf dem Konto des Beklagtenvertreters ein. Die zweite Rate in der Höhe von 5.000 EUR zahlte der Kläger am 20. Oktober 2010; am selben Tag langte dieser Betrag auf dem Konto des Beklagtenvertreters ein. Da der Kläger am Freitag, 21. Oktober 2011, um 11:00 Uhr einen Termin bei seiner Bank hatte, leistete er an diesem Tag etwa um 10:30 Uhr eine Bareinzahlung in der Höhe von 5.000 EUR. Dieser Betrag wurde am 25. Oktober 2011 dem Konto des Beklagtenvertreters gutgeschrieben. Hätte der Kläger spätestens am 20. Oktober 2011 der Bank einen Überweisungsauftrag erteilt, so wäre der überwiesene Geldbetrag innerhalb der dreitägigen Respirofrist auf dem Konto des Beklagtenvertreters eingelangt und gutgeschrieben worden.
Am 12. Dezember 2011 bewilligte das Erstgericht der nunmehrigen beklagten Partei aufgrund des Vergleichs vom 3. September 2008 zur Hereinbringung eines Betrags von 85.078,20 EUR samt 10,67 % Zinsen ab 8. Juni 2010 und Kosten in der Höhe von 9.580,04 EUR zuzüglich 4 % Zinsen seit 14. Oktober 2008 die Forderungs- und Fahrnisexekution. Die beklagte Partei rechnete dabei die vom Kläger geleisteten Teilzahlungen in der Gesamthöhe von 45.000 EUR mit 32.550,50 EUR auf die Zinsforderung und mit 12.449,50 EUR auf die Kosten an.
Das Erstgericht wies die auf den Ausspruch, der Anspruch der betreibenden Partei auf Zahlung von 85.078,20 EUR sA sei hinsichtlich eines Betrags von 45.000 EUR durch Zahlung erloschen und hinsichtlich des Restbetrags von 40.078,20 EUR gehemmt, gerichtete Klage ab. Die Befreiungsklausel des Prämienvergleichs sei nicht wirksam geworden, weil der Kläger erst am 21. Oktober 2011 die am 20. Oktober 2011 fällig gewordene Rate in bar bei der Bank eingezahlt habe; die Zahlung sei erst am 25. Oktober 2011 und damit außerhalb der Respirofrist auf dem Empfängerkonto eingelangt.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im klagestattgebenden Sinn ab: Eine geringfügige Verzögerung mit einer Rate nach zeitgerechter Leistung der in den Vorjahren fällig gewordenen Raten löse den Verzug nicht aus.
Das Vorbringen der beklagten Partei in ihrer außerordentlichen Revision lässt sich dahin zusammenfassen, dass im Hinblick auf die (umzusetzende) Richtlinie 2011/7/EU zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr und die EuGH-Rechtsprechung ein Spielraum für nur geringfügige Terminüberschreitungen insbesondere im Unternehmensbereich nicht mehr gerechtfertigt sei. Im Übrigen liege die Rechtsansicht des Berufungsgerichts außerhalb der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung, weil kein die Verspätung erklärender Sachverhalt vorliege. Nach der EuGH‑Rechtsprechung sei überhaupt davon auszugehen, dass der Gläubiger bei Fälligkeit über den geschuldeten Betrag auf seinem Konto verfügen können müsse. Aus dem ‑ auch auf den vorliegenden Fall anzuwendenden ‑ Zahlungsdienste-gesetz ergebe sich, dass der Kläger zumindest zwei Tage vor dem im Vergleich vereinbarten Fälligkeitstag die Überweisung tätigen hätte müssen. Der Kläger habe aber gar nicht die Absicht gehabt, die Zahlung rechtzeitig zu leisten. Die Nachlässigkeit sei „einer strengen und richtlinienkonformen Auslegung zu unterziehen“. Letztlich sei auch die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts verfehlt.
Rechtliche Beurteilung
Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) dargestellt.
1. Nach der Rechtsprechung hängt die Beurteilung, ob die Geltendmachung eines vereinbarten Terminsverlusts oder der Nichterfüllung eines Prämienvergleichs gerechtfertigt ist, von den im jeweiligen Einzelfall gegebenen besonderen Umständen ab (RIS‑Justiz RS0018357 [T3]).
2. In den Entscheidungen 3 Ob 2212/96g (= SZ 70/165) und 1 Ob 193/99k folgte der Oberste Gerichtshof ‑ jeweils mit ausführlicher Begründung ‑ der in der Lehre vertretenen Ansicht, dass es eine geringfügige Überschreitung der Leistungsfrist bei der Vergleichserfüllung nicht gerechtfertigt erscheinen lässt, die Verzugsfolgen eintreten zu lassen (RIS-Justiz RS0108837; RS0018357 [T2]). Die strenge ältere Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0014251 [T2]) wurde damit relativiert.
3. In der Lehre wird vertreten, dass ein zeitlich geringfügiger Verzug zu tolerieren ist, wenn dieser nicht auf mangelnde Zahlungsmoral zurückzuführen ist und der Verzug nicht darauf schließen lässt, dass auch künftige Zahlungen nicht rechtzeitig erbracht werden (Reischauer in Rummel 3 § 904 Rz 14). Strengere Maßstäbe werden allerdings zum Teil ‑ unter Berufung auf ältere Rechtsprechung ‑ dann angelegt, wenn im Rahmen eines Vergleichs ein Nachlass zugestanden wurde (Binder in Schwimann, ABGB3 § 904 Rz 56; Kietaibl in ABGB-ON1.00 § 904 Rz 27).
4. Im vorliegenden Fall ist die Verzögerung mit der Zahlung ‑ zeitlich ‑ nur geringfügig (1 Tag); angesichts der rechtzeitigen Leistung der früheren Raten ist auch nicht auf eine mangelnde Zahlungsmoral des Klägers zu schließen, die befürchten ließe, es würden auch die weiteren Zahlungen nicht rechtzeitig erbracht werden.
Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, dass eine geringfügige Überschreitung der Leistungsfrist nicht die Nichterfüllung eines Prämienvergleichs zur Folge hat.
5. Die Wirkung der von der beklagten Partei ins Spiel gebrachten Entscheidung des EuGH vom 3. April 2008, Rs C‑306/06, 01051 Telecom GmbH gegen Deutsche Telekom AG, auf eine Konstellation wie die vorliegende hält sich in Grenzen; eine solche Wirkung wird auch von der beklagten Partei nicht näher dargestellt. Im vorliegenden Fall ist zu beurteilen, welche Verzugsfolgen sich aus dem von der klagenden Partei zu erfüllenden Titel, einem gerichtlichen Vergleich ergeben, der eine parteieneinvernehmliche Regelung gerade für den Verzugsfall vorsieht. Es ist unstrittig, dass die klagende Partei die Zahlung nicht spätestens am 20. Oktober 2011, sondern erst am 21. Oktober 2011 geleistet hat. Dazu kommt, dass die EuGH‑Entscheidung zur Richtlinie 2000/35/EG vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl 2000 L 200/35, ergangen ist, die kein umfassendes Verzugsregime vorsieht, sondern im Wesentlichen nur den Verzugszins für bestimmte Geldforderungen regelt (siehe Rz 21 der Urteilsgründe; Gsell, Rechtzeitigkeit der Zahlung per Banküberweisung und Verzugsrichtlinie, GPR 2008, 165 [166]). Verzugsfolgen, wie sie im vorliegenden Fall zu beurteilen sind („Prämienverlust“), sind vom Anwendungsbereich der Richtlinie nicht umfasst.
6. Die Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl 2011 L 48/1, ist bis 16. März 2013 umzusetzen. Vorwirkungen für den vorliegenden Fall sind nicht erkennbar.
7. Weitere argumentative Hilfe sieht die beklagte Partei in § 42 Abs 1 ZaDiG, der die Verpflichtungen des „Zahlungsdienstleisters des Zahlers“ festlegt. Dass der Kläger nicht in diese Personengruppe fällt, bedarf keiner näheren Erläuterung. Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass unstrittigerweise der Kläger die Zahlung nicht spätestens am vereinbarten Fälligkeitstag (20. Oktober 2011) geleistet hat.
8. Der in § 528 Abs 2 Z 3 ZPO vorgesehene Ausschluss eines Rechtsmittels gegen Entscheidungen der zweiten Instanz über den Kostenpunkt erstreckt sich auf sämtliche Entscheidungen, mit denen in irgendeiner Form über Kosten abgesprochen wird. Das Gericht zweiter Instanz entscheidet daher in allen mit Kostenansprüchen zusammenhängenden Fragen endgültig (RIS-Justiz RS0044233).
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