OGH 3Ob210/14z

OGH3Ob210/14z18.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek und die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der außerstreitigen Familienrechtssache der Antragstellerin K*****, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen den Antragsgegner U*****, Schweiz, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 12. September 2014, GZ 2 R 80/14k‑43, womit infolge Rekurses beider Parteien der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 24. Jänner 2014, GZ 5 Fam 14/13a‑26, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00210.14Z.0218.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Laut Beschluss des Erstgerichts vom 19. Dezember 2007 war der Antragsgegner gegenüber seiner im Jahr 1993 geborenen Tochter, der nunmehrigen Antragstellerin, zu einer monatlichen Geldunterhaltsleistung von 370 EUR verpflichtet. Aufgrund eines am 18. April 2013 gestellten Unterhaltserhöhungsantrags und eines nachfolgenden Unterhaltsenthebungsantrags des Vaters verpflichtete das Erstgericht den Vater mit Beschluss vom 24. Jänner 2014 (ON 26) zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 380 EUR im Zeitraum von 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010 und zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 280 EUR ab 1. Dezember 2012 (für diesen letztgenannten Zeitraum hatte die Antragstellerin im Hinblick auf ihr Eigeneinkommen kein höheres Unterhaltsbegehren mehr gestellt).

Für den Antragsgegner trat im Verfahren erster Instanz ein in der Schweiz ansässiger Rechtsanwalt auf. Da dieser trotz Aufforderung durch das Erstgericht keinen österreichischen Einvernehmensrechtsanwalt nachwies, betrachtete das Erstgericht sämtliche vom Antragsgegnervertreter gestellten Anträge als wirkungslos.

Das von beiden Seiten angerufene Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Dem den Zeitraum ab 1. Jänner 2011 betreffenden Rekurs des ‑ im Rekursverfahren nicht mehr vertretenen ‑ Antragsgegners gab das Rekursgericht teilweise Folge und reduzierte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Zeit von 1. Jänner 2011 bis 31. Dezember 2011 auf monatlich 345 EUR und für die Zeit von 1. Dezember 2012 bis 30. November 2013 auf monatlich 214 EUR. Hinsichtlich der Zeit von 1. Dezember 2013 bis 30. November 2014 (im Differenzbetrag zwischen 280 EUR und 150 EUR monatlich) sowie betreffend die Zeit ab dem 1. Dezember 2014 (zur Gänze) hob das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung auf.

Bei einem 5.000 EUR übersteigenden Streitwert habe der Rechtsvertreter des Antragsgegners angesichts der relativen Anwaltspflicht eines österreichischen Einvernehmensrechtsanwalts bedurft. Davon erfasst sei der Antrag des Antragsgegners vom 3. Oktober 2013, ihn ab 1. Jänner 2013 zur Gänze von seiner Unterhaltspflicht zu befreien (36 x 370 EUR = 13.320 EUR). Sein Begehren auf Abweisung des Unterhaltserhöhungsantrags betreffend die vor dem 1. Jänner 2013 liegenden Zeiträume sei hingegen ‑ im Hinblick auf den 5.000 EUR nicht übersteigenden Streitwert ‑ rechtswirksam. Da „eine Heilung der Prozesshandlungen“ des postulationsunfähigen Vertreters des Antragsgegners eingetreten sei, müsse sein Rekurs inhaltlich behandelt werden. Daher sei die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ‑ gegenüber dem Beschluss des Erstgerichts ‑ für den Zeitraum von 1. Jänner 2011 bis 31. Dezember 2011 auf 345 EUR monatlich und für den Zeitraum von 1. Dezember 2012 bis 30. November 2013 auf 214 EUR monatlich zu reduzieren. In Bezug auf den Zeitraum ab 1. Dezember 2013 sei die angefochtene Entscheidung (im Rahmen des Rekursantrags) aufzuheben.

Gegen den abändernden Teil der Rekursentscheidung sei der Revisionsrekurs zulässig, weil es an gesicherter höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage fehle, ob § 5 EIRAG ausschließlich auf Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht oder auch auf Verfahren mit relativer Anwaltspflicht anzuwenden sei.

Der gegen den abändernden Teil der Rekursentscheidung erhobene, in erster Linie auf Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Antragstellerin ist nicht berechtigt.

Die Antragstellerin macht im Rechtsmittel allein geltend, dass der Antragsgegner im Verfahren erster Instanz, in dem absolute Anwaltspflicht bestanden habe, mangels Bestellung eines Einvernehmensrechtsanwalts nicht wirksam vertreten gewesen sei. Eine Heilung der fehlenden Vertretungsmacht sei nicht eingetreten.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wurde erwogen:

1. In Unterhaltsstreitigkeiten zwischen Kindern und ihren Eltern mit einem Streitwert über 5.000 EUR besteht gemäß § 101 Abs 1 AußStrG im Verfahren erster Instanz relative Anwaltspflicht (näher dazu Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 4 Rz 7; Nademleinsky in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 101 Rz 21).

2. Nach § 5 Abs 1 EIRAG dürfen „in Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen … muss, ... dienstleistende europäische Rechtsanwälte als Vertreter ... einer Partei nur im Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) handeln“. Unter den Begriff der dienstleistenden europäischen Rechtsanwälte fallen gemäß § 1 Abs 1 EIRAG auch Staatsangehörige der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die berechtigt sind, als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt beruflich tätig zu sein.

2.1. Nach den Gesetzesmaterialien zur Regierungsvorlage des EuRAG (nun EIRAG) entspricht dessen § 5 Abs 1 inhaltlich dem § 4 EWR‑RAG 1992 (ErläutRV 59 BlgNR 21. GP  15). In den Gesetzesmaterialien zum EWR‑RAG 1992 hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass die Formulierung des § 4 dieses Gesetzes so gewählt worden sei, dass von der Verpflichtung zur Beiziehung eines Einvernehmensrechtsanwalts (nur) die Fälle absoluter Anwaltspflicht erfasst sind (ErläutRV 777 BlgNR 18. GP  8), wobei auf die ‑ nicht näher dargestellte ‑ Rechtsprechung des EuGH Bezug genommen wurde.

2.2. In seinem Beschluss vom 26. Juni 2008, 2 Ob 102/08a, hat der Oberste Gerichtshof mit der Begründung, dass im Sachwalterschaftsverfahren nur relative Anwaltspflicht besteht (§ 6 Abs 2 AußStrG), eine Zustellung an den einschreitenden deutschen Rechtsanwalt ohne Nachweis nach § 5 Abs 1 EuRAG als wirksam angesehen.

Im Gegensatz dazu hat der Oberste Gerichtshof im Beschluss vom 3. September 2008, 3 Ob 162/08g, in einer Adoptionssache (für die gemäß § 6 Abs 2 AußStrG ebenfalls relative Anwaltspflicht vorgesehen ist) ausgesprochen, dass ein dienstleistender europäischer Rechtsanwalt im Rekursverfahren nur nach Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts zur Vertretung befugt ist; diese Aussage hatte im konkreten Fall aber keine Auswirkung auf die Entscheidung.

Zuletzt wies der Oberste Gerichtshof in den Beschlüssen vom 9. Jänner 2013, 6 Ob 251/12y, und vom 19. März 2013, 10 Ob 5/13b (= EF‑Z 2013/154, 235 [ Beck ] = EvBl 2014/8, 68 [ Höfstätter ]), darauf hin, dass in bloß relativ anwaltspflichtigen Fällen die Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts nicht erforderlich sei; in der Entscheidung 10 Ob 5/13b wird dafür die gesetzgeberische Absicht ins Treffen geführt.

2.3. In der veröffentlichten jüngeren zweitinstanzlichen Rechtsprechung dominiert die Linie, in Fällen relativer Anwaltspflicht keine Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts zu fordern (LGZ Wien 42 R 427/07s, EFSlg 118.647; LGZ Wien 44 R 493/11t, EFSlg 132.804; LG Linz 15 R 39/12d, EFSlg 136.017; LGZ Wien 45 R 457/12g, EFSlg 136.016; LG Salzburg 21 R 237/12t, EFSlg 136.804; anders LG Salzburg 21 R 158/12z, EFSlg 136.805).

2.4. Auch in der Literatur wird die Notwendigkeit der Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts auf Fälle absoluter Anwaltspflicht beschränkt (siehe etwa Zib in Fasching/Konecny 3 §§ 31, 32 ZPO Rz 101; Stumvoll in Fasching/Konecny 2 § 10 ZustG Rz 17; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 6 Rz 12; Feil , AußStrG 2 § 6 Rz 2; Schumacher, Einvernehmensrechtsanwalt und Prozessvollmacht, AnwBl 2013, 636). Pfeifenberger, (Der ausländische Rechtsanwalt im inländischen gerichtlichen Verfahren, RZ 2001, 273 [275]), erklärt das Fehlen einer Pflicht zur Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts bei bloß relativer Anwaltspflicht damit, dass die Hinzuziehung eines Einvernehmensrechtsanwalts ‑ wie die Anwaltspflicht selbst ‑ als Schutznorm zu verstehen ist, wodurch die Partei in bestimmten Fällen vor jenen Nachteilen bewahrt werden soll, die aus der Unkenntnis des formellen Rechts erwachsen können. Bei Verfahrenshandlungen, die die Partei auch selbst vornehmen könnte, ist ein solcher Schutz aber nicht erforderlich.

2.5. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass die Benennung eines Einvernehmensrechtsanwalts nur bei absoluter Anwaltspflicht erforderlich ist.

Die Unterhaltsbemessung wird im Revisionsrekurs nicht mehr aufgegriffen.

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